Was ist neu

Bis zum Grund

Mitglied
Beitritt
08.10.2008
Beiträge
55

Bis zum Grund

Mein Kopf ist leer. Er fühlt sich seltsam an. Hohl. Es pocht darin. Ich verspüre das Bedürfnis, ihn lange unter eiskaltes Wasser zu halten. Ich schüttele ihn. Die verzweifelte Hoffnung, das irgendetwas herausfällt. Aber jetzt wäre es ohnehin zu spät. Da mich meine eigenen Gedanken im Stich gelassen haben. Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Ich sollte mich nicht so gehen lassen. Ablenken. Ich versuche, in andere Tiefen zu tauchen.
Doch auch der quadratische kleine Kasten, aus dem die Welt sprudelt, scheint mir heute nicht weiterhelfen zu wollen. Die Fernbedienung schwappt. Und plötzlich muss ich lachen. Hysterisches lachen. Hoffnungslos. So einfach. Der Angeklagte ist nie der Mörder und bald wird ganz überraschend ein Zeuge auftauchen und alles klären. Kein Problem in meinem Flimmerkasten. Die Fernbedienung schwappt weiter. Irgendetwas will sie mir verkaufen. Die Frau, die da jetzt sitzt. Ich werde nichts kaufen. So hat sie also auch was nicht geschafft. Ziel nicht erreicht. Verlangt nicht ihr Chef von ihr, dass sie jedem was verkauft? Aber sie scheint das nicht zu stören. Grinst weiter. Und plappert. In meinem Kopf geht das Pochen zu Hämmern über. Weiter. Ein ebenfalls grinsender Mann erklärt in seltsam betonten Worten den Zusammenhang zwischen Bremskraft und Beschleunigung. Physiker. Bestimmt hat er alles berechnet. In seinem ganzen Leben noch nie einen Fehler gemacht. Und jetzt grinst er da schmierig vor sich hin. Und denkt ernsthaft, er könnte mir die Welt erklären. Nächste Welle. Eine übergewichtige Frau hat Ärger mit der Schwester des Freundes eines Cousins. Die übrigens auch alle fettleibig sind. Und als wäre das nicht fett genug sind ihre Haare ebenfalls fettig. Was für eine Familie! Und aus meinem Bullauge kann ich jetzt sehen, wie sich die Schwippschwagerschwestern anschreien. Elendes Pack. Ich sollte nicht so herablassend über sie denken. Kann ich wissen, wie ich ende? Wenn es so weiter geht. Diese schwere, hohle Birne auf meinen Schultern mich weiter terrorisiert. Plötzlich sehe ich schwarz. Und rot. Gehe zum Eisfach. Presse Eiswürfel an meine Stirn. Kälteschock. Bringt das Hämmern kurz zum Stillstand. Alles gefriert. Einen Moment lang glaube ich, meine Gedankengänge wären geheilt und das Schlachtfeld in meinem Hirn sei nur eine vorübergehende Erscheinung gewesen. „Du schaffst das hundert pro, wir glauben alle an dich“, tönt es aus den Weltmeeren in meinem Wohnzimmer. Diese Worte ziehen mich wie ein Strudel in die Tiefe. Luft holen. Mich an irgendwas festklammern. Vielleicht hat sich die fettleibige Familie wieder vertragen und jetzt möchte die Cousine eines Onkels, dessen Witwe verstorben ist, ihren Traum vom Fotomodell verwirklichen. Schlechter Versuch. Mich an einer Alge festhalten zu wollen, wenn ich in einen wirbelnden Sog geraten bin. Ich strample, kämpfe gegen die Urmächte an. Stelle fest, dass es vergebens ist. Und gehe währenddessen zurück ins Wohnzimmer. Lege mich aufs Sofa. Es tost und rauscht in meinen Ohren. Vielleicht sind das ja nur die Nebenwirkungen von dieser assozialen Familie. Färbt sozusagen ab. Verursacht hier eine Überschwemmung, mitten in meinem Hirn. Die Bedienung ist so freundlich und lässt das Wasser erneut wabern. Die Großfamilie weicht dieser blondierten Ermittlerin mit Kurzhaarschnitt. Schlechte Perspektive, grauenhafte Lichtverhältnisse. Und sie redet. Klingt irgendwie auswendig gelernt. Armselig. Denke nicht, dass die Frau das Wort authentisch schonmal gehört hat. Auch mir ist es noch vor ein paar Stunden nicht mehr eingefallen. Als ich aufgefordert war, die Wellen eines völlig anderen Ozeans zu sortieren und mit blauer Tinte aufs Papier zu bringen. Doch ich konnte nicht. Kein bisschen.
Die Armeen, die meine Schädeldecke angreifen, sind jetzt wohl durch den Hals in mein Herz gewandert. Tausend kleine Lanzen rammen sie hinein. Vielleicht, wenn ich einen tiefen Luftzug einatme, vielleicht kann ich sie dann wegpusten? Nein. Mit jedem Atemzug stechen sie tiefer ein. Und gleichzeitig reißt es mich hinunter. Der Strudel kennt kein Erbarmen. Tiefer und tiefer. Bis zum Grund. Weder der Flimmerkasten, noch die Eiswürfel, noch die Krieger in meinem Kopf und Herzen können mir irgendwie weiterhelfen. Eigentlich müsste ich längst ertrunken sein. Wenn ich recht überlege. Aber genau das kann ich ja nicht mehr.

