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10.08.2003
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Ein Strich hier, ein Strich dort und was nun? Wieder Mist?
Mist!
Ein weiteres Beinahe-Bild landet. Wo, das ist unklar. Zu sehr passt es sich seiner Umgebung an, gleich einem Schneeball, der in einem See landet.
Das Telefon klingelt, klingelt
klingelt.
Genervt nimmt Jürgen ab: "Hallo, wer ist da?"
"Ich bins nur," antwortet es, "hast du die versprochenen Bilder?"
Er legt auf.
Und wieder ertönt das nervtötende Klingeln, klingeln, kling...
Jürgen spannt ein neues Format ein, legt seine Lieblingsplatte ein, um sie gleich darauf wieder mit einem angewiderten Blick rauszunehmen.
Radio? Walgesang?
Er steckt das Telefon wieder ein:
Widerstrebend hält er die Muschel an den Mund: "Hier ist Jürgen."
Eine Frau mittleren Alters nimmt, hörbar unerfreut, ab: "Wieso rufst du hier an?"
Stille
"Wegen der Team Dresch Platte!"
Zum zweiten Mal heute wird ein Telefonat vorzeitig unterbrochen, nur ist Jürgen diesmal auf der anderen Seite, schmeißt entnervt den Hörer auf seinen Plattenspieler und legt sich ins Bett, den Ort seiner einstigen Inspiration. Hier war ihm damals die Idee für seine bestes Bild gekommen: Das Waffeleis und das heruntergefallene Mädchen.
Ein Meisterwerk, noch bevor er einen Pinselstrich getan hatte, wusste er es.
Und nun?
Er geht zum Kühlschrank und nimmt sich ein Bier, er weiß, dass es erst irgendwann morgens ist, aber die Zeit spielt für ihn schon lange keine Rolle mehr. Wie soll man zwischen Zeiten unterscheiden, wenn man schon die Tage nicht auseinanderhält?
Es ist halb zehn und das zweite Bier bereits leer und hier zeigt sich sein neues, dadurch aber nicht weniger unerhebliches Problem. Eine zitternde Hand malt keinen geraden Strich.
Er hat kein Problem mit Alkohol, er hat ein Problem mit seiner Hand. Seine Ex-Frau mit der Team Dresch Platte meinte das sei Auslegungssache.
Ein weiteres zerknülltes Unwerk landet in der Ecke, gefolgt von einem lauten Klirren. Er wird die Wohnung bald wieder wechseln müssen. Wenigstens Geld hat ihm sein verfluchtes "Meisterwerk", wie es der Kunstspiegel damals bezeichnete, gebracht, wenn auch in Form eines Vertrages, dessen Erfüllung ihm momentan eher unwahrscheinlich scheint.

