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Blumenmädchen

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21.08.2006
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Blumenmädchen

„Warum hat er mich nicht verstanden?“ – plärrte sie und während die Frage noch in ihrem Kopf herumspukte, machte sich bereits neuer Unmut in ihr breit. Sie wusste nicht ein noch aus. Der Mann hatte Lisa in seiner Eile angerempelt, dabei waren ihr die Blumen, die sie im Arm trug heruntergefallen, genau den anderen Leuten vor die Füße und in ihrer alltäglichen Unachtsamkeit überliefen die Großen Lisas Blumen. Lisa und ihre Blumen waren im Meer der Großstadt dem Kentern nahe. „Die sind nicht für euch gewesen!“ schrie sie. Dieser Rempler hatte sie als noch lange unter den Großen Unerfahrene stärker vom Kurs abgebracht, als sie es sich je hätte träumen lassen; sie war noch grün hinter den Ohren, nur noch nicht in der Lage das – in der Sache – zu verstehen.

„Entschuldige, Kleines.“ hatte der Mann gesagt, seinen Anzug gerade gerückt und war einfach weiter gegangen. Lisa ließ er in ihrem verstörten Versuch die Blumen vom Boden und ihren alten Weg wieder aufzunehmen, inmitten der sie umströmenden Menschenmenge zurück. Sie hatte anfänglich noch die Anstrengung unternommen sich nach den Blumen zu bücken, konnte dem Sog der Massen jedoch nicht lange Widerstand leisten. Am liebsten hätte sie laut geschrieen, als sie mit wehem Auge jeden Tritt auf ihre Blumen zu spüren glaubte; kleine Nadelstiche bereiteten Lisa einen schrecklichen Schauer. Hatte sie vielleicht sogar geschrieen? Ja, sie hatte geschrieen, doch alle hatten sie bloß kurz mit komischen Blicken beäugt, ehe sie in den Fluten des Menschenstroms keinen winzigen Gedanken mehr an das kleine Mädchen mit ihren Blumen verloren.

Lisa war sehr wohl noch in Gedanken. Niemand hatte Notiz genommen von ihrer Route, ihrem verantwortungsvollen Tun. Wie konnte das sein? Warum wussten diese Großen nicht, weshalb sie sich auf den Weg gemacht hatte? Lisa war den Tränen nahe, eigentlich weinte sie sogar. Sie hatte diese Blumen nicht behalten wollen um sie daheim der Willkür von Tag und Nacht in ihren eigenen vier Wänden auszuliefern. Diese Blumen sollten nicht ihr gehören. Sie hatte sie zu den anderen bringen wollen. Lisa merkte nicht, dass keiner sie wahrnahm, dass keiner sie wahrnehmen konnte, sondern sie sich nur selbst hörte. Sie war die Einzige, die diese stummen Schreie vernahm; sie schlug die Hände über ihrem Kopf zusammen. Lisa musste nach Hause, ihren Eltern davon erzählen, die würden den Großen schon beibringen, dass es wichtig gewesen war, nicht nur für Lisa, auch für die anderen, denen sie die Blumen hätte bringen wollen. Sie war sonst immer nur mit ihren Eltern an diesem Ort gewesen, aber heute hatte man sie alleine losgeschickt. Vielleicht würden ihre Eltern böse sein? Ganz bestimmt würden sie das. Mama und Papa hatten Lisa losgeschickt und gesagt: „Du trägst heute die Verantwortung ganz alleine.“ Lisa wusste nicht, was Verantwortung war, aber es hörte sich wichtig an. Außerdem fand sie es keinen schönen Namen für die hübschen Blumen, die sie dorthin tragen sollte.

„So viel auf einmal.“ seufzte sie und kam endlich wieder zum Stehen. Die Menschen um sie rum warteten an einer Ampel. Bei grün, hatte sie gelernt, durfte man herüber gehen. Eine Frau, die neben ihr an der Ampel stand schaute für den kurzen Moment ihres bunt bemalten Augenaufschlags etwas besorgt in Lisas Richtung, doch konnte Lisa den Blick nicht richtig zuordnen. Vielleicht, dachte sie, gehört das zum Stadtleben dazu, besorgt drein zu schauen. So lange sie mit ihren Eltern schon hier wohnte, und das war nach ihrer eigenen Einschätzung schon sehr lange, hatte sie viele Leute mit dem manchmal traurigen, leicht einfältigen, zunehmend lethargischer werdenden und bisweilen bösen Blick entdeckt. Selbst ihre Eltern nahmen diesen Blick manchmal an, fand Lisa, obwohl sie diesen früher, als sie noch auf dem Land bei Oma und Opa gelebt hatten nie zu Gesicht bekommen hatte. Eigentlich wollte Lisa aber doch gar nicht zurück nach Hause. Sie hatte ihre Aufgabe noch nicht vollendet und zu allem Ärger die Verantwortung fallen lassen. Sie war es doch nicht Schuld gewesen und würde den Eltern davon berichten, wie dieser Mann im Anzug sie angerempelt und hernach „Entschuldige, Kleines.“ zu ihr gesagt hatte.

