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Blutgold
Blutgold
„Rein mit euch, ihr Hunde!“, rief Sheriff Hawkins und packte die Banditen am Kragen. „Ihr werdet für eine lange Zeit hinter Gittern sitzen! Vielleicht hat sogar der Henker noch seinen Spaß mit euch! Mal sehen!“ Der bullige Gesetzeshüter stieß seine hageren Gefangenen in die kleine Zelle. Die Tür warf er zu, sobald die beiden über und über mit hellem Staub bedeckten Banditen auf den Boden niedersanken. Oder wohl eher zusammenbrachen. Braunes Blut bildete Rinnsale auf den verschmutzten Gesichtern, die übel verschwollen waren. Sam Hawkins war ein angesehener Mann in Chickasaw County, und er brachte jedem Bürger seines Bezirks ebenfalls angemessenen Respekt entgegen, sofern sie sich an die geltenden Gesetze hielten. Doch wehe dem, der diese Gesetze brach! Dash Wylder und Luke Harper waren des Postkutschenraubes beschuldigt worden und spürten nun die daraus resultierenden Folgen am eigenen Leib. Es hatte noch keine Gerichtsverhandlung gegeben, einen Richter gab es nicht in Chickasaw County, somit waren die beiden Männer noch nicht angeklagt, aber sie wurden in der Nähe der überfallenen Postkutsche aufgegriffen, und das reichte Hawkins bereits als Beweis. Schließlich waren die beiden amtsbekannte Tunichtgute, die schon oft ein oder zwei Nächte wegen Trunkenheit und Schlägereien eingesessen hatten. Die Kutsche wurde nicht weit außerhalb der Stadtgrenze überfallen, und Wilder und Harper waren die Typen gewesen, die die Opfer glaubten gesehen zu haben. Nachdem Hawkin´s Hilfssheriff Rob Stewart beim Befragen der Kutschenpassagiere die beiden Namen fallen ließ, waren sich fast alle Passagiere sicher, die beiden erkannt zu Haben. Ob es wirklich so war oder die geschockte Kutschenfracht nur die erstbesten Schuldigen finden wollte, war Hawkins gleich. Er wollte den Fall möglichst schnell vom Tisch haben. Außerdem war bei dem Raub ein Säckchen mit Goldnuggets gestohlen worden, und Gold besaß die Angewohnheit, sich in Luft aufzulösen, sofern es nicht schnell gefunden wurde. Der Sheriff, der sich fette Beute erhoffte, wollte so schnell wie möglich einen Schuldigen für die Tat finden und im besten Fall etwas von dem wertvollen Metall als Finderlohn behalten. Da traf es sich ausgezeichnet, dass die beiden Ordnungshüter beim Ritt zurück in die Stadt auf Wylder und Harper stießen. Sie torkelten gerade von der hölzernen Veranda des Salons herunter, offensichtlich angetrunken und auf Krawall aus. „Dash Wylder und Luke Harper!“, rief der Sheriff von seinem Ross herunter, „ ihr seid verhaftet wegen Verdachts des Postkutschenraubes!“ Die beiden Betrunkenen schüttelten verwirrt den Kopf und brabbelten verständnislose Sätze. Hawkins gab seinem Hilfssheriff , der ihn begleitete ein Zeichen. Daraufhin stürzten sich beide Sheriffs auf die Räuber und schlugen sie nieder. Beide waren sofort bewusstlos. Sheriff Hawkins hatte jedoch noch nicht genug. „Verdammte Kriminelle!“, schrie er und trat auf die beiden am Boden liegenden Männer ein, bevor er ausspuckte und sich seinem Partner zu wandte. „Immer das Gleiche mit den Pennern! Besaufen sich und kriegen dann nichts mehr mit!