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Blaugoldene Augenblicke
Augen, die dich festhalten, eine Begegnung, die dich umwirft. Aufeinander vorbereitet und dennoch völlig überrascht, Nähe, ein irrationales Sich-Kennen, Wiedererkennen aus uralten Zeiten, fremden Welten. In Sekundenbruchteilen der Erstarrung Austausch uralter Erkenntnis: Unsere Seelen sind verwandt. Eine Art Liebe auf den ersten Blick, vorsichtiges sich Annähern, Lächeln, Schweigen.
Ein Gefühl der Verliebtheit, doch du willst dich nicht zu erkennen geben, nicht die erste sein, die das Geheimnis preisgibt, hast Angst vor der Blöße, die du dir geben könntest, obwohl doch längst schon alles klar ist.
Warum die Angst? Ist es nicht ein Geschenk, eine artverwandte Seele zu finden, mit der man noch unbekannte Geheimnisse teilt? Wäre es nicht vielmehr wundervoll, sofort und ohne Zeit zu verlieren "hier" zu rufen und miteinander in einer Ecke zu verschwinden, um auszutauschen, wer man ist und was man noch voneinander weiß - auf diese unerklärliche, geheimnisvolle Art, Dinge im Innersten zu bewahren über Zeiten und Generationen hinweg?
Stattdessen sitzt du nur da und schaust sie an, unfähig, etwas zu sagen, aber gebannt an ihren Lippen hängend, die sich wundervoll kräuseln beim Sprechen und zusammen mit den nicht ganz perfekt stehenden, aber gerade deshalb so reizvollen Zähnen ein Lächeln bilden, welches dich umwirft und auf der ganzen Welt seinesgleichen zu suchen scheint.
Du schaust in ihre Augen, nimmst dieses unglaubliche Blau wahr, welches sich im Kleid wiederholt, siehst den strahlenden Glanz in ihnen, ihre wache Lebendigkeit und bist erstaunt, woher sie kommen mögen.
Und dann die Haare. Vielleicht das Eindrucksvollste an der ganzen Erscheinung, sogar mit Sicherheit das Eindrucksvollste und auch das, was deine Erstarrung zu Beginn vordergründig auslöste. Schulterlange Locken, eine nicht enden wollende Mähne, nur durch einen schmalen Reifen gebändigt. Dezente silbergraue Strähnen im warmen Blond, nicht Alter, sondern Anmut und eine Zerbrechlichkeit ausdrückend, die von anderen Wesenszügen scheinbar Lügen gestraft wird und dennoch immer wieder durchschimmert.
Die Stimme: Warm, freundlich, nie laut, sondern dezent, weich und harmonisch. Du möchtest versinken in dieser Stimme, dich von ihr forttreiben lassen, wie von sanften Meereswogen, möchtest dir Märchen vorlesen lassen wie damals in der Kindheit, als nichts mehr blieb außer Stimme und Phantasiegebilden und wohlig warmer Geborgenheit.
Und dann ist die Begegnung vorbei. Sie geht, und du hast noch immer kaum etwas von dir mitgeteilt, aber du klammerst dich auch nicht fest an der Panik, sie zu verlieren. Du weißt, wo sie ist und wie du sie finden kannst und auch, daß du von dieser Begegnung noch eine Weile zehren wirst. Wann immer du willst, wird sie dich mit Ruhe und Ausgeglichenheit erfüllen, dir ein kleines bißchen Geborgenheit, Wärme, Heimat geben, in welcher Fremde du auch sein magst.
Das Lachen? Versuchst du dich zu erinnern, doch es will dir nicht einfallen. Warm und golden wird es gewesen sein wie die ganze Erscheinung, unmöglich, daß es nicht dazu gepaßt haben soll.
Perfekt in ihrer Unvollkommenheit, denkst du, und daß Unregelmäßigkeiten ein Bild erst schön machen.
Mal wieder scheint ein Engel dein Leben mit einem Flügel gestreift zu haben.
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(September 2001)