Blütenstaub
A: Vor fünf Tagen steckten sie mich in ein Zimmer mit weißen Gardinen und einem großen gelben Gitterbett. Sie steckten mich in dieses Zimmer, zogen die Gardinen zu und betteten mich in das Gitterbett. Sie betteten mich in das Gitterbett, auf ein großes gelbes Kissen mit rosa Blümchen und mit komischem Geruch.
Ich glaub, ich mag das Kissen nicht, ich glaube es erinnert mich an Großmutter, an Ferientage und Sommerurlaube. Ich mag keine Sommerurlaube, ich glaube, ich mag noch nicht einmal den Sommer.
Sie betteten mich also in dieses Gitterbett und schließlich, da banden sie mir meine Hände an die dünnen gelben Gitterstäbe.
Sie haben mir meine Hände gebunden und meine Arme abgeschnürt. Sie haben mich in ein gelbes Gitterbett gesperrt und alles was ich sehe sind rosarote Blümchen.
B: Vor vier Tagen kam ich dich zum ersten Mal besuchen und alles was ich sah war ein kleines, hilfloses Kind mit knochigen Knien, strähnigen Haaren und schneeweißer Haut.
Ich öffnete die Tür und ich betrat diesen Raum und schon nach einer Minute wünschte ich, ich wäre dir niemals begegnet.
Ich frage mich, wohin sie dich geschickt haben vor fünf Tagen, ich frage mich wen sie aus dir gemacht haben und ich frage mich, ob ich dich überhaupt jemals kannte.
Alles was ich sah war ein hilfloses kleines Kind mit kleinen, mageren Brüsten und roten Lippenstift. Alles was ich sah waren deine blutroten Lippen.
A: Ich frage mich, ob rosa Kissenblumen stinken können.
Weißt du was? Diese Kissenblumen stinken. Sie stinken nach Sommer, nach Barfußlaufen und nach Jungenküssen. Diese Blumen stinken nach Sommer. Diese Blumen stinken Sommer und nach Glücklichsein. Sag mal, weißt du überhaupt, wie sehr ich diesen Sommer hasse? Weißt du eigentlich, wie sehr ich jeden dieser strahlend hellen Glückssommertage hasse?
Ich hasse jeden einzelnen von ihnen, ich hasse jeden einzelnen Sommertag, an dem du glücklich warst und an dem ich neben dir stand, an dem ich immer nur neben dir stand, neben dir unter dir, in dir, über dir, hinter dir. Jeden dieser Sommertage, an denen ich lache musste für dich, nur für dich.
An diesen Sommertagen lernte ich Theaterspielen, an diesen Sommertagen lernte ich Glücklichseinspielen, an diesen Sommertagen lernte ich, nur noch für dich zu laufen.
B: Ich verstehe nicht, wo du geblieben bist. Ich verstehe nicht, wie sie dich einfach so verschwinden lassen konnten und ich verstehe nicht, warum es dir nicht gelingt mich anzusehen. Immerzu starrst du in die Luft.
Immerzu starrst du in die Luft und ich glaube, du siehst Gespenster, ich glaube, die gelben Gitterstäbe erzählen dir Geschichten und ich glaube, die Luft zeichnet Bilder für dich.
Ich verstehe nicht warum du mich nicht ansiehst.
Ich verstehe auch nicht, warum diese Spritzen dich einfach immer weiter weg bringen von mir, anstatt dich zurückzuholen, ich verstehe nicht, wohin du verschwindest und ich verstehe nicht, warum du nicht zurückkommst zu mir. Bitte komm zurück.
A: Ich kann diesen Geruch nicht länger ertragen.
Dieser Geruch legt Schleier über meine Augen, dieser Geruch verklebt mir meine Ohren und dieser Geruch lässt meine Nase bluten. Er lässt meine Nase bluten und ich kann nichts dagegen tun. Ich hasse diesen Geruch. Ich hasse diese unbarmherzigen, erbarmungslosen Sommerblütendüfte und ich hasse dieses Blut, das mir ununterbrochen über das Gesicht strömt.
Weißt du was? Gestern Abend, als sie mich losbanden, habe ich beschlossen, das Blut zu sammeln, in meinem Zahnsputzbecher, und morgens benutz ich es als Lippestift. Blutgeschmack ist besser als Blütenstaub.
B: Gestern besuchte ich dich ein zweites Mal und als ich dein Zimmer betrat war dein Kopf feuerrot und deine Haare waren wild zerzaust.
Du sprachst von Sommerblumen und von Scheren und von blutroten Kissenbezügen, doch verstanden habe ich dich nicht. Ich frage mich, was du gemacht hast, bevor ich deine Tür öffnete und ich frage mich, was es ist, das dich so zornig macht und wütend.
Ich habe Angst davor dich zu besuchen, weißt du. Ich glaube, ich fürchte mich davor, dich nicht mehr wieder zu erkennen in diesem gelben Gitterbett, ich glaube, ich fürchte mich davor, dass du mir endlich in die Augen siehst und dass du zornig bist und dass du mir sagst, du willst mich nie mehr wieder sehn. Ich habe Angst, dich zu verlieren verstehst du.
Ich habe Angst plötzlich festzustellen, dass du schon längst verloren bist.
A: Gestern versuchte ich diese hässlichen rosa Sommerblumen aus meinem Kissen zu beißen, doch es gelang mir nicht, denn meine Arme waren gefesselt und als ich dich bat mir mit einer Schere behilflich zu sein, hast du mich nicht verstanden.
Ich glaube, du hast mich ohnehin noch nie verstanden, ich glaube, du fandest mein Theaterstück gelungen und ich glaube, du hast nicht einmal bemerkt, dass du nur Zuschauer warst, in einem tiefen, dunklen Graben.
Die haben mir Nadeln in den Arm gesteckt und ich glaube, diese Nadeln entwirren mein Gehirn. Diese Nadeln, fressen dich auf und löschen dich aus. Diese Nadeln lassen dich verschwinden aus meinem Gedächtnis und diese Nadeln werfen mich von meiner Bühne. Diese Nadeln zwingen mich, ich selbst zu sein, verstehst du? Sie verdecken dich, sie übermalen dich, sie bedecken dich mit Tintenklecksen, diese Nadeln. Diese Nadeln löschen dich aus, verstehst du?
B: Gestern kam ich dich ein drittes Mal besuchen. Ich kam dich ein drittes Mal besuchen und schon bevor ich dir Tür öffnete wusste ich, es würde niemals mehr so werden wie zuvor.
Ich betrat also dein Zimmer und du saßest auf einem großen gelben Stuhl vor dem kleinen Fenster mit den weißen Gardinen.
Du saßest also auf diesem Stuhl und als du mich sahst, da hast du mir plötzlich in die Augen gesehen. Du hast mir in die Augen gesehen und ich habe dich nicht mehr wieder erkannt und du sagtest, du willst mich nicht mehr wieder sehen und du hast mich nicht mehr wieder erkannt und ich habe dich nicht wieder erkannt und ich drehte mich um und du saßest auf diesem Stuhl und ich öffnete die Tür und ich verschwand aus deinem Zimmer und ich verschwand aus deinem Kopf und du hattest mich ausgelöscht.