Eines hatte Lisa bislang noch nicht gelernt, die Uhr zu lesen. Deshalb drehte sie sich schnell zu dieser Frau um und zerrte ihr am Arm. Im selben Moment schaltete die Ampel auf grün, wechselte das Männchen von der roten auf die grüne Seite, wie es die Eltern immer zu ihr sagten. Die Frau kümmerte sich nicht weiter um Lisa sondern ging über die Ampel und mit ihr alle anderen. Lisa ging auch auf die andere Straßenseite, aber nicht unbedingt aus freien Stücken, mehr wie ein Krebs den man bei Ebbe an einem Punkt entdeckt und wenn die Flut ihn mitnimmt, er nicht mehr gesehen wird. Lisa war schon einmal am Watt gewesen, mit Oma und Opa und Mama und Papa, mit allen gemeinsam. „Wir fahren in Urlaub. Freust du dich nicht, mein Kind?“ hatte der Opa damals gefragt und Lisa hatte einfach zugestimmt, obgleich sie gar nicht wusste, was es genau bedeutete in Urlaub zu fahren. Dann aber wusste sie, was es hieß, in Urlaub zu fahren. Es hieß eben auch mit baren Füßen durch den Schlamm waten und in einem Augenblick einen Krebs entdecken, der im nächsten schon wieder weg sein konnte.

Irgendwann, es war, als Mama und Papa sie darauf vorbereiteten, dass sie in die Stadt ziehen wollten, hatte sie auch gehört, dass Oma und Opa jetzt beschlossen hatten, Urlaub zu machen. „Für ganz ganz lange Zeit.“ hatte Vater ihr damals erzählt und „Sie hätten sich gerne von dir verabschiedet, Schatz, aber man kann sich im Leben nicht alle Dinge aussuchen.“ hatte ihre Mutter noch hinzugefügt. Lisa war sich sicher, irgendwann würde sie Oma und Opa wieder sehen und sie war „ein geduldiges Kind“ hatten auch Oma und Opa nicht nur ein Mal hervorgehoben. Sie hatte die Erwachsenen manches Mal über sie reden hören und wusste ungefähr, was es bedeutete geduldig zu sein. Jedenfalls war es gut, wenn man Oma und Opa wieder sehen wollte – und Lisa wollte ihre Großeltern unbedingt wieder sehen. Sie hatte keine Worte dafür finden können, doch, was sie empfand war Liebe für einen Menschen, gleich für beide, Oma und Opa hatte sie lieb.

„Können Sie mir sagen, wie spät es ist?“ fragte Lisa den nächsten Erwachsenen, den sie ebenfalls am Arm gezogen hatte, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Es ist Viertel vor Vier oder, wenn du das noch nicht verstehst, auch 15:45 Uhr.“ Lisa bedankte sich artig: „Danke sehr.“ So hatten es ihr die Eltern beigebracht. Schon so spät, dachte sie bei sich. Bei all den Emotionen und all der Verwirrung musste Lisa die Zeit vergessen haben. Immerhin, sie war ja auf dem Heimweg. „Aber ich hab die Verantwortung fallen lassen.“ – „Was redest du da? Geht es dir gut, Schatz? Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht!“ kamen ihre Eltern auf sie zu gelaufen. Dass Lisa so lange unterwegs gewesen war, hatte sie stutzig werden lassen und aus diesem Grund waren sie den Weg, von ihrer Wohnung in Richtung des städtischen Friedhofs abgelaufen, auf den sie Lisa mit den Blumen geschickt hatten, an das Grab ihrer Großeltern. Lisa berichtete ihren Eltern sichtlich aufgebracht darüber, dass sie die Verantwortung habe fallen lassen und die Leute darüber gelaufen seien, sie aber doch nichts dafür könne, wo sie doch von diesem Mann angerempelt worden war, der dann bloß „Entschuldige, Kleines.“ zu ihr gesagt hatte. Plötzlich fing Lisa das Weinen an. „Was hast du Schatz?“ fragte sie der Vater. „Sie haben mich nicht verstanden, die Großen. Dabei wollte ich die Blumen zu den anderen legen.“ brach es aus ihr raus. „Damit ich Oma und Opa irgendwann wieder sehen werde. Ich weiß, ihr habt gesagt, sie sind für ganz lange Zeit in Urlaub. Deshalb wollte ich ja geduldig sein und immer wenn wir gemeinsam dort waren, an dem Ort, habt ihr doch von Oma und Opa gesprochen und jedes Mal habe ich gehofft, dass es vielleicht recht bald ist, wenn ich sie wieder sehe.“ – „Es ist nicht schlimm, Engel. Wir werden morgen gemeinsam hingehen und du darfst die Blumen dort zu den anderen legen.“ versuchte Lisas Vater sie zu beruhigen und ihre Mutter fuhr fort: „Erinnerst du dich noch an deine Großeltern, Lisa, Schatz?“ – „Nicht so sehr. Aber ich weiß noch, als wir zusammen in Urlaub waren, Mama.“ – „Schade Kind. Denn weißt Du, es hat sie immer sehr gefreut, deine Großeltern, wenn wir sie besuchen waren und Du ihnen die Blumen überreicht hast, die wir für sie mitgebracht hatten.“ drückte die Mutter ihr Bedauern vor Lisa aus und ihr Vater ergänzte: „Ja Schatz, Mama hat Recht, für Oma und Opa warst du immer ihr Blumenmädchen.“

Alexander Bernhard Trust (2004)

 

Hallo Sajonara,

der Rubrik entsrpechend konkreter geschrieben und dem Untertext nach älter. Ich hoffe, Du wirst nicht die "eine alte Geschichte, zu der ich heute keinen Zugang mehr habe"-Karte ziehen, die ich bei Dir noch nicht, wohl aber in diesem Forum schon öfter gesehen habe.

Mir gefällt der Anfang, wenn ich ihn auch erst ab dem dritten Satz anfangen würde, das in einer Geschichte kommen hängt massiv vom 1. Satz ab :

„Warum hat er mich nicht verstanden?“ – plärrte sie und während die Frage noch in ihrem Kopf herumspukte, machte sich bereits neuer Unmut in ihr breit. Sie wusste nicht ein noch aus. Der Mann hatte Lisa in seiner Eile angerempelt, dabei waren ihr die Blumen, die sie im Arm trug heruntergefallen, genau den anderen Leuten vor die Füße und in ihrer alltäglichen Unachtsamkeit überliefen die Großen Lisas Blumen.
Mit diesem Satz, mit diesem intensiven Bild hast du mich gekriegt, warum lässt Du die Geschichte nicht damit anfangen ?

„Warum hat er mich nicht verstanden?“ – plärrte sie und während die Frage noch in ihrem Kopf herumspukte, machte sich bereits neuer Unmut in ihr breit.
Plärren ist ein sehr laxes Wort, und zudem ist unklar, ob sie nun nach aussen geht und kommuniziert oder in der Innenwelt bleibt.

Lisa war den Tränen nahe, eigentlich weinte sie sogar.
Warum eigentlich ? Das schwächt den Satz und das Bild, lass die Tränen fliessen.

Am liebsten hätte sie laut geschrieen, als sie mit wehem Auge jeden Tritt auf ihre Blumen zu spüren glaubte; kleine Nadelstiche bereiteten Lisa einen schrecklichen Schauer. Hatte sie vielleicht sogar geschrieen? Ja, sie hatte geschrieen
Du wiederholst sehr viel und sehr oft, hier mal exemplarisch am geschrieen verdeutlicht, aber auch "Lisa" als Namen "ihre Blumen", "Oma und Opa", alles taucht oft auf, Wiederholungen, Wiederholungen, Wiederholungen...

Insgesamt wirkt die Geschichte unentschlossen, soll es eine Kindergeschichte sein, die Ansätze sind da, sprachlich wie auch in der Storyline, doch halt inkonsequent. Und das Veröffentlichen unter Alltag deutet an, daß Du selber nicht an eine Kindergeschichte glaubst.
Also eine für Erwachsene, doch die merken sich einige Details recht gut, den Namen der Prot z.B., die Welt der Prot, die aus Eltern und Großeltern besteht. Da kannst Du also streichen, straffen, verdichten, um die adulten Leser mitzunehmen und nicht loszulassen.

drückte die Mutter ihr Bedauern vor Lisa aus
mh, das klingt fast wie ine Protokoll, nicht wie eine Geschichte.
„Erinnerst du dich noch an deine Großeltern, Lisa, Schatz?“ – „Nicht so sehr.
Das widerspricht dem, was Du vorher aufbaust, und da es am Ende kommt stellt es die Geschichte an sich in Frage, ist das Absicht ?

Insgesamt in Ansätzen schön und intensiv, doch so eher an eine Blumenzwiebel erinnernd, die nur erahnen lässt, was aus ihr werden kann, wenn sie in Mutterboden gelangt und austreiben, aufblühen darf. Da geht noch mehr, sofern Du an ihr arbeiten willst.

Grüße,
C. Seltsem

 

Vielen Dank auch in diesem Fall. Ich werde die Anmerkungen später einzeln durchgehen. Vorerst so viel: Ich ziehe nicht die Karte. Ich habe die Geschichte "damals" zu einem speziellen Zweck geschrieben. Ich habe ihr eine Widmung in Französisch vorangehen lassen, sie drucken und binden lassen, so gut es eben bei ein paar Seiten geht, mit Bildern von Blumen illustriert und sie dann einer Kommilitonin geschenkt. Das war der Impuls, aus dem heraus ich geschrieben habe. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich unglücklich verliebt war, zu dieser Zeit, in ebendiese Kommilitonin. Die Geschichte hatte also einen ganz speziellen Adressaten. In der Folgezeit habe ich kleine Änderungen daran vorgenommen, und auch die Figur, LISA, ich habe sie in einem Romanmanuskript wieder auftauchen lassen, ebenso wie die Figur TOM, aus Die perfekte Welle. Das tut für diese Geschichte nichts zur Sache, aber: Vielleicht hilft es dir, meinem Schreiben etwas näher zu kommen.

Das letzte Zitat, das du anmerkst, werde ich auf jeden Fall überprüfen und in dem Fall - sie plärrte, sollte es nach außen gehen. Ich "setze" Anführungszeichen um wörtliche Rede, i. d. R. jedenfalls, und würde "Gedanken" anders formatieren. Über den "Einstieg" in die Geschichte lässt sich auf jeden Fall diskutieren. Es ist jedenfalls selten genug, dass die Leute derart präzise formulieren, was ihnen ge- oder missfällt. Ich empfinde aber gerade das als konstruktive Kritik. Danke für die Mühe.

 

Apropos, sollte ich z. B. lieber ganz oft "sie" anstatt "Lisa" in der Geschichte schreiben? Ich wechsle zwischen dem "sie" und dem Namen. Ich persönlich finde zu viel "sie" insgesamt zu unpersönlich. Allerdings ist auch das eine diskutable Anmerkung. Du bist allerdings der erste, der darauf hinweist. Selbst die damals Beschenkte, oder Personen, die die Geschichte gedruckt oder als Datei zu Lesen bekamen, haben darüber kein Wort verloren. Was wäre eine Alternative? Wenn ich umschreiben würde - das kleine Mädchen, etc. -, finde ich, würde das auf Dauer auch wieder zu unpersönlich.

 

Sie heisst Lisa, ist ein (das) (kleine) Mädchen oder auch Kind, oder die Enttäuschte. Sie ist ein Wesen, das Blumenmädchen (sofern Du dieses Bild häufiger nutzen willst), Menschlein, Tochter, Enkelin, damit ist schon ein ganzes Repetoir vorhanden, das Du kreativ nutzen kannst, um die Monotonie zu vermeiden.

Was übrigens das Feedback von Anderen angeht, Du bist hier auf einem Special Interest-Forum, d.h. der Blick ist kritischer, da konzentriert auf die literarischen Qualitäten von Geschichten. Etwas ähnliches würdest Du z.B. erleben können, wenn Du einen ***Koch mit Deinem Familienrezept bekochst, das sowohl lecker wie sättigend ist, jedoch in dessen Geschmacksempfinden ggf. etwas zu sehr in Richtung Hausmannskost geht. Das macht Dein Essen nicht schlechter, macht jedoch deutlich, daß mehr Wissen/Erfahrung zu mehr Erwartung, detailierter Erwartung führt.

Grüße,
C. Seltsem

 

Trotz der ganzen Umschreibungen, die du aufgeführt hast: Ich bin mir nicht sicher, ob diese nicht doch eine andere Perspektive des Leser zur Protagonistin eröffneten. Ich werd die Geschichte aber mal daraufhin abklopfen.

 

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