Was ist neu

Blutschnee

Mitglied
Beitritt
27.06.2025
Beiträge
2

Blutschnee

Blutschnee

Der Van bewegte sich in Zeitlupe und fügte sich wie ein Puzzlestück in eine Reihe parkender Wagen.

Glück gehabt, dachte Ben Rogers, der das Einparken vom Dachgeschossfenster seines Hauses beobachtet hatte. Der einzige freie Parkplatz weit und breit. Zum Glück war er Raucher und hatte deshalb das Fenster geöffnet. So hatte er alles gesehen. Wahrscheinlich war er der einzige Zeuge.

Perfekt.

Wo blieb nur die Presse?

Jemand stieg aus dem Van – von der Beifahrerseite. Ben zündete sich eine weitere Zigarette an und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. Sie war fast leer, aber der Alkohol zeigte keine Wirkung. Noch nicht.

Da – der erste Pressewagen. Das Senderlogo prangte in großen Lettern an der Seite. Der Wagen fuhr direkt bis zum Absperrband der Bullen. Ein Polizist in Arktisausrüstung trat heran. Die Scheibe wurde heruntergelassen. Ein Typ mit Bart ließ sich blicken. Der Polizist sprach mit ihm, hob immer wieder die Hand – wohl ein Zeichen, dass sie verschwinden sollten.

Beim Van tat sich was. Einer der Männer kletterte auf das Dach – mit einer Videokamera in der Hand. Der Dachträger war mit Holzlatten verbaut, vermutete Ben. Wegen des Schnees war das nicht genau zu erkennen. Raffiniert. Der Typ stand jetzt oben und filmte. Wahrscheinlich freie Presseleute, die versuchten, ihre Aufnahmen an einen Sender zu verkaufen. Gute Leute – sie waren zuerst da.

Der andere Pressewagen drehte um und fuhr rückwärts die Straße hinunter, bog in eine Seitenstraße ab. Dort gab es zwar auch keine Parkplätze, aber das interessierte dort niemanden.

Es wurde Zeit, aktiv zu werden.

Ben leerte die Flasche, schloss das Fenster, griff sich eine neue Whiskeyflasche aus dem Schrank, verließ das Zimmer und ging die Treppe hinunter. Unten zog er seine Winterjacke an, verstaute die Flasche in der Seitentasche. Einen dicken Pullover hatte er bereits übergezogen. Handschuhe, Schal, Mütze – es waren minus fünfzehn Grad.

Er trat hinaus in die Kälte, umrundete das Haus und kam zur Straße. Er hatte sich entschieden: Er würde die Leute vom Van ansprechen. Sie wirkten alternativ. Vielleicht verrückt. Oder verzweifelt genug, um auf seine Story anzuspringen.

Der Fahrer war inzwischen ausgestiegen. Er sah aus wie ein Mitglied von ZZ Top – Rauschebart, Skibrille, bunte selbstgestrickte Pudelmütze. Über der Schulter trug er einen Kassettenrekorder, daran ein Mikrofon.

Wenn das nicht alternativ war.

Der mit der Kamera kam zu ihm. Er sah unglücklich aus. Bestimmt nicht sein Traumjob. Wahrscheinlich ein Typ, der seinem durchgeknallten Freund eine Nacht aushalf.

„Hey!“, rief Ben und ging auf sie zu. Sie ignorierten ihn und bewegten sich Richtung Tatort – ZZ Top vorneweg, Mikro im Anschlag. Der Kameramann filmte fleißig.

„Hey Leute! Ich hab alles gesehen.“
Die Zauberworte.

ZZ Top blieb stehen, drehte sich zu ihm.

„Tom, halt drauf“, sagte er. Der Kameramann schwenkte auf Ben.

Ben winkte in die Kamera.
„Hi. Ich bin Ben. Ich wohne da oben – hab alles aus dem Fenster gesehen.“ Er zeigte auf sein Dachfenster.

„Wie heißen Sie, Sir?“ ZZ betonte das Sir.

„Ben Rogers.“ Er lächelte und wartete auf die nächste Frage.

