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Billige Nußcreme

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12.12.2008
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Billige Nußcreme

Nicht die Fliege, etwas anderes hat mich geweckt, doch das surrende Insekt stiehlt mir jede Hoffnung wieder in den Schlaf zu finden. Dabei ist der Schlaf das einzige auf das ich mich wirklich verlassen kann. An guten Tagen bring ich es auf tiefe und traumlose 12 bis 13 Stunden, dösen nicht mit gerechnet. Ich habe sogar einmal ein Erdbeben verschlafen. Zuerst lag ein dumpfes Grollen in der Luft und dann wackelten Fenster und Wände, aber davon weiß ich nur vom Hörensagen. Die Fliege kann es also nicht gewesen sein, dazu braucht es mehr, aber ihre Landeanflüge und das leichte Getrippel auf meiner Haut reißen mich immer wieder aus der nahenden Betäubung.
Aussichtslos um halb zehn am Morgen, aussichtslos wie dieser regenschwere und düstere Tag, dem ich so gern erst gegen mittag entgegengetreten wäre. Außerdem muß ich pissen. Aber erst gilt es den Plagegeist zu erledigen, eine kleine Genugtuung. Die Fliege soll mit dem Leben zahlen. Es gibt so wenig Dinge, gegen die man sich endgültig wehren kann, auch Fliegen haben auf lange Sicht die besseren Karten. Es kommt die Stunde, da werden sie ihn aller Ruhe ihre Eier auf meiner Haut ablegen können. Das schmälert nicht die Freude am Etappensieg. Beim dritten Versuch erwische ich sie auf dem Kopfkissen, mit einem schweren, grobmotorischen Schlag von der Seite. Fassettenauge, Schimmerflügel, Fliegenbeinchen, Saugrüssel, gerade noch eine perfekte, sich reproduzierende Flugmaschine, jetzt übers Kissen gewalzt, nur noch eine schmutzige Spur auf dem Bezug. Auch Fliegenblut ist rot, das überrascht mich, bei Mücken ist es etwas anderes, man kennt ihre Ernährungsgewohnheiten. Ich begreife schnell, daß dieser Treffer kein Sieg war. Hätte ich sie in der Luft erwischt, wäre es etwas anderes gewesen. Doch so wurde aus einem kleinen Insekt ein großer Fleck auf einem Kissen, das nun ganz und gar nicht mehr zum schlafen taugt.

Aus dem Paradies vertrieben lohnt es sich nicht aus dem Fenster zu schauen. Es steht sogar in der Zeitung : "Kanarische Inseln heiter und trocken 23 Grad". Die Sonne hat sich vor Wochen nach Süden abgesetzt, und will ums Verrecken nicht zurück. Wer will sie zwingen? Was sonst vom Tage übrig blieb ist trostlos und grau. Schließlich wurde ich so lichthungrig, daß ich gestern abend alles was sich an Lampen transportieren ließ in die Küche verfrachtet habe. Aus dem Arbeitszimmer habe ich sie geholt, aus dem Schlafzimmer, ein halbes Dutzend heller Lichter. Dann habe ich mich auf einen Stuhl gesetzt und gewartet. Aber die braunen Blätter des Ficus wollten nicht an Farbe gewinnen, kein einziger grüner Trieb und auf meiner Haut war auch nichts zu spüren. Der Sommer aus der Steckdose ist leeres Versprechen. Jetzt ist die Küche kalt und ausgeleuchtet wie eine Fabrikhalle für feinmechanische Erzeugnisse. Genau das richtige Ambiente für ein Frühstück. Man sieht die kleinste Kleinigkeit, und das Gröbere ist lauter als ein Schrei. Vielleicht gab es da etwas, was ich über Nacht vergessen habe, dessen ich mir im Halbschlaf noch nicht bewußt war. Ein paar hundert Watt sorgen für Klarheit. Einige Spuren könnte ich mit heißem Wasser und Schmierseife beseitigen, einfach nur putzen, anderes mit einem Spachtel. Aber das ist nicht die Frage. Brennender interessiert mich, welches Scheuerpulver hilft gegen den Schleier auf der Seele ? Heute morgen besonders deutlich, rote eingetrocknete Tröpfchen neben der Spüle, wie an einer Perlenschnur aufgezogen, die weiße Raufasertapete entlang. Ein Mißgeschick mit einer Fischdose. Eine, deren Deckel man mit einem Ring öffnet und ehe man sich versieht hält man eine Soßenschleuder in der Hand. Sie stand neben mir, hat gewußt was kommt und gelacht. Danach habe ich das Öffnen solcher Fischdosen ihr überlassen. Den Flecken sind wir mit Tippex zu Leibe gerückt und haben sie dabei auffällig umrahmt. Anfangs ein Ärgernis, dann hat man sich dran gewöhnt, jetzt eine jener bleischweren Erinnerungen, die in jedem Winkel zu finden sind, wie die berüchtigt langen Haare im Abfluß.

