- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 17
Blind Date
"Okay, denn bis Samstag, ich freue mich schon."
"Ich mich auch, Ciao", kam es aus dem Telefonhörer.
Langsam schaltete Thomas den Handapparat seines schnurlosen Telefons aus und legte ihn zurück auf den Wohnzimmertisch. Der Akku war leer und sie mussten das Gespräch beenden. Ein Gespräch mit einer Frau, die er kaum kannte. Auf einer Singleseite im Internet hatte er sie kennen gelernt. Nach ein paar Mails hin und her war schnell klar, dass sie sich schon schriftlich sehr gut verstanden. Doch Thomas befürchtete, dass es wie so oft am Telefon nicht mehr gehen würde, dass dieses Verstehen einfach nicht mehr da war. Doch genau das Gegenteil trat ein, erstaunt registrierte er, dass es zwei Stunden waren, die sie sich unterhalten hatten. Und nun wollten sie sich nächsten Samstag zum Kaffeetrinken treffen.
Er hatte solche Erfahrungen schon mehr als einmal gemacht, schriftlich verstand er sich gut mit einer Frau, aber so bald es real wurde oder sogar schon am Telefon merkte er schnell, dass er mit ihnen nicht auf einer Wellenlänge lag. Und kam es denn trotz seiner Bedenken zu einem Treffen, dann bewahrheiteten sich seine Befürchtungen nur allzu oft. Eigentlich hatte er die Hoffnung verloren auf diesem Weg eine Freundin zu finden. Bis Thomas sich mal wieder aus purer Langeweile an den PC setzte und die Singleseite besuchte, auf der er bis vor wenigen Wochen aktiv und täglich zu treffen war. Ihr Name fiel ihm sofort ins Auge, "Cara" nannte sie sich einfach nur. Das gefiel ihm, kein Name mit Sonne, Sternchen, Schätzchen oder solchen Verniedlichungen. Einfach nur "Cara". Thomas' Neugier war geweckt und er klickte den Namen an. Und auch das Profil überraschte ihn mehr als positiv, Hobbies, Musikgeschmack, zu jedem Thema waren aussagekräftige Antworten zu lesen, Antworten, die ihm gefielen, die etwas aussagten, auch wenn sie nicht hundertprozentig mit seinem Geschmack übereinstimmten, so strahlten sie doch viel Charakter und Individualität aus. Er musste ihr einfach schreiben.
Und jetzt hatte er mit ihr gesprochen, nach nur einer Woche. Thomas ging in die Küche und machte sich Kaffee. Irgendwie musste er seine Hände beschäftigen, das lange Gespräch wirbelte ihm noch durch den Kopf. Er hatte keinen Grund nervös zu sein, zu mal das Treffen erst in drei Tagen sein sollte, aber die Spannung war schon da…
…die Spannung war auch da als er auf eine Antwort von ihr wartete. Würde sie ihm schreiben, würde ihr sein Profil gefallen genau so wie das ihre ihn sofort ansprach. Ja, es kam eine Antwort und was für eine. Ausführlich erzählte sie noch mehr von sich, beschrieb ihren Musikgeschmack genauer und so kamen sie immer mehr ins Gespräch. Erstaunt stellten sie fest, dass sie vor zwei Wochen in dem selben Konzert in der nahen Stadthalle waren. Lächelnd dachte Thomas daran, dachte, dass er sie an dem Abend vielleicht sogar schon gesehen hatte. Sicherlich eher unwahrscheinlich, aber diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf.
Trotz langer Mails mit viel Inhalt fragte Christiane ihn nie nach einem Foto. Thomas interessierte es aber auch nicht sehr, ihm war sowieso schon immer wichtiger sich mit seinem Partner gut zu verstehen als die Frage, ob das Gesicht rund ist oder die Farbe der Haare blond. Für Thomas war ein Bild immer nur eine Momentaufnahme, der Bruchteil einer Sekunde, es sagte für ihn nicht viel aus.
Sie war es auch die nach einem Telefonat fragte. Einfach erstaunlich diese Frau, dachte Thomas noch, normalerweise war er es auf dieser Singleseite gewohnt, dass er als Mann den ersten Schritt zu machen hatte, dass er nach einem näheren Kennen lernen fragen musste. Ziemlich veraltet diese Ansicht, klar, das bestätigte auch jede Frau, die er darauf ansprach, aber offensichtlich zog diese alte Tradition noch immer.
Der Kaffee schien durchgelaufen zu sein. Er ging in die Küche, leerte den gebrauchten Kaffeefilter in den Mülleimer, schenkte sich seine Tasse ein, spülte die Kanne aus und schlürfte am heißen Getränk…
…Kaffee. Samstag würde er Christiane zum Kaffee treffen. Er wusste nicht einmal wie sie aussah, vielleicht hätte er doch nach einem Foto fragen sollen. Nein, es war okay so, so war es viel spannender.
***
Langsam wurde Thomas immer nervöser. Früh war er heute Morgen aufgestanden, kaufte wie immer für die erste Hälfte der Woche ein, sortierte die Lebensmittel in die entsprechenden Schränke und gönnte sich ein ausgiebiges Frühstück. Und wieder dachte er bei seinem morgendlichen Kaffee an seine Verabredung heute Nachmittag. Arbeit und seine DVD-Sammlung lenkten ihn die letzten drei Tage gut ab, aber nun, ein paar Stunden vor dem Termin machte sich seine Neugier und Nervosität mehr und mehr bemerkbar. Wie sollte er die Zeit bis dahin nur überbrücken?
Das Geschirr wusch er heute mal gleich ab – normalerweise benutzte er seine Tasse auch gerne mal mehrere Tage hintereinander. Was jetzt? Er setzte sich an seinen PC und ging erst einmal online, checkte seine E-Mails, Christiane hatte nicht geschrieben. Das erwartete er auch nicht, sie wollten nicht schon alle Themen vor diesem Treffen abklären. Sie wollten sich noch was zu erzählen haben. Auch wieder ein Hinweis auf ihre Außergewöhnlichkeit wie er fand. Er kannte es meist so, dass erst einmal sämtliche Themen abgefragt wurden, und dann, so kam es ihm vor, wenn denn genug Übereinstimmungen gefunden waren, dann telefonierte man vielleicht mal.
Also klickte sich Thomas ein wenig durch seine Lieblingsseiten im Internet, konnte sich aber nicht richtig auf die Texte konzentrieren, die er zu lesen bekam. Aktuelle Weltpolitik, Wetterberichte, die neue CD seiner Lieblingsgruppe, alles Themen die sein Interesse kurz aufflackern ließen, die ihn aber nicht ablenken konnten. Auch seine aktuelle Lektüre würde ihn nicht ablenken, er probierte es gar nicht erst aus.
Ein Blick zur Uhr, noch immer zwei Stunden bis er los konnte. Vermutlich würde er viel zu früh am vereinbarten Treffpunkt sein. Für ihn war Unpünktlichkeit ein absoluter Gräuel, er wartete lieber ein halbe Stunde als dass er nur fünf Minuten zu spät kam, in diesem speziellen Fall ganz besonders. Das lange Warten machte ihn nur noch nervöser und endlich zum Treffpunkt fahren zu können würde wie eine Erlösung für ihn sein.
Er warf einen Blick in den Schrank und suchte sich schon einmal die Sachen für nachher heraus. Nicht gerade sein Lieblingshemd was er auswählte, aber es sah ordentlicher aus als diese einfachen Jeanshemden, die er sonst trug. Auch eine blaue Jeanshose sollte es heute nicht sein, er entschied sich für die beigefarbene, leger und doch ordentlicher als seine anderen Hosen. Das gefiel ihm, ja, ob Christiane jetzt auch vor ihrem Schrank stand? Er war eigentlich nicht der Typ, der sich große Gedanken um seine Kleidung machte, aber heute…es war schon komisch.
Ein weiterer nervöser Blick zur Uhr, noch anderthalb Stunden. Rasieren musste er sich unbedingt vorher noch. Und wenn er denn schon einmal dabei war, konnte er sich auch gleich unter die Dusche stellen. Froh, endlich etwas machen zu können, begab er sich ins Badezimmer. Vorsichtig rasierte er die Bartstoppeln, sich jetzt bloß nicht die Haut anritzen mit der Klinge. Den Rasierschaum mit Wasser abgespült, ein prüfender Blick in den Spiegel, noch ein paar stehen gebliebene Stoppeln entfernt, und er war zufrieden.
Heute gönnte er sich eine ausgiebige Dusche ohne das Wasser zum Abseifen abzustellen. Es beruhigte ihn ein wenig, das warme, fast unerträglich heiße Wasser auf der Haut. Frisch gewaschen stieg er aus der Duschkabine, rubbelte sich seine kurzen Haare, trocknete sich weiter ab und zog sich die zurecht gelegten Sachen an. Ein weiterer Blick zur Uhr, noch immer eine halbe Stunde zu früh, aber er konnte los. Sie waren am Hauptbahnhof verabredet, er konnte denn ja noch ein wenig in den Bücherläden stöbern.
Ein letzter prüfender Blick in die Wohnung, alle Geräte waren ausgeschaltet, noch ein letztes Mal imaginären Staub von seiner Jacke geklopft, Schlüssel und Portemonnaie eingesteckt und er machte sich auf den Weg.
***
Eine halbe Stunde später traf er beim vereinbarten Treffpunkt ein, und wie er erwartete, war sie noch nicht da. Den Treffpunkt kannte er sehr genau, er war hier schon mehr als einmal vorbei gegangen, wenn er auf dem Weg in die Stadt die Abkürzung durch den Bahnhof nahm. So brauchte er sich nicht an die Umgebung gewöhnen. Auf direktem Weg steuerte er die Buchhandlung im Bahnhof an. Dort blätterte er in den ausgelegten Computerzeitschriften. Nicht besonders konzentriert las er die Themen der jeweiligen Magazine. Thomas' Blick wanderte durch den Laden, war es vielleicht sogar schon Christiane, die an der Kasse stand und ein Buch erwarb. Nein, die Haare sind zu hell, sie hatte gesagt, ihre wären dunkelblond. Die der Dame an der Kasse waren eindeutig hellblond, wobei Thomas daran zweifelte, dass sie von Natur aus so hell waren.
Kurz ging er aus dem Laden, ein Blick zur Bahnhofsuhr, noch zwanzig Minuten. Der Weg zum Treffpunkt war nicht weit, in seinem normalen Schritttempo keine fünf Minuten, aber er war nun auch langsam zu nervös um sich noch auf Zeitschriften und Bücher konzentrieren zu können. Also schlenderte er langsam zu seinem Date.
Unterwegs sah er sich die Zugfahrpläne an, lauschte auf die Lautsprecherstimme, die an- und abfahrende Züge ankündigte, warf einen kurzen Blick auf die Auslage eines Bäckers, lächelte einem spielenden Kind zu und immer wieder sah er zur Bahnhofsuhr.
Jetzt konnte er sogar schon den Treffpunkt sehen, Südausgang des Bahnhofs, bei dem Eiscafe. Sie schien noch nicht da zu sein, zumindest stand keine Frau davor. Ein Blick auf die Uhr. Noch zehn Minuten.
Es hatte keinen Sinn jetzt wieder weg zu gehen, also stellte er sich etwas neben den Eingang zum Cafe und wartete.
Ein Teenager schob sein Fahrrad zum Ausgang, sah ihn an und lächelte. Er lächelte freundlich zurück.
Drüben quengelte ein Kind an der Hand seiner Mutter.
Ein Mann im Anzug und mit Aktenkoffer hastete in Richtung der Bahnsteige.
Ein Penner im schäbigen Mantel schob einen Einkaufswagen an ihm vorbei.
Gerade drehte er sich ein wenig zur Seite, um auf die Bahnhofsuhr zu gucken, da wurde ihm auf die Schulter getippt. Fast ein wenig hastig drehte er sich um und sah in ein strahlend lächelndes Gesicht.
"Du heißt nicht zufällig Thomas?", fragte sie.