Was ist neu

Bobby

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01.09.2005
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Bobby

Lennard öffnete die Tür und da reichte es ihm eigentlich schon. Nina ging es nicht anders, er sah es in ihrem Gesicht. Für sie waren es die Jogginghose und sein T-Shirt: Nine Inch Nails, Pretty Hate Machine. Senfflecken darauf.
Für Lennard war es Lars. Er stand hinter Nina und hob die Hand.
„Hi.“ Lars lächelte.
Lennard nickte, lächelte nicht. Lars nahm den Arm runter.
Nina hatte die Hände auf Lottes Schultern. „Hallo“, sagte das Kind.
Lennards Brust war diese dunkle Zwergenmine aus Herr der Ringe. Jemand hatte gerade eine Fackel darin entzündet. „Hey.“
Nur kurz hatte Lotte hochgesehen. Jetzt hing ihr Kopf wieder runter und der Blick klebte am Bildschirm des Smartphones, das sie mit beiden Händen hielt.
„Was hast du da denn Tolles?“ Lennard sprach zu Lotte, sah aber Nina an.
Noch einmal blickte Lotte kurz auf. „Ist zum Geburtstag.“
Lennard presste die Lippen aufeinander. „Du hast doch noch gar nicht.“
Lotte zuckte die Schultern. „Wenn ich dann bald habe, gibt’s nur eine Kleinigkeit, dafür habe ich das früher bekommen.“
„Ach so“, sagte Lennard.
„Ist alles gut“, sagte Lars. Er nickte und streichelte Nina über den Rücken. „Wir haben echt lange drüber gesprochen. Wenn die Eltern es im Blick haben, ist es in Ordnung, finden wir.“
„Verstehe.“
„Wir meinen dich auch natürlich, also uns alle drei.“
„Okay.“
Nina verschränkte die Arme vor der Brust. „ So viele Kinder in der Schule haben schon eins.“
Lennard nickte langsam. „Bestimmt.“
Nina beugte sich runter zu ihrer Tochter. „Willst du jetzt zu Papa?“
Endlich nahm Lotte das Handy runter. Sie lächelte und griff Lennards Hand.
„Nicht so fest drücken“, sagte Lennard. „Aua!“
Lotte kicherte.
„Um fünf am Sonntag holen wir sie wieder ab“, sagte Nina.
„Okay.“ Lennard spürte, wie Lottes Griff sich löste. Sie ging die Treppe hoch zur Wohnung. Als ihre Schritte nicht mehr zu hören waren, musterte Nina ihn noch einmal von Kopf bis Fuß. „Du hast nicht vergessen, dass du sie dieses Wochenende hast, oder?“
„Sehe ich so aus?“
Lars lachte auf und ließ den Laut in ein Husten übergehen. Wieder streichelte er Ninas Rücken. „Macht ihr zwei euch einfach ein schönes Wochenende“, sagte er.
„Ja.“ Lennards Blick ging kurz zu einer Katze, die ihn erschrocken zurück anstarrte, bevor sie unter einem parkenden Auto abtauchte. „Ihr auch.“
„Bis Sonntag“, sagte Nina.
Lennard zeigte ihr den Daumen hoch. „Bis Sonntag.“
Er sah ihnen hinterher, wie sie über den Hof gingen und nach rechts auf den Gehweg einbogen. Lars drehte sich noch einmal um und winkte. Lennard ging rein und machte die Tür zu. „Trottel“, flüsterte er.

Im Wohnzimmer saß Lotte auf dem Sofa und tippte auf dem Telefon herum. Weil sie abgelenkt war, hatte Lennard Zeit nachzudenken. Keine Predigt jetzt. Ehe man es sich versah, sagte man Sachen wie: Wir hatten sowas früher nicht, und weiß du was, uns hat nichts gefehlt! Wenig später gab man sich ganz auf und postete dazu bei Facebook, in Gruppen mit Namen wie Das waren unsere Jahre!
Er setzte sich neben Lotte aufs Sofa. Dafür musste er eine Blu-ray von John Wick 2 aufheben. Er legte sie auf den Wohnzimmertisch neben das leere Papier der Jumbotafel Schoko und Keks von Milka.
„Annika findet, das ist voll der coole Typ“, sagte Lotte.
„Was?“
„Aus dem Film da.“
„Der ist ab achtzehn.“
„Trotzdem, sie findet den cool.“
„Weißt du, wie alt Frau Schlomann ist?“
„Alt, sonst wäre sie keine Lehrerin.“
„Der Typ ist älter.“
„Echt?“
„Wird bald sechzig.“
„Quatsch.“
„Doch.“
Lotte sah kurz zur Blu-ray und wieder zum Telefon. „Annika findet den trotzdem cool.“
„Tippst du mit der die ganze Zeit?“
„Hab ihr geschrieben, dass du den Film hast. Sie will, dass wir ihn gucken, damit ich ihr davon erzählen kann. Können wir?“
„Ich habe doch gesagt, der ist ab achtzehn.“
„Und wenn ich achtzehn bin?“
„Dann ist der coole Typ siebzig.“
„Quatsch.“
„Wir gucken den nicht.“ Lottes Daumen huschten flink über das Display. „Wie lange hast du das Telefon jetzt?“
„Zwei Wochen.“
„Du tippst ganz schön schnell.“ Weil sie es von morgens bis abends macht.
Lotte starrte aufs Display.
„Was?“, fragte Lennard.
„Annika meint, du sollst dich nicht so anstellen.“
Lennard streckte die Hand aus. „Gib mal bitte her, dann schreibe ich Annika selbst zurück.“
Lotte nahm das Telefon hinter den Rücken. „Oh, nee.“ Sie legte es auf den Tisch. „Hat Mama eigentlich Recht? Hast du vergessen, dass ich komme?“
Das war zu plötzlich gewesen. Lennard musste schlucken. Verdammte Kinderohren. „Nein, habe ich nicht“, sagte er. „Jedenfalls nicht den Tag oder das Wochenende. Ich dachte nur, du kommst später.“
„Mama und Lars wollen nach Hamburg zu Lars’ Papa, da müssen sie lange fahren.“
Das hätten die zwei Kasperköppe auch sagen können. Aber womöglich hatten sie das und er hatte in seiner WhatsApp-Unterhaltung mit Nina nicht richtig aufgepasst. Vielleicht war er betrunken gewesen und hatte, anstatt zu lesen, dem Telefon den Mittelfinger gezeigt, wie er es auch fast zwei Jahre danach immer noch manchmal tat, wenn da aufblinkte Nina schreibt … Er konnte das gerade nicht überprüfen. Von jetzt an, hatte er soeben beschlossen, würde Lotte ihn so selten wie möglich mit Telefon in der Hand sehen.
„Jedenfalls dusche ich noch schnell und dann gehen wir raus“, sagte er.
„Wohin?“
„Wir haben super Wetter, ist überall schön.“
„Kann ich den Film anmachen, während du duscht?“
„Nein.“
„Aber wenn mir langweilig wird?“
„Ich kann dir bei Netflix was für Kinder anmachen.“
„Ach nee.“ Lotte nahm ihr Telefon vom Tisch.

Auf dem Weg nach draußen standen sie vor der Haustür. Lennard hatte die Hand an der Klinke, Lotte hielt ihr Handy.
„Willst du das nicht hier lassen?“, fragte er.
„Lässt du deins auch hier?“, fragte sie zurück.
„Das ist was anderes.“
„Warum?“
„Ich bin erwachsen. Was ist … wenn mein Auto abgeschleppt werden soll? Dann muss ich erreichbar sein.“
„Du hast doch eh keinen Führerschein gerade.“
Nina ging dem Kind gegenüber wohl ganz offen damit um. Sie war die Beste einfach, vielen Dank.

Lotte saß auf der Bank und tippte.
„Dann gehe ich jetzt schaukeln, dann kriegst du auch Lust“, sagte Lennard. Lotte sah vom Telefon hoch. Zum Schwung holen waren Lennards Beine zu lang, er konnte sich nur immer wieder neu abstoßen. Lotte richtete das Handy auf ihn und machte ein Foto.
„Aber nicht irgendwo ins Internet stellen“, bat Lennard.
„Das kann ich noch gar nicht“, erwiderte Lotte.
Dieses noch, wusste Lennard, falls es überhaupt stimmte, bezeichnete eine furchteinflößend kurze Zeitspanne.


***

Abends kochten sie Spaghetti mit Tomatensoße. Lars zwinkerte ihm sonntags oft zu und sagte, das würde er auch machen, wenn es halt schnell gehen muss. Was er nicht verstand, war, dass es mehr gab als Dosen, dass man Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch und Gewürze, beim Wochenmarkt gekauft, schneiden und hacken konnte, um … Lennard räusperte sich. Sein Puls schlug schnell. Er nahm das Brett mit den Zutaten und hielt es gerade, damit der Saft der verdammte Scheiße frisch geschnittenen Tomaten nicht auf den Küchenfußboden tropfte. Bevor er alles in die Pfanne mit dem Olivenöl gab, fragte er wie immer Lotte, ob sie helfen wollte. Die Hilfe bestand daraus, dass sie den Griff des Bretts anfasste, aber es war noch nicht lange her, da hatte sie das mit Stolz erfüllt.
Lotte saß am Küchentisch und tippte auf dem Handy. „Gleich“, sagte sie.
„Was schreibst du denn da schon wieder?“, wollte Lennard wissen.
„Hab Annika gesagt, dass wir kochen und jetzt will sie wissen, was.“
Lennard nickte. „Sag mal, ist das gar nicht anstrengend, wenn man das ständig schreiben muss, was man gerade macht?“
„Nö.“
War einen Versuch wert.
Lotte legte das Telefon auf den Küchentisch und kam zu ihm. „Eigentlich helfe ich ja gar nicht, ich packe ja nur ans Brett“, sagte sie.
„Willst du’s allein machen?“, fragte Lennard. Lotte sah ihn zweifelnd an. „Du kriegst das hin“, sagte er. Sie nahm das Brett. Lennard versuchte, locker auszusehen, aber er war angespannt, um jederzeit eingreifen zu können. Das war nicht nötig, stellte sich heraus. Alles glitt sauber vom Brett in die Pfanne. Mit einem Messer kratzte er die letzten kleinen Knoblauchwürfel vom Holz. „Top“, sagte er. „Nächstes Mal kochst du und ich gucke solange den Film mit dem coolen Opa.“
„Ha, ha.“ Lotte zeigte ihm einen Vogel. Er küsste sie aufs Haar. Sie setzte sich wieder hin und nahm das Telefon zur Hand.

Nach dem Essen und drei Folgen Sam & Cat bei Netflix kniete Lennard schließlich vor dem Bett des improvisierten Kinderzimmers. Es war nur eine Matratze auf dem Boden. Als er hier eingezogen war, hatte er noch an eine vorübergehende Sache geglaubt, das rissige Smashing-Pumpkins-Poster aus seinem alten Kinderzimmer an die Wand gehängt und seine Gitarren hier untergestellt. Dann war Lars aufgetaucht, sehr plötzlich und sehr innig. Lennard weigerte sich immer noch zu glauben, dass das nicht schon mindestens ein Jahr lang gelaufen war. Nina stritt es bis heute ab.
Mal heulend, mal fluchend und manchmal beides machend hatte er irgendwann eingesehen, dass die Trennung so vorübergehend war wie die Evakuierung von Tschernobyl. Seine Tochter würde für ihn künftig nur noch ein Wochenendgast sein.
Also hatte er die Gitarren ins Wohnzimmer gepackt, wo sie aufgrund der Größe der Wohnung – Perfekt für Singles!, hatte es in der Anzeige geheißen – bei allem im Weg standen, was man möglicherweise in einem Wohnzimmer machen wollte. Dann hatte er zwei Wände weiß und zwei himmelblau gestrichen und die Matratze im Internet gekauft. Billy Corgans leidendes Antlitz hatte dem spaßigen Glotzen der Minions weichen müssen. Als es wegen des Unterhalts mal wieder knallte, hatte Nina gesagt, er lasse seine Tochter auf einer nackten Matratze schlafen wie einen Junkie. Dabei mochte Lotte die Matratze, mochte das Abenteuer und den Ausnahmezustand, für den sie stand, das Wochenende weg von zu Hause. Hatte er so gesagt, aber Nina hatte sich nur an die Stirn getippt.
Lennard zog die Decke hoch bis zu Lottes Hals, sodass ihre tippenden Finger mit dem Telefon darunter verschwanden. „Hey!“, protestierte sie.
„Was schreibst du denn jetzt noch?“, fragte Lennard.
„Sage Annika gute Nacht.“ Sie kämpfte ihre Hände wieder frei, tippte noch etwas und legte das Telefon neben sich auf die Matratze.
„Sagst du mir auch gute Nacht?“
Sie kam hoch und hängte sich an seinen Hals. „Gute Nacht.“
Er ließ die Tür einen Spalt weit offen, damit das Licht vom Flur hineinkam, bis sie eingeschlafen war. Im Wohnzimmer ließ er tonlos Maybrit Illner laufen, setzte Kopfhörer auf und spielte erst Heart Shaped Box und dann ein paar Lieder von den Honeymoon Killers auf der Gitarre. Mit größer werdendem zeitlichen Abstand musste er zugeben, dass sie nicht gut waren. Nicht gut genug. Es fehlte etwas. Irgendwann würden sie das auf seinen Grabstein schreiben. Hier ruht Lennard Rottmann: Da fehlte etwas. Mit der Gitarre auf dem Schoss nickte er ein.

Ein schrilles Gemisch aus Kreischen und Weinen riss ihn aus dem Schlaf. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte er an den Fernseher, aber auf dem Bildschirm lachte das Publikum stumm über einen Komiker auf der Bühne, der die Lippen bewegte und dazu Grimassen schnitt.
Es kam aus dem Kinderzimmer.
„Lotte?“ Die Gitarre fiel zu Boden, als er aufstand. Er hatte den Gurt nicht umgebunden. Normalerweise war ein Tag gelaufen, wenn ihm das passierte. Jetzt war es egal.
„Lotte!“ So hatte er sie noch nie gehört. Die Nachbarn mussten denken, er verprügele sie. Er lief ins Kinderzimmer und knipste das Licht an.
Als er sich auf die Matratze kniete, spürte er die Feuchtigkeit durch die Hose an die Haut ziehen. Er nahm sie in den Arm und sie weinte weiter, aber wenigstens schrie sie nicht mehr. Kreischte nicht mehr, als hätte sie den Verstand verloren.
Er rieb ihren Rücken und versicherte ihr immer wieder, er sei hier und sie habe nur geträumt. Nach einer Weile wurden die Abstände zwischen den Schluchzern größer. Er lockerte seinen Griff. Sofort zogen sich Lottes Arme fester um seinen Hals. Er hielt sie weiter.

Irgendwann ließ sie los. Es fühlte sich an, als könnte sie nicht mehr, als hätte sie alle Kraft in den Armen aufgebraucht. „Ist wieder gut?“
Sie schüttelte den Kopf.
„War so schlimm der Traum?“
„Ich hab nicht geträumt.“
Er streichelte ihr über den Kopf. „Doch hast du. Egal wie schlimm es war, nichts davon ist echt.“
Sie kniff die Augen zusammen. Die Tränen hinderte es nicht daran, über ihr rotes Gesicht zu laufen. Sie schüttelte den Kopf.
„Willst du erzählen, was du geträumt hast?“
„Ich hab nicht geträumt“, wiederholte sie.
Er strich ihr wieder übers Haar. „Lotte, Mensch.“
Die Hand seiner Tochter zitterte, als sie ihr Telefon aus den krausen Wellen fischte, die die Decke schlug. Sie hielt es ihm hin. „Der Code ist mein Geburtstag.“
Lennard tippte ihn ein. Lotte drückte ihr Gesicht in seine Seite. „Sag, wenn es wieder weg ist.“
Mit dem freien Arm, den er immer noch um sie gelegt hatte, drückte er sie fester an sich. Nur die beiden Zahlen des Jahres fehlten noch. Eins. Zwei. Die Eingabemaske verschwand.
Fast hätte er das Telefon fallen lassen. Kälte breitete sich in seinem Nacken aus. Das Gesicht, das ihn vom Display ansah, war menschlich, aber alles daran war falsch. Die Augen waren zu groß, die Stirn war zu hoch und das Grinsen zu breit. Es sah aus, als hätte Hieronymus Bosch sich an einem Porträt versucht. Nein, schlimmer. Es sah aus wie der Mann, der dabei Model gestanden hatte.
Lennard wollte seinen Schock in fluchende Worte fassen, aber er biss sich im letzten Moment auf die Zunge. Für Lotte musste er jetzt abgebrühter sein, als er war. Keine große Sache das hier. Herr im Himmel, was für eine Fratze!
Seine Tochter hatte keinen Alptraum gehabt, aber das Gesicht auf dem Display gehörte einem Bewohner dieser Welt, dem Reich der schlechten, der wirklich ganz, ganz miesen Träume. Unter dem Alptraumgesicht mit dem gemeinen Grinsen stand ein Text:
hallo du ich Bin Bobby mein Vater war ganz krank Im kopf er hat kleine kinder totgemacht und mein mutter war nicht mehr lebndig als ich geboren wurde sie warschon in den sarg sie sind beide in der Hölle ** du hast drei tage schick mich an drei deiner freunde mach es abends bevor, du schlafen gehst Wenn du es nicht machst wachst du bald nachts auf und ich Steher neben dein Bett !!!
„Ein Kettenbrief“, sagte Lennard.
„Was?“ Lotte sah hoch zu ihm. Er ließ das Handy auf die Matratze sinken, mit dem Display nach unten.
„Das ist ein Kettenbrief“, sagte er. „Irgendsoein Blödmann macht sich da einen Spaß.“
„Das ist doch kein Spaß!“ Lottes Stimme war heiser vom Kreischen und Weinen.
„Nein.“ Lennard schüttelte den Kopf. „Aber manche Leute … hör zu, wichtig ist jetzt was anderes.“ Er nahm ihre Hände in seine. „Guck mich mal bitte an.“
Lottes Augen glühten rot und wässrig. „Es gibt keinen Bobby“, sagte Lennard. „Das ist ganz wichtig. Das ist nur ein Bild. Es gibt keinen Bobby. Verstehst du?“
Kaum merklich nickte Lotte.
„Dann sag es mal bitte.“
Sie öffnete den Mund, aber mehr nicht.
„Wir machen zusammen“, sagte Lennard. Er zählte bis drei.
Sie sagten es.

Lotte schlief auf dem Sofa wieder ein, während bei Netflix Sam & Cat lief. Alle paar Minuten drehte Lennard den Ton ein bisschen weiter runter. Schließlich war er ganz aus. Kein Protest. Lotte schlief in einer Jogginghose ihres Vaters und einem ausgewaschenen Pantera-T-Shirt. Ihren Schlafanzug und die Bettwäsche hatte Lennard runter in den Keller gebracht und in die Maschine gesteckt. Durch ein Labyrinth von aufgehängten Laken und Bettwäsche hatte er sich von der Kellertür vor zu den drei Maschinen und dem Trockner kämpfen müssen. Im Haus machten entweder immer alle ihre Betten gleichzeitig oder jemand sammelte ein halbes Jahr, bevor er die Bezüge runterbrachte.

Es war fast zwei Uhr. Lennard nahm sein Handy, googelte Bobby und Kettenbrief. Die Suchmaschine listete viel Allgemeines zum Thema auf, meist von der Sorte für Erwachsene: „Zahlen Sie jetzt 500 Euro und freuen Sie sich nächsten Monat über 5000!“ Außerdem einen Wikipedia-Eintrag zur „volkstümlichen englischen Bezeichnung für: Polizist“. Die Fratze zeigte sich nicht. Auch nicht, als Lennard auf „Bilder“ tippte.
Er beugte sich über Lotte und vergewisserte sich ihres regelmäßigen und ruhigen Atems. Dann nahm er ihr Telefon vom Tisch und öffnete WhatsApp.
Annika hatte die Nachricht geschickt. Vielleicht lag die beste Freundin seiner Tochter gerade zwischen den Eltern und versuchte, wieder in den Schlaf zu finden. Wieder breitete sich Kälte aus in Lennards Nacken, so als sähe er das Bild zum ersten Mal. Bobbys Augen waren groß und rund und schienen jeden Moment aus den Höhlen zu fallen. Lennard versuchte den Gedanken zu ignorieren, wie es Lotte ging, wenn er als erwachsener Mann so auf dieses Gesicht reagierte. Er ignorierte es auch, weil er sich konzentrieren musste. Einen Eindruck hatte er von Anfang an gehabt, hatte sich aber wegen des panischen Geschehens nicht darauf konzentrieren können. Jetzt hatte er diese Zeit und seine Gewissheit wuchs.
Lennard kannte Bobby.
Das breite Grinsen in diesem langen Gesicht und die Nase, die ebenso wie das Kinn spitz zusammenlief wie der Schnabel eines Vogels; die Stirn, die sich oben fast bis zur Mitte des Schädels zog und die hochtoupierten blonden Haare: Das alles hatte er schon einmal gesehen. Bobbys Antlitz füllte fast das gesamte Foto aus, aber unten konnte man den dürren Hals sehen und den Ansatz eines T-Shirts. Ein himmelblaues T-Shirt.
Das stand etwas auf diesem T-Shirt, selbst wenn es auf dem Bild nicht zu sehen war. Lennard kannte Bobby und er kannte das T-Shirt. Da stand etwas drauf.
Metallica.
Lennard setzte sich aufrecht hin. „Beavis?“
Lotte stieß einen schläfrigen Seufzer aus. Lennard erstarrte und wartete, bis sie wieder still lag. Dann googelte er weiter.
Er bekam Bilder der Zeichentrickfiguren, ein MTV-Logo, ein über zwanzig Jahre altes Bandfoto von Crowbar und eines von Mike Judge. Lennard ergänzte seine Suchanfrage um das Wort „real“.
Bingo.
„Du Arschloch“, flüsterte er.

