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Bis zur Frühschicht

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09.08.2020
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Bis zur Frühschicht

Ich betrete das Büro. Steven sitzt schon an seinem Platz und sagt: „Moin.“ Vor ihm flimmert der Monitor.
„Moin“, sage ich, setze mich vor meinen Computer und mache ihn an. Es piept. Ich lege Portemonnaie, Hausschlüssel und Zugangskarte auf den Schreibtisch. „Bereit für eine weitere Nachtschicht voller Spiel, Spaß und Spannung?“, frage ich.
„Wie verrückt“, sagt Steven. „Hab nur drei Stunden gepennt.“
„Scheiße. Aber ich hab Karten mitgebracht“, sage ich. „Können ja ein bisschen spielen. Da bleiben wir wenigstens wach.“
Steven gähnt. „Mal sehen. Bin nicht so auf der Höhe.“
Ich stöpsele mein Headset ans Telefon. „Was denn los?“
„Weiß nicht. Hab komisch geträumt.“
„Wovon?“
„Weiß nicht mehr. Irgendwas mit einer schwarzhaarigen Alten.“
Ich grinse. „War sie nackt?“
Steven grinst auch. „Fick dich.“
„Wie läuft es mit deiner Neuen?“
„Ganz gut. Ist echt ne Süße.“
„So?“
„Ja, Mann.“ Er lehnt sich in seinen Bürostuhl zurück und streckt das rechte Bein aus und zieht sein Handy aus der Hosentasche. Das Display wirft blasses Licht auf sein Gesicht und da bemerke ich die Augenringe. Und die Lippen. So farblos, als wäre kein Blut mehr darin. Als ich danach fragen will, sagt er: „Hier, guck. Ist sie nicht geil?“
Er hält mir sein Handy hin. Eine blonde Frau steht da, schlank und groß. Sie schaut in die Kamera mit halb geschlossenen Augen und leicht geöffnetem Mund. Wie ein Model. Ein enges rotes Shirt spannt sich über ihre großen Brüste, und ich bemerke, dass sie keinen BH trägt. Ich starre auf ihre Nippel, wohlgeformte Kreise unter rotem Stoff. „Sieht gut aus.“
„Ja, oder?“, fragt Steven.
„Wo kommt sie nochmal her? Norwegen?“
„Island. Die Braut heißt Sigurdur.“ Steven steckt sein Handy wieder weg und sagt: „Gestern war ich bei ihrer Familie und …“ Das Telefon klingelt. „International Service Center“, sagt Steven.
Während er mit dem Kunden redet, starte ich alle Programme und logge mich ein. Ruft eh niemand an. Wenn ich Glück habe, kriege ich diese Nacht fünf Anrufe rein. Warum hat Steven so eine heiße Freundin? Ich starre auf meine Tastatur. Ich könnte auch mal wieder. Pralle Brüste anfassen, warme Haut auf meiner spüren, weiche Lippen küssen; das ist alles schon so lange her. Ich gucke aus dem Fenster und sehe den Vollmond über den Gebäuden. Links und rechts hängen Wolken wie milchige Stofffetzen.

Stevens Gespräch ist zu Ende und er klickt sich durch das Programm, setzt dann sein Headset ab, und während er hier und da Haken setzt und einen Auftrag ins System einpflegt, sagt er: „Jedenfalls war ich bei ihrer Familie. Die sind vielleicht komisch.“
„Wieso?“, frage ich.
„Die Männer sind bärtig und riesig, die Frauen schlank und wunderschön. Und alle sind tätowiert. Raben, Totenköpfe, all sowas.“
„Ist vielleicht was Kulturelles.“
„Vielleicht.“
„Und Sigrid?“
„Sigurdur.“
„Von mir aus“, sage ich. „Hat sie Tattoos?“
„Nein, nicht mal was Winziges. Und ich habe überall nachgeschaut.“ Er grinst.
Ich grinse auch, aber nur halbherzig, ich will nicht an nackte Frauen denken. „Na, kommt vielleicht noch.“
„Sie kann machen, was sie will. Und wenn mir das Tattoo nicht gefällt, such ich mir halt ne andere.“
„Sie ist also nicht die Frau fürs Leben?“
„Nicht so wirklich.“ Er lehnt sich zurück und verschränkt die Arme, schaut an die Decke, während er redet. „Sie ist so still. Und sie lacht kaum. Ich glaube, Isländer haben keinen Humor. Hättest ihre Familie mal sehen sollen. Haben alle ne Fresse gezogen, das ist unglaublich.“
„Hm. Hab oft gelesen, dass Skandinavier eher verschlossen sind.“
„Aber doch nicht so“, sagt Steven. „Mit denen kann man ja gar nichts anfangen. Sigurdurs Mutter war aber leider nicht da gestern, die hätte ich gerne mal gesehen. Abchecken, ob Sigurdur mit fünfzig immer noch fresh aussieht, weißte? An den Müttern kann man das ja so ein bisschen abschätzen.“
„Dachte, sie ist nichts für länger?“
„Schon, aber interessiert mich trotzdem.“
Ich schaue zum Vollmond. „Na, abwarten. Die siehst du bestimmt noch.“
Dann schweigen wir. Ab und zu klingelt das Telefon. Die Computer brummen und die Klimaanlage rattert. Die Zeit vergeht langsam. Ich lese nebenbei Dracula und frage mich, warum niemandem auffällt, dass Lucy wochenlang vom Grafen ausgesaugt wird.
Steven steht auf und stellt sich hinter seinen Bürostuhl, streckt sich, legt dann beide Unterarme auf die Rückenlehne. „Ich brauche Urlaub.“
Ich frage: „Mit Sigrund?“
„Sigurdur.“
„Mein ich doch“, sage ich. „Kannst ja mit ihr nach Island.“
Steven schnaubt. „Was soll ich denn da? Da friere ich mir den Arsch ab. Und da regnet es ständig. Und da wohnt keine Sau. Nee, lass mal. Ich dachte eher an Malle.“
„Malle?“, frage ich. „Mit deiner Freundin?“
„Bist du verrückt?“, fragt Steven. „Mit der hätte ich da überhaupt keinen Spaß. Nee, mit meinen Homies. Ein paar Bier kippen und ein paar Mietzen aufreißen. Die fliegen da auf Deutsche, glaub ma. Für nen Zwanni kannste alles mit denen machen.“
„Echt?“
„Klar, blasen dir einen hinter ner Hecke, schieben eine schnelle Nummer am Strand. Machen’s dir sogar ohne Gummi, schwöre.“
„Und wenn du eine schwängerst? Was dann?“
„Passiert mir schon nicht.“
„Das sagen sie alle.“
„Nee“, sagt Steven. „Kann mir wirklich nicht passieren. Wollte mal Samen spenden. Ein paar Euro neben dem Studium, weißte. Der Arzt da hat meine kleinen Soldaten untersucht und gesagt, die schwimmen zu langsam. Mein Sperma ist verkrüppelt, oder so. Schwängern ist nicht drin.“
„Ach du Scheiße, das wusste ich ja gar nicht.“
„Woher denn auch?“ Er mustert mich, bemerkt meinen besorgten Blick und lacht. „Keine Sorge, ich find’s gut. Will eh keine Kinder.“
„Aber vielleicht in zehn Jahren“, sage ich.
„Wenn die Welt noch voller und das Klima noch beschissener ist? Nein, danke.“
Ich nicke. Er hat schon irgendwie recht. „Weiß Sigdruna davon?“
„Sigurdur. Und ja, ich habe es ihr gestern erzählt. Haben nach dem Familientreffen darüber geredet. Im Auto. Hat mich gefragt, ob ich mir auch Kinder vorstellen kann und da hab ich ihr’s erzählt.“
„Und?“
„Was und?“
„Was hat sie dazu gesagt?“
„Nichts. Wie gesagt, sie redet nicht viel. Hat es einfach hingenommen. Aber komisch war es schon. Sie war danach noch kälter als sonst. Wollte auch nicht mit mir schlafen.“

Steven klickt sich durchs Internet, guckt sich Videos über teure Flitzer auf YouTube an.
Ich lese weiter und warte auf Anrufe, aber das Telefon schweigt. Ich kann mich ohnehin nicht konzentrieren, muss an meinen letzten Urlaub denken. Mit meiner Ex. Wir waren in Paris.
Zusammen sind wir durch die Straßen geschlendert, die nach Kaffee und frisch gebackenem Brot dufteten. Wir waren auf dem Eifelturm und haben die ganze Stadt gesehen. Der Wind hat ihre Haare zerzaust. Ihre Wangen waren rot, die Lippen glänzten im Sonnenlicht. Dort oben haben wir uns geküsst und der Lärm der Stadt war ganz weit weg und die ganzen Touristen nur Statisten und die Welt bloß die Kulisse für unsere Liebe. Und die Heimat unserer künftigen Kinder. Aber der Film war schnell vorbei. Nächte an der Seine, das Wachgeküsstwerden mit den ersten Sonnenstrahlen; das alles liegt hinter mir und ich frage mich, ob ich je wieder sowas erleben werde. Manchmal möchte ich meiner Ex schreiben, fragen, wie es ihr geht, aber welchen Sinn hat das? So pure und unschuldige Liebe; ich schätze, die hat man nur einmal im Leben. Bis einem das Herz gebrochen wird. Eine Schande.
Ich lege das Buch beiseite und stehe auf. „Bin mal kurz pissen.“
Steven starrt weiter auf den Bildschirm. „Verlauf dich nicht.“

Der Grundriss des Gebäudes ist quadratisch. Vier gleichlange Flure, von denen die Büroräume abgehen. Ich betrete den Flur und schließe die Tür zu Büro 237 hinter mir, unser Nachtschichtbüro. Es ist dunkel in den Fluren und alle anderen Büroräume sind leer. Wir sind die einzigen hier. Ich gehe zum Klo. Der Filzteppich dämpft meine Schritte, während ich an leeren Zimmern vorbeigehe; bei manchen steht die Tür offen und ich blicke hinein, kann aber nichts erkennen. Da sind nur Schatten und Mondlicht. Ich gehe weiter den Flur entlang und die einzige Lichtquelle sind die Notausgangsschilder. Sie werfen grünliches Licht an Wände und Boden. Ich würde gerne die Deckenlampen anmachen, aber das Management hat das untersagt. Wir müssen Strom sparen, hieß es. Der Umwelt und Rechnungen zuliebe.

