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Bildwesen

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29.07.2003
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Bildwesen

Bildwesen

Lange habe ich mit mir gerungen, und mich doch noch entschlossen, einen Stift in die Hand zu nehmen, einen Block Papier aufzuschlagen und in meinen vielleicht letzten Stunden über ein besonderes Bild zu berichten.
Für den flüchtigen Betrachter ist es nur ein Repro-Druck unter Unmengen von anderen, nicht mal von einem bekannten Künstler und mit einem schlichten Holzrahmen in Dunkelrot versehen.

Es hatte seinen Platz über meinem Schreibtisch seit Jahrzehnten. Die Hintergrundfarbe ist ein Dämmerungsblau, eine schroffe Felsklippe erhebt sich aus den sanften Wellen des Meeres. Das Wasser selbst ist blaugrau, nur die Wellenkämme tragen ein wenig Silber. Der übliche Leuchtturm ist zu sehen, dessen Licht den bewölkten Himmel und einen Teil des Meeres in ein diesiges Gelb taucht.

Unter Konkurrenz mit anderen Bildern hing es über meinem Arbeitsplatz, schon in den ersten Tagen fiel es mir auf: es bildete Stimmungen nach.
Es schien, als fühle es mir meine Launen nach, um sie entweder zu verstärken oder glatt zu bügeln.

- Christus! Jesus Christus flüsterte ich. Ich bemerkte es zum ersten Mal, als eine meiner Storys, für die ich alles gegeben hatte, von den Kritikern verrissen und selbst von meinen Stammlesern mit Nichtachtung gestraft wurde.
Mag sein, das ich als Autor der Belletristik einen geschulten Blick für Dinge besitze, welche nicht zum Alltäglichen gehören.
Ich saß also geknickt vor meinem Sekretär, die letzte Kritik der ungnädigen Wölfe vor mir. Selbst die schweren Vorhänge vor dem einzigen Fenster in meinem Arbeitszimmer bewegte ich nicht zur Seite, um die hellen Strahlen dieses sonnendurchfluteten Morgens herein zu lassen.

Hoch zu dem Bild wanderte mein Blick, von dort weckte mich ein leuchten aus meinem Trübsinn. Trotz der Dunkelheit im Zimmer erschienen alle verschiedenen Farben in einem samtenen Glanz; und er verstärkte sich. Auch, wenn kaum Licht im Raum herrschte, aber der spärliche Tang ganz unten am Fuße der Klippe und die Gischt der Wellen, die an den Fels schlugen, erschienen wie von innen beleuchtet. Ja, als würde jemand mit einer Taschenlampe die Leinwand von hinten beleuchten.
Alles hielt ich für einen Trug, schrieb es meiner Stimmung zu; womit ich im Grunde auch recht hatte.

Trotz allem, was sie mir angetan hatten, begann ich, die erlittene Schmach zu verdrängen und zog die Vorhänge beiseite. Ich wollte wissen, ob mir meine Augen einen Streich spielten.
Kaum ließ ich Licht in den Raum, erstrahlte die sonst eher kümmerliche Farbskala des Bildes in einem hellen Glanz, ließen alle Formen und Details weit hervor treten, als wäre es kein Druck von der Stange, sondern ein frisch gemaltes Ölgemälde. Der nasse Fels, ganz unten an der Wasserlinie, fast schien er mir wie ein Spiegel, in dem ich mich sehen könnte, wären meine Augen nur scharf genug. Selbst am Abend noch leuchtete das Licht des Leuchtturmes mit einer Energie, das es die gesamt Szene erhellte bis über den Rahmen hinaus.

Tatsächlich war das Bild nicht nur ein Spiegel, der mir meine Seele vorhielt, es wollte mich vielmehr erheitern, auf das ich vergaß. Und dann war da das Licht, nie erlosch es, selbst wenn das Bild den klaren Tag darstellte. Hell wachte der Schein in der oberen Glaskuppel nicht nur über den Fels, die Lichtstrahlen streckten sich über das Meer hinaus und traten über den Rahmen, sie trafen auch mich und weckten neue Lebenskräfte in mir.

