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Blick über den (Wannen)Rand ... eine Weihnachtsgeschichte

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11.12.2020
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Blick über den (Wannen)Rand ... eine Weihnachtsgeschichte

Wohl gibt es eine lange Zeit die Wanne volllaufen zu lassen, mit den vorzüglichsten Gewohnheiten, in ihnen wieder und wieder heiß zu baden, während Liebe und Geist bereits wehrlos dem Schrumpeln meiner und deiner Haut zusehen müssen. Egal, denkst du da voraussichtlich, Hauptsache warm und sauber! Klingt es doch zutiefst menschlich, wenn es heißt, bloß nicht den Stöpsel ziehen, solange es einem einigermaßen geht. Und mal ehrlich, wer will denn schon absichtlich frieren, ich nicht, du nicht - zumindest doch wohl jetzt noch nicht; so oder so ähnlich denkt da wohl erfahrungsgemäß ein „Jederman(n)“!

Dennoch! Es kann jederzeit, überall, auch heutzutage noch passieren, das Unvorstellbare, eine unheimliche Begegnung vielleicht oder gar die Entdeckung, in der Alles und Nichts gefährlich lange mit den Grenzen unserer Deutungen auskommen mussten, bis wir erstmals in besonderen Herausforderungen auf Wahrheiten stoßen, in denen solcherlei Grenzen sich lediglich als Übergänge erweisen. Bedauerlich, dass seit jeher der Mensch in all‘ seiner Einfalt für derartige Erkenntnisse zumeist leider immer erst ein außergewöhnliches Erlebnis oder eine möglichst tief aufrüttelnde Krise benötigt. Hinzu kommt, dass erhellende Begebenheiten, wie sie beispielsweise seinerzeit in der Weihnachtsgeschichte dem alten Ebeneza Scrooge nachgesagt werden, in unserer modernen, zunehmend Natur fernen Welt leider immer weniger zu finden sind. Zu weit hat sich der Mensch bei zunehmendem Gebrauch seiner Steckdose verabschiedet von der Vorstellungskraft gegenüber einer Wirklichkeit, die für unsere modernen Sichtweisen „unsichtbar“ und „unfassbar“ bleibt. Um so wundersamer daher die Begegnung, die Jul, dem auserkorenen oder vielleicht doch eher bedauernswerten Opfer in folgender kleinen Geschichte, ebenfalls an einem denkwürdigen Heiligen Abend, widerfahren ist. Wann auch sonst sollten derartige Begegnungen stattfinden , wenn nicht an diesem ganz besonderen Tag, einmal im Jahr. Ist es doch der einzige Tag, an dem wir es gestern wie heute in seltener Mehrheit ausnahmsweise mögen, wenn sich die Dinge um uns herum geheimnisvoll mit viel Gefühl entwickeln, der Tag, an dem uns so wunderbar gerecht und freigiebig ums Herz ist; der Tag, an dem das gewohnte wirtschaftswachstumsgierige Anschaffen einmal im Jahr durchbrochen zu sein scheint von der ewigen Sehnsucht nach einer über dem Menschen stehenden, uneigennützigen „Bedeutung“ und "Liebe", der Tag, an dem noch jede Schneeflocke, jede Träne die festlich – traditionelle Vorstellung von einer edlen geistvollen Gesinnung im Menschen ausschmückt...

Jul, Alter so ca. Ende fünfzig, gut situiert, hatte gerade sein einlaufendes Badewasser abgedreht, sich zeitgemäß in den weihnachtlichen Farben wechselnder Lichteffekte in seinem neuen Spiegel präsentiert, bevor er sich lustvoll in eines seiner alltäglichen Bäder hineinzubegeben gedachte. Insbesondere an diesem Tag sollte es betont duftvoll und ausführlich ausfallen; als eine von den vielen perfekten Inszenierungen, wie sie nun mal für einen gut vorbereiteten, festlich harmonischen Weihnachtsabend unerlässlich sind… als es zu besagter Begegnung kam!

Anfangs war es ja nur ein beklemmendes Gefühl; so, wie in einer der typischen Bedrohungen in Lauerstellung, wie man sie durchaus häufiger mal empfindet innerhalb der Nachlässigkeiten moderner Lebensweisen, kaum sichtbar, eher eine Ahnung oder zumindest doch ein kalter Hauch; eine störende Unannehmlichkeit halt, die dann jedoch von einem Moment auf den anderen deutlich an Gestalt zunahm. Ungeschickt und orientierungslos manövrierte sie anfangs noch in einer Art Erscheinung im Raum herum, bis sie sich endgültig entschied, Jul in erschreckender Weise ihren eisigen Atem entgegen zu schlagen. Völlig geschockt wich der erst einmal zurück und duckte sich reflexartig hinter seinen Wannenrand. Schließlich versuchte er sogar abzutauchen in dem Moment, als die Erscheinung sich als ausgewachsener Geist in Montur und Verschleierung mit atemraubender Umarmung zu erkennen gab. Seiner Tradition folgend, hatte der es sich offensichtlich wohl noch einmal zur Aufgabe gesetzt, leichtfertige Räume dunkel und geheimnisvoll auszufüllen. Auf seiner verzweifelten Suche nach Gewissen, Selbsterkenntnis und spiritueller Entwicklung rüttelte er in kompletter Ausstattung seiner geistigen Gegenwart“ zunehmend ungeduldig und frustriert nun ausgerechnet an Juls Wannenrand. Zwischen den wild aufsteigenden Strudeln in seiner Wanne im Vergleich zu Juls von Natur aus ja sonst eher wenig angespannter Flüssigkeitsmoleküle versuchte der Arme nun hilflos, wie so oft in unkontrollierbaren Erregungen, sich unauffällig und still zu verhalten, abzuwarten, so wie es nun mal einer weit verbreiteten menschlichen Gewohnheit zuspricht, sich möglichst aus allem „raus zu halten“ und sich abzulenken; nicht selten auch durch häufiges Essen gehen, mit verträglichen Worten oder wie beim Sex in der hohlen Hand...

Diesmal allerdings sollte sich die Erwägung, einem Konflikt durch einfaches Ignorieren aus dem Wege gehen zu können, nicht erfüllen; auch nicht aus dem Grund, da die Erscheinung weiter eine stattliche Ausdehnung vornahm zu einem der wohl letzten Weihnachtsgeister zwischen all' den betont bunten Seifenbläschen. Außerdem schwebte der bereits viel zu eindringlich mit seinem Gewissen ausmessenden, Welt- und Menschen rettenden Bewusstsein direkt über Juls Wanne; bedrohlich erhaben über alles, was sich an Abgründen in Juls Augen widerspiegelte. Natürlich übernahmen sofort Juls Ängste reflexartig – wie in derlei Geschichten üblich – die Oberhand. Obwohl juristisch mit allen Wassern gewaschen, erkannten selbst sie bereits klar und deutlich eine nur schwer zu widerlegende Anklage und Strafverfolgung innerhalb einer Art jüngsten Gerichts auf sich zukommen. Doch was dann geschah, geschah zumindest anfangs völlig anders und unerwartet...

Jul hielt nämlich inne…Völlig überrascht fühlte er entgegen aller Befürchtungen eine sonderbare Wandlung in sich aufsteigen, spürte, wie sie in ihm Platz schuf, um einer ungewohnt seltenen, fast erotischen Energie den Weg zu ebnen. Auf wundersame Weise wich das Treiben seiner Ängstlichkeiten einem nie erlebten Hochgefühl, in das er sich sonderbar geistvoll eingeatmet und mitgerissen fühlte. Wie in einem Sog und erstaunlich schwindelfrei konnte er sich jetzt spüren inmitten ungelebter, hell aufscheinender tiefer Horizonte, so, wie er es sich immer erträumt hatte, unabhängig, stark, herrlich ausgelassen und lebendig. Darin verwandelte er alles in einen Schauer von Lust… Lust an Hingabe... Lust an den großen erhellenden Abenteuern, aus deren Kostproben Jul sonst ja nur in den feierabendlichen Freigängen beim Fernsehen, im Kino oder eben bei Weihnachtsmann, Kitsch und Co zwischen Werbung und Unterhaltung in kollektiver Lebensansprache und in Form dürftiger Klischeehäppchen schnappen durfte. Woher allerdings in ihm so plötzlich das Verlangen nach Wesentlichem und nach Gestaltung kam, lässt sich auf die Schnelle aus den allzu bekannten Alltagsbeständen menschlicher Erlebnisträume natürlich nicht erklären; ebenso wenig, wie die Tatsache, dass er sich in überraschender Weise mit einem Mal sogar stark genug fühlte, über Nichtigem und Kleinlichem stehen zu können. Gleichzeitig fühlte er sich überwältigt in einer seit Ewigkeiten nicht mehr dagewesenen Sehnsucht und dem unstillbaren Hunger nach einer reinen, freien Seele. Derart intensiv übermannte unseren Jul dieses geistige Abenteuer, dass er sogar länger als erwartet in diesem sehr Kraft zehrenden Einfluss verblieb. Hierbei spielte sicherlich auch die Leichtigkeit eine Rolle, die ihn mit einem Mal schallend auflachen ließ, lachend über sich selbst, lachend darüber, wie er sich so einmalig putzig und selbstzufrieden wiederfand, in seinem Badezimmer, in einem Körper, dessen Verfall altersbedingt den verzweifelten Verjüngungsversuchen zum Trotz, selbst in den wechselnden Farben eines neuen Spiegels, nach außen hin nicht im Geringsten mehr die Hoffnung auf irgendwelche Wirksamkeit seiner ausladenden Identität rechtfertigte; auch nicht in den verkrampften subtilen bis peinlich jugendlichen Anbiederungsversuchen. Noch herzhafter fiel sein Erstaunen darüber aus, wie es ihm bisher derart selbstzufrieden gelingen konnte, unbemerkt an geistig alterswürdigen Vorzügen und Weisheiten vorbei zu leben und stattdessen in allgemein wohlständischer Manier nur noch abgedroschen, fantasielos und für alle vorhersehbar vor sich hin zu sinnieren. Mit dem aufdeckenden Lachen über dieses Missverhältnis seines Ehrgeizes an völlig übertrieben gehegten Schlüsselreizen aus Tradition, Eitelkeit und Selbstbetrugeinerseits und einer plötzlich hell aufscheinenden Unabhängigkeit andererseits, gelang Jul in einem einzigartigen grenzenlos geistreichen Aufstieg und Ausblick, jegliche bisherige, von ihm für so bedeutsam gehaltenen Wirklichkeit im Nu zusammenschrumpfen zu lassen; erst dies öffnete Jul den maßgeblichen Raum für ein Erleben, um dessen Befreiung gleichermaßen wesentlich tiefer als sonst nach innen zu tragen. Und erst dort fühlte er sich um so mehr intim bereichert, als die dadurch hervorgerufene außergewöhnlich berührende Nähe allein mit sich selbst, ihn diesmal nicht mehr, wie sonst, bedrohte oder ihn ausschloss, sondern stattdessen seinem Erleben, wie selten zuvor, die Unabhängigkeit verlieh, die ihn neugierig zu unbekannten, ungewohnten Einsichten vorantrieb. So geriet er in schwindelerregende Höhen, auf deren Gipfeln eigentlich nur noch ein kleiner Schritt darauf wartete, ihn in den Zustand völliger, geistig selbstbewusster Freiheit zu führen; ihn hinter das Tor zu leiten, hinter dem Einblicke und Ahnungen mit einer für ihn völlig neuen Weltsicht aufwarteten... ohne noch Recht haben zu müssen. In ihr konnte Jul weiter sehen, weiter hören und weiter spüren, ja, sogar sehr viel weiter denken; erst in ihr empfand und fühlte er die wahre Bedeutung im Wesen seiner Wandlung. Erst in ihr entdeckte er einen wahren Baumeister aus Unendlichkeit, der hinter Juls Schaffen in Begleitung seiner sonst so panischen Angst vor Vergänglichkeit und Tod nun deren Notwendigkeit zur Erneuerung und Erweiterung in den Mittelpunkt hob; der geistig - energetische Räume so lange in materielle Mutationen und künstlerische Formen wandelte, sie hin und her leiden ließ, bis sie sich zur rechten Zeit wesentlich tieferen Wahrheiten widmen konnten. Und siehe da: Trotz der Begrenztheit eines Badezimmers, in der Enge seiner Badewanne schwebte Jul kurzzeitig unglaublichen Wellen aus Bewusst-Sein einer nie endenden Transformation hinterher, fortfahrend aus den Widersprüchen einer unsichtbaren Evolution, im Fließen einer schöpferischen Freiheit und Macht, wie sie bereits so lange darauf wartete, auch der Gesamtseele Mensch vielleicht doch noch das Wunderbare oberhalb seiner Triebe und seiner völlig überschätzten Intelligenzgebärden zuteil werden zu lassen, mit all‘ dem, was Mensch - Sein immer auch noch bedeuten könnte: Einsicht und Wandlung, die diesmal nun für Jul – zumindest für diesen einen Moment - die banalen Reichweiten seiner vorstellbaren Wirklichkeit weit überstiegen und an diesem Tag zum Greifen derart nah an ihn heran rückten. Und für diesen Moment, für diesen einen Moment gelang Jul tatsächlich mal eine nicht bloß einfache, nein, diesmal schaffte er eine sehr, sehr seltene, tiefe, wenn auch weniger sichtbare komplexe Erhöhung seiner „aufstrebenden“ Männlichkeit.

Doch schnell wurde natürlich klar; auf Dauer konnte Jul diesen geistig - seelischen Aggregatzustand auf allerhöchstem Niveau nicht durchhalten, geschweige denn wiederholen; viel zu rasch wurde der Arme von den im Bad für kurze Zeit verstummten üblichen Alltagspaniken wieder eingeholt. Wollten sie sich doch fortan nicht länger bevormunden lassen und bestanden bereits wieder auf den gewohnten Zugriff ihrer vertrauten Alltagslogik in Juls Grenzen von vor 1945 bis heute, den Grenzen klar vorsortierter Wahrnehmungen und Misstrauensanträge. In ihren Errungenschaften zwischen Angst und Gier fanden sie nun mal alles, was sie brauchten, zwischen Größenwahn und Selbstzweifel trauten sie sich wieder zurück in die seit je mit akribischer Kontrolle versehenen Räume und der dazu gehörigen kapitalen und Zins trächtigen Bereiche; bereit, sofort wieder an geistfreien Rädern zu drehen, sobald eine Bedrohung der rein „Überlebenskampf-gewohnten“ Rudelidentität und der Illusion des ewigen „Weiter-so“ zu befürchten war. Reflexartig schützend legten sich daher auch bereits auf dem „Heimweg“ seines geistigen Ausflugs Juls Hände nach und nach wieder voller Furcht und schützend vor die Überschaubarkeit seiner sorgsam gehegten, recht gut „durchgeschaukelten Eier“.

Somit schien alles wieder auf dem Punkt, wie er seit jeher den Ausgangspunkt ewiger zermürbender Schwankungen im Menschen abbildet, oszillierend zwischen den Teilen aus tierischer und geistiger Verwandtschaft; zwischen Panik und Übermut; zwischen Leben und Tod, Paradies oder doch eher Hölle, Gut und Böse, richtig und falsch, Liebe und Hass: Aufführungen vor und hinter einem Vorhang aus heller und dunkler Energie bzw. Materie; all’ das offenbarte sich ausgerechnet dem armen Jul derart konzentriert an diesem einen von 365 Tagen, an dem solche Dualitäten fühlbar scharfkantig wie Schwerter aneinander prallten; eine moralische Druckwelle, einen Tsunami auslösend, wie er sich an einem gewöhnlicheren Tag zuvor nie hatte effektvoll genug ausbreiten können, um einen dauerhaften Zugriff auf „infektiöse“ geistige Erhabenheit und Verantwortung zu ermöglichen. All’ die ewigen Versuche vorher fielen da trotz aller Hartnäckigkeit viel zu schwach und in all’ der unfassbaren Tragik noch immer viel zu wenig schmerzhaft aus, um endlich einmal aus dem ewigen Urteil der Geschichte „Schuldig“ ein für alle Mal heraus zu kommen. So war auch Jul eben nur Mensch, konnte nun mal nicht – anders, als ein Geist - aus seiner Haut. Gefangen in seinem Zwiespalt aus etwas Weisheit und dem Rest seiner groben Zerissenheit fürchtete er nun mal seit je in erster Linie nichts mehr als die Begrenzung seiner Haltbarkeit und den Verlust seiner Gewohnheit. Allerdings klaffte fortan in Jul - einer Wunde gleich - ein Zwiespalt bedrohlich weit auseinander. Wie in eine Art Hohlraum füllte sich das entstandene seelische Vakuum beim Rückzug aus selbstbewusster geistiger Energie und Erhabenheit wieder mit diesem alten Gefühl aus kindlichem Versagen. In deren verborgenen permanenten Schuldgefühlen spürte Jul vor allem deren erwachsen gewordene Ausläufer, in deren Wut seine moralische Begrenztheit ihn höchstens in das stets zu verbergende Selbstbild all’ seiner vermeintlichen Defizite trieb. Und da Jul seitdem in Übermacht seiner moralischen Unempfindlichkeit lediglich aktiv zu schweigen vermochte, blieb seiner Selbstrettung nur noch übrig, sich in eine der typischen hysterisch – verkrampften, militärischen Haltungen zu begeben. Eine solche stellt sich bei den meisten Menschen ja immer dann ein, wenn der Schutz eines gut antrainierten, gewohnt-souveränen, gönnerhaften Selbstverständnisses wegen Scheinheiligkeit und Brüchigkeit trotz ehrenvoller Beteuerungen nicht mehr die eindrucksvolle Geste nach außen hergibt. Doch auch dort sollten diesmal Jul’s spärliche Worte versagen, da sie nur noch unbeholfen stammelten: "Was zum Teufel…“

Er verstummte daher sogleich wieder, wollte er – obwohl nicht mal ein "Zuhörer" aus menschlichem Urteilsvermögen zugegen war – sich nicht auch noch zusätzlich und auf keinen Fall in der Einsamkeit eines peinlichen Selbstgesprächs verlieren. Und was soll man sagen? Von diesem Moment an legte Juls Zustand – angezählt im dramatischen Auf und Ab der Gefühle – endgültig einen eindrucksvollen Abwärtstrend hin. Dieser sollte ihn von nun an nicht mehr loslassen! Zusehens wurde er Zeuge einer unerbittlichen Zersetzung seines beim Umschiffen moralischer Klippen doch so mühsam gezähmten Selbstbewusstseins. Den roten Faden zahllos eingeübter Rechtfertigungen immer weniger unter Kontrolle, riss dieser jetzt deutlicher denn je aus seiner Verankerung. Im Prozess geistiger Offenbarungen fehlte es ihm zunehmend an Reißfestigkeit unter der Last der Anforderungen an Nachhaltigkeit, Nächstenliebe und Verantwortung gegenüber eines seit Jahrtausenden in Religion und Philosophie unermüdlich mahnenden und ständig ignorierten höheren Geistes. Der Satz, „Was kann ich als einzelner schon tun?“, wie auch die vielen darauf aufbauenden Vergehen ergriffen daraufhin in zunehmendem Schwächegefühl die Gelegenheit, suchten wie im Jagdfieber nach Geständnissen hinter einer langen Tradition an Unsichtbarkeit, Achtlosigkeit und Abgrund.
Erleichtert in ihren Offenbarungen verließen sie die Schatten eines engen Selbstverständnisses, wühlten sich heraus aus den Gittern einer völlig verklärten Selbstwahrnehmung und einer rücksichtslos - unbekümmerten Lebensführung; einfach nur, um endlich einmal ans Licht zu dürfen. Dies alles geschah bereits, während Jul in gewohnter Starrheit noch immer krampfhaft an der Überzeugung festhielt, über ein super attraktives Selbstbewusstsein und Selbstverständnis zu verfügen, zeitgemäß in den angesagten Top Wiedererkennungswerten - cool und routiniert - inzwischen super integriert in eine Wertegemeinschaft der "Ich glaub', ich hab noch gar nicht genug getrunken Generation", gefällig, gesundheitsbewusst, modern, sicher wohl auch mal draufgängerisch in der einen oder anderen Geste, ab und zu mal mit einem Glas Wein oder gar einem Joint in der Hand, aber unterm Strich doch ein Selbstbewusstsein, das mittlerweile eindrucksvoll in den bekannten, sicheren Ecken der Gesellschaft lässig, locker und auffällig durchaus einen Mann stehen lassen konnte, ohne selbst wirklich noch anwesend sein zu müssen.

Wie in einer Art Halbzeit fragt sich da möglicherweise der Leser an dieser Stelle der Erzählung verunsichert oder gar kritischer als sonst, fragt sich aber vielleicht auch der eine oder andere außerhalb derartiger Begebenheiten, inwieweit es glaubhaft und realistisch erscheint, dass ein stattlich- solides Selbstbewusstsein von einem Moment auf den anderen mitten aus einer soliden Kursentwicklung heraus tatsächlich zusammenschmelzen kann in den epidemischen Flammen eines um Lebendigkeit, Einsicht und höhere Werte ringenden Geistes. So mag das Geschehen für den einen oder anderen unglaubwürdig erscheinen, da der Geist diesmal nicht in den dafür vorgesehenen kulturellen Räumen Beachtung suchte, dort, wo von vorn herein sowieso wenig spürbare, bedrohliche Konsequenzen vorgesehen sind, also im angemessenen intellektuell – literarisch oder politisch gesellschaftsfähigen und vor allem unterhaltsamen Rahmen.

Dass dieser stattdessen überfallartig und übergriffig in Schutzraum und Privatssphäre Juls eigener Wanne ermittelte und ausgerechnet dort Rechenschaft verlangte, mag selbigen Lesern daher aufgrund der Erfahrungen eigener Badevorgänge höchst unwahrscheinlich vorkommen; umso mehr, wenn so ein Geist dann auch noch auf statistisch absolut nicht nachweisbare unendliche Weiten eines weiseren Himmels verweist und so weit geht, komplett einen zugegebenermaßen vielleicht nicht gerade wirksamen, aber dennoch allgemein anerkannten, moralisch - überlieferten Horizont einfach mal eben hinterfragen zu wollen. Andererseits sei aber nochmals darauf verwiesen: Wenn nicht Weihnachten, wann denn sonst? Wie schon erwähnt, bildet nun mal seit jeher nur noch Weihnachten eine der letzten Bastionen, in der überhaupt noch dieses seltene Erlebnis- und Berührungsbedürfnis nach kollektiver Besinnung, Besserung und seelischer Reifung besteht. Weiß doch jeder, welch’ ungewöhnliche Dinge an diesem Tag schon passiert sein sollen. Aber, wie auch immer, unbestritten mag bleiben, dass es sich hier um einen durchaus schwer zu glaubenden Eingriff in eine der modernsten Lebenseinstellungen und Räume handelt, die der Mensch sich nach seiner Jahrtausenden alten Geschichte zumindest in technischer Hinsicht blutig und mühsam erkämpft hat; Räume – koste es auch, wen oder was es wolle - in denen nun mal Jul und einige Altersgenossen der westlichen Welt es mittlerweile friedlich und brav verstehen - für jeden ersichtlich - stolz und altersgerecht, mit oder ohne Bedenken, die letzten Ressourcen zu verbrauchen, zuweilen sogar ohne SUV; auch wenn sie wohl immer mal wieder auftauchen, die Zweifel an der Überlebensfähigkeit dieser überwiegend simplen Glücksvorstellung, im Streben nach reich vorhandenen Ausstattungen luxuriöser, artgerechter Betäubung und abgesicherter Abenteuer, um als Wiederholung von Wiederholung zu Wiederholung dahin zu eilen und zu altern! Jeder mag daher an seinen Zweifel festhalten, möge aber dennoch vielleicht der Geschichte weiter folgen und sei es auch nur, um weitere Ungereimtheiten „erbarmungslos“ aufzudecken...

Allmählich setzte die Dämmerung ein; in wachsender Anspannung und Atmosphäre stand immer mehr die Wirksamkeit der warmen, feierlich aufgestellten Kerzen auf dem Spiel. Mehr und mehr schwand Juls letzte Hoffnung auf ein ruhig gewohntes, lächelndes Dahinplätschern innerhalb seiner Badewanne. Apropos bedeutete
Jul seit jeher sein eigenes Lachen immer sehr viel. So war er häufig ein gern gesehener Gast, lachte er doch vorzugsweise mit anderen, vorzüglich gerne über andere, lachte, wenn es seine Zugehörigkeit abverlangte, ohne Weiteres auch mal angemessen bedenkenlos mit…; in dieser Stillen Nacht ging allerdings, was das betraf, nichts mehr; nicht zu einem Zeitpunkt, an dem es ein Geist in Wirkung und Beharrlichkeit derart erbarmungslos weit nach vorne geschafft hatte, zu infizieren, es mit einem trieb, nur aufgrund einer veralteten Erlebnisgemeinschaft aus sogenannter Nächstenliebe; gefan-gen in einer unersättlichen Sentimentalität aus Kindheitstagen, mit dieser prickelnd vertrauten Angst durch die Bedrohung eines autoritären alten Mannes mit „Rute“ und weißem Bart: Klar, dass Jul sich deutlich in einer seelischen Falle befand; eingefangen von einem Besinnungsvorstoß, der in der Lage war, viel, viel tiefer als sonst üblich vorzudringen und die im Bad verteilten Botschaften in geistigen Originalverpackungen direkt an Juls Ohr zu liefern. Wobei ja das Entscheidende eigentlich nur darin lag, dass sie diesmal nicht, wie sonst üblich, von dort, „nichts wie weg“, wohltuend während eines der üblichen Abtauchvorgänge aus dem anderen gleich wieder rausgespült werden konnten, sondern, dass sie diesmal unter direktem geistvollen Geleit geradezu unzensiert ihren Weg antreten mussten weit in das verfallene Gewölbe aus Gewissen hinein, das irgendwann einmal zu Juls natürlicher Ausstattung gehörte. Doch wer erwartet, hier an dieser Stelle jetzt den passenden Moment für eine attraktiv - rührende Wandlung oder gar Läuterung eines reuigen Sünders mit Namen Jul vorher zu sehen, der beweist lediglich, wie realitätsfremd, mediengeschädigt und ignorant auch er sich bereits gerade noch moralisch über Wasser hält. Jeder kann sich doch wohl denken, in Anerkennung dessen, was die Matrix menschlicher Verfehlungen aus der eigenen Vergangenheit hergibt, dass auch Juls Gewissen bereits schon viel zu lange unterernährt, leb- und farblos vor sich hin vegetieren musste; wann hätte es sich denn auch erholen sollen vom Spießrutenlaufen durch Kindheit und Pubertät. Erschien es doch bereits schon frühzeitig immer abgestumpfter in den täglichen, triebüberwinternden Kämpfen und Feigheiten, in Enge und Labyrinth zwischen den verborgenen, rückenbrechenden, christlich abendländischen Grenzpfosten und Drohungen. Sein Gewissen konnte sich ja nicht mal mehr an eine reine kindliche Aufrichtigkeit erinnern, die – falls je vorhanden - sowieso spätestens in den 68-ern während der missglückten Verdauung der in unmittelbar zeitlicher Nachbarschaft stehenden und ständig überschwappenden kalten Suppe aus ekelhaft – brauner Vergangenheit hätte drauf gehen müssen. Wie auch immer, um sich spätestens von da an vor möglichen Schmerzen im historisch - menschlichen Versagen zu schützen, klammerte sich Jul seitdem sowieso nur noch an das allgemein moderne Selbstverständnis, jegliche engagierte Aufmerksamkeit im Aufstieg auf der Karriere- und Verdienstleiter ein für allemal hinter sich lassen zu können, gepaart mit der Hoffnung, dass ihn so die Geister der Verantwortung und der Besinnung in Zukunft ein für alle Mal unbehelligt ließen. Umso unfassbarer für ihn daher, dass nun doch einer von ihnen vor ihm stand, mit dieser Forderung an sein Gewissen, ausgerechnet unter dem Gewicht einer mittlerweile dermaßen schwer gewordenen Wohlstandsdecke eine neue Lebendigkeit hinzubekommen und den Kontakt wieder aufzunehmen. Wen wundert es da, dass sich Juls Schwächezustand im weiteren Verlauf nur noch weiter verschlechterte und sein Gleichgewicht noch mehr ins Wanken geriet?​


Noch wollte Jul aber nicht aufgeben; noch wollte er sich nicht geschlagen geben: Annehmlichkeit, Stolz und Würde über all’ die Jahre; all’ das konnte er nicht einfach kampflos den in die Ecke treibenden Vorhaltungen aus Schuldgefühl und gierigen Gewissensbissen überlassen? Verzweifelt versuchte er daher seine menschheitsfähigste Waffe nachzuladen bzw. aufzurüsten: VERDRÄNGUNG!
Ist es doch das Zauberwort, dessen Zauber, wie wir wissen, jeglichen verbindenden Worten nach und nach die Bedeutung raubt, damit wir ungestört weiter gemeinsam viel zu eng und zu lang in Zwei- oder Mehrsamkeit baden können, obwohl uns das trüb gewordene Wasser bereits bis zum Hals steht; auch, wenn wir ab und zu zwar wohl mal gezwungen sind hilflos zu grübeln, zuweilen sogar Abstand halten; dann aber meistens doch nur deshalb, um uns letztendlich ungestört immer weiter mit uns abzulenken zu können…
Der Geist wusste allerdings nur zu gut, wie robust die Widerstände im Menschen seiner Selbsterkenntnis trotzen. Er benötigte daher dringend Verstärkung durch einen weiteren Geist ( und auch wer Dickens nicht kennt, kann den Namen an zwei Fingern ablesen: Genau! Geist Nr.2 . Auch er ohne ein Wort auskommend, knüpfte derweil lapidar an die meist viel zu wenig in Anspruch genommene und auch heutzutage noch immer sehr einseitig interpretierte Erkenntnis an, die er sichtbar im Badezimmer in einer Art Filmvorführung kurz und knapp veranschaulichte, nämlich, dass das Leben kurz und kostbar ist. Eindrucksvoll richtete er dabei standesgemäß einen seiner sehr bedrohlich todblassen Zeigefinger auf bildreiche Szenen mit den ätzenden Vorhersehbarkeiten und routinemäßigen Badevorgängen aus Juls Alltag; verwies auf deren endlose Wiederholungen, in denen Lebendigkeit und Liebe bereits gefährlich ausgetrocknet wirkten und deren Erlebnisse nun deutlich ausgeblichen zum völligen Austrocknen an der kurzen Leine hingen…

Jul versuchte weiter hartnäckig und so gut es ging, sich zu wehren und Geist Nr.2 musste tatsächlich zwischenzeitlich zumindest eine kurze Erleichterung lang hinnehmen, sich Juls zuverlässig bereit stehenden Mittelfinger gefallen zu lassen: Dieses symbolträchtige Zeichen, das neben dem Zeichen des Kreuzes nicht nur in Juls Leben so manches Mal Pate steht, um möglichst ohne Argumente auszukommen und sich dennoch im sicheren Hafen normal geltender Anerkennung auf gängigen Augenhöhen zu bewegen. In dieser Art von Gegenwehr konnte sich Jul zwar selten länger, als für kurze Zeit über Wasser halten; eine Zeitspanne, die zumeist jedoch ausreichte, sich nicht den Boden unter seiner Wanne wegziehen zu lassen... diesmal allerdings, in der Unausweichlichkeit einer derart geballten geistigen Gegenwart, in einem zunehmend emotional auslaugenden, immer rascher werdenden Gezeitenwechsel der Wasserspie-gel seines Badewassers und im Schwinden seiner sonst so erfolgreichen seelischen Anspruchslosigkeit; Jul wurde immer dünnhäutiger und befand sich auf dem besten Wege, sich in den weihnachtlichen Tiefen seiner sonst so beständigen Oberflächlichkeit zu verlieren und letzte vertraute Sicherheiten aufzugeben; was wohl auch der Vorstellung recht nahe kam, tragisch im eigenen Badewasser zu ertrinken. Tja, insofern war das, was dann geschah, ja auch nur noch ein Leichtes, den Akt passend an dieser Stelle - dramaturgisch betrachtet – einem folgerichtigen Ende zuzuführen. Allerdings bedurfte es noch zusätzlich der Anleitung und den Auftritt eines weiteren ganz besonderen geistigen Oberhauptes, der sich dem Namen nach aller guten Dinge widmete und sich daher „GEIST NR. DREI“ nannte. Dieser wusste nur zu gut, worauf es ankam, eine finale, filmreife Umerziehung hinzubekommen: dort anzusetzen, wo jeder von uns am verwundbarsten erscheint, in Stolz und Würde, im Glauben an das einzigartige „ICH“.

Ebenfalls „ohne Worte“ begann der daher sofort damit, Jul in eine perfekt inszenierte Nahtoderfahrung zu schicken, ihm dort lauter unangenehme, finstere, aber auch bekannte und vertraute Gesichter vorzustellen. Es brauchte lediglich eines kleinen Zaubers, sie nun deutlich sichtbar werden zu lassen, so, wie sie eifrig hinter Juls Ich an den unterschiedlichsten Fäden zogen, seit je ihren Schabernack mit ihm trieben; und Jul dämmerte nach und nach in schockierender Weise, wie sie in subtilster Form bereits seit seiner Geburt mehr oder weniger unbemerkt nicht nur in politischer Hinsicht unter seiner Haut Platz genommen hatten, täglich mehr oder weniger ein- und ausgingen, sich heimlich vorbei drückten an der törichsten von Juls naiven Hoffnungen; „ich bin einfach nur ich“ ...und er erhielt so den leidvollen Einblick darüber, wie sehr er seitdem mit ihnen zwangsläufig immer mehr in die Breite gegangen war, ohne noch zu wachsen…

Anfangs war es für Jul schwer und ungewohnt, sie alle auszumachen, sie wiederzuerkennen, die ungebetenen, aber auch die mittlerweile träge und selbstgefällig gewordenen „Gäste“ zwischen den gut genährten Fettwülsten seiner blassen Haut... Schwerer fiel es ihm, sie in ihren Abdrücken auf seiner Seele in einer Art Spurenlese genauer zu identifizieren und im einzelnen unter die Lupe zu nehmen. Und er war nicht schlecht erstaunt darüber, wie viele sich in den mittlerweile kaum noch einsehbaren Versenkungen aufhielten, nur, um zum richtigen Zeitpunkt, hinter ihrer Maske mit den überheblichen, selbstgefälligen, teils ausgelatschten, teils messianisch oder rückwärts gewandten Botschaften sein Innenleben und sein Selbstbewusstsein zu kontrollieren. Hierzu gehörte vor allem auch ihr Bestreben, in den vielfältigen Momenten von Juls Einsamkeiten immer noch irgendwelche vermeintlich wichtige Verbindlichkeiten, Sicherheiten und Reize, seien sie auch nur käuflich, anbieten zu können. Schließlich kam es ihm vor, als blicke er in die verzerrten Angesichter einer Ahnenreihe kubistisch angeordneter Fahndungsbilder, deren Profile in immer deutlicher werdenden Zügen gegenwärtigen und vergangenen Wegbegleitern ähnelten. Am wenigsten noch war er erstaunt darüber, um wie viel deutlicher als bisher angenommen er sich in Übereinstimmungen wiederfand innerhalb sehr markanter und zum Teil abgründiger Zeichnungen im Antlitz seines Vaters oder seiner Mutter.

Juls „Fall“ sollte sich noch weiter fortsetzen… Um die Inhalte innerhalb all’ der personifizierten geistigen Gitterstäbe in deren algorithmisch – pandemischer Einfältigkeit und Wirkung noch eindrucksvoller zu veranschaulichen, zog Geist Nr. DREI gut hörbar zusätzlich Stimmen aus einigen ihrer gängigen Infektionshotspots heraus. Stimmen, aus denen möglichst unsichtbare, sprachliche Vorurteile anfangs freundlich, dann mehr und mehr ihrem Dogma verpflichtet, ihre zumeist ahnungslose Schuld verließen. Beiträge, in deren anberaumter Gegenwart zum Ortstermin Jul sich jetzt qualvoll im notwendigen Abstand zu wahllosen Hörbeispielen als eine Art Zeuge wiederfand; in schmerzender Distanz zu fremden, aber durchaus auch eigenen Nerv tötenden Inhalten, fantasielosen Kommentaren und phrasenhaften, stereotypen „Wortimpfungen“. Rasch sah er sich schallträchtig umgeben von deren allzu betonten Glaubenssätzen, so, wie sie unaufhörlich an der „Bildung“ seiner Lebenskonzepte nach immer gleichem Herdenmuster gewebt hatten; Botschaften, von denen Jul bisher immer überzeugt war, dass sie wie selbstverständlich und mediengerecht zu seiner kleinen „Welt“ gehörten und - selten genug - auch mal nicht. Äußerungen, wie sie tagtäglich wie fast beiläufig beständig um ihn herum über den „Ladentisch“ gingen, die nun aber in schmerzlicher Distanz und im Filter höherer Einsicht sich als gefährliche Einflüsterungen herausstellten, die offenbar seit seiner Geburt versucht hatten, Juls Kopf eigentlich nur unter Wasser zu drücken oder ihn gerade noch vor dem Ertrinken zu retten. Und so vernahm er wie aus der Ferne einige ihrer gängigsten Inhalte…​


sei einfach besser als andere…, die Welt ist, was sie ist und wie sie ist, eingeteilt in Gewinner und Verlierer, finde dich ab, falsch oder richtig ... was gibt es da zu verzweifeln; entscheide dich einfach nur für richtig oder falsch, du oder der andere, arm oder reich, und denke daran... du bist keine fünfzehn mehr...“

Kostproben, wie sie laut und lauter in ihrer gebetsmühlenartigen Beschallung schon immer jeglichen höheren Geist auf menschlichem Verarbeitungsniveau zu materialisieren und zu missbrauchen suchten; ebenso, wie sie ästhetische Ansprüche als zumeist nicht essbar zurückwiesen und nun im Abstand näherer Betrachtung sich als diejenigen von Juls ängstlichsten, lautstärksten, langweiligsten und einfältigsten Überzeugungen herausstellten; so, wie sie nun mal durch die geistige Versorgung besorgter Eltern, fantasieloser Freunde und Feinde, systemtemperierter Lehrer, putziger Tanten, geltungssüchtiger Onkel oder welcher Beamten würdigen Bezugsgruppe bzw. juristischen Person auch immer zugeordnet, an Juls „werdenden Mann“ gebracht worden waren. Sie alle hatten offenbar, ebenso wie er auch, in der kleinen kulturellen Nische aus Fremdbestimmung ihren eigenen Worten geglaubt; hatten fleißig gebastelt an „Schönheit“ und „Enge“ ihres Tagesbuchs, an den Laufstegen eines Lebensmanifests, so, wie es nach und nach in tragischer Weise eben auch Juls empfindsames individuelles schöpferisches Selbst-Bewusst-Sein und kreatives Repertoire aus Kindheitstagen einfing und es bereits so schrecklich früh in Ignoranz und Starrheit gewandelt hatte, um es nach und nach auf buntem Badeschaumniveau überflüssig werden zu lassen:

Vergeude keine Zeit ...sei Realist...halte dich nicht auf in nutzlosen Träumen und mit nichts nutzen Träumern…“ eine Unzahl von Einflüsterungen, wie sie eindringlicher nicht hätten sein können; Glücksrezepte, um auf zeitgemäße Wirklichkeiten einzuschwören…Zusätzlich füllte sich das Bad aber noch aus anderer „Heilsquelle“ mit einer ebenfalls vertrauten und nicht weniger aufdringlichen Stimme. Diese kam aus einer Richtung, aus der die für die Zeit typischen, entleerten Lebensräume mit Heilsbotschaften wieder bewohnbar gemacht werden sollen. Diese meldete sich zumeist in den Erlebnisstaus einer übermäßigen Gier nach den Highlights materieller Ich-bedürftiger Übertreibungen. Eine sanfte Stimme, die mit verführerischem Anspruch regelmäßig mal „vorbeischaute“, um sich in zumeist kostspieligen Fortbildungen um ein weiter entwickeltes therapeutisches und bei religiösen Defiziten auch esoterisches Ich zu kümmern:
„Wir wollen doch wohl nicht verzweifeln….“ flüsterte sie sich ausgesprochen betont mit weiser Zurückhaltung in Juls Ohr und in sein Bewusstsein hinein...„schau, suche die Stille einfach nur dort, wo du glaubst, deine Verzweiflung spüren zu müssen; finde dich ab, sei nur du selbst, alles ist doch irgendwie ok in der Weite des Universums, egal, ob Gott, ob Geist; es ist doch so einfach… schau die Unendlichkeit... je weiter, desto weniger spielen deine Probleme und die deiner Mitmenschen noch eine Rolle...schaffe dir einfach einen Überblick, in dem es dir gut geht, verzeih' deinen Eltern... lass dich fallen und denke immer daran, wie viele Hände dich auf den Arm nehmen möchten! Und du musst nichts…ja, ich weiß, Schnäppchen aus Kinderhänden, hungrig sterbende Kinderbäuche für Öl und Krieg, Menschen in „wütenden“ Flüchtlingslagern, Heuchelei, Dummheit, Zerstörung, Feigheit, alles gut und schön, du Lieber, doch schau, jeder sollte doch die Verantwortung für sich selbst... Jul sah sich auch jetzt sogleich wieder verführt und entlastet, sah sich im Einklang solcher Worte im Geiste wohltuend bereit, sich auszustrecken mit schweren Armen, einer tiefen, ruhiggestellten Bauchbeatmung und dem risikolosen, betäubungsfähigen Mantra:„Alles ist gut, so, wie es ist...fang nicht wieder bei Null an, wo bereits schon alles Eins ist, spüre einfach nur die wohlige Wärme... in deiner Wanne.


Immer mehr Stimmen aus Gegenwart und Vergangenheit mischten sich in Juls Aufmerksamkeit, bis er letztendlich nur noch verzweifelt die Handflächen fest gegen seine Ohren pressen konnte. Das Gedränge all' der unsichtbaren Seelen in seiner Wanne war kaum noch auszuhalten. Eine Erkenntnis jedoch wurde in Jul immer lauter und unerträglicher: Jeder wusste seit langem, wer er war, während er nach und nach jeden Kontakt zu sich selbst abgebrochen hatte. So, wie er auch, wollten alle eigentlich einfach nur mitreden und profitieren von irgendeinem Aufstand, irgendeiner Beachtung. Allerdings begaben sie sich die meisten zumeist in schwereren Momenten, sofort und gefahrlos wieder in die Friedfertigkeit ihres Verstecks, während sich andere permanent von der Angst bedroht fühlten, Einfluss zu verlieren.

Die Wanne wirkte nur noch weiß und kalt…So mühte sich also seit ewiger Zeit ununterbrochener Ansteckung eine Art Lobbyismus ab, versprach immer wieder kurzfristiges Erlebnis-Wachstum in den ewig altbekannten Bestechungsversuchen und drohte fast beiläufig – was fast noch schrecklicher wiegt – ständig mit Liebesentzug, Leid und Strafen.

Mit der allerhöchsten Anforderung an Entschlossenheit und einem Mut der Verzweiflung wagte sich Jul tatsächlich zittrig über seinen Wannenrand und hatte große Mühe nicht auszurutschen. Da drang plötzlich vom Erdgeschoss her etwas ungemein Vertrautes an sein Ohr. In all‘ dem erlittenen Stimmengewirr überragte eine besonders lieblich - raue Stimme das ganze Geschehen; eine Stimme, die mühelos vom Flur bis ins obere Bad reichte und... die seiner Frau Marie gehörte. In letzter Rettung war sie es oder besser gesagt ihre Stimme, der es - nichts ahnend - gelang, Jul nicht nur mit größt-möglicher Erleichterung wieder in die Normalität seines winzigen Felsens oberhalb seiner mittlerweile eiskalt gewordenen Brandung zurückzubringen, nein, zusätzlich fegte sie auch noch in all‘ ihrer tonalen, praktischen Ungeduld und Bestimmtheit jeglichen Spuk im Nu aus dem Badezimmer und aus dem Haus:​

Schatz, beeile dich bitte, die Gäste kommen gleich!“

 

Hallo Otto Müller, herzlich Willkommen auf der Seite der Wortkrieger.
Ich habe mir erlaubt, den Titel deines Textes zu verschönern. Da sind nämlich ein paar Leerzeichen abhanden gekommen und an anderer Stelle zu viel aufgetaucht.
Leider ziehen sich derartige Formatierungsfehler durch den gesamten Text. Würd ich an deiner Stelle unbedingt dran schrauben, da all das recht störend auf das Auge wirkt.

Blick über den ( Wannen ) Rand...eine Weihnachtsgeschichte
Auch den dicken Punkt habe ich entfernt.

Was ich außerdem entfernt habe, das sind die Fettmarkierungen zu Beginn des Textes. Nicht entfernt habe ich die Trennungsstriche (hab sie mal markiert) innerhalb des ersten Abschnittes, die dir reingerutscht sind. Das passiert durch die Übertragung, du siehst, dass es in meinem Zitat bei einem Wort noch stimmt, leider aber nicht im Gesamttext. Da würde ich an deiner Stelle unbedingt noch einmal nacharbeiten. Dein Text ist lang und recht redundant, da sollte es keine oder wenigstens nur wenige störende Auffälligkeiten geben, die aus dem Lesen reißen.

Wohl gibt es eine lange Zeit die Wanne volllaufen zu lassen, mit den vorzüglichsten Gewohnheiten, in ihnen wieder und wieder heiß zu baden, während Liebe und Geist bereits wehrlos dem Schrum-peln meiner und deiner Haut zusehen müssen. Egal, denkst du da voraussichtlich, Hauptsache warm und sauber! Klingt es doch zutiefst menschlich, wenn es heißt, bloß nicht den Stöpsel ziehen, solange es einem einigermaßen geht. Und mal ehrlich, wer will denn schon absichtlich frieren, ich nicht, du nicht - zumindest doch wohl jetzt noch nicht; so oder so ähnlich denkt da wohl erfahrungs-gemäß ein „Jederman(n)“!

Und ein allerletzter Hinweis: Der Satz am Ende dieses Abschnittes ist leider unverständlich. Ich weiß zwar ungefähr, was du meinst, aber er ist schon sehr unpräzise. Da er direkt am Anfang steht, würde ich umformulieren. Ich merke zwar, dass du gerne leicht ironische, süffisante Beobachtungen einstreust, aber du das sehr gehäuft machst (für meinen Geschmack viel zu gehäuft) würde ich doch aufpassen, dass da wenigstens nichts Holpriges eingebaut wird:
Wohl gibt es eine lange Zeit die Wanne volllaufen zu lassen, mit den vorzüglichsten Gewohnheiten, in ihnen wieder und wieder heiß zu baden, während Liebe und Geist bereits wehrlos ...

Viele Grüße und viel Spaß bei uns.
Novak

 

Hallo Novak,

vielen Dank für deine Rückmeldung und für die Korrektur meiner "verstolperten" Übertragung.
Was deine Kritik an dem Text betrifft, so kann ich die Gefahr der Leserüberforderung und Redundanz gut nachvollziehen. Nach etwas Distanz zum Text werden ich die einzelnen Passagen hinsichtlich deiner Anmerkungen überprüfen. Kann ich fehlerhafte Formatierungen im Text eigentlich im Nachhinein noch korrigieren?

Viele Grüße
O. Müller

 

Hallo Otto,

Kann ich fehlerhafte Formatierungen im Text eigentlich im Nachhinein noch korrigieren?
Unter dem Text gibt es einen Schalter „bearbeiten“, damit gelangst du in den Änderungsmodus. Je nach Endgerät kann der Schalter auch hinter drei Punkten versteckt sein.
Viel Spaß hier und viele Grüße,
GoMusic

 

Hallo GoMusic,
vielen Dank für deinen Tip...hab jetzt viele Trennungsstriche gefunden, aber der Text ist immer noch nicht kürzer geworden...
Viele Grüße,
Otto

 

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