„Ben, Sie standen also am Fenster und haben gesehen, was passiert ist?“

„Ganz genau. Ich ging ans Fenster, um zu rauchen – öffnete es – und dann sah ich das Schreckliche, das geschah.“ Er nickte. Er war verdammt aufgeregt.

„Können Sie unseren Zuschauern genau schildern, was sich abgespielt hat?“ ZZ betonte das genau.
Das sollte er haben. Aber erst mal nachfüllen. Vor laufender Kamera nahm Ben einen kräftigen Schluck.

ZZ reagierte nicht. Er ließ ihn einfach erzählen.

„Ich sah, wie Kurt Miller und seine Frau die Straße entlanggingen. Ich schaute ihnen nach – es gab ja nichts anderes zu sehen. Auf einmal blieb Kurt stehen. Seine Frau sah ihn besorgt an. Er griff sich an die Brust, als hätte er einen Herzinfarkt. Mit der anderen Hand fasste er sich an den Hals. Er bekam wohl keine Luft. Dann ging er in die Knie, stützte sich mit einer Hand auf den Boden – und dann ... dann explodierte er.“

Ben machte eine Pause. Dramatisch. Das wirkte bestimmt.

„Ben, Sie sagen, er explodierte. Unsere Zuschauer fragen sich sicher, was Sie damit meinen. Ein Mensch explodiert ja nicht einfach so. Haben Sie dafür eine Erklärung?“

ZZ hielt ihm wieder das Mikro hin. Tom filmte wie besessen.

„Tja, schwer zu sagen. Er hat sicher keine Handgranate geschluckt. Aber er explodierte in sämtliche Einzelteile. Seine Frau schrie vor Entsetzen. Sie blieb unversehrt – abgesehen davon, dass sie von oben bis unten mit ihrem Mann bedeckt war. Seine Überreste flogen in alle Richtungen. Der Schnee war rot besprenkelt. Es war eine sehr... intensive Explosion. Kein großes Wegschleudern. Mehr so, als wäre er auf zellularer Ebene – kleinmolekular – zerfetzt worden.“

Ein Hochgefühl durchströmte ihn. Das war stark. Er strahlte. Die Zuschauer würden gebannt sein.

ZZ wirkte wie entrückt. Er improvisierte weiter:

„Ben, würden Sie uns zum Ort des Geschehens begleiten? Versuchen, das Unbegreifliche noch näher zu bringen?“

„Gerne. Kommen Sie mit.“ Ben ging voran, ZZ an seiner Seite. Hoffentlich hielten Toms Akkus noch.

Ein Krankenwagen fuhr vorbei. Wahrscheinlich für Eve Miller. Nach dem Schock war sie ohnmächtig geworden. Danach strömten die Nachbarn auf die Straße. Viele waren noch da, tuschelten in Grüppchen.

Am Absperrband blieb Ben stehen, hob die Stimme wie ein Touristenführer:

„Hier geschah es. Genau hier explodierte er.“ Er zeigte auf den blutigen Schnee.
„Sie sehen überall seine Überreste. In ihm muss sich eine enorme Energie aufgestaut haben. Seine Zellen kamen damit nicht klar – und dann bahnte sich die Energie ihren Weg nach außen. Es zerriss ihn.“

„Ben, was für eine Energie meinen Sie?“

„Vom Fenster aus sah es aus wie ein Energieball.“ Ben nahm wieder einen Schluck.

„Sie sahen einen Energieball?“ ZZ überschlug sich fast.

„Nicht direkt. Aber im Augenwinkel bemerkte ich, wie etwas in den Schneebergen landete.“ Ben deutete auf die hohen Schneehaufen am Straßenrand.

„Und Sie meinen, es war ein Energieball?“

„Na ja, dort war ein Loch im Schnee – als wäre etwas Heißes hineingefallen und hätte ihn weggeschmolzen.“

„Können Sie uns die Stelle zeigen?“

„Klar. Kommen Sie.“

Er führte sie zu einem Durchbruch im Schnee. Menschen hatten das Interview bemerkt und schlossen sich an.

„Hier kam es raus“, sagte er knapp.