Sie schliefen fast zwei Stunden länger als sonst. Am Frühstückstisch schmierte sich Lotte Nutella auf eine Scheibe Toast. Abwesend biss sie hinein und starrte geradeaus.
„Hast du trotzdem gut geschlafen?“, fragte Lennard.
Lotte schluckte ihren Bissen runter. „Geht.“ Sie trank einen Schluck Tee.
„Weißt du noch?“, fragte Lennard. „Es gibt keinen Bobby.“
Sie sah auf ihr Brot. „Ist aber trotzdem gruselig.“ Es war leise und am Ende brach die Stimme.
„Ja, sieht immer noch gruselig aus“, stimmte Lennard ihr zu. „Aber weißt du, was der Unterschied zu gestern ist?“
Sie schluckte noch einen Bissen runter. „Ist hell, da ist es dann nicht mehr so schlimm.“ Dann, leiser: „Aber es wird ja nachher wieder dunkel.“
Lennard schüttelte den Kopf. „Das ist egal.“
Sie sah ihn an.
„Der Unterschied ist nämlich, jetzt kann ich dir richtig beweisen, dass es keinen Bobby gibt.“ Er betonte beweisen, hob bei der zweiten Silbe die Stimme an.
Lotte wartete auf seinen nächsten Zug, legte den Toast auf den Teller. Lennard nahm sein Telefon. „Früher gab es Zeichentrickfiguren im Fernsehen, die hießen Beavis und Butt-Head. Die haben immer Quatsch gemacht. Streiche gespielt. Und Musik gehört, wie Papa die immer hört. War für Jungs gemacht.“
Lottes Blick hielt fest: Ich sehe absolut nicht, wo uns das gerade hinführt.
Lennard zeigte Lotte das Ergebnis seiner frühmorgendlichen Recherche. „Siehst du? Ganz bekannte Sendung früher. Gibst du es bei Google ein, ist alles voll damit.“
Lotte zuckte die Schultern. „Aber was hat das denn mit … ihm zu tun?“
Sie flüsterte den zweiten Teil des Satzes, als hätte sie Angst, dass er sie hören könnte.
„Zeige ich dir.“ Lennard spezifizierte seine Suche. „Und nicht erschrecken jetzt.“ Er zeigte Lotte wieder das Display. „Kennst du den?“
Lotte zuckte zusammen. Lennard legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Bobby“, sagte er, „ist eine von diesen beiden Figuren. Es ist Beavis. Du weißt, was Effekte in einem Film sind, oder? Wenn sie jemanden schminken und der spielt dann den Grüffelo?“
Wieder dieser Blick: Und?
„Das hier hat jemand gemacht, der solche Sachen beim Film macht. Der wollte mal gucken, wie Beavis und Butt-Head wohl in echt aussähen.“
„Wie Monster!“
Lennard nickte. „Genau! Wie Monster! Aber die sind aus Gummi oder was weiß ich, wie er das gemacht hat, wie eine Maske für Halloween jedenfalls. Und dann hat jemand dieses Bild genommen.“ Er zeigte Lotte das Foto der Beavis-Büste, die er im Netz gefunden hatte. „Hat es ein bisschen größer gemacht.“ Er zog mit Daumen und Zeigefinger das Bild auseinander. „Und dann hat er noch diesen doofen Text dazugeschrieben.“
Lotte starrte das Bild an.
„Das ist Bobby“, sagte Lennard. Er lachte, um zu betonen, wie albern das alles war. Selbst in seinen eigenen Ohren klang es unecht, also ließ er es wieder. „Bobby heißt erstens Beavis und ist zweitens aus Gummi. PVC, keine Ahnung. Aber es gibt keinen Bobby. Verstehst du? Alles Quatsch.“ Er nahm das Handy und steckte es ein. Vor Frustration hätte er gern die Teekanne gegen die Wand geschmissen. Es reichte nicht. Er sah es ihr an. Er dachte an eine Geschichte, die er einmal gelesen hatte. Eine Frau mit panischer Angst vor Haien hatte sich eben dieser Angst gestellt und war schwimmen gegangen. Sie hatte einen Schock erlitten, irgendwo entlang der englischen Küste, wo der letzte Hai wahrscheinlich seine Bahnen gezogen hat, als es noch Dinosaurier gab. Angst war … stärker.
„Wir löschen Bobby jetzt überall, okay? Aus deinen Fotos und aus der Unterhaltung mit Annika.“
„Aber es gibt ihn doch gar nicht.“
„Hässlich ist er trotzdem.“ Er lächelte, aber Lotte reagierte nicht darauf. „Am besten ist es, wenn man nicht an schlimme Sachen denkt, dann sind sie irgendwann weg.“ Eventuell kommen sie im Traum zurück, aber das Fass mache ich jetzt mal nicht auf. Er tippte sich an die Schläfe. „Du hast nur Angst, weil diese Sachen hier oben drin sind. Sind sie weg, hast du auch keine Angst mehr. Logisch, oder?“
Lotte nickte, blickte dabei aber nachdenklich zu Boden.
„Was denn?“, fragte Lennard.
Lotte sah hoch zu ihm. „Kann ich es nicht trotzdem weiterschicken? Nur vorsichtshalber.“
Lennard nahm Lotte in die Arme und stand mit ihr auf. Meine Güte, ist sie schwer geworden.
„Hast du denn Freunde, denen du das wünscht? Dass es ihnen so geht wie dir heute Nacht?“ Er streichelte ihren Kopf. „Nicht oder?“
„Du hast doch die Nummer von Frau Schlomann, das wäre schon eine.“
Lennard lachte, wurde aber sofort wieder ernst. „Komm, wir sagen es nochmal zusammen.“
Das taten sie, fünf Mal, bevor er Lotte wieder runterließ. Er dachte an morgen und hörte Nina sagen: Es war doch klar, dass so was passiert, wenn sie bei ihm drüben ist! Und er hörte Lars antworten: Ja, wahrscheinlich hast du Recht.
„Hey, wollen wir das eigentlich für uns behalten?“ Er setzte Lotte wieder auf dem Stuhl ab. „Weißt du, es ist genau wie mit dem Bild. Je weniger wir darüber reden, desto weniger haben wir Bobby im Kopf und desto schneller ist er wieder weg. Für immer.“
Keine Versprechen machen, die du nicht einhalten kannst. Auch so ein Leitspruch.
Lotte schien nicht überzeugt. Sie sagte „Okay“, aber es klang nicht okay. Wieder hörte Lennard Nina etwas sagen. Diesmal einen Satz, den sie tatsächlich schon mal benutzt hatte. Lotte war noch ein Baby gewesen und für die Honeymoon Killers, damals im Spätherbst ihrer Karriere – Karriere natürlich in Anführungszeichen hatte sich spontan ein Auftritt ergeben. Eigentlich hatte Nina an diesem Abend zu einem Geburtstag gewollt. Lennard hatte darauf hingewiesen, dass in dieser Phase die Mutter ohnehin wichtiger sei, und Nina hatte gesagt: Meinst du das ernst? Weil als Witz finde ich’s scheiße. Es geht nicht um sie, das bist du. Immer nur du.

***

Als Lotte wieder bei Nina und Lars war hatte Lennard Schwierigkeiten, den eigenen Rat zu befolgen. Immer wieder drehten seine Gedanken sich um Bobby. Er hatte keine Angst vor der Fratze, nicht am Tag (Aber es wird ja nachher wieder dunkel). Er hatte eine Erwachsenenangst: Was, wenn Lotte das Thema bei den beiden Pfeifen ansprach? Wenn sie seine Tochter wieder abholten oder er sie zurückbrachte, fragten sie immer: War irgendwas? Mit so einem Unterton, als hätten Eltern ihren Fünfzehnjährigen übers Wochenende alleingelassen. Manchmal erklärte Lennard dann, sie hätten sich Sponge Bob und Thaddäus tätowieren lassen oder er hätte Lotte erzählt, Lars würde ihr, versprochen, zu Weihnachten ein Känguru kaufen.

Nachts wachte er auf. Schweiß lief ihm über Rücken und Brust, der Bettbezug hatte sich vollgesogen. In seinem Traum hatte er auch im Bett gelegen. Alles war dunkel gewesen. Aus Lottes Zimmer kam die Beavis-und-Butt-Head-Melodie, als würde der Fernseher darin laufen. Aber in dem Raum stand kein Fernseher. Auch in seinem Traum wusste Lennard das. Also ging er raus auf den Flur. Die Tür zum Zimmer stand einen Spalt weit offen. Kein Licht lag dahinter, nur Schwärze. Die Melodie lief weiter.
„Lotte?“ Er ging auf das Zimmer zu. „Kannst du nicht schlafen?“ Er wollte die Tür weiter aufschieben. Streckte die Hand danach aus. Jemand schloss sie schnell von der anderen Seite.
Lennard öffnete die Augen. Er stand auf und nahm sein Handy, um zu sehen, wie spät es war. Sein Daumen blieb über dem Display. Er berührte es nicht. In der Küche trank er ein Glas Wasser und sah auf die Uhr, die an der Wand hing. Mit Zeigern. Ein Bote aus einer besseren Zeit. Ohne Smartphones, ohne WhatsApp. Ohne Bobby.
Gleich halb vier. Er legte sich wieder hin und blieb noch eine ganze Weile wach.

Die Tage danach wartete er auf den Anruf oder die Nachricht. Per SMS. Nina schickte, wenn ihr etwas wirklich ernst war, SMS, als wären sie Rentner. „Wir müssen reden“ würde da drin stehen. Oder von Lars: „Moin, Kollege, können wir mal telefonieren, hab eine Sache?“ Aber nichts passierte.
Lennard saß am Laptop und suchte nach Wegen, das Lehramtsstudium doch noch zu Ende zu bringen. Seine Eltern glaubten bis heute, es gehe um ein oder zwei Prüfungen, die er damals wegen der Honeymoon Killers aufgeschoben hatte. Tatsächlich ging es um fast alles. Die Leistungsnachweise, die er gesammelt hatte, waren mit den Fingern einer Hand so zählbar, dass man gleichzeitig eine Dose Bier halten und daraus trinken konnte. Er würde von ganz vorne anfangen müssen, mit über vierzig zwischen lauter Zwanzigjährigen. Einige Dozenten würden jünger sein als er. Teils deutlich.
Doch der Horizont der Alternativen verdunkelte sich zusehends. Die Miete kam zusammen aus einem Gemisch von Englisch-Nachhilfe, Aushilfe bei „Scheibenwelt“, einem Plattenlanden, zwei Tage die Woche mit dem E-Bike Lieferservice für „City Burger“ und immer wieder Ebay-Kleinanzeigen: „Biete Gitarrenunterricht“.
„Scheibenwelt“ kämpfte tapfer und klar, Schallplatten waren zurück, aber auch die bekam man günstiger im Internet. Fünf Jahre hatte der Laden vielleicht noch, wenn es gut lief. Außerordentlich gut.
Mit „City Burger“ haderte Lennard, seit eine ehemalige Mitschülerin die Tür ihres pompösen Eigenheims im städtischen Speckgürtel geöffnet hatte. Sie hatte mit Paypal gezahlt, gab ihm aber trotzdem zwei Euro Trinkgeld. Sie stellten fest, wie schade das war, dass man sich so jetzt nach all den Jahren wiedersah und gar keine Zeit zum Quatschen hatte. Lennard hatte noch nie so gelogen im Leben.
Die Nachhilfe brachte etwas ein. Relativ gesehen, on top zum Bafög, mit zweiundzwanzig, wenn man in einer WG wohnte. Zum Glück hatte er sich mit Nina beim Unterhalt einigen können. Nur sie beide, um der alten Zeiten Willen. War es mal eng, rollte sie mit den Augen, bevor sie eines zukniff. Seit Lars da war, fiel ihr das noch leichter. Lennards Nachfolger verkaufte Autos und das wohl ganz erfolgreich.
Ging Nina irgendwann doch zum Anwalt, konnte er sich einen Strick nehmen. Er sah den Gerichtsvollzieher die Gitarren aus der Wohnung tragen. Die Wahrscheinlichkeit war noch gering, stieg aber proportional zur Spannung zwischen ihnen. Der Bobby-Zwischenfall hatte das Potenzial, die Stimmung endgültig kippen zu lassen.
Lennard drehte die Lautstärke der Kopfhörer hoch und stimmte Come As You Are an.

***

Lotte meldete sich am späten Dienstagnachmittag. Lennard schlüpfte gerade in seine Chucks. Eigentlich waren Montag und Mittwoch seine Tage bei City Burger, aber Ahmed hatte für die Spätschicht abgesagt. Grippe. „Oh, Kind“, sagte Lennard in die leere Wohnung hinein. „Gerade ist schlecht.“ Er berührte den grünen Punkt auf dem Display. „Hallo?“
Stille am anderen Ende.
„Hallo Lotte?“
„Hallo Papa.“
„Warum rufst du an?“
Wieder Stille. Er ging schnell die Stufen hinunter im Treppenhaus. Die junge Judith kam ihm entgegen, in ihrem Pearl-Jam-T-Shirt, eine Band aus einem Land vor ihrer Zeit. Sie grüßte freundlich und Lennard grüßte zurück, wegen der Hektik etwas kürzer angebunden als sonst. Keine Zeit diesmal für Treppenhaus-Smalltalk darüber, ob man die Melvins wirklich dem Grunge zurechnen konnte.
Er übersprang die letzten drei Stufen. „Du Lotte, ich bin gerade auf dem Weg zur Arbeit.“ Er zog die Haustür auf.
„Wegen Bobby“, sagte Lotte.
Lennard fuhr zusammen. Er schob die Tür wieder zu und lehnte sich gegen die Wand. Kurz horchte er auf etwaige Geräusche im Treppenhaus.
„Hast du’s Mama und Lars erzählt?“, fragte er.
Ein paar Mal ein- und wieder ausatmen. Dann: „Nein.“
Lennard hielt das Telefon von sich und pustete erleichtert aus.
„Du hast doch gesagt, dass ich nicht soll“, erinnerte Lotte ihn.
Das klang falsch, ganz falsch. Flog die Sache auf, könnte ihm diese Formulierung zum Verhängnis werden.
„Nein, nein, nein“, sagte Lennard. „Nicht du sollst nicht. Du musst nicht. Weil das alles Unsinn ist und wir uns von irgendwelchen Blödmännern keine Angst machen lassen. Es gibt nämlich keinen Bobby, weißt du noch?“
Stille. Lennard dachte an seinen Traum.
„Heute sind drei Tage um“, sagte Lotte.
Lennard seufzte. „Mensch Lotte, es passiert nichts.“ Außer vielleicht, dass die Eltern der angeschriebenen Freunde Nina und Lars anriefen, weil seine Tochter Bobbys Grüße weitergeschickt hatte. Was wiederum zu der Frage führen würde, wo und wann der Kettenbrief Lotte erreicht hatte.
„Versprichst du es?“, fragte sie.
„Ich muss nichts versprechen, Lotte. Es gibt keinen Bobby.“
Atmen am anderen Ende. Lennard nickte, allein im Treppenhaus. „Ich verspreche es.“

Am Ende der Schicht musste er nochmal raus zu „Berger, Martin“, dritter Stock. Vier Burger, zwei vegan. Zweimal Pommes, einmal Zwiebelringe. Lennard klingelte unten und drückte die Tür auf, als es summte. Die Musik hallte von oben durchs Treppenhaus. Der Sänger machte diese Quiek-Geräusche wie ein Ferkel, dazu ein rasend schnelles Schlagzeug. Martin Berger legte keinen Wert auf gute Nachbarschaft.
Als Lennard vor der bereits ein Stück weit geöffneten Wohnungstür stand, hörte er mehrere junge Männerstimmen. Jemand drehte die Musik leiser. Schritte auf Socken. Von der anderen Seite wurde die Tür ganz aufgezogen.
Die Burgertasche glitt Lennard aus den Fingern. Der Junge in der Tür machte einen Satz und half ihm, sie aufzufangen.
„Brudi, alles klar?“, fragte er.
Lennard räusperte sich. „Sorry.“ Sein Herz schlug schnell wie das Schlagzeug der Ferkelband. „Ich habe gerade irgendwie danebengegriffen.“
„Sicher?“ Martin Berger blickte ihn besorgt an. „Ich dachte, du kollabierst oder so. Willst du ein Glas Wasser?“
„Nein, alles gut.“
„Willst du ein Bier?“
Lennard verneinte. Er stellte die Warmhaltetasche auf den Boden und holte die drei braunen Papiertüten daraus hervor. Zuletzt studierte er noch einmal die Rechnung. „Ihr habt mit Paypal bezahlt, richtig?“
„Jo. Ich hab aber trotzdem Trinkgeld.“ Martin Berger gab Lennard einen Euro. Er nahm die Münze, ohne den Blick von Bergers T-Shirt zu lassen.
„Brudi, du machst mir echt Sorgen“, sagte Berger. „Bist du sicher, dass alles gut ist? Hast du dich mit dem Fahrrad gemault oder sowas?“
Lennard schüttelte den Kopf. „Nein, alles in Ordnung. Aber sag mal, wo kriegt man so ein Shirt her?“
Berger zupfte stolz an dem hellblauen Kleidungsstück mit Metallica-Schriftzug in Comicschrift auf der Brust. „Geil oder? Aus so einem Plattenladen in Kopenhagen. Neulich war doch das Bonegrinder.“
„Ja, ich weiß.“ Er hatte noch nie von dem Festival gehört. „Ist das offizielles Band-Merch?“
„Nee. Ist ein MTV-Logo drin. Beavis-und-Butt-Head-Merch. Kennst du?“
Lennard nickte. „Klar, ich kenne MTV noch mit Musik. Ich war dabei, kann man sagen.“
„Echt? Krass. So alt siehst du gar nicht aus.“
„Tja.“
„Mit dem Kreislauf alles gut?“
„Denke schon.“