Als ich vom Klo wiederkomme, steht Steven neben dem PC und klopft seine Hose ab. „Fuck“, sagt er.
„Was ist?“, frage ich.
Er legt den Kopf in den Nacken und stöhnt. „Drecksscheiße, ich habe meinen Schlüssel zuhause vergessen.“
„Deinen Hausschlüssel?“
„Ja, Mann. Dachte, ich hätte ihn eingesteckt.“
„Und jetzt?“, frage ich und setze mich wieder vor meinen Bildschirm.
Steven nimmt sein Handy. „Jetzt schreibe ich Sigurdur. Sie soll mir den Zweitschlüssel geben. Hoffentlich pennt sie noch nicht.“
„Sie hat einen Schlüssel für deine Bude?“
„Klar. Die Damen stehen auf sowas. Quasi als Zeichen des Vertrauens. Das macht sie anhänglicher. Also hab ich ihr einen Schlüssel gegeben. Dann denken sie sofort, es ist was Ernstes, weißte.“
„Wenn du meinst.“
„Wie sieht es denn bei dir aus? Beißen die Ladys?“
„Ist eher Ebbe.“
„Wir sollten saufen gehen. Vielleicht dieses Wochenende. Ich mach dir den Wingman.“
„Klar, versuchen kann man’s.“
„Klingst ja nicht gerade begeistert, wir …“ Stevens Handy vibriert und er schaut drauf. „Ah, Gott sei Dank. Sigurdur kommt her. Wäre ja echt scheiße gewesen, wenn ich todmüde vor meiner Hütte stehe und nicht reinkomme.“
„Ja, echt scheiße.“

Ich habe den Roman weggelegt und lese Artikel im Internet. Über ein neuartiges Krakenwesen, das im Pazifik entdeckt wurde und irgendeiner Gottheit ähnelt, und über einen Schriftsteller, der von einem Fan geschlagen wurde, weil ihr das Ende seines neuen Buches nicht gefiel. Konzentrieren kann ich mich trotzdem nicht. Jeden Augenblick kommt Sigurdur durch die Tür und ich weiß jetzt schon, dass ich kein anständiges Wort rauskriegen werde. Frauen machen mich nervös, besonders wenn sie so aussehen wie Sigurdur.
Nach zwanzig Minuten steht Steven auf und verlässt das Büro. Ich höre, wie er die Tür mit seiner Zugangskarte aufmacht, dann redet er mit jemandem und eine Frauenstimme antwortet. Sigurdur ist da. Steven kommt zurück. „Und hier ist unser Allerheiligstes“, sagt er.
Hinter ihm betritt Sigurdur das Büro und sie sieht noch schöner aus als auf dem Foto. Sie ist größer als ich und ungeschminkt. Ihre Haare sind etwas durcheinander, aber das Gesicht strahlt Sanftheit aus. Sie lächelt mir zu. „Hallo, ich bin Sigurdur.“ Sie betont das H und rollt das R, und als sie mir ihre Hand entgegenstreckt und ich sie schüttle, die weiche Haut spüre, lächle ich auch und sage: „Ha... Hallo.“
Dann fragt sie Steven etwas und sie reden darüber, was sie morgen essen wollen. Ich sehe ihnen zu und habe das Gefühl, Sigurdur anzustarren, aber sie bemerkt es wohl nicht, lässt sich zumindest nichts anmerken. Ich wende mich wieder den Artikeln zu.

Sigurdur geht. Bevor sie den Raum verlässt, sagt sie: „Ich kann kaum erwarten, dass du bald neben mir liegst.“ Während sie das sagt, schaut sie mich an. Ich spüre, wie meine Wangen warm werden. Aber sie kann nicht mich meinen. Schön wär’s. Hat sie mir gerade zugezwinkert?
Steven sagt: „Du bist so süß, Schatz. Morgen machen wir’s uns den ganzen Tag gemütlich, okay?“
„Okay“, sagt sie und lächelt mir zu. „Bis dann.“
Ich winke und sie legt den Kopf schief und kichert. Hat sie mit mir geflirtet? Unmöglich. Steven ist doch hier, sie ist bestimmt nur seinetwegen gut gelaunt. Und wenn nicht? Steht sie auf mich? Das kann nicht sein. Es kribbelt in meinem Magen. Scheiße, ich bin schon verknallt. Meine Hände werden schwitzig.
Steven gähnt. „Gott, bin ich im Arsch.“
„Hm?“
„Ich kann echt kaum noch pennen.“
„Vielleicht zu viele Nachtschichten?“
„Nein. Es sind diese Träume. Denkst bestimmt, ich bin ein Weichei, was?“
„Nein.“ Er sieht blass aus und sein Gesicht ist eingefallen. Und seine Mundwinkel zucken oft. Etwas stimmt nicht mit ihm, das sehe ich sofort. Aber ich sage: „Lass dich doch von deiner Freundin massieren. Das hilft bestimmt. Brauchst nur ein bisschen Entspannung.“
Er reibt sich die Stirn. „Hast sicher recht.“
Ich erhebe mich. „Ich muss nochmal auf’s Klo.“
„Wassen los? Konfirmandenblase?“
„Zu viel Kaffee.“

Im Bad wasche ich mir das Gesicht mit kaltem Wasser, reibe mir den Nacken mit nassen Händen, betrachte mich im Spiegel. Meine Wangen sind immer noch gerötet. Ich muss an Sigurdurs Stimme denken. Und an ihr Lachen. Ich stelle mir vor, wie ich mit ihr auf dem Eiffelturm stehe und sich Paris unter uns erstreckt. Der Wind fährt Sigurdur durch die blonden Haare. Wir küssen uns.
Auf dem Klo, unter dem kalten Licht der Leuchtstoffröhren, bekomme ich langsam eine Latte. Ich klatsche mir noch mehr Wasser ins Gesicht, trockne mich ab, frage mich, was eine Frau wie Sigurdur an Steven findet. Er sieht nicht gut aus, labert nur oberflächlichen Scheiß, ist ein Arschloch. Aber das wird es sein; Frauen stehen auf Arschlöcher. Vielleicht ist das mein Problem, ich bin zu nett. Mutter hat immer gesagt, ich würde schon noch ein süßes Mädchen abbekommen, die richtige Frau würde sofort erkennen, was für ein feiner Kerl ich sei. Aber was hilft das, wenn keine richtig hinsieht? Ich …
Ich entdecke lange Haarsträhnen im Waschbecken. Sie sind blond. Vorhin war hier noch alles sauber. War Sigurdur auf dem Klo? Ist sie noch hier? Hat Steven sie überhaupt rausgelassen? Ich kann mich nicht erinnern. „Hallo?“, frage ich die geflieste Wand. Keine Antwort.
Wir haben mehrere Toilettenkabinen, doch die Trennwände reichen nicht bis zum Boden; ich gehe in die Hocke und halte Ausschau nach Füßen, doch entdecke keine. Dafür etwas anderes. Neben einer Toilette liegen Klamotten. Ich gehe hin. Die Tür zur Kabine ist nicht abgeschlossen und ich stoße sie auf und starre auf die Kleidung. Ein violettes Hemd und eine Damenjeans. Sigurdur hat sowas getragen. Ich hebe das Shirt auf, es ist noch warm, und als ich die Jeans auflese, kommt darunter ein schwarzer Slip zum Vorschein. Was geht hier ab? Hat sich Sigurdur ausgezogen? Läuft die jetzt nackt durchs Büro?
Ich verlasse das Bad und halte inne. Am Ende des Flurs bewegt sich etwas. Ich kneife die Augen zusammen. Inmitten der Schwärze entdecke ich etwas noch Dunkleres, den Umriss einer Person. Der Schatten verändert sich nicht. Als ich mich räuspere und etwas sagen will, verschwindet der Schatten in einen Büroraum und ich höre gedämpfte Schritte auf dem Filzteppich. Kalter Schweiß klebt mir unter den Armen und ich kann meinen Herzschlag bis in den Hals spüren. Bestimmt sehe ich nicht nach, wer sich da rumtreibt. Zumindest nicht allein.

Als ich Büro 237 betrete, ist Steven weg. Ich bleibe in der Tür stehen und atme tief ein, meine Gedanken rasen. Aber vermutlich mache ich mich grundlos verrückt. Steven ist bestimmt nur aufs Klo gegangen … aber ich Idiot komme ja vom Klo, also kann er da nicht sein. Vielleicht ist er rausgegangen, um eine zu rauchen. Kann sein, aber seine Zugangskarte liegt noch auf dem Schreibtisch und ohne kommt er nicht raus. Am wahrscheinlichsten ist, dass er sich mit Sigurdur in einem leeren Büro vergnügt. Das würde auch erklären, warum sie nichts anhat. Ja, so wird es sein. Der Glückspilz. Aber frische Luft würde mir trotzdem guttun, ich drehe gerade ein bisschen durch. Könnte mir zehn Minuten die Beine vertreten, und wenn ich wiederkomme, ist Steven bestimmt zurück und grinst dümmlich.
Ich steh vor meinem Schreibtisch, und dann kribbelt es in meinem Nacken. Meine Zugangskarte ist weg. Mein Hausschlüssel ist ebenfalls verschwunden.
Da sind wieder Schritte. Ganz ruhig, das wird nur Steven sein. Doch die Schritte sind laut, selbst auf dem Teppich. Als trüge die Person schwere Stiefel. Ich höre tiefen und gleichmäßigen Atem und drehe mich um, starre in die Schwärze jenseits der Tür und sehe einen Schatten, der immer größer wird und bald den Türrahmen ausfüllt, und ich erkenne, dass ich hier nicht mehr rauskomme. Ich öffne den Mund, will schreien, da stürmt ein Wikinger in mein Büro und ich verschlucke mich an meinem Speichel.

Er ist riesig und bärtig und seine schwarzen Haare sind geflochten und reichen ihm bis zu den Nieren. Sein Oberkörper ist beharrt und volltätowiert. Bäume und Schädel und Raben, deren Flügel aussehen wie Klingen. Der Wikinger trägt nur einen Lendenschurz, einen Wolfspelz. Der Schädel des Viehs schwingt bei jedem Schritt hin und her wie ein riesiger Penis mit Fangzähnen. In der rechten Hand hält er eine Axt. Die Klinge ist schartig und rostig und bevor ich mich über die Erscheinung vor mir wundern kann, holt er mit der Axt aus.
Ich weiche einen Schritt zurück und die Axt knallt vor mir in den Schreibtisch. Holz splittert und landet auf der Tastatur. Der Wikinger grunzt. Er stinkt nach Schweiß und brennenden Ästen und salzigem Stein. Beim Ausweichen verliere ich das Gleichgewicht und muss mich an dem Schreibtisch festhalten; dabei stößt meine Hand gegen einen Brieföffner und ich packe ihn, und bevor der Wikinger die Axt aus dem Tisch ziehen kann, stürze ich vor, quieke dabei wie ein Kind und ramme ihm den Brieföffner zwischen die Rippen.
Der Hüne brüllt. So laut und tief, dass mir die Eingeweide vibrieren. Er fasst sich an die Wunde, Blut strömt über seine Finger und tropft auf den Schreibtisch. Rote Flecken auf weißem Holz. Ich starre, dann reiße ich mich los und dränge mich an dem Wikinger vorbei, der gerade den Brieföffner aus sich zieht. Blut spritzt an die Wand, zieht ein Spritzmuster über die Tapete. Ich renne in den Flur.

Die Gänge sind immer noch dunkel. Ich laufe an offenen Büros vorbei. Die Türen gleichen schwarzen Mäulern. Jederzeit könnten Wikinger herausströmen. Mit jeder Tür zittere ich stärker. Ich komme am Eingang vorbei und sehe, dass der Schalter für die Zugangskarte zerstört ist. Ich komme hier nicht mehr raus. „Nein, nein, fuck.“ Tränen kullern über meine Wangen. Ich kann nicht raus und weiterlaufen kann ich auch nicht, würde ja ohnehin nur im Kreis rennen. Und früher oder später in den Armen des Wikingers landen. Oder eines anderen.
Die Gänge sind dunkel und ich höre Schritte und tiefen Atem, als würde das ganze Gebäude Luft holen, doch im grünen Licht der Notausgangslampen kann ich nichts erkennen. Ich stocke. Die Notausgänge, das ist meine Chance.
Als ich loslaufen will, kommt der Wikinger um die Ecke. Blut rinnt über seine Hüfte und färbt den Wolfspelz dunkelrot. „Scheiße,“ sage ich. Der Wikinger grinst und hebt die Axt. Ich quieke und laufe vor Panik in den nächstgelegenen Raum. Vielleicht finde ich noch einen Brieföffner oder eine andere Waffe. Als ich drin bin, schlägt mir der Gestank von Urin entgegen. Und der Geruch von Pisssteinen. Die mit Zitronenduft. Ich bin wieder auf dem Klo gelandet. „Verdammte Scheiße.“

Ich verstecke mich in einer Kabine, habe das Licht ausgelassen und nun warte ich. Der Wikinger kommt rein. Seine Schritte hallen von den Wänden wider. Er bleibt kurz stehen und macht das Licht an. Ich kneife die Augen zusammen, so grell sind die Leuchtstoffröhren nach der Dunkelheit.
Langsam schreitet der Wikinger durch das Bad. Ich habe die Beine hochgezogen, sodass er mich durch den Spalt unten nicht sehen kann, sitze auf der Toilette wie ein Wasserspeier auf einem Kirchturm und frage mich, ob ich so verharren kann, bis die Frühschicht kommt. Doch das bezweifle ich. Dann verkrampfe ich. Ich Idiot habe die Kabinentür abgeschlossen; der Wikinger muss nur den roten Punkt unter der Klinke sehen, schon weiß er, dass ich hier hocke. Alle anderen Türen stehen schließlich offen, und während ich das denke, bleibt der Wikinger vor meiner Kabine stehen. Sein Atem ist laut. Neben mir steht die Klobürste und ich packe sie und halte sie vor mich wie ein Schwert.
Für einen Moment ist es still, dann knallt es und die Schneide der Axt bricht durch die grüne Kabinentür. Ich packe die Klobürste etwas fester. Mir wird schwindelig und ich murmele: „Jesus Christus, Herr im Himmel, steh mir bei.“
Der Wikinger rammt erneut die Axt ins Holz und murmelt etwas Isländisches.
Ich hebe die Klobürste über meinen Kopf.
Das Holz gibt unter den Axtschlägen nach und Splitter fliegen mir ins Gesicht und ich schließe die Augen, um nicht geblendet zu werden. Als ich sie wieder öffne, hat der Wikinger eine Lücke in die Tür geschlagen und starrt mich an und grinst. Seine Zähne sind dunkelgelb und krumm und seine Augen haben die Farbe von Eis. Er presst sein Gesicht in die Lücke, das Holz umrahmt seinen Kopf wie bei einem Porträt, und der Wikinger murmelt wieder etwas Unverständliches, und ich schmettere ihm mit ganzer Kraft die Klobürste in die Fresse. Er kneift die Augen zusammen und verzieht angewidert die Mundwinkel. Aber mehr passiert nicht. Er greift mit dem Arm durch die Lücke und entriegelt die Tür und kommt rein, steht vor mir, ich kann nicht mehr weg. Ich lasse die Klobürste fallen und hebe beide Fäuste. „Komm doch, du Mistsau.“
Er könnte mich locker köpfen, aber tut es nicht, packt mich stattdessen am Kragen und zerrt mich aus der Kabine. Ich schreie und trete und zappele, lasse mich auf den Boden fallen wie ein trotziges Kind. Mit der rechten Hand halte ich mich am Türrahmen fest. Der Wikinger zieht und zieht, aber mein Griff ist eisern. Die Panik gibt mir Kraft. Der Wikinger murmelt wieder und ich denke schon, er gibt auf, da bohrt sich die Axt dicht neben dem Türrahmen in den Boden. Die Fliesen zerspringen. Und dann merke ich, dass sich mein Griff gelöst hat und ich schreie. So laut, dass meine Kehle brennt. Vier meiner Finger rollen vor dem Klo über den Boden. Sie sehen aus wie fette Würmer, aus denen Blut sickert. Gehörten die mal zu mir? Liegen dort Teile von mir? Meine rechte Hand glänzt rötlich und im Rhythmus meines Herzschlags spritzt Blut aus den Stümpfen und während mich der Wikinger wegschleift, ziehe ich eine Blutspur durch das WC. Ich will mich festhalten, aber mit den Stümpfen finde ich keinen Halt. Und dann kommen die Schmerzen und der Schwindel und ich höre meine Schreie nicht mehr.

Als ich wieder zu mir komme, sitze ich auf einem Bürostuhl, bin mit einem Seil an ihn gefesselt. Der Vollmond scheint durchs Fenster; in diesem Büro sieht man ihn in seiner ganzen Pracht. Ansonsten ist es dunkel. Doch das fahle Licht ist hell genug. Steven sitzt auf einem Bürostuhl neben mir, ist ebenfalls gefesselt. Blut klebt auf seiner Stirn. Seine rechte Gesichtshälfte ist mit dunkelroten Striemen überzogen. Vier Wikinger stehen im Halbkreis vor uns, halbnackt und mit schweren Äxten bewaffnet. Mein Angreifer drückt eine blutige Hand gegen seine Rippen und zieht zischend Luft durch zusammengebissene Zähne und bei dem Anblick muss ich lächeln. Das hat er nun davon.
Sigurdur ist auch da. Sie steht zwischen den Wikingern und ist nackt. Ihre Haut ist ganz weiß im Mondlicht und ihre Haare reichen bis zu ihren Brüsten, kleben auf ihnen wie dünne Schlangen. Sie lächelt mir zu, dann sieht sie meine zerhackte Hand und ihr Gesicht wird steinern. Sigurdur sagt etwas Isländisches. Ihre Stimme ist tief und klingt wie das Knarren von Bäumen. Mein Angreifer zuckt mit den Schultern und sagt etwas; es klingt wie eine Entschuldigung.
Steven sagt: „Was soll der Scheiß? Wollt ihr mich verarschen, oder was?“
Sigurdur sieht ihn an, aber nur für eine Sekunde. Sie dreht sich zu einem Wikinger und hält die Hand auf und der Kerl gibt ihr ein Messer.
„Leg das weg. Lass uns doch reden“, sagt er, während Sigurdur auf ihn zugeht. „Ich verstehe gar nichts mehr.“
Sigurdur hebt den Kopf und murmelt etwas, sieht dabei zum Vollmond.
Steven sagt: „Komm, jetzt hör endlich auf mit dem Sche…“
Sigurdur rammt ihm das Messer in den Bauch. Und sie beginnt zu schneiden. Stevens Fleisch schmatzt und er zuckt, als stünde er unter Strom. Er will sich aus dem Stuhl winden, doch die Fesseln halten. Sigurdur schneidet und schneidet und Steven wird immer blasser. Er will etwas sagen, aber ihm entweicht nur ein Gurgeln. Er keucht und jammert, aber nur kurz, die Kraft verlässt ihn schnell.
Ich sage: „Fuck, fuck, was zur Hölle.“ Ich zapple hin und her, vergesse den stechenden Schmerz in meiner rechten Hand. Mein Angreifer kommt auf mich zu und hält mir seine Axt vor die Nase, mein Blut klebt noch daran. Ich verstumme und halte still, während Sigurdur Steven aufschneidet.

Mit aufgerissenen Augen schaut Steven zu. Sigurdur steckt ihre rechte Hand in seinen zerfetzten Bauch und wühlt in ihm herum. Fleisch schmatzt und etwas Glitschiges fällt aus Steven heraus und landet in seinem Schoß und mein Magen verkrampft und ich schmecke Galle. Gleich kotze ich den Wikinger vor mir voll, denke ich noch, und das würde mir nicht einmal missfallen, dann hört er vielleicht auf zu grinsen. Doch dann denke ich nichts mehr, denn Sigurdur packt Stevens Darm und zieht ihn aus ihm heraus. Er glänzt wie ein schmieriger Schlauch. Und Sigurdur hängt ihn sich um, trägt ihn wie eine Halskette und zieht weiter und weiter, ich muss an Würstchenketten denken und da schmecke ich Erbrochenes in meinem Mund, bitter und beißend, und ich schlucke die Kotze runter und gucke weg, starre den Vollmond an, aber das hilft auch nicht, denn Sigurdur stellt sich vor den Mond und reißt die Arme hoch. Ihr nackter Körper glänzt vor Blut und Schleim. Wie ein Neugeborenes. Es stinkt nach Kupfer. Und nach Scheiße, denn der Darm ist an einigen Stellen gerissen und dünnflüssiger Kot tropft heraus.

Die Wikinger fangen an zu summen und schwanken hin und her. Sigurdur hält etwas in der Hand, es sieht aus wie Stevens Leber, und Sigurdur sagt: „Fyrir móður.“ Immer wieder „Fyrir móður.“ Dann beißt sie in die Leber, reißt ein Stück hinaus und kaut es.
Sie dreht sich zu mir und kommt auf mich zu, entblößt ihre weißen Zähne. Fleischfetzten hängen noch dazwischen, und sie sagt: „In dir steckt ein Wikinger.“
Ich räuspere mich und frage: „Wa… Was?“
„Und ich möchte, dass du diesen Krieger in mich spritzt.“
Die Wikinger summen weiter mit tiefen Stimmen.
„Was?“
Sie setzt sich auf meinen Schoß, als wollte sie mich reiten, drückt ihren warmen Schritt gegen meinen und grinst noch breiter. Und sie presst ihre Brüste gegen meinen Körper, weich wie Kissen. „Während einer Vollmondnacht werden die tapfersten Krieger gezeugt. Häuptlinge.“
Steven rutscht vom Stuhl und knallt auf den Boden. Schnell breitet sich eine Lache unter ihm aus. Sigurdur folgt meinem Blick und sagt: „Gräme dich nicht. Er hat seinen Zweck erfüllt. Mutter tauscht nur eins zu eins. Eine alte Seele für eine neue.“
„Mutter? Ich … also …“
Ihr Gesicht kommt meinem nahe und dann küsst sie mich. Der Gestank von Blut und Scheiße steigt mir in die Nase und Sigurdur schmeckt nach Eisen und rohem Fleisch. Ihre Zunge berührt meine und ich zucke, will weg von ihr, aber die Fesseln halten und die Wikinger summen und über Sigurdurs Schulter erblicke ich den Mond und das wird mir alles zu viel. Ich halte still und lasse Sigurdurs Küsse geschehen und schließe die Augen.

Grüne Felder reichen bis zum Horizont. Tau perlt von den Grashalmen und reflektiert das Licht der aufgehenden Sonne. Zerklüftete Berge umranden die Felder, schwarz heben sich die Felsen vom Hellblau des Himmels ab. Qualm entsteigt den Hängen, wirbelt umher und wird vom Wind verweht und zu den Geysiren getragen; Wasser schießt aus der Erde und Dampf überzieht das Land wie dichter Nebel und im Sonnenlicht bilden sich kleine Regenbogen. Es ist still; keine Vögel singen, nirgendwo ist Leben. Da ist nur Erde und Gras und Wasser, älter als Mensch und Tier. In der Ferne rauscht ein Wasserfall; ein Fluss stürzt einen steilen Hang hinab und feine Tropfen stieben empor und benetzen dunkles Gestein. Der Wasserfall ist laut; das Rauschen übertönt das Trommeln tief in der Erde, in den Höhlen hinter dem Schleier aus klarem Wasser.
Die Höhlen reichen bis tief unter die Erde, wo kein Sonnenlicht hingelangt, und das Trommeln wird immer lauter und tiefe Stimmen summen, ein kehliger Gesang erfüllt die kargen Gänge, die vor Urzeiten in den Felsen gehauen wurden. Fackeln erhellen den Gang, Ruß bedeckt die Steine. Männer stehen in einer großen Höhle; die Decke ist in der Dunkelheit nicht auszumachen. Die Männer sind bemalt, blaue Farbe auf Wangen und Stirnen, und sie tragen verdrehte Hörner auf den Köpfen und Blut klebt auf ihren geflochtenen Bärten. Nackte Frauen tanzen im Kreis, halten sich bei den Händen und lächeln und ihre Haare umwehen ihr Gesicht und sie springen im Takt der Trommelschläge auf und ab. Schweiß glänzt auf ihren Körpern.
In ihrer Mitte steht eine große Frau mit blonden Haaren. Sigurdur. Und neben ihr steht noch eine Frau. Ihr Gesicht ist blass und zerzauste schwarze Haare fallen ihr auf die Schultern und sie trägt eine Robe, die so schwarz ist, dass ihr Körper mit der Dunkelheit verschmilzt; es wirkt, als schwebe dort nur ein Gesicht. Ihre Augen sind dunkel und Adern zeichnen sich unter der fahlen Haut ab, pulsieren mit jedem Herzschlag. Die Frau steht reglos da und starrt mich an und ich weiß, wer mich da ansieht. Sigurdurs Mutter. Hel. Und die Männer singen lauter und die Mädchen tanzen schneller.
Sigurdur trägt eine weite Robe, und als sie mich sieht, streift sie die Kleidung ab. Nackt steht sie vor mir, kommt auf mich zu, berührt mich. Ich bin ebenfalls nackt, wie lange schon, das kann ich nicht sagen. Wir legen uns auf die Steine, die seltsam warm sind, und Sigurdurs Haut ist sauber und makellos. Sie duftet nach Weiblichkeit, nach Verlangen. Ich lege meine Hände auf ihren Rücken, spüre die Muskeln unter der weichen Haut, und ich presse Sigurdur an mich und sie küsst meinen Hals. Ihr heißer Atem kitzelt und ich bekomme eine Gänsehaut. Hel sieht zu. Die Männer summen und die Frauen tanzen schneller und schneller. Ein neues Leben für ein altes. Wie gelähmt liege ich da, ich will mich auch gar nicht bewegen. Sigurdur liegt neben mir und streichelt meinen Penis, bis er hart wird, und dann setzt sie sich auf ihn, tief gleite ich in sie. Sigurdur bewegt sanft die Hüfte und atmet erregt. Hel lächelt. Der Vollmond. Ein Häuptling. Ein starker Schwertarm für Ragnarök. Sigurdur wird schneller und meine Hoden kribbeln. Es dauert nicht lange, bis ich aufstöhne und Sigurdurs schweißnassen Körper eng an mich drücke. Die Männer verstummen und die Frauen halten inne. Hel wendet sich ab. Ich spüre Sigurdurs Herzschlag. Dann richtet sie sich auf, sieht mich lange an. „Ich danke dir“, sagt sie und küsst mich. Ihre Lippen schmecken salzig. Ihre Zunge berührt meine, zärtlich und zögerlich, und ich schließe die Augen.

Als ich sie wieder öffne, sitze ich vor meinem PC. Drei verpasste Anrufe wird angezeigt. Ich schaue aus dem Fenster; der Himmel im Osten wird allmählich grau und die Sterne verblassen und der Mond wirkt transparent, so konturlos hängt er zwischen den Wolken. Ich fühle mich, als wäre ich aus einem Albtraum erwacht. Wäre da nicht meine rechte Hand. Die Wikinger haben sie bandagiert und mir was gegen die Schmerzen gegeben, ich merke gar nichts, die Hand pocht nicht einmal. Innere Zufriedenheit erfasst mich; das Gefühl habe ich nur nach erfüllendem Sex.
Steven ist weg, und ich weiß, dass ich ihn nicht wiedersehe. Niemand wird das. Nie. Vermutlich haben die Wikinger seine Leiche mitgenommen, Gott weiß, wohin. Wahrscheinlich verarbeiten sie seine Knochen zu Waffen und machen aus seiner Haut ein Buch. Oder einen Lampenschirm.
Das Telefon klingelt und ich räuspere mich und nehme den Anruf an. „International Service Center.“
„Hallo, Schatz. Bin gerade aufgewacht.“ Sie betont das H und rollt das R. „Wie war die Schicht?“
„Ruhig“, sage ich. „Wie immer.“
„Das ist gut“, sagt Sigurdur. Sie schweigt; ich höre nur das Rauschen der Leitung. Dann sagt sie: „Du, meine Familie hat uns zum Essen eingeladen. Morgen. Kommst du mit?“
„Sicher“, höre ich mich sagen.
„Sehr gut. Mutter wird sich freuen. Sie mag dich.“
„Ich weiß.“
„Da können wir auch die Bombe platzen lassen.“
„Bombe?“
„Na, dass wir schwanger sind.“
„Mhm.“
„Wir sollten uns langsam einen Namen überlegen. Ich finde Ragnar schön, aber da sprechen wir in Ruhe drüber, okay?“
„Okay.“
„Und unseren Urlaub müssen wir auch noch planen. Was hältst du von Paris?“
„Ist schön da.“
„Dann ist es abgemacht. Ich freue mich schon.“
„Ich mich auch.“
„Gut, dann mache ich dir jetzt Pfannkuchen, damit du noch was essen kannst, bevor du dich hinlegst. Bis gleich.“
„Ja.“
„Ich liebe dich“, sagt sie.
„Ich dich auch“, sage ich.
Dann ein Knacken, das Gespräch ist beendet.
Schlafen, ich will einfach nur schlafen. Aber ich bin sicher, dass ich nie wieder erholsamen Schlaf finden werde. Ich zücke mein Handy, mache die Frontkamera an. Mein Gesicht ist bleich und tiefe Ringe umranden meine Augen und meine Lippen sind farblos. Ich lehne mich in den Stuhl zurück und schaue dem Sonnenaufgang zu und warte auf die Frühschicht.

 

Guten Morgen lieber @Steppenläufer

krasse Story! Sie fängt ganz gemächlich an und wird dann immer wilder. Ich mag Deinen Schreibstil und das Kopfkino, das beim Lesen entsteht. Die paar Szenen, in denen es so richtig blutig wird, die hab ich nur überflogen. War etwas zu heftig für mich :D

Hier ein paar Anmerkungen:

Ich frage: „Wie läuft es mit deiner Neuen?“

Könntest du streichen.

Sie trägt ein enges rotes Shirt; es spannt sich über ihren großen Brüsten, und ich bemerke, dass sie keinen BH trägt.

Vorschlag: Sie trägt ein enges rotes Shirt, das sich über den großen Brüsten spannt und ich bemerke, dass sie keinen BH trägt.

Und warum hat Steven so eine heiße Freundin?

Könntest Du streichen.

Der Wind hat die Haare meiner Ex zerzaust.

ihre Haare

So pure und unschuldige Liebe; ich schätze, die hat man nur einmal im Leben. Bis einem das Herz gebrochen wird. Eine Schande.

Oooh. Da leide ich richtig mit. Armer Kerl!

Ich würde gerne die Deckenlampen anmachen, aber das Management hat das untersagt. Mir müssen Strom sparen, hieß es. Der Umwelt und Rechnungen zuliebe.

Das ist ja fies.

Sie ist größer als ich. Sie ist ungeschminkt und ihre Haare sind etwas durcheinander, aber ihr Gesicht strahlt Sanftheit aus, und sie lächelt mir zu.

Vorschlag: Sie ist größer als ich, ungeschminkt, die Haare sind ...

Der Wikinger trägt nur einen Lendenschurz, einen Wolfspelz.

Da musste ich erstmal grinsen. Krasse Vorstellung, das plötzlich so ein Wikinger im Lendenschurz in nem Firmengebäude auftaucht :)

ch lege meine Hände auf ihren Rücken, spüre die Muskeln unter der weichen Haut, und ich presse Sigurdur an mich und sie küsst meinen Hals. Ihr heißer Atem kitzelt und ich bekomme eine Gänsehaut.

Krass, dass er in der Situation da mitmachen kann.

Sigurdur liegt neben mir und streichelt meinen Penis, bis er hart wird, und dann setzt sie sich auf ihn, tief gleite ich in sie.

Das finde ich auch krass. Er hat das Gemetzel miterlebt, wurde selbst verstümmelt und dann poppt er mit ihr :bounce:

Als ich meine Augen öffne, sitze ich vor meinem PC. Drei verpasste Anrufe wird angezeigt. Ich schaue aus dem Fenster; der Himmel im Osten wird allmählich grau und die Sterne verblassen und der Mond wirkt transparent, so konturlos hängt er zwischen den Wolken. Ich fühle mich, als wäre ich aus einem Albtraum erwacht. Wäre da nicht meine rechte Hand. Die Wikinger haben sie bandagiert und mir was gegen die Schmerzen gegeben, ich merke gar nichts, die Hand pocht nicht einmal. Innere Zufriedenheit erfasst mich; das Gefühl habe ich nur nach erfüllendem Sex.

Krass. Ich dachte zuerst, alles wäre nur ein Traum gelesen.
Wirklich ne heftige Story. Ich mag es, dass auch Humor dabei ist.
Dein Protagonist hat mein tiefstes Mitgefühl.

Ganz liebe Grüße und einen schönen Tag,
Silvita

 

Moin @Rob F,

erstmal vielen, vielen Dank für deinen umfangreichen Kommentar. Wow, ich bin beeindruckt; du hast da ja richtige Lektoratsarbeit betrieben. Das hat sicher eine Weile gedauert, und ich weiß das zu schätzen, nochmals danke. Ich habe mir sämtliche Stellen angesehen und entsprechend überarbeitet. :)

Bei der Einleitung deutest du zwar ein wenig an, dass etwas mit Stevens neuer Freundin nicht stimmen könnte. Ich finde es jedoch zu wenig, um damit frühzeitig entsprechend Spannung aufzubauen.

Es beginnt als eher flapsiges Gespräch zwischen zwei Kollegen während einer Nachtschicht, der Horror mit den Wikingern beginnt dann m.E. doch sehr plötzlich.

Das war auch so meine Intention, ein langsamer Aufbau, der sich nach und nach steigert. Ich weiß jetzt nicht, ob der zu langsam geraten ist. Aber ich wollte mich bewusst zurückhalten. Es soll ja wie eine stinknormale Nachtschicht beginnen, ein bisschen Gequatsche über Frauen und Urlaub, aber da sollte auch was anderes mitschwingen. Der Vergleich mit Stevens Aussehen und Dracula, das Gerede über die komische Familie, da wollte ich kleine Anreize setzen. Gerade genug, sodass der Leser weiterlesen möchte. Kann natürlich sein, dass es dem ein oder anderem zu wenig ist. Gemessen an der Länge ist klar, dass noch etwas passieren wird, aber ja, ich sehe mir das nochmal an. Spontan weiß ich jedoch nicht, was ich noch einbauen könnte, um Spannung aufzubauen, ohne zu viel zu verraten; das ist ja bei Horror immer so eine Sache, man hat schon zu viel gesehen und Ähnlichkeiten sind immer irgendwo da, und wenn der Leser erraten kann, was passiert, wäre das mMn für einen Text diese Länge fataler. Da stecke ich gerade ein bisschen in der Zwickmühle. Ich hatte ursprünglich noch eine Szene drin, in der der Prota rausgeht, um zu rauchen, und da geht ein Wikinger an ihm vorbei. Kurzer Blickkontakt, ein unangenehmes Gefühl. Das habe ich dann aber aus Pacing-Gründen rausgenommen, und der Text ist mit 5.500 Wörtern ja eher lang.

Dass da ein Wikinger in sein Büro stolpert, sollte auch so plötzlich sein. Kommt ja auch für den Prot überraschend und den Effekt wollte ich auch bei den Lesern und Leserinnen auslösen. :D Stellt natürlich auch einen Bruch in der Narrative da, von 0 auf 100 in zwei Sätzen. Auch hier könnte ich mehr andeuten, aber ich muss erstmal schauen, ob dabei nicht etwas anderes verlorengeht. Horror ist echt nicht einfach. :(

Also insgesamt unterhaltsamer Horror! Manchmal war ich mir nicht sicher, ob die Sprüche des Protagonisten nicht zu locker sind, bei dem was so passiert (ich weiß, da sitze ich durch die Geschichte "Kurze Pause" im Glashaus, ich erwähne es aber trotzdem :gelb: )
Das höre ich gern, vielen Dank. Ja, ein bisschen Comic Relief (die Stelle mit der Klobürste z. B.) wollte ich auch haben, das wurde mir sonst alles zu düster. Aber das mit Currywurst ist schon mal raus und beim Betreten des Klos während der Wikingerhatz steht jetzt da ein einfaches "Verdammte Scheiße."

Ich erwähne es mal bei diesen beiden Sätzen, an einigen Stellen verwendest du m.E. zu viele "und"
Ach ja, das Wörtchen und. Das ist jetzt mein dritter Text bei den Wortkriegern und das dritte Mal, dass ich das höre. :D Man könne meinen, ich sei in der Hinsicht beratungsresistent, aber ich merke das ehrlich gesagt gar nicht; mein Stil hat sich über die Jahre so entwickelt und ich haue die und links und rechts raus und merke das auch bei der Überarbeitung nicht (außer der Lesefluss leidet darunter). Liegt vielleicht auch daran, dass ich solchen Schreibstilen öfter begegnet bin, vornehmlich in der amerikanischen Literatur. Bei McCarthy etwa. Ich gehe den Text nochmal durch und gucke mir die und an. Aber ist das denn wirklich so störend? Oder schlechter Stil? Das ist bei mir schon so drin. Und es gibt meinen Texten Wiedererkennungswert. :D Aber ich gebe dir natürlich recht, das ist nicht jedermanns Sache.
Die gibt es in Paris bestimmt auch, allerdings auch Straßen, die leider ganz anders "riechen"
Oh ja, die gibt es zuhauf; die Romantik verzerrt hier möglicherweise das Erinnerungsvermögen des Prot. :D
Finde ich eine gute Andeutung, aber wie zu Beginn erwähnt, reicht es für mich nicht, um Spannung zu erzeugen. Hier könnte ja tatsächlich nur ihr Charakter gemeint sein.
Hab jetzt hinzugefügt, dass sie auch nicht mehr mit ihm schlafen will; das verstärkt das Bild evtl. noch und verdeutlicht, dass es ihr einzig um Nachkommen geht
kommt mir bekannt vor ... immer diese Stephen King-Anspielungen
Jaa, da habe ich einige eingebaut (den Kollegen habe ich ja auch nicht grundlos so genannt) und es sind auch noch ein paar andere Anspielungen in dem Text versteckt.

Nochmal vielen, vielen Dank. Ich habe mir alle Stellen angesehn und nach bestem Wissen und Gewissen ergänzt. Und ich bin geschmeichelt; du hast echt einiges an Zeit und Mühe in deinen Kommentar gesteckt und das finde ich einfach klasse. Danke für dein konstruktives Feedback.

Ich wünsche dir einen tollen Tag und bis demnächst

*

Hallo liebe @Silvita,

freut mich sehr, dass du wieder bei mir vorbeischaust. Und vielen Dank für deinen lieben Kommentar. :)

Sie fängt ganz gemächlich an und wird dann immer wilder.
Genau so war es geplant. Freut mich, dass die Rechnung aufgeht.
Die paar Szenen, in denen es so richtig blutig wird, die hab ich nur überflogen.
Jaa, es ist dann doch etwas brutaler geworden, als ich anfangs gedacht habe. Aber so sindse, die Wikinger und ihre Rituale. Obgleich ich mich natürlich nur seeeehr lose an den Bräuchen orientiere (also eigentlich gar nicht). Trotzdem vielen Dank, dass bis zum Ende durchgehalten hast.
Oooh. Da leide ich richtig mit. Armer Kerl!
Ja ja, die Liebe ist ein seltsames Spiel. :D
Da musste ich erstmal grinsen. Krasse Vorstellung, das plötzlich so ein Wikinger im Lendenschurz in nem Firmengebäude auftaucht
Das war auch ein Grund für die Wahl des Settings. Habe ich so nämlich auch noch nirgends gelesen/gesehen und das kam mir auch so abstrus vor, das musste ich einfach so machen. :D
Das finde ich auch krass. Er hat das Gemetzel miterlebt, wurde selbst verstümmelt und dann poppt er mit ihr
Hmm, ja, da ist der Prot natürlich in einer Vision gefangen. Er ist da ja gesund, Sigurdur ist auch sauber. Es wird dem Prot so angenehm wie möglich gemacht und Sigurdur geizt ja auch nicht mit Reizen. Wie die Sexszene tatsächlich aussieht, überlasse ich mal den Lesern. Denn der Prot sitzt ja eigentlich noch auf dem Bürostuhl und, naja, Sigurdur vergewaltigt ihn.
Wirklich ne heftige Story. Ich mag es, dass auch Humor dabei ist.
Dein Protagonist hat mein tiefstes Mitgefühl.
Ja, Humor war mir bei alldem Blut und Geschrei auch wichtig, so als kleines Gegengewicht, um den Leser nicht völlig runterzuziehen. Und der Prot ist schon eine arme Sau, das stimmt. Der wird Sigurdur auch erstmal nicht mehr los ... und auch ausgesaugt (wie Lucy vom guten Dracula), nur dass Sigurdur nicht sein Blut will ... :D

Ich habe mir die Stellen angesehen, die du angemerkt hast, und ausgebessert. Vielen Dank für die hilfreichen Hinweise.

Ich hoffe, du hast einen schönen Tag, trotz des blutigen Starts. Bis bald

 

Lieber @Steppenläufer

freut mich sehr, dass du wieder bei mir vorbeischaust. Und vielen Dank für deinen lieben Kommentar.

Gern geschehen

Jaa, es ist dann doch etwas brutaler geworden, als ich anfangs gedacht habe. Aber so sindse, die Wikinger und ihre Rituale. Obgleich ich mich natürlich nur seeeehr lose an den Bräuchen orientiere (also eigentlich gar nicht). Trotzdem vielen Dank, dass bis zum Ende durchgehalten hast.

Grins. Ich bin da auch ziemlich zartbesaitet, was blutige Szenen angeht. :D

Ja ja, die Liebe ist ein seltsames Spiel.

Ich weiß :)

Das war auch ein Grund für die Wahl des Settings. Habe ich so nämlich auch noch nirgends gelesen/gesehen und das kam mir auch so abstrus vor, das musste ich einfach so machen.

Das stimmt und das macht es sehr interessant

Hmm, ja, da ist der Prot natürlich in einer Vision gefangen. Er ist da ja gesund, Sigurdur ist auch sauber. Es wird dem Prot so angenehm wie möglich gemacht und Sigurdur geizt ja auch nicht mit Reizen. Wie die Sexszene tatsächlich aussieht, überlasse ich mal den Lesern. Denn der Prot sitzt ja eigentlich noch auf dem Bürostuhl und, naja, Sigurdur vergewaltigt ihn.

Klar, der Prot weiß da weniger als der Leser :D Armer Kerl!

Ja, Humor war mir bei alldem Blut und Geschrei auch wichtig, so als kleines Gegengewicht, um den Leser nicht völlig runterzuziehen. Und der Prot ist schon eine arme Sau, das stimmt. Der wird Sigurdur auch erstmal nicht mehr los ... und auch ausgesaugt (wie Lucy vom guten Dracula), nur dass Sigurdur nicht sein Blut will ...

Das finde ich super :thumbsup:

Ich habe mir die Stellen angesehen, die du angemerkt hast, und ausgebessert. Vielen Dank für die hilfreichen Hinweise.

Ich hoffe, du hast einen schönen Tag, trotz des blutigen Starts. Bis bald


Gern geschehen.

Vielen Dank, auch dir einen schönen Tag.
LG silvita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Steppenläufer,

das Intro, die beiden Prots und dieses RTL-Gequatsche (Irgendwas mit einer schwarzhaarigen Alten), das ging mir ein bisschen auf die Nerven. Die zweite Hälfte mit den Wikingern war schon recht irre, auch spannend, die Verfolgungsjagd durchs Bürohaus.

Deiner ersten Antwort entnehme ich, dass du bei allem Witz und aller Ironie schon auf Horror hinauswillst. Dafür ist das natürlich alles schon sehr grotesk. Die Vorstellung an sich, von Wikingern durchs Büro gejagt zu werden ... klar ist es super, dass es mal keine Zombies sind, aber für ein wirklich beklemmendes Gefühl ist das natürlich echt schräg; Comic Relief, wie du in anderem Zusammenhang sagst, aber quasi Comic Relief als Prämisse der ganzen Geschichte.

Du bezeichnest die Klobürsten-Szene als kurzes Aufatmen, die ist aber so drüber (versteh mich nicht falsch, ich finde die lustig), drumherum kann man nichts ernst nehmen. Stell dir die in Der Exorzist vor. Unmöglich. Passen würde sie in sowas wie Dead Snow, was gar nicht den Anspruch erhebt, ernst genommen zu werden.

Große Kunst ist für mich, wenn bei aller Blödelei dann trotzdem zumindest eine Szene oder ein Absatz es schafft, herauszustechen: durch Tragik, Grusel, irgendwas anderes. Stevens Tod wäre hier die Gelegenheit, der wird vom Prot aber recht lapidar kommentiert. Wenn der Ton zumindest an dieser einen Stelle mal etwas weniger locker wäre, könnte die Geschichte dadurch glaube ich etwas nachhaltiger im Kopf bleiben.

Wiederholungen ignorieren, @Rob F. ist ja recht lang, ich hab keinen Bock, alles nochmal auf Dopplungen abzugleichen.

sage ich und setze mich vor meinen Computer und mache ihn an.
sage ich, setze mich vor meinen Computer und mache ihn an.

Ja, Mann.
Diese Testosteron-Dialoge gehen mir auf den Senkel, machen die Figuren zumindest für mich nicht sympathisch.

ich die Augenringe und die Lippen
Die Erklärung folgt, aber es klingt halt zuerst, als sollte man Lippen normalerweise nicht im Gesicht tragen.

Ich lese nebenbei Dracula und frage mich, warum niemandem auffällt, dass Lucy wochenlang vom Grafen ausgesaugt wird.
Das kommt vom nebenbei lesen. Das fällt, soweit ich mich erinnere, durchaus auf, dass sie krank ist, nur auf den Trichter mit dem Vampir kommt erstmal keiner - und wie auch?

Nee, mit meinen Homies. Ein paar Bier kippen und ein paar Mietzen aufreißen.
Die Dialoge klingen teilweise so oberflächlich mit dem Holzhammer.

"Klar, blasen dir einen hinter ner Hecke, schieben eine schnelle Nummer am Strand. Machen’s dir sogar ohne Gummi, schwöre.“
Verwechselt er Malle nicht irgendwie mit someplace Südostasien oder Osteuropa?

Der Wind hat die Haare meiner Ex zerzaust.
Beim zweiten Mal würde ich einen Namen benutzen.

Auf dem Dach der Welt haben wir uns geküsst und der Lärm der Stadt war ganz weit weg und die ganzen Touristen nur Statisten und die Welt bloß die Kul

ob ich je wieder sowas erleben werden.
werde

So pure und unschuldige Liebe; ich schätze, die hat man nur einmal im Leben. Bis einem das Herz gebrochen wird.
Das gleitet ein bisschen in den Kitsch ab.

Krakenwesen, das im Pazifik entdeckt wurde und irgendeiner Gottheit ähnelt,
Jetzt geht's los!