„Dort wurde es hingeschleudert.“ Er zeigte in die Richtung.
„Es lag dort im Schnee, nahm dann die Richtung zur Straße – und kam hier heraus.“

„Und wohin dann?“

Ben zeigte auf den Boden.
„Hier sehen Sie die Spur im frischen Schnee.“ Die Kamera fing sie ein – sie führte die Straße hinunter.

„Kommen Sie“, sagte Ben. ZZ an seiner Seite, der Pulk hinterher.

„Glauben Sie, es war ein lebendes Wesen?“

„Ja. Ein Wesen aus einem anderen Universum. Zufällig hier gelandet. Gestrandet in einer kalten Welt. Es suchte Schutz – fand Kurt – kroch in ihn hinein. Doch Kurts Körper hielt es nicht aus. Er explodierte.“

„Woher wissen Sie, dass es intelligent war?“

Ben ließ sich Zeit. Trank.

„Weil es auf dem Weg angehalten hat.“

„Und dann?“

„Es hat mich angeschaut.“

„Wie meinen Sie das?“

„Nicht mit Augen. Aber ich wusste, dass es mich ansah.“

Er zog die Flasche aus der Tasche.

„Oder besser gesagt – es hat das hier gesehen.“ Er schüttelte die Flasche.

„Sie meinen, es brauchte Alkohol?“

„Nein. Es brauchte einen Körper unter Alkoholeinfluss. Nur dann explodiert er nicht. Verstehen Sie?“
Er nahm einen letzten kräftigen Schluck.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Kimi Eriky und willkommen bei den Wortkriegern! Wenn du dich unter anderen Texten mal umgesehen hast, hast du vielleicht gesehen, dass es hier vor allem auch um die Textarbeit und die Diskussion über die Texte geht. Meist ist es so, dass diejenigen, die sich hier aktiv unter anderen Texten einbringen, dann auch im Gegenzug mehr Kommentare und Meinungen zu ihren eigenen Texten bekommen.
Außerdem wird hier mitunter schon sehr sorgfältig auf die Texte geschaut und Fehler aufgezeigt. Das ist aber nicht persönlich gemeint, sondern dient der Verbesserung und der Auseinandersetzung mit dem Text.
Auch meine Anmerkungen kannst du dir ja einfach mal ansehen und in diesem Licht begreifen. Falls es dir hilft, freut mich das auf jeden Fall.

Ich fange an:

Jemand stieg aus dem Van – von der Beifahrerseite.
Eine etwas ungelenke Formulierung.

Sie war fast leer, aber der Alkohol zeigte keine Wirkung. Noch nicht.
Das sollte er haben. Aber erst mal nachfüllen. Vor laufender Kamera nahm Ben einen kräftigen Schluck.
Ich sage mal so, es hat mich nicht verwundert, dass du deinen Ben Rogers als Trinker darstellst. Ich habe mich aber gefragt, warum du ihn so darstellst. Später ergibt das dann ja wiederum einen Sinn für deinen Text. Trotzdem fühlt sich das hier ein wenig lieblos hingeschmissen an. Vielleicht kannst du es noch ein wenig ausführlicher herleiten. Trinkt er normalerweise auch? Wie wirkt sich das aus (denn es scheint ja auch später kaum Effekt zu haben) usw.

Da – der erste Pressewagen. Das Senderlogo prangte in großen Lettern an der Seite. Der Wagen fuhr direkt bis zum Absperrband der Bullen.
Ich finde, dass die Erzählperspektive nicht so ganz klar wird (mir zumindest). Manchmal habe ich den Eindruck, dass du ein wenig in der Perspektive springst. Also wer berichtet das hier? Es ist ja im Grunde aus der Sicht von Ben geschildert, oder? Wir werden Teil seiner Gedankenwelt. Manchmal aber, finde ich, dass du diese Perspektive verlässt und es sich fast ein wenig wie ein darüberstehender Erzähler liest. Das bricht dann aber mit solchen Formulierungen wie hier. Du solltest vlt. nochmal über den Text rüber und aus einer einheitlichen Perspektive erzählen.

Sie wirkten alternativ.
Wie wirkt denn jemand alternativ? Da kann ich mir zwar was drunter vorstellen, aber schön wäre es natürlich, würde der Autor, also du dem Leser ein Bild an die Hand geben.

„Ganz genau. Ich ging ans Fenster, um zu rauchen – öffnete es – und dann sah ich das Schreckliche, das geschah.“ Er nickte. Er war verdammt aufgeregt.
Wer jetzt?

Tom filmte wie besessen.
ZZ wirkte wie entrückt.
Das behauptest du, aber ich kann mir wenig darunter vorstellen. Es wäre vielleicht gut, wenn du es mehr darstellen würdest. Was macht denn Tom, dass es aussieht, als würde er wie besessen filmen? Warum wirkt ZZ wie entrückt? Wie äußert sich das in seinem Gesicht, in seinen Handlungen usw.

Er führte sie zu einem Durchbruch im Schnee. Menschen hatten das Interview bemerkt und schlossen sich an.
Dürfen die da einfach so hin? Ist das nicht weiträumig abgesperrt? Nachdem da jemand EXPLODIERT ist?

„Glauben Sie, es war ein lebendes Wesen?“
„Ja. Ein Wesen aus einem anderen Universum. Zufällig hier gelandet. Gestrandet in einer kalten Welt. Es suchte Schutz – fand Kurt – kroch in ihn hinein. Doch Kurts Körper hielt es nicht aus. Er explodierte.“
Wie kommen die denn so direkt darauf? Ich meine, es gibt ja vorher keine Hinweise, oder? Also das wäre sicherlich nicht mein erster Gedanke in ihrer Situation.

„Nein. Es brauchte einen Körper unter Alkoholeinfluss. Nur dann explodiert er nicht. Verstehen Sie?“
Er nahm einen letzten kräftigen Schluck.
Ok, ich gebs zu: Ich verstehe dein Ende nicht. Was hat es denn jetzt damit auf sich? Brauchen die Aliens Alkohol, damit sie nicht explodieren? Dann verstehe ich nicht, warum sie offensichtlich in den falschen Körper geschlüpft sind. Ist das Wesen jetzt in ihm? Warum nicht gleich so?
Ich muss sagen, dass ich deine Geschichte bisher noch durchwachsen finde. Ich kriege auch die Schwerpunktsetzung auf das Kamerateam (wann speilt das überhaupt - heute hat doch jeder ein smartphone und ich habe noch nie einen Übertragungs-Kastenwagen außerhalb eines 80er oder 90er-Jahre Films aus den USA gesehen) nicht hin. Ich dachte die ganze Zeit, dass es dir hier so nightcrawler-artig um dieses Thema geht. Das Ende fand ich dann ziemlich beliebig. Ich verstehe außerdem nicht, warum dein Protagonist denn so verdammt entspannt bleiben kann.
Tut mir leid, dass ich dir zu deinem Einstand erst mal nichts anderes sagen kann, aber wir sind ja alle hier um zu lernen und an unseren Texten zu arbeiten. Werde auf jeden Fall auch bei einem anderen Text mal bei dir reinschauen.

Beste Grüße
Habentus

 

Danke für deine ausführliche Kritik. Das schätze ich sehr, bekommt man selten. Vielleicht bin ich ja hier richtig gelandet. Sind alle Reviews in dieser Art? Schaue mir auch gerne mal eine Geschichte von dir an, LG Kimi

 

Hallo @Kimi Eriky

ich habe mich bis zum Ende gefragt, warum die Handlung so abläuft. Vom Ende her gesehen handelt es sich um einen Alien, der in unserer Atmosphäre nur überleben kann, wenn er von Alkohol umgeben ist - von 1 bis 2 Promille Alkohol. Anscheinend ist ihm das nicht so recht bewusst, so dass er im falschen Menschen gelandet ist. Scheint eine interessante Welt zu sein, in der die Atmosphäre alkoholhgeschwängert ist.
Ansonsten frage ich mich immer wieder - warum? Dieses ganze Interview ist zu ausführlich, es führt sehr umständlich zum Ziel. Wieso wirkit die Absperrung nicht?
Und wer spricht da eigentlich? Ein Alkoholiker namens Ben Rogers oder ein Alien, der glücklich ist, seinen Platz in der Fremde gefunden zu haben?

Ratlos

jobär

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom