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03.09.2024
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Der Gastgeber steht vor dem Grill, die Schürze spannt über seinem Bauch, die Zange hält er in der rechten Hand, links eine Flasche. Seine Frau sitzt am Gartentisch in einem Kleid mit Blumenmuster, an den Füßen Sandalen, die Zehennägel sind rot lackiert. Das gefüllte Glas vor ihr ist unberührt. Der Rasen ist frisch gemäht, auf der Terrasse sind Pflanzen in verschieden großen Töpfen platziert, eine Gießkanne steht am Rand. Der Schlauch an der Fassade des Hauses ist auf eine Kunststoffhalterung gewickelt. Ein Sonnenschirm bewegt sich leicht im Wind, der Rauch des Grills lässt den Gastgeber blinzeln. Schweiß perlt auf seiner Stirn. Eine Mücke landet auf seiner Wade. Der Gast hat Shorts an, sein Polohemd nasse Flecken unter den Achseln. Er hat ein Bein über das andere geschlagen, die Leinenschuhe sind beige. Vor ihm steht ein Glas mit einer Flüssigkeit. Durch die Streuung des Lichtes am Nachmittag wirkt der Himmel tiefblau, Wolken sind nicht zu sehen. Der Gast setzt eine Sonnenbrille auf, die einen Rahmen aus Titan hat. Drei Teller stehen auf dem klappbaren anthrazitfarbenen Tisch, der heiß ist. Daneben liegt das Besteck aus einer Chrom-Nickel-Legierung. In der Mitte steht eine Schale aus Keramik mit Salat. Eine Ameise läuft am Rand des Tisches.
„Schön hier“, sagt der Gast.
Der Gastgeber nickt. Seine Frau auch. Die Ameise hat die Schale erreicht.

 
Zuletzt bearbeitet:

Guten Morgen @Jaylow,

du hast deinen Text unter der Rubrik Experimente eingestellt.
Für mich wirkt er wie die Beschreibung einer Szene – vielleicht sogar eines Fotos oder Bildes. Eine Kurzgeschichte ist es für mich noch nicht, da die Handlung fehlt. Auch ein Spannungsbogen ist nicht erkennbar. Einen Protagonisten kann ich ebenfalls nicht ausmachen, abgesehen vielleicht von der Ameise, die sich bewegt hat.
Insgesamt ist es für mich eine gut geschilderte Szene, aber eben keine Geschichte.
Ich bin gespannt, welches Experiment du damit verfolgen wolltest.

Ich wünsche dir noch eine schöne Adventszeit!

Liebe Grüße
CoK

 

Hi @Jaylow,

Auf mich wirkt der Text so für sich rund und in sich stimmig. Eine tiefere Aussage finde ich nicht, was mich nicht unbedingt stört. Denkbar wäre für mich aber, dass die Flüssigkeit irgendein Hinweis ist - alles ist dem Erzähler bis ins Detail bekannt, nur nicht die Flüssigkeit. Wenn es einer ist, kann ich noch nicht sagen, was ich davon halte, weil ich den Schlüssel noch nicht gefunden habe ... Wenn es kein Hinweis ist, würde ich die Flüssigkeit genauer bezeichnen.
Die Ameise gefällt mir so auch ganz gut, noch besser vielleicht, wenn sie gleich zu Beginn des Textes auftritt? Weiß ich aber nicht sicher, es brächte vielleicht auch die Gefahr mit sich, die Ameise als zu künstlichen Griff zu sehen. (Gerade stelle ich mir vor, dass mir auch ganz gut gefallen könnte: Die Ameise läuft weiter auf die Schale zu. Weil eben beim Erreichen doch irgendwie mitschwingt, dass ich sie schon länger dabei hätte beobachten können sollen.)

Schönen Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo ihr Beiden (@CoK und @erdbeerschorsch), toll, dass ihr eine Rückmeldung auf so ein Text-Experiment gebt.

Für mich wirkt er wie die Beschreibung einer Szene – vielleicht sogar eines Fotos oder Bildes. Eine Kurzgeschichte ist es für mich noch nicht, da die Handlung fehlt. Auch ein Spannungsbogen ist nicht erkennbar.
Einen Protagonisten kann ich ebenfalls nicht ausmachen, abgesehen vielleicht von der Ameise, die sich bewegt hat.
Insgesamt ist es für mich eine gut geschilderte Szene, aber eben keine Geschichte.
Der Hintergrund war für mich die Frage, ob man eine Geschichte ohne Geschichte und Protagonisten erzählen kann. Mir schwebte ein Bild oder eine Szene vor, mit extrem wenig Bewegung. Zunächst eine Beschreibung des Bildes, Menschen, Rasen, Blumentöpfe, Grill. Hier gibt es keine Annäherung an die Menschen, die genauso distanziert beschrieben werden wie der aufgewickelte Schlauch an der Hauswand. Ein bisschen wie ein Hockney-Bild. Die weiteren Beschreibungen werden immer distanzierter, sie entfernen sich weiter, die Beschaffenheit der Brille oder des Bestecks scheint eine größere Rolle zu spielen, als irgendetwas Menschliches. Der Bruch soll der einzige gesprochene Satz sein: "Schön hier."
Ist das schön? Jedenfalls wollte ich nichts Schönes beschreiben, sondern etwas extrem Kaltes in der Hitze, etwas Entmenschlichtes.
Vermutlich zu viel Verkopftes, und Lesen will man sowas eh nicht, wenn es denn überhaupt rüberkommt.
Gerade stelle ich mir vor, dass mir auch ganz gut gefallen könnte: Die Ameise läuft weiter auf die Schale zu. Weil eben beim Erreichen doch irgendwie mitschwingt, dass ich sie schon länger dabei hätte beobachten können sollen.)
Das ist eine ziemlich gute Idee, muss drüber nachdenken, aber gefällt mir sehr gut!
Danke für eure Bereitschaft, einen Text "neben der Kappe" zu kommentieren!

Einen entspannten dritten Advent wünscht

Jaylow

 

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