 

Salve Eine wie Alaska,

bei diesem Text denke ich: schade.
Klar, Du beschreibst ganz toll, wie man die Protagonistin sich fühlt, wenn sie durch die Sozialpornografie des frühen Nachmittagsprogramms zappt, findest schöne Bilder und Worte für die Gesamtsituation, aber.

Aber da fehlt mir der Konflikt, das woher und warum und wozu, die Geschichte hinter der Geschichte, die die Prot greifbar macht.
Das deutet sich in einem einzigen Satz an:

Als ich aufgefordert war, die Wellen eines völlig anderen Ozeans zu sortieren und mit blauer Tinte aufs Papier zu bringen.
Da kann alles und nichts dahinter stecken, dieses alles und nichts, dass ich gerne gelesen hätte. Der versaute Einstellungstest, der nie geschriebene Liebesbrief, die klärenden Zeilen, die einen Konflikt hätten beilegen oder endlich zum reinigenden Gewitter steigern können.

Aber vielleicht war das ja Absicht; dass Dein Prot hinter, über und wegen Dokusoaps sich selbst und alles, was ihr wichtig war, verloren hat, und von dem, was sie ausmachte, nur o.g. Satz übrig geblieben ist.
Wenn das so sein sollte, dann nehme ich alles zurück und behaupte das Gegenteil; dann ist Dir die Geschichte gerade mit einem Icherzähler rundum gelungen.

LG, Pardus

 

Hallo Eine wie Alaska!

Ich bin generell kein großer Freund des parataktischen Schreibstils, doch in diesem Fall finde ich ihn als Stilmittel angemessen, weil er die Verwirrung des Protagonisten betont (und der Text ist ja auch nicht so lang ;)). Das leicht Poetische mochte ich auch.

Ja, Pardus hat es schon angesprochen: irgendwas fehlt irgendwie...

Andererseits gefällt mir der Text als Stimmungsbeschreibung, also ich meine da so eine Melancholie herauszulesen, die durchs Fernsehen bekämpft werden soll, sie aber nur verschlimmert. (Keine Ahnung, ob das hinkommt.)

Und zu guter Letzt noch ein kleiner Fehler:

Vielleicht sind das ja nur die Nebenwirkungen von dieser assozialen Familie.
asozialen

Viele Grüße,
Maeuser

 

Hallo ihr beiden und vielen Dank für die Antworten!

da fehlt mir der Konflikt, das woher und warum und wozu, die Geschichte hinter der Geschichte, die die Prot greifbar macht.

Stimmt, das fällt mir beim jetzigen Lesen auch auf. Das Problem ist, dass ich eine ganz bestimmte Situation vor Augen habe und mir genau vorstellen kann worum es geht. Aber das kommt beim Leser wohl nicht so klar an.

Wobei.. das war andererseits schon auch beabsichtigt. Wollte jetzt nicht so nach dem Motto ich schreibe einen Bericht genau die Umstände erklären. Dachte eigentlich, durch einige Hinweise den Hintergrund anzudeuten.

Das deutet sich in einem einzigen Satz an

Okaaaay.. dann hat das anscheinend weitesgehend nicht so ganz funktioniert.. -.-

Da kann alles und nichts dahinter stecken, dieses alles und nichts, dass ich gerne gelesen hätte. Der versaute Einstellungstest, der nie geschriebene Liebesbrief, die klärenden Zeilen, die einen Konflikt hätten beilegen oder endlich zum reinigenden Gewitter steigern können.

Das trifft es doch schon mehr oder minder. Also das mit dem versauten Einstellungstest ist an meinem Ausgangspunkt am nächsten dran.

Aber für mich kam es beim Schreiben nicht darauf an, dass man die genauen Umstände kennt. Jeder kann etwas anderes reininterpretieren. Dachte gerade das wäre irgendwie interessant.

Es geht im Grunde einfach ums Versagen. Und das wollte ich eigentlich ausdrücken. Das Gefühl, etwas überhaupt nicht hinbekommen zu haben.

Dachte, ich hätte durch die Andeutungen schon gezeigt, dass es ums Versagen geht. Darum, dass die Prot. etwas total verhauen hat, das Ziel nicht erreicht hat. Und normalerweise dieses Versagen nicht zu ihrem Alltag gehört (andere hätten es nicht von ihr erwartet, haben an sie geglaubt). Das wirft sie total aus der Bahn. Ihr Versagen gibt ihr einen Grund, sich mit der "Sozialpornografie des frühen Nachmittagsprogramms" (gefällt mir!) zu vergleichen. Auf die sie normalerweise nur spöttisch herabsieht.

--> Eine Art Burn-Out Moment. Und den wollte ich hiermit einfangen. Mit all seinen Facetten. Dabei war mir nicht wichtig, woher das Gefühl genau kommt, sondern wie es sich anfühlt.

Andererseits gefällt mir der Text als Stimmungsbeschreibung, also ich meine da so eine Melancholie herauszulesen, die durchs Fernsehen bekämpft werden soll, sie aber nur verschlimmert. (Keine Ahnung, ob das hinkommt.)

Doch! Doch! Doch! Genau so meinte ich das :-)

Naja.. Werde mal sehen, ob ich den Text noch irgendwie abändere und eine genaue Erklärung für das ganze Chaos mit einbaue. Könnte dann allerdings auch eine ganz andere Geschichte werden ;-) Ich lass mich mal selbst überraschen.

Den Schreibfehler verbesser ich sofort.


Bis bald,

Eine wie Alaska

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom