Bilder des Kriegs
Bilder des Kriegs von einem Dichter dieses Kriegs.
(Eine Bildbeschreibung eines ewigen Deutschschülers)
Ich schmerze einen unsagbaren Schmerz. Ich schmerzzerherze meine Brust, wenn ich ein Bild, wie dieses, sehe. Der Junge im Vordergrund, vielleicht zehn Jahre alt, presst seine kleinen Hände vor das Gesicht. Diese kleinen Hände bedecken, die Finger über der Stirn gespreizt, die Augen. Zwischen den Handflächen bricht eine Nase hervor, gezeichnet vom Weinen.
Der Mund verzerrt am Leid des Lebens. Die weißen Zahnreihen, noch milchzahnbewehrt in spitze Unregelmäßigkeiten verworfen, schreien dir in Verzweiflungen aufgelöst das Gefühl von "Ich-habe-heute-meinen-Vater-verloren" entgegen.
Eine Mutter kniet in einer wahren Herzzerfetzung dahinter hilflos auf dem nackten Boden. Ein kleiner Junge entfließt fast ihrem ihn an sich gepressten Arm. Er blickt, als möchte er auch seinen größeren Bruder ganz, ganz, ganz fest, fest halten. Irgendwie hat er noch keine Ahnung, was es heißt: Vater tot. Der hat ihm doch gestern noch seine Lieblingsgeschichte von Klein-Aladin aus tausend und einer Nacht erzählt. Und was heißt schon tot? Aber irgendwie weiß er auch schon, dass Nichts mehr so ist, wie gestern. Irgendwie ahnt er, dass tot sein bedeutet: es ist nun aus mit seinem Klein-Aladin. Den tausend schönen Nächten von Gestern fehlt ab nun diese eine einzige Nacht, die aus Geschichten so schöne Geschichten macht.
Das Gesicht der Frau zerhellfire-raketet dich durch deinen Abschottungsstahlbeton deines Gefühlsbunkers hindurch in deinem doch so weichen Herz, so fern du so eines hast. Der Staub von Uran 238 entsetzt sich dann in deiner Heileweltenseele.
Gleich daneben, so angepresst an eine schmutzigweiße Ziegelwand zerbricht ein Schrei die irakischheiße Wüstenstille des April zweitausend und drei. Auf den für unsere so fernen Bildbetrachteraugen so ganz unsichtbaren Leidlautbahnen verseelt die erste kindliche Bewusstseinwerdung des nun Halbwaise-Sein.
Dieses Bild zerkrankt mein Ich. In meinem Bauch verdumpft ein Ziehen, als würde mein Seelenmann ihn in seiner Riesenfaust brutal zerquetschen. Meine Männlichkeit verkleinert sich in sonst so unbekannte Nicht-mehr-Fühlbarkeiten, weil sie gar nicht so viel Mann sein kann, um etwas gegen diesen Schmerz von Frau und Kindern zu unternehmen.
Ich frage mich zum millionsten Mal: Warum bin ich nur so ein irrer Dichter dieses Kriegs. Mein kleiner Sohn möchte immer, dass ich ihm ein paar spannende Kindergeschichten schreibe. Er liebt den steilen Brezina. Von Harry Potter hat er schon Alles gelesen. Ich träume nun schon seit mehr als zwanzig Jahren einen für mich so schönen Traum, dass ich es eines Tages wie Erich Kästner machen werde. Wenn die Scheiße der Bilder von einem Großen Krieg, die ich immer träume, seit ich ein wenig klarer denken kann, wirklich über uns zusammen schlägt, dann möchte ich mich wie er ausklinken aus dieser meiner Bilderwelt, und nur noch nette Kindergeschichten schreiben und Allerweltsromane, die den dann Nachkriegsmenschen wieder eine neue Hoffnung geben.
Ja, so weit hoffe ich. Doch ich frage mich auch, was hat dann mein kleiner Jimi noch von diesen meinen Kindergeschichten. Dann ist er ja bereits zu alt dafür.
© Copyright by Lothar Krist (11.4.2003)