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Bismarck ermittelt
Bismarck ermittelt
„Wo sind die Drops?” Müsli scharrte ungeduldig mit den Hufen im Matsch.
Die Sonne war längst aufgegangen, aber noch immer war vom Knattern und Schnaufen des Traktors nichts zu hören. Sartre rupfte sich ein weiteres Büschel aus dem feuchten Gras und dachte nach. Der Schäfer kam jeden Morgen, immer um die selbe Uhrzeit, um nach ihnen zu sehen, ein paar Drops zu verteilen und wieder nach Hause zu fahren. Ausnahmslos.
„Ich will meine Drops!”
Auch der Rest der Herde wurde langsam unruhig. Wir werden hier Zeuge eines Mysteriums, dachte Sartre, aber es lohnte nicht, den anderen das mitzuteilen. Nachdenklich blickte er in die Ferne.
Über dem schmalen Feldweg stiegen Wölkchen aus Dampf auf. Darunter trabte eine Figur heran und wurde mit jedem Schritt größer.
„Bismarck.” Stylish legte so viel Verachtung in seine Stimme, wie er zustande brachte.
Hechelnd kam der Hund zum Stehen. Sein Fell war an einigen Stellen bereits von Schwarz ins Graue übergegangen, eins der Augen schaute ins Leere, das andere warf dem Leithammel einen scharfen Blick zu.
„Wo sind meine Drops?” quäkte Müsli noch einmal.
Langsam drehte Bismarck sich zu ihm um. “Es wird keine Drops geben, mein Sohn.”
Schweigen breitete sich über die Herde.
„Was meinst du damit?” fragte das dicke Schaf und trat dicht an den Elektrozaun heran. Die anderen beobachteten das Paar ängstlich.
„Sie haben den Schäfer weggeführt. Mit einer Schlinge um den Hals.”
„Wer war das?”
Der alte Hund sah verächtlich zu Sartre hinauf. „Die Schäferin. Und andere. Menschen aus dem Dorf.”
„Tod den Feinden des Schäfers!” jaulte Metalcore und warf die schwarze Mähne in die Luft. Dann stemmte er die Hufe in den Boden, nahm Anlauf und setzte über die Begrenzung hinweg. Müsli blickte mit runden Augen von Schaf zu Zaun und wieder zurück.
„Vielleicht sollten wir ihn abschalten und Metal folgen”, merkte Sartre an. Bei dem Gedanken, dass Müsli sich in dem Drahtgewirr verfing, drehte sich ihm der Magen um.
„Aber der Zaun schützt uns!” protestierte Stylish.
Müslis Miene verfinsterte sich. „Sagt was ihr wollt, aber niemand stellt sich zwischen mich und meine Drops.”
„Also gut, also gut.” Vorsichtig schob der alte Hund die Plastikabdeckung vom knackenden Kasten und legte den Schalter um.
Müsli ging voran, zögerte eine Sekunde und trampelte das orange Geflecht dann einfach nieder. Sartre machte einen Schritt nach vorn, dann noch einen. Er war frei. Prüfend streckte er die Nase in den Wind. Gab es Freiheit ohne Einsamkeit, ohne das Gefühl des Fallens im leeren Raum? Bedächtig kostete er einen Grashalm. Er jedenfalls würde ein Pionier der Freiheit werden.
„Im Haus des Schäfers gibt es Shampoo und Fernseher, erinnerst du dich?” rief er dem zögernden Stylish zu.
Dann folgte auch die Herde mit lautem Gemecker.
„Er hat nach Angst gerochen als sie ihn abgeführt haben”, knurrte Bismarck unter bebenden Lefzen hervor während sie auf die anderen warteten. Die Haustür war nicht abgeschlossen.
„Hat es einen Kampf gegeben?”
„Nein, er hat gesehen, dass es zu viele waren, der Bäcker, der Alte Triesch, die Martha, sie haben ihn eingekesselt. Mich mussten sie in die Küche sperren, ich wollte ihn nicht kampflos gehen lassen. Aber ich habe versagt.”
Sartre fragte sich, wie es dazu kommen konnte, dass sich die Dorfgemeinschaft so gegen den Alten verschwor. Was hatte er getan?
„Du hattest keine Chance. Es sind Menschen.”
Gemeinsam standen sie auf dem Wohnzimmerteppich und beobachteten, wie die anderen Schafe eintraten, über Möbel und Polster kletterten, Gardinen annagten und in den Schränken emsig nach Essbarem wühlten. Metalcore hämmerte mit den Hufen auf die Fernbedienung, bis der Fernseher mit lautem Krachen zum Leben erwachte.
„Wir müssen weiter. Kannst du ihre Fährte aufnehmen?”
Der alte Hund nickte kummervoll. „Und wenn wir ihn finden, was tun wir dann?”
„Wir brauchen die Herde.”
Ihren Leithammel fanden sie im Bad, er lag auf einem flauschigen Vorleger und ließ sich von einer Konkubine die Bürste durchs cremeweiße Fell ziehen.
„Also gut, also gut!” schnappte er nach Minuten intensiver schäferhündischer Überredung und trat zu seinem Fanclub ins Freie.
Atemlos folgten sie der Spur und ignorierten die hupenden Autos so gut sie konnten. Bismarck leitete sie zu einer alten Lagerhalle aus Stein. Ein süßlicher Geruch lag in der Luft, doch die Fährte verriet, dass die Gesellschaft den Ort vor wenigen Minuten wieder verlassen hatte und dass der Schäfer noch am Leben war.
Metalcore preschte summend nach vorn, um sich dann immer wieder umzudrehen und nach dem Weg zu fragen, Müsli kämpfte sich erschöpft von Grasbüschel zu Grasbüschel. Für Sartres Verständnis kamen sie viel zu langsam voran, er brannte darauf, das Geheimnis endlich ergründen zu können.
Die Spur endete vor einer Tür. Durch einen Spalt zwischen den beiden Flügeln konnten sie eine Menschenmenge erkennen, das ganze Dorf schien sich versammelt zu haben. Der Schäfer stand am Ende einer langen Tischreihe, den Strick noch immer fest um seinen Hals gezurrt, Schweißperlen glänzten ihm auf der Stirn als er seinen Henkern ängstliche Blicke zuwarf.
„Es sind zu viele”, flüsterte Sartre und die Erkenntnis schien sein Inneres zu zerreißen.
Der alte Hund knurrte: „Ich habe meinem Herrn Treue geschworen, lieber sterbe ich, als dass ich hierbei zusehe!”
„Tod dem Techno!” Mit grimmigem Gesicht nahm Metalcore Anlauf und rammte seinen Schädel ins Portal. Die Tür öffnete sich zentimeterweit und federte zurück. Als er einen zweiten Anlauf nahm, wurde die Klinke nach unten gedrückt, plötzlich war der Weg frei. Von hinten drängten die anderen vorwärts um zu sehen, was vor sich ging. Bevor Sartre und Bismarck einen Plan fassen konnten, waren sie von Menschen umzingelt.
„Was sollen wir jetzt tun?” zischte Stylish ihnen zu. Sartre scharrte unsicher mit dem Vorderhuf übers Parkett. Die anderen Schafe sahen ihn vorwurfsvoll an.
„Das ist alles deine Schuld!“
„Wo sind die Drops?”
Er zögerte. „Seht ihr,... es war wichtig, dass wir uns gegen diese Ungerechtigkeit gewehrt, uns aus unserer Lethargie losgerissen haben um jemanden zu retten, selbst wenn, nun ja.“ Er schluckte. „Wenn wir nicht gewinnen können. Versteht ihr, was ich meine?“
Alle Blicke waren nun auf ihn gerichtet, die der Menschen verwirrt, die der Schafe zunehmend finster.
Einer der Kidnapper räusperte sich, es war der alte Triesch. Nachdenklich kratzte er sich am Kopf und sah hinüber zum Schäfer. Der stand vergessen an seinem Platz, flankiert von seiner Tochter in weiß und einem Mann in schwarz und hielt einen zerknitterten Zettel in den Händen.
„Tja Karl, da wollte wohl noch jemand deine Rede hören.”