Zwei Wochen später hat er sich von diesem Geld durch einen ehemals befreundeten Steinmetz einen Findling liefern lassen.
In der Mitte seines Arbeitszimmers steht nun ein etwa einen Kubikmeter umfassendes Steinmassiv. Bereit eine Form, bereit einen Sinn zu bekommen, der darüber hinaus geht, Platz einzunehmen.
Ohne eine genaue Vorstellung beginnt Jürgen sich treiben zu lassen, setzt hier einen Stich, schlägt dort etwas weg, in der Hoffnung und dem Wissen egal was hieraus entsteht, es ist die Mühe wert, eine Inschrift hat er sich schließlich schon überlegt.
Die Türklingel bringt ihn aus dem Konzept, irritiert schaut er zum Telefon, welches sinnentleert in der Ecke liegt, die Kabel zwecklos verstreut. Erneut läutet es und er versteht.
Vom Fenster aus ist niemand zu sehen. Im selben Moment erkennt er das knallgelbe Auto seiner Agentin sowie ihren geschmacklosen Schirm.
Er hatte gar nicht wahrgenommen, dass es regnet. Ein ungeduldiges und respektabel kräftiges Klopfen ertönt. Langsam geht sie ihm auf die Nerven.
Klopf, klopf, klopf, "verpiss dich!", klopf, klopf, "hau endlich ab du", klopf, "kriegst deine Bilder schon noch!" Klopf.
"Ehrlich?"
Stille
Klopf, klopf. "Ja verdammt, ja!"
Sie stöckelt wieder davon, allein dieses Geräusch verursacht Würgereize bei Jürgen. Ich klatsch ihr jetzt ein paar Bilder hin, denkt er sich, was kehrts mich ob die dann "gut" sind. Die Frau nimmt doch eh alles, in vielerlei Hinsicht.
Wenig später stehen zwölf Bilder, konvergierend zur Anzahl von ihm geleerter Biere, eines beschämender als das andere in Jürgens Atelier.
"Nur Schund, nur Schund!" Flüstert er sich zu, froh sich endlich wieder seinem Findling zuwenden zu können. Hier ein Schlag, dort ein Schlag, er weiß noch nicht genau was es werden soll, aber er ist froh seinen Frust auf so künstlerisch aggressive Art und Weise ablassen zu können. So schlägt er mit seiner Hacke auf den Stein ein bis die Sonne untergeht und er irgendwann schweißnass ins Bett fällt. Er träumt wirr in dieser Nacht. Seine erste Freundin kommt darin vor, der erste Pinselstrich an seinem bislang einzig bemerkenswerten Bild ist ihm vor Augen und eine ungeheure Befriedigung erfüllt ihn.
Am nächsten Morgen steigt er aus dem Bett und reibt sich ob seines Werkes verwundert die Augen. Wie in Ekstase hatte er gestern gewerkt, völlig blind für das Bild selber hatte er bis zu Erschöpfung an jeder kleinen Ecke verbessert, was ihm verbesserungswürdig erschien. Jetzt vor ihm steht:
Ein Nilpferd mit einem Horn
Er weiß, hierbei handelte es sich um seinen zweiten Frühling, was er dann auch sogleich mit seinem zweiten Bier feiert. Als er den Hörer seines Telefons in der Hand hält, blickt er etwas unentschlossen auf die Zahlen, er hat schon lange niemanden mehr angerufen, außerdem ist er sich nicht sicher ob nicht vielleicht Sonntag ist.
Nach einem Nickerchen klingelt die Tür und nach einer kurzen Phase der Verwirrung geht Jürgen mit stolzgeschwellter Brust die Treppe hinunter und öffnet.


"Hallo Janine, was machst du denn hier?" Völlig überrascht, da er eigentlich seine Agentin erwartet hatte, versteht er nicht gleich. Janine war eine alte Freundin mit der er vor etwa einem Jahr des öfteren um die Häuser gezogen war.
"Was ich hier mache? Das weiß ich selber nicht so genau!" Während sie dies etwas genervt sagt, nimmt sie das Baby in ihrer Hand immer höher und wiegt es hin und her, macht darauf aufmerksam, hebt es an, lässt es sinken, bis Jürgen versteht.
"Oh, da gratulier ich aber recht herzlich!" Er meint das auch so, er freut sich wirklich für die gute alte Julia. Doch die wirkt nicht wirklich empfänglich für seine Gratulation und meint nur: "Weißt du was? Du kannst dir genausogut selber gratulieren!"
Stille
Ein Auto fährt vorbei und wie Jürgen, während er über diese Aussage nachdenkt, sieht, wie eine Biene auf einer seiner vielen Sonnenblumen in seinem wirklich schönen, wenn auch nicht genug gepflegten Vorgarten landet, fällt es ihm wie Schuppen von den Augen.
"Hää?"
Und wieder stöckelt eine Dame weg von Jürgens Wohnung. Darauf erstmal zwei Bier. Sollte er etwa? Das kann nicht sein.
Nach einem Nickerchen, schmiert er sich zwei Brötchen und setzt sich schmatzend auf seinen Balkon, von wo aus er das benachbarte Mädchen zu beobachten versucht, schließlich steht das lila Auto ihres Freundes vor ihrem Haus und manchmal vergessen die beiden die Vorhänge zuzuziehen. Wie Jürgen immer in sich reingrinsen muss, wenn seine Freunde ihm vorwerfen, er hätte keine Hobbys.
Nebenher noch ein Bild malend, versucht er die Szenerie zu deuten, aber allem Anschein nach ist der Vorhang zu. Das Bild welches er 23 Minuten später zu den anderen stellt, zeigt eine alte Frau, der ein Träne die Wange hinabläuft, er wird es Styx nennen.
"Hallo Janine?
Der Grund meines Anrufes?
Ich wollt nur fragen...
Also bin ich der Vater?
Ja freuen tu ich mich schon, ich bin nur gerade erst aufgewacht.
Also ich wünsch dir was."
Er hasst diese zwischenmenschlichen Beziehungskisten.
Nach zwei weiteren Bieren beschließt er seine neue Kollektion seiner Agentin zu bringen. Er stellt die Bilder in ihre Scheune, versehen mit ein Zettel auf dem "Nichts zu danken" steht. Das Einbehörnte Nilpferd stellt er Janine auf den Fenstersims, "Mehr Alimente gibts nirgends anders", steht auf dem beigefügten Zettel.
Wieder ins Auto gestiegen, köpft er erstmal seiner Sorgen entledigt eine Flasche.
Und wohin jetzt? Team Dresch etwa?