Kurz vor 10, Zeit für die Nachrichten. Ich beschließe mein Frühstück ins Wohnzimmer zu verlegen. Im Schrank finde ich ein angefangenes Glas Nutella, dazu Zwieback. So früh ist mir eigentlich nicht nach essen. Mein Magen wünscht sich eine versöhnliche Geste vor dem Kaffee. Der braucht noch etwas. Prustend kämpft sich der Dampf durch die verkalkten Innereien der Maschine. Aber ich will nicht den Anfang versäumen. Die größte Katastrophe immer vorweg. Derzeit sult sich die Welt im Blut. Wo man noch keinen Grund gefunden hat sich gegenseitig abzuschlachten, da helfen Vulkane und Wirbelstürme oder sie rasen mit ihren Autos einfach in eine Nebelfront und peng, so stark ist das Verlangen das Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Wie letztens in den Spätnachrichten : Eine herbstliche Landschaft. Die Autobahn. Rauchfahnen ziehen durchs Bild, die Kamera zoomt auf bizarre Gebilde aus zerrissenem und gestauchtem Blech. Der Regen hat längst aufgehört. Trotzdem muß ein einzelner Scheibenwischer sich und der Welt beweisen, daß er in diesem Chaos Form und Funktion bewahrt hat, nur die Scheibe fehlt. Er wischt ins Leere. Glassplitter glitzern im Scheinwerferlicht. Ein beiläufiger Schwenk: Eine Frau ist zu sehen, aufrecht, während andere liegen. Sie hält sich ein Taschentuch an die blutende Stirn, die Augen so fremd wie eine Gebrauchsanweisung in chinesisch. Etwas hat sie dort hingestellt, und sie weiß nicht was oder wer oder wie? Vor Minuten hat sie noch versucht den Radiosender optimal einzustellen, der gerade ihr Lieblingslied spielte, und jetzt versucht sie sich verzweifelt an die zweite Strophe zu erinnern. Um sie herum hektisches Gehabe von Menschen in Uniformen. Dann das Finale! Erst noch in der Unschärfe des Rückraumes, etwas Weißes auf dem Asphalt, ein Tuch, natürlich das Leichentuch. Jetzt ist das Bild klar. War es der Wind, oder ist es der Flüchtigkeit eines Feuerwehrmannes zuzuschreiben, der tote Körper eines Mannes ist nur notdürftig bedeckt. Besonderes Interesse weckt das linke Bein, innenseitig abgelegt mit gegenläufig gewinkeltem Knie. So gelenkig ist nur, wer bis ins Mark zerbrochen ist. Vielleicht wußte er, daß es ihr Lieblingslied war, vielleicht war es sogar die Musik ihrer ersten Nacht und er hat ihr den Kopf gestreichelt, ihr einen Kuß in den Nacken gegeben und sein letzter Gedanke war, wie gut sie riecht.
Ich muß gestehen, das Leid auf der Autobahn nebenan ist tröstlicher, als ein frisch ausgehobenes Massengrab in Afrika.

Punkt zehn. Ich sitze in meinem Fernsehsessel. Wer hat Wem den Krieg erklärt? Oder ist ein gnädiger Komet auf der richtigen Bahn? Derzeit ist alles möglich. Jemand hat die Sicherung überbrückt und dann das Karussell an Starkstrom angeschlossen. Der Einzige der über all dem steht, ist jener Mr. Nachrichten, der uns jetzt auf einer blutigen Spur in den Kaukasus führt. Vielleicht liegt es daran, daß er genau in der Mitte sitzt und das sind immer die letzten, die von der rotierenden Scheibe gewirbelt werden. Ein bißchen grau ist er geworden, aber er spricht immer noch jeden Satz unantastbar klar, mit einer Mine als wäre sie auf Eis gelegt. Friedensverhandlungen begleitet von einer militärischen Großoffensive, das kennen wir schon.

Plötzlich liegt ein dumpfes Vibrieren in der Luft. Es scheint aus allen Richtungen zu kommen. Ich kann es gleichzeitig hören und spüren. Das Geräusch ist mir eigentümlich bekannt. Vorsichtshalber gehe ich in Deckung, stelle mich in den Türrahmen und beobachte den Fernseher aus sicherer Distanz. Der Apparat ist gebraucht gekauft aber noch keine drei Jahre alt, so hat es der Händler versprochen. Das fehlte mir noch zu meinem Glück. Wie zum Hohn bahnt sich jetzt die Sonne eine Lücke. Selbst durch die geschlossenen Fensterläden wirft sie ihre Querlichter und ich bin hier angenagelt auf Brandwache. Rauch ist noch nicht zu sehen. Aber das Bild ist in sich zusammengestürzt, konzentriert auf einen einzelnen strahlend hellen Punkt, der nicht verlöschen will. Wie etwas Lebendes beginnt er zu pulsieren. Er dehnt sich. Farben greifen ineinander.
Farben?
Dann schrumpft er wieder, bleibt aber groß wie ein Daumennagel. Gleich beginnt ein neuer Anlauf. So gewinnt das Licht Quadratzentimeter um Quadratzentimeter vom Bildschirm zurück, bis das Rechteck wieder aufgefüllt ist. Erst noch rot wie ein Krebs im Kochtopf, bekommt das Gesicht des Dienstältesten Nachrichtensprechers eine natürliche Farbe. Was heißt hier natürlich? Die Kiste wurde mir als Schwarz-Weißer verkauft. Ich bin skeptisch. Ähnliches habe ich bei meinem Auto erlebt. Bevor der Motor krepierte, bäumte er sich auf, vermittelte wie es sein könnte mit hundertsechzig auf der linken Spur. Das Glück dauerte fünf Minuten. Also Vorsicht, auch wenn das Bild gestochen klar daherkommt als wäre es ein neuer. Ich bleibe auf Distanz. Auch im Fersehstudio scheinen sie Probleme zu haben. Der Sprecher schweigt, auf seinem Gesicht ein Lächeln, schaut geradewegs in die Kamera, als könnte er mich sehen und ich werde das eigenartige Gefühl nicht los, ihn zu kennen. Sicher, er ist der Mann der mir vor vielen Jahren erzählte, das John Lennon der Kugel eines wahnsinnigen zum Opfer fiel, oder daß Prinz Charles liebend gern Camilas Tampon wäre. Ich meine, persönlich zu kennen, wie einen freundlichen Nachbarn, mit dem man bisher nur ein "Guten Tag" ausgetauscht hat, ohne daß dabei Wesentliches unausgesprochen blieb. Jetzt steht er auf und tritt hinter seinem Schreibtisch hervor. Er ist kleiner als ich dachte. Das Bild wird wackelig. Die Kamera verfolgt ihn quer durchs Studio. Vor einem blauen Vorhang bleibt er kurz stehen und schaut zu mir herüber, als wollte er sich meiner ungeteilten Aufmerksamkeit vergewissern. Wir betreten den Raum dahinter, und langsam werde ich ungehalten. Nicht allein, daß man zur besten Nachrichtenzeit ein experimentelles Fernsehspiel sendet, und daß sich gerader der Mann dafür hergibt, dem ich in seiner ungeschliffenen Seriösität selbst die Meldung von einer bevorstehenden Geschlechtsumwandlung des Papstes glauben schenken würde. Nein! Sie machen noch dazu Scherze auf kosten der Opfer. Die Szene "Massenkarambolage im Nebel" ist hier auf engstem Raum nachgebaut, an Traversen unter der hohen Decke hängen duzende von Scheinwerfern und die Studiowände sind blau. Man kennt die Tricks und fällt immer wieder darauf rein. Da ist ja auch die Leiche mit dem verrenkten Bein, naturgetreu, im Maßstab eins zu drei. Es reicht! An den Fernseher wage ich mich nicht heran. Aber im Treppenflur hängt der Sicherungskasten, dort bin ich vor einer Implusion geschützt, bloß den Haustürschlüssel nicht vergessen. Ich lege den kleine Schalter um und der Spuk hat ein Ende. Danach ziehe ich den Netzstecker und werfe die Sicherung wieder ein.

Langsam kommen meine gewohnten Magenschmerzen zurück. Die Sonne bot nur ein kurzes Gastspiel. Ein Blick aus dem Fenster beweist es. Die Wolken hängen über der Landschaft wie eine Betondecke. Zeit für mein Frühstück. Zurück zu den Tücken des Objekts. Es ist die Summe der Mißgeschicke, die mich mürbe macht. Ein leeres Glas Nutella zum Beispiel: Daran hätte ich vor einem Jahr keinen Gedanken verschwendet. Ich hätte es zum Müll gestellt. Die Sache wäre erledigt. Jetzt halte ich es seit Minuten in den Händen und betrachte es, als wäre es ein Orakel. Dem Glas sieht man es nicht an. Es bleibt immer genau soviel im Inneren hängen, daß es nach außen einen vollen Anschein bewahrt, da kann man noch gründlich mit dem Messer vorgehen. Ich weiß nicht wann ich das letzte Mal diese Nußcreme gegessen habe, aber heute wäre mir nach Süßem gewesen. Wer stellt leere Verpackungen in den Schrank zurück? Will ich mir diese Frage beantworten? Auf Widerspruch könnte ich lange warten und ihre neue Telefonnummer hat sie mit beim Abschied nicht gegeben. Beenden wir also das Thema mit der Feststellung das ich heute noch einkaufen muß. Mich überkommt eine Hitzewallung. Die hellen Glocken des Unterbewußtseins die meistens viel zu spät läuten. Was sagte meine Mutter immer?
" Selbst schuld. Was bewahrst du auch lose Scheine in den Hosentaschen auf !
Es wäre nicht das erste Mal, aber dieser Verlust wäre existentiell. Welche Jeans hatte ich gestern an? Die mit Flicken. Sie liegt noch im Schlafzimmer. Glück gehabt, da ist der lose Fünfziger, meine letzte Barschaft. Genug um nicht ganz so knauserig rechnen zu müssen und übermorgen haben wir den ersten, falls der nicht kurzfristig abgeschafft wird.

Regenmantel, Regenjacke, Regenhut : Ich gebe mich nicht kampflos geschlagen. Die Ausrüstung ist dürftig, besser wären Fischschuppen und Schwimmflossen. Größter Schwachpunkt sind die Schuhe. Seitdem sie die Sohlen aus Recyclingkunststoff herstellen habe ich ständig nasse Füße. Da genügt die Spur von Feuchtigkeit und sie saugen es auf wie ein Schwamm. Ich bin gerade mal um die Ecke, bin allen Pfützen ausgewichen und könnte meine Socken schon auswringen. Wasser und Luft haben sich zu einem neuen Element verbunden, feiner und unwirklicher als Nebel. Gemeinsam haben sie den Wind besiegt. Spannungslos liegt das Oben untrennbar auf dem Unten, läßt keinen Zwischenraum. Regen ist etwas anderes, der hat eine Richtung, vermittelt ein Gefühl. Dieser feine Niesel betäubt die Sinne, ist weder kalt noch warm.
Zur rechten Hand taucht Olgas karges Schaufenster auf, ein kleiner Lebensmittelladen. Auch etwas Hinfälliges, ihr stirbt die Kundschaft weg. Beim Einkauf mit dem Hausnamen angeredet zu werden können sich nur die Wenigsten leisten. Auch ich habe nichts mehr zu verschenken. Über Olga weiß ich nur noch, daß ihr Laden auf dem halben Weg zum billigen Supermarkt liegt. Der halbe Weg.....
"Wenn man in jeder Stunde seines Lebens immer nur die halbe Strecke des Weges zurück legt, kommt man nie ans Ziel."
Den Satz habe ich mir selbst zurechtgelegt, konnte ja nicht ahnen, welch schweres Gepäck ich mir noch auflade. Da habe ich noch so ein kleines Sprüchlein,
"Kunst kommt von "können" und nicht von "wollen", sonst würde es ja Wulst heißen."
Das hat mir Annette, so nebenbei, direkt unter der Haut plaziert. Annette, Mädchen mit dem energischen Kinn. Sechs Wochen haben wir es miteinander versucht. Was blieb, ist dieser Satz und die Erinnerung an meine ersten Pilzinfektion.