„Sehr … sehr erfreut.“
Sagt kein Mensch.

labert nur oberflächlichen Scheiß, ist ein Arschloch
Ah, er sieht das also auch so.

Er ist riesig und bärtig
Die ständige Wdh. von "der Wikinger" in diesem Absatz nervt.

Blut spritzt an die Wand, zieht ein Spritzmuster über die Tapete. Ich muss an Ketchup denken, das auf einer Currywurst verteilt wird.
Ein bewegender Vergleich.

und jederzeit könnten Wikinger herausströmen, brüllend und nach meinem Blut lechzend. Mit Äxten scharf genug, um mich zu zerhacken.
Ich finde alles nach dem Komma verzichtbar, Partizipien sollte man eh meiden. Und dieses mit der Axt klingt, als würde der Leser da von allein nicht drauf kommen.

Ich sitze auf der Toilette wie ein Gargoyle
Wasserspeier

und ich schmettere ihn mit ganzer Kraft die Klobürste in die Fresse. Bräunliche Brocken kleben ihm an der Nase und er kneift die Augen zusammen und verzieht angewidert die Mundwinkel.
ihm / Es ist ja längst klar, dass mehr Humor als Horror geboten wird, und ich fand das Bild, panisch mit der Bürste als Waffe in der Hand auf der Toilette zu kauern, auch ganz witzig. Danach schießt es dann für mich übers Ziel hinaus, wird sehr pubertär.

Vier Wikinger stehen im Halbkreis vor uns. Halbnackt und mit schweren Äxten bewaffnet.
Komma statt Punkt fließt besser. Und "halbnackt" kann ja auch ziemlich viel sein.

Ihre Haut ist ganz weiß im Mondlicht und ihre Haare reichen bis zu ihren Brüsten, kleben auf ihnen wie dünne Schlangen. Sie lächelt mir zu, dann sieht sie meine zerhackte Hand und ihr Gesicht wird steinern.
Irgendwie ist das sprachlich nicht ganz einheitlich. "Haut ist ganz weiß" und "zerhackte Hand" sind recht plump und umgangssprachlich, dann die Metapher mit den dünnen Schlangen. Als würden unterschiedliche Leute sprechen.

Ihre Stimme ist tief und klingt wie das Knarren von Bäumen in einem uralten Wald.
Wo ich gerade dabei hin, hier auch. Das passt nicht zum Bild, das man sonst von diesem Erzähler hat, zu poetisch. Das Problem hat man glaube ich oft bei Ich-Perspektive.

Ist das ein Streich, oder was?
Jetzt habe ich gerade einen Lauf. Der Steven am Anfang ist mega prollo darüber, was er auf Malle schon alles an Schlampen weggeknallt hat. Der sagt nicht: Da spielt mir doch wohl so ein Halunke einen Streich!

denn der Darm ist an einigen Stellen gerissen und dünnflüssiger Kot tropft heraus.
Ich bin hin- und hergerissen, meine "Too much"- Anmerkung von vorhin zu wiederholen. Auf der anderen Seite überdrehen Gewalt und Gross out hier natürlich dermaßen, dass es schon wieder passt (Warum ist der Stuhl nicht fest?).

vielleicht Stevens Leber, so genau will ich das gar nicht wissen,
Mit sowas geht die Story natürlich komplett in den Klamauk. Wenn's so sein soll, okay, aber das killt Spannung, wenn das Sterben lustig ist. Steht ja nichts auf dem Spiel.

und sie tragen verdrehte Hörner auf den Köpfen und Blut klebt auf ihren geflochtenen Bärten. Und nackte Frauen tanzen im Kreis
Das "Und" am Satzanfang ist überflüssig.

Wahrscheinlich verarbeiten sie seine Knochen zu Waffen und machen aus seiner Haut ein Buch. Oder einen Lampenschirm.
Bei Lampenschirmen aus Haut denken viele glaube ich eher an Ed Gein, die meisten an KZ. Die Wikinger ... hatten die Lampen mit Schirmen? Wohl eher offenes Feuer.

Viele Grüße
JC

 

Moin @Rob F,

Ist ja auch eine unterhaltsame Geschichte, bei der man merkt, dass du entsprechend Arbeit investiert hast.
Das höre ich gerne, und wenn sich die Leser unterhalten fühlen, ist das die ganze Arbeit mehr als wert. Deswegen tun wir das ja, und da freut mich umso mehr, dass dir meine Winkingerstory gefallen hat. :)

Ich würde nur allgemein darauf achten, dass die mit "und" verbundenen Inhalte auch zueinander passen.
Ja, da hast du natürlich recht, so verhält es sich ja auch mit dem Komma. Extrem formuliert kann man natürlich sagen, dass sich viele Kommata durch und ersetzen lassen und umgekehrt; da spielt sicherlich oft der eigene Geschmack eine wichtige Rolle. Solange der Lesefluss erhalten bleibt, bin ich jedoch ganz zufrieden, obgleich ich bei der Überarbeitung meiner Texte verstärkt darauf achten werden, nicht allzu viele und in einen Satz zu knallen.

Ich wünsche einen schönen Abend und hoffe, du kommst gut in die neue Woche (und den erneuten Lockdown).

Bis bald

*

Moin @Proof,

ich bedanke mich für deinen umfangreichen und ehrlichen Kommentar; er hat einige Denkanstöße geliefert.

das Intro, die beiden Prots und dieses RTL-Gequatsche (Irgendwas mit einer schwarzhaarigen Alten), das ging mir ein bisschen auf die Nerven. Die zweite Hälfte mit den Wikingern war schon recht irre, auch spannend, die Verfolgungsjagd durchs Bürohaus.
Es gibt tatsächlich einige Leute, die so reden; auch während der Arbeit begegnet mir sowas schon mal. Und ich weiß, dass der Text total drüber ist. Steven ist ein Arsch (der war in meiner Erstfassung noch viel schlimmer, vor allem was die Wortwahl angeht und ich habe ihn etwas ... weniger forsch gemacht), Sigurdur ist auch komplett überzeichnet und die Action ist explizit und der Humor abstrus. Nichts anderes wollte ich aber auch schreiben; Horror, der sich selbst nicht ernst nimmt. Hier die richtige Balance zwischen Humor und Horror zu finden, ist echt schwer, und ich weiß nicht, ob sie gelungen ist, das hängt stark von den jeweiligen Szenen ab. Ich muss mir die Szenen nochmal anschauen und abwägen, was getan werden kann, damit die Balance stimmt. Beklemmung war eher weniger mein Ziel, eher ein bisschen Ekel, das Absurde, ein paar Schmunzler hier und da.

Große Kunst ist für mich, wenn bei aller Blödelei dann trotzdem zumindest eine Szene oder ein Absatz es schafft, herauszustechen: durch Tragik, Grusel, irgendwas anderes. Stevens Tod wäre hier die Gelegenheit, der wird vom Prot aber recht lapidar kommentiert.
Der Stelle werden ich ganz besonderes Augenmerk widmen und die nochmal überarbeiten. Ein bisschen Tragik darf es dann schon sein. Challenge accepted, wie man so schön sagt. :D

Stell dir die in Der Exorzist vor. Unmöglich. Passen würde sie in sowas wie Dead Snow, was gar nicht den Anspruch erhebt, ernst genommen zu werden.
Jaa, so bierernst wollte ich nicht sein und das war auch nicht meine Intention mit dem Text. Da sehe ich mich dann doch eher bei Dead Snow. :D Wie gesagt, eine angenehme Balance aus Komik und Ekel mit einer Prise verrückter Charkaktere. Der Prollo-Steven, die mordende Sexbombe Sigurdur und die Wikinger, die kaum besser sind als blutrünstige Tiere.

Die Stellen, die du angesprochen hast, habe ich mir angesehen und überarbeitet. Vielen Dank für die konstruktiven Anmerkungen.

Bei Lampenschirmen aus Haut denken viele glaube ich eher an Ed Gein, die meisten an KZ. Die Wikinger ... hatten die Lampen mit Schirmen? Wohl eher offenes Feuer.
Ja, an Ersteren habe ich auch gedacht, so lieferte er ja u. a. die Inspriation für Filme wie The Texas Chain Saw Massacre. Sollte einfach eine kleine Anspielung auf diesen Horrorklassiker sein; davon sind ja doch einige im Text versteckt. :D

Ich wünsche einen schönen Abend und einen noch schöneren Start in die Woche

 

Hi @Steppenläufer

Eine längere Geschichte, die sich gut lesen lässt. Dein Schreibstil ist flüssig und ich bin bisher nirgends gestockt (beginne diesen Kommentar zu schreiben, nachdem ich ca. die Hälfte der Story gelesen habe). Ich weiss noch nicht, auf was die Geschichte hinausläuft, deshalb kommt mein Fazit ganz am Schluss. Zuerst einmal ein paar Anmerkungen:

Ich betrete das Büro. Steven sitzt schon an seinem Platz und sagt: „Moin.“ Vor ihm flimmert der Monitor.
„Moin“, sage ich, setze mich vor meinen Computer und mache ihn an. Es piept. Ich lege Portemonnaie, Hausschlüssel und Zugangskarte auf den Schreibtisch. „Bereit für eine weitere Nachtschicht voller Spiel, Spaß und Spannung?“, frage ich.
„Wie verrückt“, sagt Steven. „Hab nur drei Stunden gepennt.“
„Scheiße. Aber ich hab Karten mitgebracht“, sage ich. „Können ja ein bisschen spielen. Da bleiben wir wenigstens wach.“
Steven gähnt. „Mal sehen. Bin nicht so auf der Höhe.“
Ich stöpsele mein Headset ans Telefon. „Was denn los?“
„Weiß nicht. Hab komisch geträumt.“
„Wovon?“
„Weiß nicht mehr. Irgendwas mit einer schwarzhaarigen Alten.“
Ich grinse. „War sie nackt?“
Steven grinst auch. „Fick dich.“
„Wie läuft es mit deiner Neuen?“
„Ganz gut. Ist echt ne Süße.“
„So?“
„Ja, Mann.“ Er lehnt sich in seinen Bürostuhl zurück und streckt das rechte Bein aus und zieht sein Handy aus der Hosentasche. Das Display wirft blasses Licht auf sein Gesicht und da bemerke ich die Augenringe. Und die Lippen. So farblos, als wäre kein Blut mehr darin. Als ich danach fragen will, sagt er: „Hier, guck. Ist sie nicht geil?“
Er hält mir sein Handy hin. Eine blonde Frau steht da, schlank und groß. Sie schaut in die Kamera mit halb geschlossenen Augen und leicht geöffnetem Mund. Wie ein Model. Ein enges rotes Shirt spannt sich über ihre großen Brüste, und ich bemerke, dass sie keinen BH trägt. Ich starre auf ihre Nippel, wohlgeformte Kreise unter rotem Stoff. „Sieht gut aus.“
„Ja, oder?“, fragt Steven.
„Wo kommt sie nochmal her? Norwegen?“
„Island. Die Braut heißt Sigurdur.“ Steven steckt sein Handy wieder weg und sagt: „Gestern war ich bei ihrer Familie und …“ Das Telefon klingelt. „International Service Center“, sagt Steven.
Während er mit dem Kunden redet, starte ich alle Programme und logge mich ein. Ruft eh niemand an. Wenn ich Glück habe, kriege ich diese Nacht fünf Anrufe rein. Warum hat Steven so eine heiße Freundin? Ich starre auf meine Tastatur. Ich könnte auch mal wieder. Pralle Brüste anfassen, warme Haut auf meiner spüren, weiche Lippen küssen; das ist alles schon so lange her. Ich gucke aus dem Fenster und sehe den Vollmond über den Gebäuden. Links und rechts hängen Wolken wie milchige Stofffetzen.

Stevens Gespräch ist zu Ende und er klickt sich durch das Programm, setzt dann sein Headset ab, und während er hier und da Haken setzt und einen Auftrag ins System einpflegt, sagt er: „Jedenfalls war ich bei ihrer Familie. Die sind vielleicht komisch.“
„Wieso?“, frage ich.
„Die Männer sind bärtig und riesig, die Frauen schlank und wunderschön. Und alle sind tätowiert. Raben, Totenköpfe, all sowas.“
„Ist vielleicht was Kulturelles.“
„Vielleicht.“
„Und Sigrid?“
„Sigurdur.“
„Von mir aus“, sage ich. „Hat sie Tattoos?“
„Nein, nicht mal was Winziges. Und ich habe überall nachgeschaut.“ Er grinst.
Ich grinse auch, aber nur halbherzig, ich will nicht an nackte Frauen denken. „Na, kommt vielleicht noch.“
„Sie kann machen, was sie will. Und wenn mir das Tattoo nicht gefällt, such ich mir halt ne andere.“
„Sie ist also nicht die Frau fürs Leben?“
„Nicht so wirklich.“ Er lehnt sich zurück und verschränkt die Arme, schaut an die Decke, während er redet. „Sie ist so still. Und sie lacht kaum. Ich glaube, Isländer haben keinen Humor. Hättest ihre Familie mal sehen sollen. Haben alle ne Fresse gezogen, das ist unglaublich.“
„Hm. Hab oft gelesen, dass Skandinavier eher verschlossen sind.“
„Aber doch nicht so“, sagt Steven. „Mit denen kann man ja gar nichts anfangen. Sigurdurs Mutter war aber leider nicht da gestern, die hätte ich gerne mal gesehen. Abchecken, ob Sigurdur mit fünfzig immer noch fresh aussieht, weißte? An den Müttern kann man das ja so ein bisschen abschätzen.“
„Dachte, sie ist nichts für länger?“
„Schon, aber interessiert mich trotzdem.“
Ich schaue zum Vollmond. „Na, abwarten. Die siehst du bestimmt noch.“
Dann schweigen wir. Ab und zu klingelt das Telefon. Die Computer brummen und die Klimaanlage rattert. Die Zeit vergeht langsam. Ich lese nebenbei Dracula und frage mich, warum niemandem auffällt, dass Lucy wochenlang vom Grafen ausgesaugt wird.
Steven steht auf und stellt sich hinter seinen Bürostuhl, streckt sich, legt dann beide Unterarme auf die Rückenlehne. „Ich brauche Urlaub.“
Ich frage: „Mit Sigrund?“
„Sigurdur.“
„Mein ich doch“, sage ich. „Kannst ja mit ihr nach Island.“
Steven schnaubt. „Was soll ich denn da? Da friere ich mir den Arsch ab. Und da regnet es ständig. Und da wohnt keine Sau. Nee, lass mal. Ich dachte eher an Malle.“
„Malle?“, frage ich. „Mit deiner Freundin?“
„Bist du verrückt?“, fragt Steven. „Mit der hätte ich da überhaupt keinen Spaß. Nee, mit meinen Homies. Ein paar Bier kippen und ein paar Mietzen aufreißen. Die fliegen da auf Deutsche, glaub ma. Für nen Zwanni kannste alles mit denen machen.“
„Echt?“
„Klar, blasen dir einen hinter ner Hecke, schieben eine schnelle Nummer am Strand. Machen’s dir sogar ohne Gummi, schwöre.“
„Und wenn du eine schwängerst? Was dann?“
„Passiert mir schon nicht.“
„Das sagen sie alle.“
„Nee“, sagt Steven. „Kann mir wirklich nicht passieren. Wollte mal Samen spenden. Ein paar Euro neben dem Studium, weißte. Der Arzt da hat meine kleinen Soldaten untersucht und gesagt, die schwimmen zu langsam. Mein Sperma ist verkrüppelt, oder so. Schwängern ist nicht drin.“
„Ach du Scheiße, das wusste ich ja gar nicht.“
„Woher denn auch?“ Er mustert mich, bemerkt meinen besorgten Blick und lacht. „Keine Sorge, ich find’s gut. Will eh keine Kinder.“
„Aber vielleicht in zehn Jahren“, sage ich.
„Wenn die Welt noch voller und das Klima noch beschissener ist? Nein, danke.“
Ich nicke. Er hat schon irgendwie recht. „Weiß Sigdruna davon?“
„Sigurdur. Und ja, ich habe es ihr gestern erzählt. Haben nach dem Familientreffen darüber geredet. Im Auto. Hat mich gefragt, ob ich mir auch Kinder vorstellen kann und da hab ich ihr’s erzählt.“
„Und?“
„Was und?“
„Was hat sie dazu gesagt?“
„Nichts. Wie gesagt, sie redet nicht viel. Hat es einfach hingenommen. Aber komisch war es schon. Sie war danach noch kälter als sonst. Wollte auch nicht mit mir schlafen.“

Das klingt jetzt vielleicht etwas hart, aber: Dieses ganze anfängliche, proletische Gelaber unseres Hobby-Machos kannst Du getrost weglassen, finde ich. Es gibt der Geschiche nichts und ich fand es langweilig zu lesen. Man muss nur genug oft mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren oder den Fernseher zur falschen Zeit anschalten und kann ständig solche vorpubertären Gespräche mit anhören. Nein, das hat mich gar nicht angesprochen. Wenn wenigstens etwas Humor zwischen die Zeilen gestreut worden wäre ... Das der Prota den Namen von Stevens neuer Flamme immer wieder falsch ausspricht, fand ich ebenfalls etwas nervig, so schwierig ist der Name nicht und es wirkt etwas aufgezwungen bzw. der Prota bescheuert, dass er es auch nach dem dritten Mal noch nicht auf die Reihe kriegt. Der Beginn war zumindest flüssig zu lesen, dass will ich beim ganzen Gemotze doch positiv hervorheben.

Stattdessen würde ich die relevanten Informationen aus dem oben zitierten Abschnitt rausfiltern und später irgendwo einbauen, wenn nötig. Einsteigen in die Geschichte würde ich direkt hier:

Steven klickt sich durchs Internet, guckt sich Videos über teure Flitzer auf YouTube an.
Der Grundriss des Gebäudes ist quadratisch. Vier gleichlange Flure, von denen die Büroräume abgehen. Ich betrete den Flur und schließe die Tür zu Büro 237 hinter mir, unser Nachtschichtbüro. Es ist dunkel in den Fluren und alle anderen Büroräume sind leer. Wir sind die einzigen hier. Ich gehe zum Klo. Der Filzteppich dämpft meine Schritte, während ich an leeren Zimmern vorbeigehe; bei manchen steht die Tür offen und ich blicke hinein, kann aber nichts erkennen. Da sind nur Schatten und Mondlicht. Ich gehe weiter den Flur entlang und die einzige Lichtquelle sind die Notausgangsschilder. Sie werfen grünliches Licht an Wände und Boden. Ich würde gerne die Deckenlampen anmachen, aber das Management hat das untersagt. Wir müssen Strom sparen, hieß es. Der Umwelt und Rechnungen zuliebe.
Dieser Abschnitt fügt ebenfalls nichts Relevantes zu der Geschichte hinzu, sagt er doch lediglich aus, dass der Prota durch die dunklen Bürogänge aufs Klo geht. Passieren tut aber rein gar nichts, unheimlich ist es ebenfalls nicht. Also was willst Du mit diesem Abschnitt erreichen? ;)Dient der rein zu atmosphärischen Zwecken? Aber auch dann: Der Prota geht später nochmal aufs Klo, das würde doch reichen, die Bilder aus diesem Abschnitt dann gleich dort zu verarbeiten.

Da sind wieder Schritte. Ganz ruhig, das wird nur Steven sein. Doch die Schritte sind laut, selbst auf dem Teppich. Als trüge die Person schwere Stiefel. Ich höre tiefen und gleichmäßigen Atem und drehe mich um, starre in die Schwärze jenseits der Tür und sehe einen Schatten, der immer größer wird und bald den Türrahmen ausfüllt, und ich erkenne, dass ich hier nicht mehr rauskomme. Ich öffne den Mund, will schreien, da stürmt ein Wikinger in mein Büro und ich verschlucke mich an meinem Speichel.
Boah, aber hier scheint es richtig loszugehen und die Geschichte an Fahrt aufzunehmen. Der letzte Satz mit dem Wikinger hat mich dann doch überrascht bzw. sogar etwas überrumpelt. Mit sowas habe ich nicht gerechnet, vor allem wegen des bisher sehr zahmen Verlaufs der Geschichte. Aber schön: Endlich passiert etwas (Aussergewöhnliches)! :cool:

Er ist riesig und bärtig und seine schwarzen Haare sind geflochten und reichen ihm bis zu den Nieren.
Für mein Empfinden etwas zuviel "und" in einem Satz. Das die Haare ihm bis zu den Nieren reichen, kann man natürlich so schreiben, ich hätte wohl eher "bis zum Bauch" oder so gewählt.

Sein Oberkörper ist beharrt und volltätowiert. Bäume und Schädel und Raben, deren Flügel aussehen wie Klingen. Der Wikinger trägt nur einen Lendenschurz, einen Wolfspelz. Der Schädel des Viehs schwingt bei jedem Schritt hin und her wie ein riesiger Penis mit Fangzähnen. In der rechten Hand hält er eine Axt. Die Klinge ist schartig und rostig und bevor ich mich über die Erscheinung vor mir wundern kann, holt er mit der Axt aus.
Ich weiche einen Schritt zurück und die Axt knallt vor mir in den Schreibtisch. Holz splittert und landet auf der Tastatur. Der Wikinger grunzt. Er stinkt nach Schweiß und brennenden Ästen und salzigem Stein. Beim Ausweichen verliere ich das Gleichgewicht und muss mich an dem Schreibtisch festhalten; dabei stößt meine Hand gegen einen Brieföffner und ich packe ihn, und bevor der Wikinger die Axt aus dem Tisch ziehen kann, stürze ich vor, quieke dabei wie ein Kind und ramme ihm den Brieföffner zwischen die Rippen.
Der Hüne brüllt. So laut und tief, dass mir die Eingeweide vibrieren. Er fasst sich an die Wunde, Blut strömt über seine Finger und tropft auf den Schreibtisch. Rote Flecken auf weißem Holz. Ich starre, dann reiße ich mich los und dränge mich an dem Wikinger vorbei, der gerade den Brieföffner aus sich zieht. Blut spritzt an die Wand, zieht ein Spritzmuster über die Tapete. Ich renne in den Flur.
1. Das schwarz Markierte finde ich super, musste lachen!
2. Scheinst ein Und-Fetischist zu sein ;)
3. Vorher hast Du den Prota eher als ängstlich beschrieben (dass er sich schon fast vor dem Schatten in der Dunkelheit in die Hose macht z.B.) und dann plötzlich schlägt er so vehement zurück? Reagiert so schnell und abgeklärt, dass er dem Wikinger einen Brieföffner zwischen die Rippen stecken kann? Sorry, kaufe ich deinem Prota in diesem Moment nicht richtig ab.
4. Spritzt das Blut des Wikingers wirklich dermassen heftig an die Wand? Ein Brieföffner fügt einem menschlichen Körper doch eher eine einfache Stichwunde zu, aus der das Blut fliesst und nicht spritzt. Vielleicht kenne ich mich aber auch zu wenig mit Anatomie aus und er hat zwischen den Rippen irgendeine super lebenswichtige Hauptschlagader getroffen ...

Die Gänge sind immer noch dunkel. Ich laufe an offenen Büros vorbei. Die Türen gleichen schwarzen Mäulern. Jederzeit könnten Wikinger herausströmen. Mit jeder passierten Tür zittere ich stärker. Ich komme am Eingang vorbei und sehe, dass der Schalter für die Zugangskarte zerstört ist. Ich komme hier nicht mehr raus. „Nein, nein, fuck.“ Tränen kullern über meine Wangen. Ich kann nicht raus und weiterlaufen kann ich auch nicht, würde ja ohnehin nur im Kreis rennen. Und früher oder später in den Armen des Wikingers landen. Oder eines anderen.
Wieso geht er automatisch davon aus, dass noch mehrere Wikinger im Bürogebäude sein könnten? Ist das eine Schockreaktion? Am Schluss schreibst Du gar "Oder eines anderen". Das klingt als könnten sich noch weitere Schrecken im Gebäude aufhalten ... Woher weiss er das? Dann habe ich oben noch das fett-kursive Wort eingefügt. Passt m.M.n. so besser.

Der Wikinger rammt erneut die Axt ins Holz und murmelt etwas Isländisches.
Woher weiss der Prota, dass es sich um Isländisch handelt? Er spricht diese Sprache doch nicht.

Das Holz gibt unter den Axtschlägen nach und Splitter fliegen mir ins Gesicht und ich schließe die Augen, um nicht geblendet zu werden. Als ich sie wieder öffne, hat der Wikinger eine Lücke in die Tür geschlagen und starrt mich an und grinst. Seine Zähne sind dunkelgelb und krumm und seine Augen haben die Farbe von Eis. Er presst sein Gesicht in die Lücke, das Holz umrahmt seinen Kopf wie bei einem Porträt, und der Wikinger murmelt wieder etwas Unverständliches, und ich schmettere ihm mit ganzer Kraft die Klobürste in die Fresse.
Und, und, und ... Hier will der Text natürlich spannend sein und Hektik verbreiten, da alles Schlag auf Schlag geht, verkommt dadurch aber zur Aufzählung und verliert den Effekt. Diesmal steht da auch: "der Wikinger murmelte wieder etwas Unverständliches", müsste ja dann konsequenterweise lauten: "der Wikinger murmelte wieder etwas Isländisches" ...

„Komm doch, du Mistsau.“
So angriffslustig? Das bricht wieder mit dem sonstigen Verhalten des Protas bzw. den momentanen Gefühlen, die der Prota empfindet. Oder ist das die pure Verzweiflung, die da aus ihm spricht?

Gehörten die mal zu mir? Liegen dort Teile von mir?
Doppelt gemoppelt. Würde eine der beiden Fragen ersatzlos streichen.

Steven sagt: „Was soll der Scheiß? Wollt ihr mich verarschen, oder was?“
Klingt in meinen Ohren fast so, als wäre alles nur ein Spiel. Zumindest klingt es nicht ängstlich oder eingeschüchtert, sondern mehr überrascht als alles andere.

„Leg das weg. Lass uns doch reden“, sagt er, während Sigurdur auf ihn zugeht. „Ich verstehe gar nichts mehr.“
Hier schon etwas mehr Angst, aber da er das ganz gewöhnlich sagt, wird es auch wieder abgeschwächt. An dem "Ich verstehe gar nichts mehr." habe ich mich auch etwas gestört, sagt er das wirklich laut, in dieser Situation? Kann schon sein, ist wohl überfordert. Wird aber zu wenig klar dargestellt.

Sigurdur rammt ihm das Messer in den Bauch. Und sie beginnt zu schneiden. Stevens Fleisch schmatzt und er zuckt, als stünde er unter Strom.
Die ersten beiden Sätze kombinieren. Einfach Punkt weg und das "Und" kleinschreiben, klingt besser. Sein Fleisch schmatzt? Ist er dick? Gar fett? Ansonsten kann ich nicht wirklich nachvollziehen, dass sein Fleisch sowas wie ein schmatzendes Geräusch verursachen kann ...

Er will sich aus dem Stuhl winden, doch die Fesseln halten. Sigurdur schneidet und schneidet und Steven wird immer blasser. Er will etwas sagen, aber ihm entweicht nur ein Gurgeln. Er keucht und jammert, aber nur kurz, die Kraft verlässt ihn schnell.
Okay, jetzt wird das Ganze etwas blutiger. Hätte mir da eine Splatter-Einlage gewünscht, würde auch gut in die Geschichte passen. Das ist zu distanziert geschrieben, schliesslich sitzt der Prota nebendran und bekommt alles aus der ersten Reihe mit.

Ich sage: „Fuck, fuck, was zur Hölle.“
Reaktion zu generisch. Ist mir auch schon vorher aufgefallen, wenn es richtig brenzlig wird, ist dies die einzige Reaktion des Protas, einfach dieses "Fuck, fuck, fuck."

Mit aufgerissenen Augen schaut Steven zu. Sigurdur steckt ihre rechte Hand in seinen zerfetzten Bauch und wühlt in ihm herum. Fleisch schmatzt und etwas Glitschiges fällt aus Steven heraus und landet in seinem Schoß und mein Magen verkrampft und ich schmecke Galle. Gleich kotze ich den Wikinger vor mir voll, denke ich noch, und das würde mir nicht einmal missfallen, dann hört er vielleicht auf zu grinsen. Doch dann denke ich nichts mehr, denn Sigurdur packt Stevens Darm und zieht ihn aus ihm heraus. Er glänzt wie ein schmieriger Schlauch. Und Sigurdur hängt ihn sich um, trägt ihn wie eine Halskette und zieht weiter und weiter, ich muss an Würstchenketten denken und da schmecke ich Erbrochenes in meinem Mund, bitter und beißend, und ich schlucke die Kotze runter und gucke weg, starre den Vollmond an, aber das hilft auch nicht, denn Sigurdur stellt sich vor den Mond und reißt die Arme hoch. Ihr nackter Körper glänzt vor Blut und Schleim. Wie ein Neugeborenes. Es stinkt nach Kupfer. Und nach Scheiße, denn der Darm ist an einigen Stellen gerissen und dünnflüssiger Kot tropft heraus.
Auch in diesem Segment wieder: 17x "und" wenn ich noch richtig zählen kann. Hier wird es nun tatsächlich etwas splatterig. Wobei der letzte Satz irgendwie so aufdringlich ekelerregend sein will, also das der Kot aus dem gerissenen Darm tropft. Die ganze Szene ist ziemlich überzeichnet und das setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Aber hey: Nicht allzu schlecht, wenn nur die vielen "und" nicht wieder wären ... Die stören echt, finde ich.

Die Wikinger fangen an zu summen und schwanken hin und her. Sigurdur hält etwas in der Hand, es sieht aus wie Stevens Leber, und Sigurdur sagt: „Fyrir móður.“ Immer wieder „Fyrir móður.“
Vorher war es etwas Unverständliches, dann etwas Isländisches und nun versteht er sogar schon den exakten Wortlaut?

„Und ich möchte, dass du diesen Krieger in mich spritzt.“
Die Wikinger summen weiter mit tiefen Stimmen.
„Was?“
Sie setzt sich auf meinen Schoß, als wollte sie mich reiten, drückt ihren warmen Schritt gegen meinen und grinst noch breiter. Und sie presst ihre Brüste gegen meinen Körper, weich wie Kissen. „Während einer Vollmondnacht werden die tapfersten Krieger gezeugt. Häuptlinge.“
Jetzt wird es echt absurd! Ich muss grinsen. Mal schauen, wie es weitergeht:

Die Höhlen reichen bis tief unter die Erde, wo kein Sonnenlicht hingelangt, und das Trommeln wird immer lauter und tiefe Stimmen summen, ein kehliger Gesang erfüllt die kargen Gänge, die vor Urzeiten in den Felsen gehauen wurden. Fackeln erhellen den Gang, Ruß bedeckt die Steine.
Woher weiss er das alles? Wird er den Gang hinuntergeführt?

Achso, sie ist also die Herrscherin über Helheim. Klar! (da fällt es mir wie Schuppen von den Augen)

Wahrscheinlich verarbeiten sie seine Knochen zu Waffen und machen aus seiner Haut ein Buch. Oder einen Lampenschirm.
:lol:

„Na, dass wir schwanger sind.“
Wir?!

Schlafen, ich will einfach nur schlafen. Aber ich bin sicher, dass ich nie wieder erholsamen Schlaf finden werde. Ich zücke mein Handy, mache die Frontkamera an. Mein Gesicht ist bleich und tiefe Ringe umranden meine Augen und meine Lippen sind farblos. Ich lehne mich in den Stuhl zurück und schaue dem Sonnenaufgang zu und warte auf die Frühschicht.
Aha, dann ergeht es ihm wie Steven zu Anfang.

So, dann bin ich soweit durch. Lobenswert erwähnen muss ich deinen guten Schreibstil, der ist wirklich flüssig zu lesen und hat kaum Stolpersteine drin. Das war auch der Hauptgrund, warum ich deine Geschichte zu Ende gelesen habe. Anonsten hat mir leider einiges nicht so gut gefallen. Da wäre der träge Anfang, dem ich nichts abgewinnen konnte. Die Gespräche zwischen Steven und dem Prota sind nicht wirklich interessant, also von den Themen her, die behandelt werden, geschrieben ist das wie schon zuvor gesagt ordentlich. Ich würde gerade am Anfang rigoros kürzen, ich hatte das Gefühl, dieser Anfang zieht sich mindestens bis zur Hälfte der Geschichte hin, bis mal etwas passiert, dass eine Reaktion bei mir auslöste. Vorher las ich eher gelangweilt mit. Trotzdem bin ich dran geblieben, weil ich eben hoffte, gleich würdest Du eine Bombe platzen lassen.

Das ist ja dann eigentlich auch passiert. Sobald der Wikinger erscheint, nimmt die Geschichte rasant an Fahrt auf und bricht fast etwas zu stark mit den vorherigen "Ereignissen". Finde ich aber gar nicht mal so schlecht, so wird man als Leser ins kalte Wasser geworfen und bei mir hat das zumindest funktioniert. Vielleicht könnte man schon darauf kommen, dass irgendetwas mit Sigurdur geschehen wird oder sie zumindest eine grössere Rolle spielen wird, aber trotzdem kam für mich die Wikingersache einigermassen überraschend.

Schlussendlich bin ich mir nicht ganz sicher, wie ich deine Geschichte verordnen soll. Gut geschrieben ist sie grösstenteils, aber auf den Kern reduziert beinhaltet sie folgendes: Zwei Typen reden Quatsch in einem Büro, ein Wikinger taucht auf und verfolgt den einen durch das Gebäude, schlussendlich wird der eine geopfert und der andere zur Zeugung irgendeines Satansbraten gezwungen. Reicht mir das als Inhalt, für so einen langen Text? Muss wohl, sonst hätte ich es nicht zu Ende gelesen ... ;)

Víkingakveðja
DM

 

Mir hat die Geschichte sehr gefallen.

Es gab Momente im Text die nicht so bequem waren zum lesen, aber ich denke in den anderen Kommentaren wurde bereits genug erklärt.

Ich selbst interessiere mich sehr für die Wikinger Thematik und nordische Mythologie. Daher habe ich mir die Geschichte sogar noch um 3 Uhr morgens gegönnt.

Am Ende wurde es sehr spannend. Die eher erotischen Inhalte haben noch dazu gelegt.

Ich würde in Zukunft gerne noch etwas von euch lesen.

Mit Grüßen
Herr Becker

 

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