 

Hallo Maniac.

Das Telefon klingelt, klingelt
klingelt.
Gehört der Zeilenumbruch wirklich dahin?

Klopf, klopf, klopf, "verpiss dich!", klopf, klopf, "hau endlich ab du", klopf, "kriegst deine Bilder schon noch!" Klopf.
Dies find ich lustig.

wie eine Biene auf einer seiner vielen Sonnenblumen in seinem wirklich schönen, wenn auch nicht genug gepflegten Vorgarten landet
Bienchen und Blümchen... schön gezeigt, mit dem Bild.

"Hallo Janine?
Der Grund meines Anrufes?
Ich wollt nur fragen...
Also bin ich der Vater?
Ja freuen tu ich mich schon, ich bin nur gerade erst aufgewacht.
Also ich wünsch dir was."
Anfangs dachte ich, dass in der ersten Zeile die schließenden Anführungszeichen fehlen, aber dann bin ich dahintergestiegen, dass er da immer noch spricht. Das ist aber nicht besonders deutlich, nur mit den Zeilenumbrüchen.

Die ersten Zeilen klangen etwas abstrakt, aber im Zusammenhang betrachtet ergeben sie mehr Sinn. Wie mir die Geschichte im Ganzen gefällt kann ich gerade schlecht sagen. (Bin etwas abgelenkt, ist gerade etwas laut hier.) Es geht um einen Maler und Bildhauer, der etwas unter Druck steht, weil er einen Vertrag hat und nichts fertig kriege. Viel Spannendes passiert eigentlich nicht, aber ich kann auch nicht behaupten, dass ich mich gelangweilt hätte, liegt vielleicht an den Formulierungen.
Ansonsten verstand ich die eine Stelle nicht ganz: Janine kommt Jürgen mit einem Kind besuchen, dass von ihm ist, nur um ihm genau das zu sagen. Doch sie geht gleich wieder, ohne dass sie ein Gespräch mit ihm sucht oder ihn nach Unterhalt fragt oder so.

Grüße von Jellyfish

 

Hallo jellyfish

Danke für deine Kritik erstmal.
Die unklare Stelle lässt sich so verstehen, dass sie vor ihm stehend begreift, dass ihr niemand gegenüber steht der irgendwie zu irgendwelchen Leistungen im finanziellen Sinne in der Lage ist. Der Künstler macht einen so schlechten EIndruck, dass sie es gar nicht erst versucht, vielleicht sogar Mitleid mit ihm hat.
Der Zeilenumbruch am Anfang ist beabsichtigt, soll das nervige der ganzen Angelegenheit aufzeigen, bis er endlich abnimmt.
Schön, dass dir ein paar Formulierungen gefallen haben, ich habe zwar immer ein paar im Kopf während ich schreibe, aber sie immer passend anzubringen fällt mir doch schwer.

Viele Grüße
Maniac

 

Hey Maniac.
die beste Idee der Geschichte ist für mich das Waffeleis und das heruntergefallene Mädchen. Da musste ich lachen. Und später das "Ich wünsch dir was" war auch noch sehr gut.
Ansonsten ist das ein ganz amüsantes Personälchen über den Maler. Es ist schon ein wenig von außen alles. So dieses Klischee, dass der Künstler halt macht und selbst nicht so weiß, was alle an ihm finden. Und der dann immer Angst hat, er könne es nicht wieder, weil er selbst ja gar nicht durchschaut, was er beim letzten Mal richtig gemacht hat und alles. Und der natürlich ein bisschen menschenscheu ist und säuft und alles.

Aber ich fand's wirklich ganz amüsant, bisschen flach alles, bisschen althergebracht, aber gerne gelesen.

Gruß
Quinn

 

Hi Quinn

Danke für dein Feedback, es freut mich, dass sie dir gefallen hat.
Die Geschichte sollte auch kurzweilig sein und etwas Wortwitz mit sich bringen, auch wenn der Charakter des Malers nicht der tiefgründigste ist.

VG
Maniac

 

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