Ich zögere. Über versteckte Lautsprecher berieseln sie uns mit einschläfender Musik. Ich halte ein Glas Nußcreme in der Hand. Es ist nicht ihre Marke, nur ein billiges Imitat. Da war sie eigen. Etwas anders als die eine kam ihr nicht aufs Brot. Ich konnte nie einen Unterschied feststellen. Süß ist süß. Was will ich damit? Es zieht mich zur Wursttheke. Aber der Gedanke, daß es nicht ihre Marke ist, gefällt mir, also in den Einkaufskorb damit. Heute morgen wurde angeliefert, was nicht mehr in die Regale paßte, steht auf Paletten quer im Supermarkt verteilt, es bleiben nur schmale Korridore. Wir stehen gepfercht wie das Vieh auf dem Weg zum Schlachthaus. Aufmerksam werden die Packungsbeschriftungen gelesen, und Äpfel nach Druckstellen abgesucht. Nachmittags geht es hier zügig in eine Richtung. Das Ziel ist die Kasse und dann nichts wie raus, es darf auch ein bißchen mehr kosten. Vormittags schlägt die Stunde der Kopfrechner.
Was ist billiger? 250 ml für 2,95 oder 3 Mark 50 für 300 ml? Reichen 10 Mark für ein Kilo Möhren, Waschpulver und Klopapier? Zeit haben wir im Überfluß, Arbeitslosenzeit, Rentnerzeit, Sozialhilfeempfängerzeit. Und wenn der Vormittag erst hinter uns liegt, ist dem nervtötend langem Tag der schlimmste Zahn gezogen. Ich habe es aufgegeben Ungeduld zu heucheln.
"Entschuldigen sie, dürfte ich wohl vorbei. Ich habe gleich noch ein Termin"
Man erntet nur hämisches Grinsen.
Doch dann an der Kasse ist Schluß mit gemütlich, wir stehen in einer Schlange als gebe es hier Glück im Sonderangebot. Sechshundert Quadratmeter Verkaufsfläche aber nur eine Kassiererin. Erst nachmittags stoßen ein paar Kolleginnen dazu. Der Filialleiter denkt nicht daran Morgens für eine zweite Lohn zu zahlen. Das Geschäft ist konkurrenzlos günstig. Laß` sie meckern, die kommen wieder, können gar nicht anders, bei Olga kostet die Marmelade 50 Pfennige mehr. Warten! Als ob wir nichts Besseres zu tun hätten als zu warten. Unsere Zeit ist ihm nichts wert und so wird sie doppelt kostbar. Eigentlich müßten wir ihm dankbar sein. Aber leider zeigt er sich so selten. Er hält sich vormittags meist hinten im Lager auf. So bleibt uns nichts anders übrig, als dem Vordermann den Wagen in die Hacken zu schieben, wenn dieser nicht zügig aufschließt oder die Augen zu drehen wenn jemand meinet, seine Rechnung mit passendem Kleingeld begleichen zu müssen.
Aber heute habe ich keine Eile. Plündert eure Sparschweine und sucht die Pfennigen heraus. Etwas Besseres als der Hintern vor mir wird mir der Tag nicht bringen. Sie ist mir zuerst an der Kühltheke aufgefallen. Eine junge türkische Frau, dunkles, gerundetes Gesicht mit milden Zügen, die Augen schwarz wie ihr kurzes, störrisches Lockenhaar. Ihr Körper scheint unter einer mystischen Spannung zu stehen. Nicht, daß die Pubertät noch etwas heraustreiben könnte. Ich schätze sie auf zwanzig. Eine Figur wie aus Meisters Hand und doch lassen ihre fraulichen Rundungen ahnen, welchen Raum sie eines Tages einnehmen könnten. Ich habe jetzt mehrfach ihren Weg gekreuzt und blieb unbeachtet. Den Platz in ihrem Schatten