“ Er blickte sich kurz um. Die Straße war abgesehen von den Vieren menschenleer. „Pech für sie, gut für uns! Ab ins Gefängnis mit ihnen!“ Die beiden Männer zerrten die wehrlosen Körper ins Gefängnis und warfen sie beide in die gleiche Zelle. „Verdammt, Hawkins! Das war wieder mal etwas übertrieben!“, keuchte Rob Stewart, sein Hilfssheriff und wischte sich Schweiß und Blut von seiner Hand. „Ach was! Die Penner verdienen es nicht besser!“, antwortete sein Chef und zog eine kleine Flasche mit braunem Inhalt aus der Tasche. Er nahm einen Schluck und bot sie Stewart an, der abwinkte. „So! Jetzt warten wir, bis die beiden Penner aufwachen, dann quetschen wir sie mal ein Bisschen aus!“ Die beiden Männer schritten über die knarrenden Bretter des kleinen Gefängnisses und gingen in ihr Büro. Dort angekommen, ließ sich Hawkins in den dick gepolsterten Ledersessel an seinem Schreibtisch fallen. Er betrachtete gedankenverloren die Oberfläche des robusten Eichentisches. Darauf verstreut lagen etwa ein Dutzend Steckbriefe, auf denen Gesichter von gesuchten Verbrechern abgebildet waren. Die meisten dieser „Verbrecher“ hatten kaum mehr als Ordnungswidrigkeiten begangen, doch Hawkins behandelte jeden seiner Fälle, als ob die Verdächtigen die Skrupellosigkeit in Person wären. „Jetzt mal ehrlich, Chef!“, riss ihn Rob aus seinen Gedanken. „glaubst du nicht, du warst ein wenig zu hart zu ihnen? Wütend sah ihn sein Vorgesetzter an. „Ich sag’s dir jetzt zum Letzten Mal! ICH bestimme wie’s hier abläuft! Merk dir das, sonst…!“
Leises Klopfen an der Tür unterbrach den Streit der beiden Männer. Hawkins zog sein Halstuch zurecht und räusperte sich. „Kommen Sie rein!“, rief er in Richtung Eingangstür. Diese öffnete sich, und eine junge Frau trat ein. „Ah, Rosa! Gut dass Sie da sind! Es ist wieder etwas unordentlicher geworden als erwartet!“ Rosa war die mexikanische Angestellte des Sheriffs, der aufgrund seiner mangelnden Fähigkeit, die Sheriffstation sauber zu halten, dringend jemanden gesucht hatte, der etwas Ordnung in seine Räumlichkeiten brachte. Sam Hawkins, der Gesetzeshüter, verstand nicht die Ironie, die dieser Umstand mit sich brachte. Die Frau sprach in gebrochenem Englisch. „Hallo Sir, alles in Ordnung? Tut mir Leid, ich komme etwas später, aber meine Kinder..“. „Kein Problem Rosa, das passiert Ihnen ja sehr selten, da kann ich schon mal drüber hinwegsehen! Fangen Sie nur an! Lassen Sie sich nicht stören!“
Hawkins gab seinem Hilfssheriff ein Zeichen, ihm zu Folgen. Er ging zu der Zelle, in der die mutmaßlichen Postkutschenräuber Dash und Luke mittlerweile erwacht waren. Sie saßen auf ihren Pritschen und blickten feindselig auf die Personen außerhalb der Gitterstäbe. Ihre langen, dunklen Haare waren nass vor Schweiß und ihre unrasierten Gesichter deuteten auf eine Sauftour hin, die schon mehrere Tage dauern musste. Luke spuckte trotzig auf den Boden, als er den Sheriff erblickte. Sein Kumpel drehte seinen Kopf demonstrativ in Richtung der geziegelten Wand der Zelle, an der zwei Pritschen angebracht waren.„Ah! Ihr seid ja wach! Na dann leert mal die Taschen aus! Seid doch so freundlich, ja?“, rief der Sheriff in die Zelle. Sein Partner sah ihn entsetzt an. „Hast du sie denn noch nicht durchsucht?!“, rief er aus. „Hinterfrage nicht meine Vorgehensweise, Bürschchen!“, fuhr ihn sein Vorgesetzter an. „Ich bin schon länger im Dienst, als du es dir vorstellen kannst! Ich weiß schon, was ich tue!“ Er wandte sich wieder den Räubern zu. „Also! Wird’s bald? Die Taschen leeren und den Inhalt auf den Boden legen! “. Die Insassen folgten dem Befehl. Sie bewegten sich langsam, die verschwollenen Gesichter verzogen sie vor Schmerz. Dash zog aus seiner Hosentasche eine kleine Mundharmonika hervor, außerdem ein kleines Klappmesser und eine halbe Zigarre, die er schon mal geraucht zu Haben schien. Der vordere Teil war schwarz vor Asche. Er legte alles vorsichtig an den Rand der Zelle, sodass der Sheriff nur die Hand durch das Gitter strecken müsste, um die Utensilien zu Erreichen. Luke stülpte die Taschen seiner ledernen Hose nach außen. „Ich hab nichts dabei, ihr Penner.“, grinste er frech, die Grimasse sorgte dafür, dass die kleine Platzwunde an seiner Stirn wieder zu Bluten begann. Er tastete kurz über die Wunde und betrachtete nachdenklich das Blut an seinen Fingern. „Na gut. Jedenfalls kommt ihr so schnell nirgends mehr hin. Also macht es euch gemütlich, Jungs!“, lachte Hawkins und wandte sich zum Gehen. „Augenblick mal Sheriffs!“, rief Wylder plötzlich. „Wollt ihr denn gar nicht nachsehen, ob wir nicht vielleicht etwas Gold dabei haben?“. Sein Partner zuckte zusammen. „Was redest du, du Penner?! Halt’s Maul!“. Luke sah seinen Partner entsetzt an. Der ließ sich nicht beirren. „Ihr würdet doch bestimmt liebend gern wissen, wo wir die Goldnuggets versteckt haben, oder nicht?!“ Die Sheriffs wurden hellhörig. Sie hatten mit Einigem gerechnet, aber nicht mit einem Geständnis. Zumindest nicht so bald. Hawkins räusperte sich und schritt näher an die Zelle heran. „Also willst du ein Geständnis abliefern? Schade, ich hätte es nur zu gerne aus euch rausgeprügelt, aber was soll man machen?“ Sein Blick wurde finster. „Also! Ich frag euch Säcke jetzt nur einmal! WO IST DAS GOLD?!“ Dash drehte sich kurz zu seinem Partner um und zwinkerte ihm zu. Die Sheriffs bemerkten es nicht. „Ganz nah!“, flüsterte er, sein geschwollenes Gesicht war nahe an den Gitterstäben. „Wie nah?!“, rief Rob , der Hilfssheriff. Langsam näherten sich die Gesetzeshüter der Zelle, ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter von dem Wylder´s entfernt. „In ihrem Arsch!“, schrie Wylder plötzlich und zog mit einem raschen Griff durch die Gitterstäbe den Colt aus dem Halfter des Sheriffs. Bevor dieser wusste, wie ihm geschah, spannte Wylder den Hahn und drückte den Abzug. Die Kugel traf Hawkins direkt ins Herz. Er sackte langsam und mit ungläubigem Blick zu Boden. Sein Hilfssheriff reagierte blitzschnell. Rob Stewart, der beinahe täglich mit seinem Revolver trainierte und eines Tages der schnellste am Abzug sein wollte, zog seinerseits die Waffe und feuerte auf den Mörder seines Partners, der jedoch vom zusammensackenden Körper des Sheriffs gedeckt wurde. Die Kugel drang in den Rücken durch den Körper des Sheriffs und verfehlte dessen Mörder. Stattdessen traf sie den zweiten Zelleninsassen in der Körpermitte, der daraufhin röchelnd zu Boden sank und Blut spuckte. Diese