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Bis in die Ewigkeit
"Verzeihung, kann ich mal durch?" Die raue Stimme schien einem jungen Mann zu gehören. Noch ehe sie ihm antworten konnte war er an ihr vorbei und verschwand in dem wirren, farbigen Haufen der Leute, die sich um diese vorweihnachtliche Zeit im Markt rumtrieben. Zurück blieb lediglich sein Geruch, eine Mischung aus Tabak und Rasierwasser. Widerlich! sie mochte es nicht, wenn ein Mann nach einem modrigen alten Tabakladen roch. Ausserdem war er ihr zu unfreundlich.
Ungeduldig strich sie sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie hasste diesen weihnachtlichen Trubel. Wieso wohnte sie auch ausgerechnet neben dem grössten Weihnachtsmarkt der Stadt.
Schon wieder dieser intensive Geruch. Sie drehte sich um und sah direkt in sein Gesicht. Einem markanten, rauen Gesicht, mit tiefdunklen Augen. Eigenartig, dass es trotz diesen ausgeprägten, harten Gesichtszügen doch so hübsch wirkte.
"Na?" Er grinste schief und unerwartet weisse Zähne kamen zum Vorschein. Sie stand sehr dicht bei ihm.
"Tschuldigung", murmelte sie. Wie konnte sie nur so starren. Dabei gefiel er ihr nicht einmal. Sein Gesicht war zu forsch und er sah nicht aus, als wäre er ein netter Mensch. Demonstrativ entfernte sie sich einige Schritte von ihm.
Sie blickte zurück und sah, dass er ihr längst den Rücken zugekehrt hatte. Beinahe so, als hätte er sie bereits wieder vergessen. Sie kannte eine solche Gleichgültigkeit ihr gegenüber nicht. Er sollte Interesse haben, wo er ihr doch eben so nahe stand. Schliesslich war sie eine schöne Frau. Langes Haar, schlank, mit dennoch ausgeprägt weiblichen Formen. Ihren blitzenden blauen Augen konnte normalerweise kein Mann lange widerstehen. Was für ein Idiot!
Sie musterte ihn noch einmal. Breiter Rücken unter einer schwarzen Jacke und abgewetzte Jeans. Überhaupt nicht ihr Typ.
In diesem Moment drehte er sich unerwartet um und bemerkte, dass sie ihn ansah. Verdammt!
Ich kann nicht wirklich sagen, weshalb ich es getan habe. Eigentlich passe ich nicht in das Schema. Ich bin selbstbewusst, zweifle nicht an meinen Fähigkeiten, bin nicht unbeliebt und bin kein impulsiver, sondern eher vernünftiger Mensch. Ausserdem bin ich in einem völlig intakten Elternhaus aufgewachsen.
Wahrscheinlich würden sie das alle sagen, doch ich denke, dass ich es im Griff habe. Ich bin mir meiner Tat zu jedem Zeitpunkt bewusst gewesen und kann mit gutem Gewissen behaupten, dass ich es wieder tun würde. Ich habe es bedacht getan und mir nicht zuviele Gefühle erlaubt. Gerade soviele, dass es mich beruhigt hat und der wahnsinnige Gefühlsdruck in mir nachliess. Dass ich mich wieder besser fühlte.
Glaubt nicht, es machte mich glücklich, doch ich sehe auch nicht ein, weshalb es falsch hätte sein sollen. Überall hört man: „Das ist grauenhaft!“ „Wie kann man nur sowas tun...?“ Leute neigen dazu alles schrecklich zu finden, was sie nicht begreiffen.
Der Wind blies sanft in die Segel und das kleine Boot glitt ruhig über das Wasser. Es hätte beinahe romantisch sein können, wenn er der Typ für Romantik gewesen wäre.
"Ich will mit dir schlafen!"
Wie bitte? Damit hatte sie nicht gerechnet. Wie konnte er glauben, er würde sie so schnell rumkriegen.
"Hat es dir die Sprache verschlagen?" Er grinste breit. "Tut mir leid, bin ich zu direkt?"
"Ja das bist du" Nun lächelte sie doch und wunderte sich gleichzeitig über sich selbst. "Na ja, ich mag direkte Menschen."
Er kam einige Schritte näher und sie konnte seinen Atem riechen. Roch irgendwie würzig, als hätte er gerade Glühwein getrunken. Er küsste sie drängend.
"Ich..." Dieser Kerl verwirrte sie. Sie stotterte sonst nie. "Hast du denn..." Sie fühlte sich plötzlich so überrumpelt.
"Habe ich immer dabei!" Schon wieder dieses breite grinsen.
Ich hätte ihm auch verzeihen können, doch das hielt ich für dumm. Ich werde nie wieder dumm sein. Es gibt Leute, die es verdienen und wichtig ist doch, dass es einem selbst besser geht und man den Druck irgendwie ablassen kann.
Der Auslöser für mein Tun ist relativ schnell erklärt. Ich war so unglaublich machtlos und ich mag es nicht machtlos zu sein. Dieses Nichts-tun-können. Meine Gefühle sammelten sich in mir und drohten mich zu zerdrücken und ich wüsste nicht, wie ich sie anders hätte loswerden können. Wie ich ihm hätte sagen sollen, was ich fühlte. Wie es ist, so gleichgültig behandelt zu werden. Er verstand mich nie. Ich versuchte es ihm zu erklären und er winkte nur ab. „Tu nicht so... Mach keinen Elefanten aus einer Mücke!“ Wie sollte ich es denn nur erklären? Er nahm mich nicht ernst und dachte nicht daran, etwas zu ändern. Sollte ich rumbrüllen? Die Folge wäre nur ein verständnisloses Kopfschütteln gewesen: „Zick nicht rum!“
Nachdenklich sah sie ihn an. "Liebst du mich?" Ihre Stimme klang verletzt.
Schweigen...
Schliesslich räuspert er sich. "Hör mal, sie ist doch nur eine Affäre. Du wusstest doch, dass ich Abwechslung brauche."
"Ja schon" Sie wurde kleinlaut. "Aber bedeute ich dir denn wirklich so wenig?"
"Du weisst doch, dass du mir wichtig bist!" Er wirkte nun beinahe schon genervt. "Hör mal, ich habe keine Geduld für so was!"
Ich wollte es ihm wirklich zeigen! Wünschte, dass er in meine Haut schlüpfen könnte, nur einen Tag. Nur solange, bis er endlich verstände, dass es nicht nur ein rumzicken ist. Er sollte verstehen, dass ich es einfach nicht mehr aushalten konnte, ihn mit dieser anderen Frau zu sehen. All die Jahre so gleichgültig.
Aber er verstand nicht! Sollte ich weinen? Lächerlich und schwach sein? Ihm das Gefühl geben, die Überhand über mich zu haben?
Es heisst doch, in einer Beziehung soll man über Probleme reden. Warum wurden dann in meiner Beziehung solche Gespräche immer zu Streit? Ich versuchte zu erklären wie ich mich fühle und er sagte: „Reg dich nicht auf, ist doch gar nicht so tragisch. Du übertreibst“
Ich musste ihn bestrafen, doch nichts was ich tun konnte, hätte ihn verletzen können.
Sollte ich sagen: „Ich verlasse dich“? Er hätte den Kopf geschüttelt. „Wenn du das willst...“ und dann wäre er rausgegangen und hätte mit seinen Kumpels Party gemacht.
Nein, ich bin nicht so. Ich werde niemals rumschreien. Ich bin nicht angewiesen auf ihn. Er sollte es bereuen, mich nicht geliebt zu haben.
"Lass mich in Ruhe!" Er stand auf und setzte sich einige Meter weiter wieder hin. Sie schluckte und kämpfte gegen die aufkommenden Tränen an. "Aber ich..."
"Ich will nichts mehr hören!" Er stand abermals auf, doch diesmal um zu gehen. Sie starrte ihm nach. Sah seine breiten Schultern immer kleiner werden. Leere... Ein einsamer Stuhl an der Stelle, an der er noch wenige Minuten zuvor gesessen hatte. Jetzt war er weg. Es war so leer hier ohne ihn.
Es ist geschehen, als ich wieder einen solchen Druck verspürte und mich einfach machtlos fühlte. Als ich mich wieder selber dafür hasste, dass ich nicht fähig bin, irgend etwas zu bewegen. Ich wollte ihm nur ein bisschen wehtun. Eine Fläche von wenigen Zentimetern, an einer Stelle, an der es fest bluten würde.
Als ich dann zusah, wie das Blut floss, fühlte ich mich besser. Es fühlte sich an, als könnte ich doch noch etwas bewegen. Ich sah, dass ich doch etwas ausrichten konnte. Wie das Leben langsam erlosch. Mein Zorn und meine Angst wurden mit dem aufs Lacken sickernden Blut weggespühlt.
Ich fühlte mich ein bisschen betäubt und sicherer. Ich wusste, dass es mir egal sein konnte. Dass ich darüber hinweg kommen würde, dass irgendwann alles wieder gut sein würde.
Und dann fühlte ich mich gut.
Er würde sich ewig an mich erinnern. Er würde nie aufhören, sich die Schuld an meinem Tod zu geben.