habe ich mir gegen einen rüstigen Sechzigjährigen erkämpft. Meinem Zwischenspurt war er nicht gewachsen. Traurig, wenn der Anblick das Ziel wird und man sich mit Rentnern darum schlagen muß. Dabei hätte ich es mehr als nötig. Warm, weich und tief. Ich stelle mir vor, es im dunkeln mit ihr zu tun, möglichst viel von ihrer Haut an meiner Haut, nicht sturmgepeitscht sondernd sanft wiegend vom Mond getragen, bis ich mich tief in ihr zurecht gefunden habe und alle Rechnungen mit dem Vermerk, "Empfänger unbekannt verzogen" ihren Weg zurücknehmen. Phantasien. In weniger als fünf Minuten werden wir getrennt und du wirst nicht einmal wahrgenommen haben, daß ich hinter dir stand. Ich sehe schon die Kassiererin, auch eine Frau, zehn fünfzehn Jahre älter, mit all dem ausgestattet was Lust machen könnte, würde ich bei ihr keinen Weg nach innen suchen. Sie ist nicht häßlich. Sie ist fad. Haare und Haut scheinen unter dem Neonlicht ausgeblichen, dazu passend trägt sie einen grauen Kittel, der einzige Kontrast ist der bittere Zug um ihre Mundwinkel. Sie bemüht sich. Fast könnte man meinen sie wäre ein Automat. Nur das unruhige Hin und Hergerutsche verrät menschliche Züge. Da muß wohl jemand aufs Klo, aber abgelöst wird erst um zwölf. Ich werde mich gleich in die Büsche schlagen und die Welt wird sich weiter drehen. Nur noch das Glas mit der billigen Nußcreme. Macht zusammen fünfundzwanzigsiebenundvierzig.
Plötzlich fühle ich mich, als würde ich in heißes Wasser getaucht, während man mich gleichzeitig mit Eiswürfeln füttert. Ich trage eine schwarze Kordhose, ich brauche nicht hinzusehen, und daß ich jetzt suchend mit den Händen in den Taschen wühle ist eine Geste, weiß ich es doch besser. Meine Barschaft schlummert zu Hause in einer Jeans mit Flicken. Dieses Unheil hat sich angekündigt. Ich habe den Wink nur falsch verstanden. Fast könnte ich lachen. Jetzt bringe ich die Welt doch noch zum Stillstand. Längst habe ich ihr Maß an Geduld überschritten. Ihr Blick bekommt etwas Bösartiges. Sie weiß was kommt. Zeit für ein Geständnis.
"Ich habe mein Geld vergessen."
"Bitte?"
"Ich habe kein Geld dabei!"
"Dann sollte man auch nicht einkaufen "
Da ist genug Gift in der Stimme um zu töten. Wütend betätigt sie den Klingelknopf. Die schrille Glocke ist bis in den hintersten Winkel zu hören.
"Herr Brogenkamp, Storno."
Jetzt weiß es auch der letzte in der Reihe. Ich suche einen sicheren Stand. Wenn sie könnten wie sie wollten.
"Und was machen wir jetzt mit der Ware?"
"Das wissen sie wohl am besten."
"Auch noch frech werden."
Ich bin in der Zange: Hinter mir baut sich eine einsturzgefährdete Mauer auf.
Sätze wie:
"Ich habe doch nicht mein Leben lang geschuftet, um hinter so einem arbeitslosen Penner auf meinen Tod zu warten."
sind noch das harmloseste.
Vor mir eine Frau mit einer zum Platzen gefühlten Blase, gerade Teil einer Maschine, jetzt Herrin über das Strafgericht. Ich nehme es ihnen nicht übel. Für diesen kurzen Augenblick blühen sie auf, spüren sie Leben, angefeuert vom kollektiven Haß. Wie gern stände ich jetzt auf der anderen Seite.