Chance wollte Wylder nutzen und einen zweiten Schuss abgeben, doch der Sheriff war noch immer im Weg. Dash sprang zurück, Stewart ebenfalls. Sie schossen fast gleichzeitig. Wie im Wahn spannten sie immer wieder die Hähne ihrer Revolver und feuerten alle Kugeln auf ihr Gegenüber ab. Als die Magazine leergeschossen waren, sanken sie beide auf den Boden. Die einst steinig braunen Wände der Zelle waren nun mit dem roten Lebenssaft der Männer gesprenkelt, und sowohl das ausgeblichene Hemd Wylders als auch das Ledergilet des Sheriffsgehilfen waren durch beinahe ein halbes Dutzend Einschusslöcher entstellt. Sie saßen sich gegenüber, Gesetzeshüter und Gesetzesbrecher, die Köpfe kraftlos an das Gitter der Zelle gedrückt. Stewart entrang sich mit letzter Kraft ein Flüstern. „H-habt ihr das Gold ge-.. ge…“ Wylder brachte kein Wort hervor. Mit leichenblassem Gesicht fasste er an den dicken Teil an der Ferse seiner Lederstiefel. Er zog sich den Stiefel mit letzter Kraft vom Fuß und ließ ihn neben sich fallen, worauf ein kleines schwarzes Säckchen herausfiel. Rob wusste sofort, dass sich darin die gestohlenen Goldnuggets befanden. Er streckte noch die Hand danach aus, dann ließ er sie kraftlos fallen. Leise schnaufend hauchte er sein Leben aus. Wylder betrachtete noch kurz das Säckchen am Boden, dann sackte sein Kopf an seine Brust. Auch er war tot.
Rosa hatte sich nach dem Betreten der Station ganz ihrer Aufgabe gewidmet. Das Büro des Sheriffs wurde gefegt und die Möbel abgestaubt. Als der Krach begann, versteckte sie sich in Panik unter dem Schreibtisch, zog die Knie an den Oberkörper und hielt sich die Ohren zu. Als der Krach nun endete, schritt sie auf wackeligen Beinen auf die Tür zu, die zu den Zellen führte. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie den Mut aufbrachte, die Tür aufzustoßen und den Raum zu Betreten. Sie erblickte als Erstes die Leichen der beiden Gesetzeshüter, dann zwang sie sich, weiterzugehen. Als sie an der Zelle ankam, wurde ihr übel und sie erbrach sich. Als sie ihre tränenden Augen getrocknet hatte, fiel ihr ein schwarzes Säckchen in der Hand eines der Toten auf. Ihre Neugier siegte über die Angst und den Ekel. Sie ließ sich zwischen den Körpern in die Hocke sinken und nahm das Säckchen an sich. Als sie hineinblickte, traute sie ihren Augen nicht. Goldnuggets! Rosa hatte noch nie in ihrem Leben Gold gesehen, sie war in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, doch sie erkannte es sofort. Sie dachte an ihre Kinder und an ihren Mann, den eine Beinverletzung quälte und dringend von einem Arzt behandelt werden musste. Ihnen fehlte es an Geld, und die Zeit wurde knapp. Rosa nahm das Gold an sich und erhob sich langsam. Sie steckte es in eine Tasche ihres Rockes und atmete tief durch. Zwang sich zur Ruhe, und lief dann aus der Sheriffstation ins Freie, wo sich bereits eine große Menschenmenge befand, alarmiert durch die Schüsse. „Hilfe! Hilfe!“, schrie sie aufgeregt und gestikulierte wild mit den Armen. „Alle tot! Alle Tot!“ Einige Männer drängten sich an ihr vorbei und stürmten in die Sheriffstation. Niemand schenkte Rosa Beachtung, als sie langsam durch die Menge schritt, ihrem neuen Leben entgegen.