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Bis dass der Tod uns scheidet
Ein kleiner Zettel in meiner Handtasche stellte mich vor eine schwerwiegende Frage. Lohnt es sich, für eine Affäre alles aufs Spiel zu setzen?
Für ein paar Stunden gestohlenes Glück? Berauschend und doch nur von kurzer Dauer? War es das wert?
„Liebst du mich?“, hörte ich ihn fragen.
Sein Gesicht ganz nah an meinem. Alles darin war mir so vertraut ... dunkelbraune Augen hinter einer Brille ohne Fassung ... eine kleine Narbe von einer OP, die fast bis zum Kinn verlief; jedes noch
so kleine Fältchen. Unzählige Male hatte ich sein Gesicht gestreichelt; mich ihm nahe gefühlt. Mein Blick hing an den sinnlichen Lippen, die mich unzählige Male leidenschaftlich geküsst hatten und ebenso ungestüm von meinen Lippen erwidert wurden. Feingliederige Hände, die meinen Körper erforschten und die empfindsamsten Stellen kannten und liebkosten.
Jeder Mensch braucht das Gefühl, etwas Besonderes zu sein ...
Jeder Mensch braucht das Gefühl, geliebt zu werden und dass es nichts anderes gibt; das Wichtigste überhaupt zu sein, das auf diesem Planeten existiert.
Gibt es unendliche Liebe, bis dass der Tod uns scheidet?
„Liebst du mich?“ Was sollte ich antworten? Es hatte einmal so verheissungvoll angefangen.
Wir waren beide jung und relativ unerfahren. Vor ihm gab es ein paar mehr oder weniger harmlose Flirts. Flüchtige Bekanntschaften! Erste unschuldige, scheue Küsse und zaghafte Berührungen, die zum Träumen verführten und nach noch viel mehr schrien. Ich war 17 Jahre jung und reif für eine hingebungsvolle, intensive Beziehung. Ich war bereit, alles zu geben. Unter seinen Händen wurde ich zur Frau; er stillte meine Sehnsüchte. Es war eine aufregende, stürmische Zeit. Ich lebte nur noch für den Moment, bis er bei mir war und wieder in das Land voller Verlangen und Zärtlichkeit entführte. Lange gab es nichts anderes; nur ihn und mich. Gab es etwas Schöneres?
Eingehüllt von Liebe und Begehren ... den Partner zu entdecken; die erogenen Zonen des Körpers zu erforschen. Wenn leichte Schauer über den Rücken jagen und man nur noch den Wunsch verspürte, ihm zu gehören. Eins zu werden mit dem geliebten Partner. Hier und jetzt in einem Taumel der Wollust und Begierde versinken ...
„Liebst du mich?“ Eine Frage, die er in den letzten Tagen oft stellte, als fühle er meine Zweifel.
Unser Leben verlief in geregelten Bahnen; wie ein stetig gleichmäßig dahin plätschernder Bach.
Ein stilles Gewässer, ohne Höhen und Tiefen. Wir hatten alle unsere Ziele erreicht: ein gutgehendes Geschäft, zwei Kinder - ein Junge und ein Mädchen - bereits flügge und das schöne Häuschen im Grünen längst verlassen. Eigentlich war alles in schönster Ordnung; es ging uns doch ausgesprochen gut, und doch ... warum beschlich mich nur immer wieder so ein unbestimmtes Gefühl, etwas versäumt zu haben? Ich musste doch dankbar sein, einen Partner an meiner Seite zu wissen, auf den man sich verlassen konnte und der es verdiente, dumme Gedanken energisch beiseite zu schieben. Es lag nicht an ihm. Ich hatte einen guten Mann! Er war auch nicht nachlässig geworden, machte mir immer noch Komplimente und ging liebevoll mit mir um. Ab und zu erhielt ich noch ein kleines Geschenk oder einen Blumenstrauß. Nur in meinem Herzen fühlte ich eine Leere. Erklären konnte ich es nicht ... ihm nicht, nicht einmal mir selbst! Irgendwann verliert wohl alles im Laufe der Zeit zwangsläufig an Reiz. Im Alltagstrott hatte das Knistern und Kribbeln nachgelassen; die Gefühle verändert. Routine war eingekehrt ... es war alles so vorhersehbar, wie die 20 Uhr-Nachrichten oder die obligatorische Pizza am Freitag Abend. Mal abgesehen vom Wochenende, verlief nach einem arbeitsreichen Tag immer alles gleich ... während den gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten unterhielten wir uns noch ein wenig über belanglose Dinge und verbrachten den Feierabend - wie immer - vor dem Fernseher. Und - wie immer - saß er neben mir, hielt meine Hand und streichelte gedankenverloren darüber. Manchmal schlief er mitten in einem spannenden Film/Krimi einfach ein. Seine völlig entspannten Gesichtszüge erweckten den Eindruck, dass er glücklich und zufrieden war.
„Liebst du mich?“ Noch vor kurzem hätte ich es klar und deutlich mit einem „Ja“ beantwortet, aber jetzt gab es einen anderen Mann. Einen, der mein Herz zum Pochen brachte. Einen, bei dem ich mich wieder als Frau fühlte; attraktiv und begehrenswert ... nicht wie ein lieb gewordenes Anhängsel, an das man sich gewöhnt hatte und irgendwie zum alltäglichen Leben gehörte. Und doch ... es gab immer noch wohltuende, befriedigende Liebesnächte; aber es fehlte die Spannung - etwas reizvoll Neues zu erleben. Herzflimmern - ertrinken in Gefühlen am Rande des Wahnsinns und Erträglichen. Die Gefühle von Schwäche und Lust, waren gewichen einem Gefühl von Vertrauen, Harmonie, Geborgenheit und Verständnis füreinander. Zusammengehörigkeit ... war es das, was ich mir von einer erfüllten Beziehung, vom Leben erwartet hatte? War das schon alles? Warum wurde die Sehnsucht immer größer, noch einmal zu fühlen, dass man lebte? Etwas Einmaliges, nie da Gewesenes zu erleben? Was war nur los mit mir? Ich bin kein oberflächlicher Mensch; ich überlege lange und gründlich. Von meinem Naturell bin ich eher monogam veranlagt. Ich hatte ihn nie betrogen, aber war es nicht schon Betrug, wenn man an einen anderen dachte? Eine ganz rhetorische Frage quälte mich ... wofür lebte man? Wofür lohnte es sich, zu leben?
Auf der Geburtstagsfete einer guten Bekannten fiel er mir auf. Er war nicht einmal besonders gutaussehend; genau genommen nicht einmal mein Typ. Es war nichts Auffälliges an ihm ... und doch!
Vom ersten Moment an gefiel er mir. Eine unerklärliche Anziehungskraft ging von ihm aus, die mich verwirrte. Ein Blick in seine Augen genügte! Es hört sich verrückt an und auch unglaubwürdig. Augen sind der Spiegel der Seele. Ich hätte in seinen ertrinken können. Meerblaue Augen, die auf den ersten Blick beinahe kühl wirkten und mich doch aufmerksam fixierten. Meerblaue Augen, die mein Herz zum Schmelzen brachten. Eine spannungsgeladene Luft hing zwischen uns, die wir beide spürten. Um uns herum war alles unwichtig geworden. Wir unterhielten uns an diesem Abend sehr lange und in seinen Augen las ich ungläubiges Staunen; fühlte sein Interesse ... und viele, unausgesprochene Dinge. Gab es Liebe auf den ersten Blick? Jeden Tag begegnet man doch Menschen, aber warum fühlt man sich plötzlich zu einem Fremden hingezogen? Warum findet man einen anderen Menschen attraktiv ... anziehend? Ein Phänomen, das sich gar nicht leicht erklären lässt.
„Ich würde mich freuen, von Ihnen zu hören“, zwinkernd steckte er mir zum Abschied einen Zettel zu, den ich seit einigen Tagen - mit gemischten Gefühlen - tief verborgen in meiner Handtasche trug.
Ein kleiner Zettel in meiner Handtasche brachte alles durcheinander.
Während ich die Nummer wählte, fiel mein Blick auf ein Familienfoto, das neben dem Telefon auf dem Sideboard stand. Dunkelbraune Augen, die freundlich in die Kamera lächelten. Seine Arme hatte er um meine Schultern gelegt. Ich dachte an den Duft seines After Shaves; konnte es förmlich riechen ... ich dachte an seine sinnlichen Lippen und die feingliederigen Hände, die mich so oft gestreichelt hatten.
Für einen Moment schloss ich die Augen ... gibt es Liebe, bis dass der Tod uns scheidet?
Als am anderen Ende abgenommen wurde, beschlich mich ein eigenartiges Gefühl,
das mich zögern ließ ...