Wie aus dem Nichts liegt wieder dieses dumpfe Vibrieren in der Luft. Ich schließe die Augen. Es durchdringt mich warm wie die Sonne und hüllt mich in seidene Stoffe. Und dann dieser Duft. Ein Sommerbrise vom Meer mit Kiefernharz gewürzt. Lange nicht mehr so tief durchgeatmet. Dieser Klang ist mir bekannter als bekannt. Wie konnte ich nur annehmen, daß ein defekter Fernseher zu solch` einer Harmonie fähig wäre? Es war nicht die Fliege. Dieses tiefe, wohlige Brummen hat mich geweckt. Nicht, daß es zu laut war, es kann nicht laut genug sein, nur als es verstummte riß es ein Loch in meinen Traum. Ich verlor den Halt, fiel, und erwachte. Habe es nur vergessen weil es so schön war, weil ich nicht glauben konnte, daß es so etwas gibt. Sollen sie ihre billige Nußcreme behalten! Was ich höre, kann ich essen und es hat nie besser geschmeckt. Also Augen auf und dem keifenden Mob entgegen getreten.
"Ich heiße Petra!"
Die Kassiererin hat einen Namen und noch erstaunlicher, sie hat ein Gesicht und Augen strahlend schön, ich möchte sie küssen.
"Ich heiße Heiner"
Wie komme ich nur auf diesen Namen
"Ich weiß!"
Es scheint aber der richtige zu sein. Was könnte ich ihr nicht alles erzählen, aber sie weiß es ja schon, ließt es mir aus dem Gesicht und lächelt. Hinter mir haben sie das Warten aufgegeben, weil es wohl nicht mehr nötig ist. Sie halten in Händen was sich ohne Mühe tragen läßt, alles unbezahlte Ware. Wo bleibt die kräftige Gestalt im Anzug und bittet die Diebe ins Hinterzimmer? Die Menge drängt es nach draußen an die Sonne, nur die Drahtkäfige auf Rädern stehen noch in Reih` und Glied. Dinge wie: Magenbitter, Klopapier und Gebißreiniger scheinen nur noch von geringem Wert. Der Inhalt der verwaisten Einkaufswagen ist so ziemlich der gleiche.
"Ich glaube auf dem Hügel wartet jemand auf dich." sagt Petra und reißt mich aus meinem Erstaunen.
Stimmt. Was hält mich noch auf ? Es ist Frühling. Die Zugvögel sind heimgekehrt und richten sich dauerhaft ein. Blumen bahnen sich ihren Weg. Ich höre Musik. Auf der Straße wird getanzt, wird gelacht und am Himmel eine Sonne so butterweich, daß man sie aufs Brot streichen möchte. Ruft da nicht jemand meinen Namen ? Und wo kommen nur all die Leute her? Euch kenne ich doch. Simone... Thomas ... Didi ... . Warum haben wir uns nur aus den Augen verloren? Der Weg durch die Menge, ein Wiedersehen mit Freunden.
Jasemin!
Das wird von nun an dein Name sein, auch ich kenne meinen erst seit wenigen Augenblicken, bin mein Leben lang falsch angeredet worden. Jasemin, dunkle Schönheit mit schwellenden Rundungen. Du hast gewartet und reichst mir die Hand. Du umarmst mich, küßt mich. Nicht aufhören. Andere nehmen sich schon die Zeit und selbst der Asphalt scheint weich genug für Liebe.
" Wir müssen auf den Hügel " flüsterst du mir zu und kennst die Richtung. Dann eben dort, jetzt oder später, mein Schwanz ist warm und fest. Falls das eine angenehme Begleiterscheinung ist, werde ich mir gößere Hosen zulegen müssen. Den Geschmack kenne ich doch. Mir haben jetzt so viele auf den Mund geküßt aber so schmeckst nur du, nachdem du vom Süßen genascht hast. Und ich hätte fast das billige Imitat gekauft oder ist das auch nur Etikettenschwindel? Eine Hand hab ich noch frei. Du bist immer noch mit Rainer zusammen und hast ihn gleich mitgebracht.
"Schön dich mal wieder zu sehen Rainer."
Wir bilden eine Viererkette. Es geht bergauf, so leicht als würden wir getragen. Nur dieses beschwingte Gehüpfe finde ich albern, ist wie auf dem Weg zum Kindergarten. Immer wieder schaue ich mir über die Schulter ob mir nicht zufällig Flügel wachsen. Schon erkenne ich das Ziel. Auf dem Gipfel des Hügels steht ein Stuhl und auf dem Stuhl sitzt ein Mann, der älteste den ich je gesehen habe. Eine Haut gefurcht und gefächert wie die Rinde eines alten Baumes, dazu dichtes schlohweißes Haar und ein Bart bis zu den Knien. Da gehört viel Pflege dazu. Andächtige Stille. Meine Begleitungen scheinen erstarrt. Was nun? Ist das ein Spiel? Malen nach Zahlen? Wenn ja, warum hat man mir kein Feld freigelassen ? Und wo sind die Buntstifte? Der alte Mann zwinkert mir zu. Keine Frage, ich bin gemeint und er scheint Spaß zu verstehen. Als Kind hatte ich ähnliche Erscheinungen, immer am Nicolausabend, und jedes Mal den gleichen Wunsch. Doch als ich groß genug war um heranzureichen, hat sich der kluge Mann nicht mehr sehen lassen. Ich zweifle immer noch. Mein Bartwuchs ist so spärlich, daß es gerade noch für die Oberlippe reichen würde, warum sollte es bei anderen anders sein. Also. Ich wage es. Näher komme ich nicht heran. Schon habe ich das Gestrüpp in der Hand. Es bietet einen sicheren Griff und mehr Widerstand als es von einem Gummiband zu erwarten wäre. Der Bart ist echt, nur leider auch die Falten. Sie glätten sich und an den Tag kommt, was sich an Schmutz dort angesammelt hat. Vorbei ist es mit den süßen Düften des Frühlings. Ein Geruch wie von fauligem Fisch raubt mir den Atem.

