Bildwesen
Bildwesen
Lange habe ich mit mir gerungen, und mich doch noch entschlossen, einen Stift in die Hand zu nehmen, einen Block Papier aufzuschlagen und in meinen vielleicht letzten Stunden über ein besonderes Bild zu berichten.
Für den flüchtigen Betrachter ist es nur ein Repro-Druck unter Unmengen von anderen, nicht mal von einem bekannten Künstler und mit einem schlichten Holzrahmen in Dunkelrot versehen.
Es hatte seinen Platz über meinem Schreibtisch seit Jahrzehnten. Die Hintergrundfarbe ist ein Dämmerungsblau, eine schroffe Felsklippe erhebt sich aus den sanften Wellen des Meeres. Das Wasser selbst ist blaugrau, nur die Wellenkämme tragen ein wenig Silber. Der übliche Leuchtturm ist zu sehen, dessen Licht den bewölkten Himmel und einen Teil des Meeres in ein diesiges Gelb taucht.
Unter Konkurrenz mit anderen Bildern hing es über meinem Arbeitsplatz, schon in den ersten Tagen fiel es mir auf: es bildete Stimmungen nach.
Es schien, als fühle es mir meine Launen nach, um sie entweder zu verstärken oder glatt zu bügeln.
- Christus! Jesus Christus flüsterte ich. Ich bemerkte es zum ersten Mal, als eine meiner Storys, für die ich alles gegeben hatte, von den Kritikern verrissen und selbst von meinen Stammlesern mit Nichtachtung gestraft wurde.
Mag sein, das ich als Autor der Belletristik einen geschulten Blick für Dinge besitze, welche nicht zum Alltäglichen gehören.
Ich saß also geknickt vor meinem Sekretär, die letzte Kritik der ungnädigen Wölfe vor mir. Selbst die schweren Vorhänge vor dem einzigen Fenster in meinem Arbeitszimmer bewegte ich nicht zur Seite, um die hellen Strahlen dieses sonnendurchfluteten Morgens herein zu lassen.
Hoch zu dem Bild wanderte mein Blick, von dort weckte mich ein leuchten aus meinem Trübsinn. Trotz der Dunkelheit im Zimmer erschienen alle verschiedenen Farben in einem samtenen Glanz; und er verstärkte sich. Auch, wenn kaum Licht im Raum herrschte, aber der spärliche Tang ganz unten am Fuße der Klippe und die Gischt der Wellen, die an den Fels schlugen, erschienen wie von innen beleuchtet. Ja, als würde jemand mit einer Taschenlampe die Leinwand von hinten beleuchten.
Alles hielt ich für einen Trug, schrieb es meiner Stimmung zu; womit ich im Grunde auch recht hatte.
Trotz allem, was sie mir angetan hatten, begann ich, die erlittene Schmach zu verdrängen und zog die Vorhänge beiseite. Ich wollte wissen, ob mir meine Augen einen Streich spielten.
Kaum ließ ich Licht in den Raum, erstrahlte die sonst eher kümmerliche Farbskala des Bildes in einem hellen Glanz, ließen alle Formen und Details weit hervor treten, als wäre es kein Druck von der Stange, sondern ein frisch gemaltes Ölgemälde. Der nasse Fels, ganz unten an der Wasserlinie, fast schien er mir wie ein Spiegel, in dem ich mich sehen könnte, wären meine Augen nur scharf genug. Selbst am Abend noch leuchtete das Licht des Leuchtturmes mit einer Energie, das es die gesamt Szene erhellte bis über den Rahmen hinaus.
Tatsächlich war das Bild nicht nur ein Spiegel, der mir meine Seele vorhielt, es wollte mich vielmehr erheitern, auf das ich vergaß. Und dann war da das Licht, nie erlosch es, selbst wenn das Bild den klaren Tag darstellte. Hell wachte der Schein in der oberen Glaskuppel nicht nur über den Fels, die Lichtstrahlen streckten sich über das Meer hinaus und traten über den Rahmen, sie trafen auch mich und weckten neue Lebenskräfte in mir.
Und es kam eine Wut in mir auf, die mich ständig aufforderte, trotz allem weiter zu schreiben.
Es immer und immer wieder mit einem Text zu versuchen. Ich vergaß zu essen und zu trinken, rauchte zuviel und besaß zu wenig Schlaf.
Das Bild fiel es auf, wie ich meine Gesundheit schändete für meinen Erfolg.
Sanft erklang leises Flötenspiel. Meine Ohren und Augen folgten den Tönen, die ihren Weg nahmen aus dem Bild.
Steiniges Ufer war grüner Wiese gewichen. Grüner Strand, wie es ihn im Emsland gibt. Einige kleine, weiße Punkte fielen mir auf, ich nahm eine Lupe. Eben noch konnte ich etwas entdecken, was wie grasende Schafe aussah. Hinter einem Fels erstreckte sich eine schmale Rauchsäule gen Himmel. Das Meer, vor Sekunden aufgewühlt, als wüte ein Orkan, beruhigte sich mehr und mehr und die Wolken schienen nun heller. Ganz schwach hörte ich das Flötenspiel noch eine ganze Weile. Das Spiel, die Szene besänftigten den Sturm in meinem Hirn und lenkten die Gedanken in vernünftige Bahnen.
Rundum glücklich wurde ich wegen meines gewählten Berufes nie. Doch das Bild half mir tatsächlich über vieles hinweg. Ich erinnere mich, zumindest einmal fiel es ihm besonders schwer.
Es war ein Trauerfall, ein lieber Mensch wurde aus dem Leben gerissen. Ich kam am Mittag von der Beerdigung, dieser Tag im Winter, der schon früh seinen Weg hinter den Wolken nehmen wollte, um das erste Grau des Abends den Platz zu räumen. Er schürte meine Trauer, das Bild erging es nicht anders. Das Licht des Leuchtturmes kam kaum durch bis zu meinen Augen. Dunkel dräuend auch der Himmel, fast schwarz und die Klippen so kalt und leblos wie nie; bis zum nächsten Morgen.
Wieder war der Fels einer grünen Wiese gewichen. Unter azurblauen Himmel erstreckte sich eine Weide mit bunten Flecken darin und ganz unten rechts wuchsen bis auf den Rahmen übergroße Kleeblattbüschel. Und fast spürte ich es kaum, ich kam dem Bild ein wenig näher. Eine frische Brise fegte die trüben Sinne in mir beiseite.
Mir ist jetzt nicht klar, vielleicht habe ich mir alles zusammengesponnen, vielleicht ist meine Phantasie inzwischen überstrapaziert. Doch nun habe ich Angst.
Heute morgen stand ich auf mit heftigen Schmerzen in der Brust. Ich habe es mir angewöhnt, bei seltsamen Vorgängen nach ihm zu sehen. Das Bild sah aus wie an dem Tag, an dem ich es kaufte. Bis auf eine Kleinigkeit: das Licht im Leuchtturm ist erloschen. Ich habe Angst, es bleibt mir nicht viel Zeit. Wieviel Stunden vergingen zwischen den Bildwechseln? Nicht viele.
Ich habe das Bild von der Wand genommen.
Und halte es ganz, ganz fest.
- Leuchte... . Leuchte!
Im Westen, August 2003
Hallo, liebe KollegInnen.
Ich würde recht gern über den Text diskutieren.
Konstruktive Kritik ist mir immer willkommen.
Viele Grüsse.
Udo