Und es kam eine Wut in mir auf, die mich ständig aufforderte, trotz allem weiter zu schreiben.
Es immer und immer wieder mit einem Text zu versuchen. Ich vergaß zu essen und zu trinken, rauchte zuviel und besaß zu wenig Schlaf.
Das Bild fiel es auf, wie ich meine Gesundheit schändete für meinen Erfolg.
Sanft erklang leises Flötenspiel. Meine Ohren und Augen folgten den Tönen, die ihren Weg nahmen aus dem Bild.
Steiniges Ufer war grüner Wiese gewichen. Grüner Strand, wie es ihn im Emsland gibt. Einige kleine, weiße Punkte fielen mir auf, ich nahm eine Lupe. Eben noch konnte ich etwas entdecken, was wie grasende Schafe aussah. Hinter einem Fels erstreckte sich eine schmale Rauchsäule gen Himmel. Das Meer, vor Sekunden aufgewühlt, als wüte ein Orkan, beruhigte sich mehr und mehr und die Wolken schienen nun heller. Ganz schwach hörte ich das Flötenspiel noch eine ganze Weile. Das Spiel, die Szene besänftigten den Sturm in meinem Hirn und lenkten die Gedanken in vernünftige Bahnen.

Rundum glücklich wurde ich wegen meines gewählten Berufes nie. Doch das Bild half mir tatsächlich über vieles hinweg. Ich erinnere mich, zumindest einmal fiel es ihm besonders schwer.
Es war ein Trauerfall, ein lieber Mensch wurde aus dem Leben gerissen. Ich kam am Mittag von der Beerdigung, dieser Tag im Winter, der schon früh seinen Weg hinter den Wolken nehmen wollte, um das erste Grau des Abends den Platz zu räumen. Er schürte meine Trauer, das Bild erging es nicht anders. Das Licht des Leuchtturmes kam kaum durch bis zu meinen Augen. Dunkel dräuend auch der Himmel, fast schwarz und die Klippen so kalt und leblos wie nie; bis zum nächsten Morgen.
Wieder war der Fels einer grünen Wiese gewichen. Unter azurblauen Himmel erstreckte sich eine Weide mit bunten Flecken darin und ganz unten rechts wuchsen bis auf den Rahmen übergroße Kleeblattbüschel. Und fast spürte ich es kaum, ich kam dem Bild ein wenig näher. Eine frische Brise fegte die trüben Sinne in mir beiseite.

Mir ist jetzt nicht klar, vielleicht habe ich mir alles zusammengesponnen, vielleicht ist meine Phantasie inzwischen überstrapaziert. Doch nun habe ich Angst.
Heute morgen stand ich auf mit heftigen Schmerzen in der Brust. Ich habe es mir angewöhnt, bei seltsamen Vorgängen nach ihm zu sehen. Das Bild sah aus wie an dem Tag, an dem ich es kaufte. Bis auf eine Kleinigkeit: das Licht im Leuchtturm ist erloschen. Ich habe Angst, es bleibt mir nicht viel Zeit. Wieviel Stunden vergingen zwischen den Bildwechseln? Nicht viele.
Ich habe das Bild von der Wand genommen.
Und halte es ganz, ganz fest.
- Leuchte... . Leuchte!


Im Westen, August 2003

Hallo, liebe KollegInnen.

Ich würde recht gern über den Text diskutieren.
Konstruktive Kritik ist mir immer willkommen.

Viele Grüsse.

Udo

 

Hi bluesnote

Erstmal sollte es nicht nötig sein, unter den Text zu schreiben, dass man konstruktive Kritik wünscht, das macht den Text nur unnötig länger und kostet somit Leser der faulen Sorte ;)

Zur Geschichte, erstmal fand ich die Idee ganz interessant, dass sich ein Bild mit der Stimmung des Betrachters verändert und sogar selbst GEwalt über den Zuschauer gewinnt. Im Grunde gelingt dir das ganz gut, wenn ich auch einiges leicht übertrieben fand und ich insgesamt den Eindruck hatte, dass du sehr auf eine möglichst kunstvolle Sprache bedacht warst.
Wie so oft, wenn man noch nicht ganz sicher ist, unterlaufen dann stilistische UNklarheiten bzw. Fehler.

"Für den flüchtigen Betrachter"
Hier ist klar, was du meinst, aber bei dem "flüchtigen Betrachter" musste ich trotzdem schmunzeln ;)
DA fallen dir sicher eindeutigere Formulierungen ein.

Im nächsten Abschnitt springst du in der Zeit:
"Für den flüchtigen Betrachter ist es nur ein Repro-Druck"
Hier kommt dann plötzlich Vergangenheitsform:
"Es hatte seinen Platz über meinem Schreibtisch"

", von dort weckte mich ein leuchten " Leuchten

"Selbst am Abend noch leuchtete das Licht des Leuchtturmes mit einer Energie, das es die gesamt Szene erhellte"
dass...gesamte

"und besaß zu wenig Schlaf"
hatte zuwenig Schlaf klingt richtiger mMn

"Das Bild fiel es auf, "
Dem Bild

"Sanft erklang leises Flötenspiel"
Wenn man davon absieht, dass der Satz kitschig klingt :hmm: beeinhaltet das "sanft" eigentlich schon das "leise", bzw. andersherum, oder kann man sanft, aber laut Flöte spielen?

"das Bild erging "
dem Bild

"Dunkel dräuend auch der Himmel"
Obwohl ich es noch nicht gehört habe, mag es "dräuend" geben, aber wenn es einen einfacheren Ausdruck gibt, empfiehlt sich meist der. Immer so einfach wie möglich schreiben, man will ja, dass der Leser die Story versteht...

"Eine frische Brise fegte die trüben Sinne in mir beiseite"
KLingt mir auch zu hochgestochen, schreib doch einfach "fegte meinen Trübsinn fort"

"habe es mir angewöhnt, bei seltsamen Vorgängen nach ihm zu sehen"
Da fehlt der Bezug zu dem "ihm", schreib besser das Bild, wenn es nicht gerade im Satz davor erwähnt worden ist.

Den Schluss fand ich gut, wenn er mir auch nicht ganz klar ist. Hat der Prot einen Herzanfall oder ist sein Leiden auch nur durch das Bild bedingt?

Liebe Grüße
wolkenkind

 

Hallo Udo,

ich finde die Idee ganz gut, aber ich finde, dass Du sie früh verschenkst, indem Du sie direkt am Anfang verrätst. Damit nimmst Du der Geschichte die Spannung, zumal Du nur eine Art Auflistung bietest. Ungefähr ab dem Begräbnis wurde es dann wieder interessant, der Schluss wiederum kam zu schnell.

Stilistisch fühle ich mich an Lovecraft erinnert, obwohl ein paar Stellen (vor allem das Wort "Story") den Eindruck schädigen. Das Ende gefällt mir ausnehmend gut.

Vielleicht wäre es besser gewesen, die Sache mit dem Bild in eine andere Handlung einzubetten. Anhand einer solchen Haupthandlung hättest Du den Prot charakterisieren können, lebendiger gestalten. Im Moment gibt es quasi nur ihn und das Bild. Nach und nach hätte (zuerst unbewusst) das Bild dann ins Zentrum rücken können, bis zum Knaller am Schluss.

Ein Bild als "Stimmungsbild" oder -spiegel darzustellen, ist so naheliegend wie passend. Natürlich stellt ein Maler seine Stimmung in seinen Bildern mit dar, und in der Tat werden manche Bilder (scheinbar) lebendig, wenn man sie länger anschaut.

Fazit: Sprachlich und stilistisch gut, inhaltlich hätte man die interessante Idee spannender umsetzen können.

Uwe

 

Hallo wolkenkind, hallo Uwe.

Im Gespräch mit anderen habe ich herausgefunden, das die Handlung im Text einfach stockt - sprich stinklangweilig ist.
Und das schlimme daran, jetzt aus ein wenig Distanz betrachtet, muss ich all meinen Kritikern Recht geben.
Also mit mehr Spannung hast du schon ins Schwarze getroffen, Uwe.
Dir möchte ich danken für die Rechtschreibprüfung, wolkenkind - über den flüchtigen Betrachter musste ich im nachhinein selber lachen.
Vielen Dank euch beiden nochmal.

Viele Grüsse.

Udo

 

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