 

Hallo kohlarte!

Dann mal ein verspätetes Willkommen auf kg.de.
Dein Text ist hier ja so sang-und klanglos untergegangen. Lange Einsteigertexte haben es immer schwer. Naja, dann grabe ich ihn eben wieder aus und schreibe ein paar Worte dazu. Vielleicht finden sich so auch noch andere Kommentatoren.

Formal sind mir einige fehlende Kommas, ein paar fehlende Punkte am Satzende und ein paar RS-Fehler (z.B.: "sult", "Implusion") aufgefallen. Oh, und das Anrede-Sie schreibt man immer groß.

Inhaltlich: Nett beschrieben, aber mir persönlich passiert zu wenig. Fliege, Frühstück ... So etwas hat man schon tausendmal gelesen. Mir fehlen Konflikte, ein Spannungsbogen - ich mag ohnehin lieber schnelle Texte, "Action".

Und es wäre nett, wenn du von Anfang an klar machst, dass dein Text in "grauer Vorzeit" spielt, damit der Leser nicht plötzlich über Antiquitäten wie die D-Mark stolpert.

Grüße
Chris


PS: Einsteiger wie du sind gut beraten, wenn sie hier erstmal ein paar Kommentare zu Texten anderer schreiben (und selbstverständlich auf erhaltene Kommentare auch zu antworten) - dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Texte ebenfalls zeitnah kommentiert werden, viel größer.

 

Hallo Kohlarte,

ich habe Deine Geschichte gern gelesen. Man kann sich gut in den Hauptdarsteller reinversetzen, und die Szenen fand ich gut beschrieben. Es passiert zwar nicht viel und der Rythmus ist langsam, aber das versetzt einen in die Stimmung des Erzählers. Langweilig wurde mir dabei jedenfalls nicht. Da sind einige Fehler drin, Rechtschreibung und Grammatik, solltest da noch mal gründlich drübergehen.

Viel Erfolg und LG

Elisabeth

 

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