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Blobbel
Der Tag, an dem ich meinen Blobbel verließ, war ein Tag wie jeder andere. Genau das machte mich so gefährlich.
Ich weiß nicht, ob Esther Schüller mich an jenem Morgen ansah. Das Sonnenlicht überwand geschickt die Barrikaden des Innenhofs und kämpfte sich durch das winzige Bürofenster in den grauen Raum. Stolz und glänzend klebte es an der weichen und doch firmen Oberfläche ihres Blobbels, wie das Banner einer kleinen Festung. Fast schon schön. Der runde Blobbel umschloss sie fest, wie gute Blobbel es nunmal tun. Nicht wie eine zweite, sondern wie eine bessere Haut, so der Slogan. Ich erinnere mich an den Impuls, meine Finger hineinzuschlagen um das klebrige Innere zu sehen.
Dumpf waberte Schüllers Stimme durch die gallertartige Masse. "Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen Vertrag. Das ist eine sichere Stelle. Ich hoffe, Sie freuen sich. Haben Sie noch Fragen zu den Modalitäten?"
Ich überlegte und starrte weiterhin auf den Sonnenfleck. Um meinen Kopf zu heben und in ihr milchiges Gesicht zu schauen, fehlte mir der Antrieb.
Gefühle würde ich dort eh nicht sehen, jenseits der mahlenden Genugtuung der Pflichterfüllung.
Selbst dann nicht, wenn ich sie wirklich erblicken könnte.
Ewig könnte ich so stehen, dort wo ich hingehöre, und mich nicht bewegen.
"Was wäre, wenn ich es mir eines Tages anders überlegen sollte? Wenn ich was anderes will?"
Es war kurz still. Nervös rollte ich ein wenig vor und zurück. Das schmatzende Geräusch meines Blobbels lenkte als einziges von der Tatsache ab, dass ich eine Frage außerhalb der Konventionen gestellt hatte.
"Hhmm. Das wäre womöglich mit ein paar Nachteilen für Ihre finanzielle Absicherung in Zukunft verbunden. Sie sollten sich schon sicher sein."
Ich nickte. Ja. Stimmt wohl. Danke. Danke für Ihre Zeit. Schönen Tag noch. Und schönen Feierabend später.
Langsam rollte ich in den Mulden der vorgezeichneten Wege zurück an meinen Schreibtisch. Mit eleganter Effizienz verband ich den Rechner mit meinem System. Das kühle Metall war das einzige, das durch den Blobbel zu mir durchdrang.
Nachrichten scannen. Stagnation, Resignation und Kollateralschäden. Zum Kotzen blieb keine Zeit. Schnell Anfragen abarbeiten, zum nächsten Schreibtisch schieben. Ab und zu genehmigte ich mir einen Blick nach draußen.
Der Kirschbaum verlor die letzten Blüten, zärtlich vom Wind zu Boden getragen. Abendleuchtende Grashalme wanden sich in den Böen.
Irgendwo lachte jemand. Irgendwo schrie jemand.
Meine Tränen konnte ich nicht spüren.
Die Schere lag direkt neben mir.
Als mein Kollege Erhan das Büro betrat, wäre er fast weggerutscht. Flüssigkeit und Brocken besudelten den glatten Boden.
Mit meiner ganz eigenen nackten Hand durchstieß ich seinen Blobbel und fasste ihn am Fußgelenk, Haut an Haut, Aug in Aug, und zog ihn vom Weg, zu mir.