Nach Feierabend saß er auf dem Sofa und zupfte ziellos die Saiten. Immer mal wieder drängte sich eine Melodie kurz in den Vordergrund, Lullaby von The Cure oder Don’t Speak von No Doubt, um dann wieder in ziellosen Tönen ohne Erkennungswert oder dem peinlichen Mittelmaß der Honeymoon Killers unterzugehen. Er setzte die Kopfhörer ab und stellte die Gitarre zurück in die Halterung. Dann wischte er sich durchs Gesicht und sah aufs Telefon. Gleich halb eins. Lotte lag seit Stunden im Bett. Ob sie schlafen konnte? Ob sie Bobby sah, wenn sie die Augen schloss? Und hatte sie Angst, das Gesicht könnte auch da sein, wenn sie die Lider öffnete?
Durchhalten, Kleine, dachte Lennard. Es gibt keinen Bobby. Nach der heutigen Nacht hätten sie das endlich geklärt.

Am Morgen trank er Kaffee und textete: Siehst du? ;)
Zur Zeit der zweiten großen Pause schrieb Lotte zurück: Es heißt bald, nicht am dritten Tag.
Lotte, bitte. :(
Ich muss wieder rein. LG

Lennard legte das Handy auf den Küchentisch und nahm seinen Kaffee, ohne davon zu trinken. Bald stehe ich neben deinem Bett. Nicht nach drei Tagen. Bald. Die Arschkrampen hatten an alles gedacht.

In seinem Traum in dieser Nacht stand er im Wohnzimmer. Martin Berger saß auf dem Sofa. Er aß einen Burger und kleckerte dabei sein T-Shirt aus Kopenhagen mit Soßen und Salat voll. Als Lennard fragte, was denn das für ein Burger sei, grinste Berger ihn an. Lennard wiederholte die Frage, aber Berger grinste nur.

***

Am Mittwoch, bevor der nächste Besuch anstand, rief Nina an. Lennard sortierte gerade Platten aus für Ebay. Er hatte Strife in der Hand, One Truth, ein Relikt aus seiner kurzen Hardcore-Phase Ende der Neunziger, als es klingelte.
Nina fragte, ob ihm an Lotte beim letzten Mal irgendwas aufgefallen sei. Ob sie irgendwie anders war.
„Klar.“ Lennards Herz schlug schneller. „Sie hing die ganze Zeit an dem scheiß Telefon. Das war auf jeden Fall anders als sonst.“
„Von ihrer Art her meine ich. Sie ist jetzt immer so still und ernst.“
„Wie hypnotisiert.“
„Ja, genau!“
„Von dem scheiß Telefon.“
„Jetzt hör doch mal auf, Lennard! Wie kommt das?“
„Pubertät fängt bei Mädchen mit zehn an.“
Kurze Pause. Sie hatte es nicht gewusst. Fünfundzwanzig von dreißig Tagen im Monat war Lotte bei ihr, und dann wusste sie so etwas nicht.
„Wir haben uns gefragt, ob irgendwas war bei dir.“
„Natürlich habt ihr das.“
„Wir dachten, weil du so überrascht warst, dass du Stress hattest, und …“
Pause.
„Und was?“
„Lars meinte … du bist nicht irgendwie im Affekt mal grob geworden, oder?“
Lennard legte die Platte auf den Ebay-Haufen. „Ich kann heute Abend mal vorbeikommen und grob werden, wann hat Lars denn Feierabend?“
Nina schnaufte. „Es tut mir leid, okay, entschuldige. Aber irgendwas stimmt da nicht und sie ist ziemlich genau seit ihrem letzten Besuch bei dir so.“
„Will sie nicht mehr zu mir?“
„Doch.“
„Und trotzdem geht ihr einfach mal davon aus, dass es an mir liegt.“
„Du wirfst uns doch auch das Handy vor.“
„Entschuldigung, aber der Unterscheid liegt doch wohl auf der Hand. Ihr habt ihr ja nun mal viel zu früh ein Smartphone gekauft. Das ist eine Tatsache. Was ich angeblich gemacht habe, gibt es exklusiv nur bei euch im Kopf.“
Nina atmete schwer und vorwurfsvoll. „Vielleicht hat sie wirklich einfach den ersten Liebeskummer“, sagte sie.
„Was?“
„Ich hab neulich nachts nochmal nach ihr gesehen und sie hat im Schlaf einen Namen gesagt. Muss ein Junge sein, den sie kennt, ich hab online gesucht und keinen angesagten Teeniestar gefunden, der so heißt. Hat sie mit dir vielleicht drüber gesprochen?“
„Über was?“
„Über Bobby.“
Lennards Mund war plötzlich trocken.
„Das war der Name, den sie gesagt hat.“
„Sagt mir nichts.“
Nina erwiderte längere Zeit nichts. Zu lange, fand Lennard.
„Wir bringen sie Freitag dann wie immer vorbei“, sagte Nina.
„Okay.“
„Geh einfach behutsam mit ihr um, irgendwas ist im Moment.“
„Mache ich.“
„Und entschuldige nochmal die bescheuerte Frage. Ich weiß, dass du-“
„Bis Freitag.“ Lennard legte auf.

Lottes Blick ging noch immer viel zum Handydisplay, mechanisch und ohne Freude, ohne zu lächeln. Manchmal, dachte Lennard, sah es aus, als tippte sie nur, um den Kopf nicht heben zu müssen. Er sprach sie an auf Schule, Essen und Sport. Nur „Mms“ und „Jas“ und „Weiß nichts“. Behutsam zog er ihr das Handy aus den Fingern. Endlich sah sie ihn an.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte er.
„Ja.“
„Sicher?“
Lotte zuckte Schultern. „Klar, warum nicht?“
Lennard überlegte. „Seinetwegen?“
Lotte nahm eines seiner kleinen Sofakissen und hielt es umklammert, während sie sich gegen die Rückenlehne fallen ließ. „Ich kann nachts nicht schlafen“, sagte sie. „Annika glaubt, dass ich verrückt bin, weil ich es nicht weitergeschickt habe. Sie sagt, es tut keinem weh und danach bist du sicher, also hätte ich es einfach weiterschicken sollen.“
„Es tut keinem weh?“ Lennard schüttelte den Kopf. „Die ist auch echt heiß, deine Annika.“
„Aber ich überlege viel, ob sie Recht hat. Sie sagt, sie denkt kaum noch dran, seit sie es weitergeschickt hat. Mehr will er ja nicht.“
„Und du hast Angst. Was sagt sie dazu eigentlich? Machen Freundinnen das?“
Lotte zupfte an dem Kissen herum. „Sie dachte, ich schicke es auch einfach weiter. Sie sagt, sie konnte nicht ahnen, dass ich so einen Mist mache.“
„Und auf deinen Vater hörst.“
„Sie meint, sie würde bei sowas nicht auf Erwachsene hören. Die verstehen es nicht.“
„Aber sie weiß natürlich alles.“ Lennard erschrak über die eigenen Worte. Was für eine unreife Reaktion. Annika war ein Kind wie Lotte. Aber erst zehn oder peng, es war schwer darüber hinwegzusehen, dass sie ohne Madame nicht in der aktuellen Situation stecken würden. Sie beide.
„Ich hab geträumt“, sagte Lotte.
„Das kann ich mir vorstellen.“ Ich nämlich auch. „Was denn?“
Lotte starrte auf den ausgeschalteten Fernseher. „Ich hab geträumt, dass ich schlecht träume, und dann habe ich Lars aus dem Schlafzimmer gehört, wie er ruft ich bin gleich bei dir, und dann kommt er rein und es ist dunkel und ich sehe nur so eine … Form. Wie einen Schatten. Ich sehe, dass es nicht Lars ist. Es ist dieser komische Kopf.“ Sie wischte sich die nassen Augen. „Es ist Bobby.“
Lennard nahm Lotte in den Arm und hielt sie, bis sie sich selbst wieder freikämpfte. Bis dahin dauerte sehr viel länger als sonst.

Sie spielten Mario Kart auf seinem alten Konsolen-Zombie aus Teenagertagen: Eigentlich längst tot, lief das Ding einfach immer weiter.
„Lässt du mich immer noch gewinnen?“, fragte Lotte.
„Bist du dafür zu alt?“, fragte er zurück.
„Ich bin ja keine fünf mehr“, sagte Lotte.
Lennard nickte. „Okay. Dann mache ich dich jetzt platt. Aber fang nicht an zu heulen.“
Das tat sie nicht. Sie lachte, als sein Bowser ihren Luigi immer wieder von der Fahrbahn drängte und ihn Einhornmist fressen ließ. Das Handy lag hinter ihnen auf dem Wohnzimmertisch. Während des Turniers drehte sie sich nicht ein Mal danach um.

Als Lotte im Bett lag, spielte er Planets Collide. Er hatte das Lied im Kopf gehabt, seit seine Suchanfrage das Bild von Crowbar zu Tage gefördert hatte. Eine Band, die Beavis und Butt-Head mit groß gemacht hatten. Er wechselte zu Joy Division, um nicht mehr an die beiden zu denken. An den einen. An ihn. Nicht Beavis. Bobby.
Bobby mit der Hexe als Mutter, die schon tot war, als er geboren wurde. Meine Güte, wer dachte sich so etwas aus?
Der Anfangsakkord von Love Will Tear Us Apart brach mittendrin ab, als hätte auch Bernard Summer den Gurt nicht zugemacht und jetzt war die Gitarre runtergefallen.
Die Wäsche. „Shit!“ Er hatte heute morgen unten im Keller eine Maschine vollgemacht und sie vergessen. Feuchte Wäsche, die zu lang in der Trommel lag, roch irgendwann muffig. Feuchte Wäsche, die zu lang in einer der Siemens-Maschinen im Keller blieb, die neu gewesen waren, als Radiohead OK Computer veröffentlicht hatten, roch, als hätte man sie in der Badewanne eingeweicht, und dann ist ein kleines bis mittelgroßes Tier, ein Frettchen zum Beispiel, in die Wanne gesprungen und darin ertrunken und dann hat alles ein paar Tage vor sich hingegärt.
Lennard holte den Wäschekorb aus dem Bad und blickte noch einmal durch den offenen Türspalt in Lottes Zimmer. Ihr Atem ging ruhig und regelmäßig. Er hörte eine Weile zu. Gute Musik.
Dann schlich er auf Socken aus der Wohnung und runter in den Keller.

Auf der Kellertreppe rutschte er aus. Die Hände klatschten auf kalten Stein, ein Stich schoss ihm in die rechte Schulter. Der Wäschekorb polterte die Stufen hinab bis vor die Tür zum Waschkeller.
Lennard verharrte einen Moment. Wartete, ob über ihm eine Wohnungstür geöffnet wurde. Aber nichts geschah. Er blieb noch kurz sitzen und rieb sich die Schulter. Der Schmerz ließ nach. Lennard nahm die letzten Stufen vorsichtig wie ein Seiltänzer, packte den Korb und öffnete die Tür.
Da tat es sich wieder vor ihm auf, das Labyrinth aus klammen Bettlaken und Bezügen, die über Leinen aus buntem Nylon hingen. Das Recht sich zu beschweren hatte er nicht, er hatte selbst zwei Garnituren hier unten hängen, seine Sommerbezüge aus blauem und rotem Stoff.
Er kämpfte sich durchs Labyrinth, als zöge er feuchte Vorhänge zur Seite, Vorhang nach Vorhang nach Vorhang. Schließlich erreichte er sein Ziel, öffnete die Maschine und leerte die Trommel in seinen Korb. Dabei summte er die Melodie von Smells like Teen Spirit und sang dann leise: „Die scheiß Laken … sind noch na-ass …“
Schritte kamen die Treppe herunter. Lennard fuhr zusammen. Anders als Martin Berger legte er Wert darauf, mit den Nachbarn auszukommen.
Auf der anderen Seite des Laken-Labyrinths ging die Kellertür auf und wieder zu.
„Sorry“, sagte Lennard. „Ich bin auf der Treppe ausgerutscht. Ist aber nichts passiert. War es sehr laut?“
Einen Moment lang dachte er, wer auch immer habe die Tür nur geöffnet und kurz in den Raum gesehen. Aber er hatte keine Schritte gehört, die die Treppe wieder raufgegangen waren. Stattdessen das leise Summen der Elektrik des Hauses. Und … ein Atmen. Das verschleimte Atmen eines verrotzten Kindes.
„Hallo?“ Lennard hatte einen schwarz-weißen Bettbezug mit Karomuster nur wenige Zentimeter vor dem Gesicht. Vielleicht war irgendwo weit dahinter … „Lotte?“
Er schob Laken beiseite, vier Stück, befand sich jetzt auf halbem Weg zwischen den Maschinen und der Kellertür. „Wer ist denn da?“ Er ging auf die Knie, um unter den Laken durchzusehen. Er sah nackte Beine, die Füße steckten in schwarzen Schuhen und weißen Socken. Wie bei …
All seine Muskeln erschlafften gleichzeitig.
„Lars?“ Wie hatte er davon Wind bekommen? Vielleicht hatte Lotte doch etwas erzählt und jetzt … „Lars, ich warne dich! Ich warte schon lange auf einen Grund …“
Das Ding auf der anderen Seite der Laken kicherte. „Ich bin nicht Lars.“ Die Stimme war hoch und kratzig. Lennard sah, wie ein paar Reihen vor ihm das erste Laken zur Seite geschoben wurde. Die Schuhe setzten sich in Bewegung. Lennard rutschte auf dem Hintern rückwärts in Richtung der Waschmaschinen.
Das Ding kicherte wieder, während es näherkam. Schließlich trennte nur noch ein Laken sie voneinander. Der Geruch von saurer Milch stieg Lennard in die Nase.
„Meine Mutter war schon tot, als ich geboren wurde“, sagte das Ding.
Von der anderen Seite krümmten sich Finger um das Laken. Die Glieder waren so lang wie ein Streichholz.
„Bleib da!“, sagte Lennard.
Der letzte Vorhang fiel. Diesmal wischte das Ding die Bettwäsche nicht zur Seite, sondern zog daran. Die Wäscheklammern fielen mit einem Plastikklimpern zu Boden. Das Ding hielt den Bezug noch kurz in der Hand, während es auf Lennard hinunter grinste. Dann ließ es den Stoff fallen. „Hey, Len-O“, sagte es.
Lennard schüttelte den Kopf. Er ballte die Fäuste. „Wo ist Lotte?“
Sofern das möglich war, grinste es noch ein bisschen breiter. „Seit wann interessiert dich das?“
Lennard versuchte, hochzukommen, aber das Ding trat ihm gegen die Brust und drückte ihn gegen die Maschine.
Lennard griff den Unterschenkel. „Wenn du ihr was tust …“
Das Grinsen des Dings erschlaffte kurz. „Was soll ich ihr tun, Asswipe?“ Es zog die Mundwinkel wieder hoch bis zu den Ohren. „Das Kind juckt mich noch weniger als dich, Len-O.“ Es drehte den Kopf zur Seite und spuckte aus. Dann sah es wieder zu ihm. „Es geht um dich, Butthole. Es geht nur um dich.“
Lennard fühlte das falsche Fleisch des Unterschenkels. Als hätte jemand Menschenhaut über eine Schaufensterpuppe gezogen. „Was willst du?“, fragte er.
Der Blick des Dings leerte sich und es wurde ernst. „Ich bin das Summen in der Nacht“, sagte es. „Das Flüstern auf dem Schulhof.“ Es blickte Lennard wieder an. „Ich bin die Angst unter dem Bett.“ Noch einmal spuckte es aus. „Ohne das bin ich nichts. Ohne das bin ich nicht.“
Lennard schlug gegen den Unterschenkel, der sich keinen Zentimeter bewegte.
„Ich bin Bobby“, sagte es.
„Nein.“ Lennard schüttelte den Kopf. „ Es gibt keinen Bobby.“
Bobbys Grinsen kehrte zurück und er zog etwas aus der Tasche seiner kurzen Hose, das Lennard zunächst für ein langes, dickes Haar hielt.

Judith lebte noch nicht lange im Haus, erst vor ein paar Wochen hatte das Studium begonnen. Jura. Eltern und Großeltern freute es, sie hatten nach der Adoleszenz nicht damit gerechnet. Etwas Anständiges war das tatsächlich, Rechtsanwältin. Ihr Vater empfahl Immobilienrecht, da steckte „mit das meiste Geld drin“, und Judith nickte dann. Tatsächlich hatte sie sich nach einer Reportage über „Anwälte ohne Grenzen“ für ihr Fach entschieden. Sie wollte Flüchtlinge vor der Abschiebung bewahren und mit ihnen gegen die Zustände in notdürftig zusammengenagelten Sammelstellen protestieren. Sie träumte auch davon, ein paar Monate im Jahr in Marseille zu leben, dann in Berlin und dann in Kinshasa, wie der Job es mit sich bringen konnte. Das war das Prestige, nach dem sie strebte: Kosmopolitanismus. Pfeif doch auf Immobilien.
Morgen hielt sie ein Referat über die möglichen Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf die Verfassungen der westlichen Industrieländer. Bei dem Gedanken machte sie fast in die Hose. Es war ihr erstes Mal Sprechen vor Leuten nach der Schule, wo man alle gekannt hatte. Sie brauchte ihr Lieblings-T-Shirt, Pearl Jam, mit dem Ten-Motiv darauf. Das hatte sie auch beim Abi getragen und hier war sie, Noten-Durchschnitt 1,7.
Sie mochte alte Musik lieber als neue. Der Typ aus dem zweiten Stock war alt und er hatte Ahnung von Musik. Sie waren zum ersten Mal ins Gespräch gekommen hier unten im Waschkeller, sie im Ten, er hatte eine kurze Hose mit Soundgarden-Aufnäher getragen. Seine Kleine war stark. Einmal hatte sie am Hauseingang auf ihn gewartet, und Judith war nach Hause gekommen, in einer schwarzen Hose voller Löcher. Das Kind hatte die Hose angesehen und gefragt: „Bist du vor einem Hund weggelaufen oder so?“
Judith öffnete die Tür zum Waschkeller. Als erstes bemerkte sie den Klang. „Mist.“ Alle Maschinen liefen. Sie wohnte jetzt lang genug hier, um das zu erkennen. Vier Uhr morgens war es, sie war extra nach der Fakultätsparty bei den Sportlern noch hier runter, um ihr magisches Textil rechtzeitig gewaschen und getrocknet zu bekommen.
Nachdem die automatische Tür hinter ihr zugefallen war, bemerkte sie eine zweite Besonderheit. Wie immer roch der Waschkeller nach nasser, trockener und halbtrockener Wäsche, nach flüssigem und nach Pulverwaschmittel unterschiedlicher Preisklassen, und nach dem Muff eines Kellerraums in einem Haus, das Mitte der Siebziger gebaut worden war. Aber an diesem sehr, sehr frühen Sonntagmorgen hatte sich noch ein weiterer Geruch unter die Waschmittel-Moder-Melange gemischt. Ein metallisches Kitzeln in der Nase, als würde man an einer Fleischtheke vorbeigehen.
Judith stellte ihren Korb ab. Noch etwas war so ungewöhnlich, dass es ihr selbst nach drei Caipi auffiel: Jemand wusch seine Schuhe und nicht viel anderes, sodass die Sneaker oder Boots oder was auch immer stumpf in den sich drehenden Trommeln vor sich hin polterten: Bum. Bum-Bum-Bum. Bum-Bum. Bum.
Sie schob die Bettlaken zur Seite und näherte sich Reihe um Reihe den Maschinen. Eigentlich wollte sie sehen, ob es sich lohnte, hier unten zu warten und dabei ein bisschen auf dem Telefon zu spielen. Vielleicht sogar ihr Referat noch einmal durchgehen, sie hatte ihre Stichpunkte in Notes geschrieben. Das Warten könnte sich lohnen, wenn schon kaum noch Wasser in den Trommeln stand, dann waren die Waschgänge fast durch. Sie würde die Maschine öffnen, die fremde Wäsche in ihren Korb legen und hier unten stehen lassen. Das ging, dafür war die Stimmung unter den Mietern gut genug.
In der vorletzten Reihe blieb sie stehen und zog den Fuß zurück. Die Schuhspitze einer ihrer Vans hatte bereits den roten Rinnsal auf dem Boden berührt und zog nun eine schmierige Spur. Zuerst dachte sie an an einen Defekt in einer der Maschinen. Die waren alt. Möglicherweise war irgendwas durchgerostet oder durchgeschmort und jetzt lief eine Flüssigkeit aus, oder das Waschwasser …
Judith stellte den Wäschekorb ab. Als sie sich dafür bückte, konnte sie unter den hängenden Laken hindurchsehen. Auf der anderen Seite der Bettwäsche war noch viel mehr von der Flüssigkeit. Die Decke, vor der sie jetzt stand, war braun. Wie im Traum sah sie sich selbst dabei zu, wie sie sie zur Seite zog. Und ebenfalls wie im Traum wollte sie sich selbst zurufen, es nicht zu tun, einfach zu gehen, stellte aber fest, dass sie den Mund zwar öffnete, aus diesem aber kein Ton kam.
Hinter der braunen hing noch eine weiße Decke. Die rote Flüssigkeit war dagegen gespritzt. Sehr viel davon. Judiths Hand zitterte. Sie wollte nicht, aber ein unsichtbarerer Peiniger hielt sie am Handgelenk gepackt und zog ihren Arm nach vorn. Sie schob den letzten Schleier zur Seite.
Die Maschinen und der Fußboden davor waren so besudelt, als wäre das Blut aus Duschköpfen an der Decke auf sie hinabgeregnet. Jetzt erkannte sie den metallischen Geruch als das, was er war: Der Gestank von Blut.
Aber das Blut war nicht das Schlimmste. Vor den Maschinen lag der Körper eines Mannes. Judith erkannte ihn nicht am Gesicht, denn er hatte keinen Kopf. Die Arme waren weiß, das meiste der sechs Liter Blut im menschlichen Körper musste aus dem Hals gelaufen sein. Auf der Waschmaschine lag ein Stück blutiger Metallschnur, das die Polizei später als Gitarrensaite identifizierte.
Judith interessierte sich in diesem Moment nicht für den Tathergang. Sie sah nur den Soundgarden-Aufnäher auf der Hose. Sie machte einen Schritt zur Seite und rutschte aus. Das Blut sog sich in ihre Hose und verschmierte ihre Hände. Instinktiv wischte sie sie an ihrem Alice-in-Chains-T-Shirt ab. Wie es klebte!
Dann stoppte das Bum. Bum-Bum-Bum. Bum. Die Trommel der Waschmaschine hielt an. Sie war noch mitten im Waschgang, das Wasser war schaumig und rot und reichte bis zur Hälfte des Sichtfensters. Etwas patschte hinein und das rote Schaumwasser spritzte von der anderen Seite ans durchsichtige Plastik. Der Mund stand offen. Ein müdes, halb geschlossenes Auge glotzte Judith aus der Maschine heraus an. Die andere Gesichtshälfte lag im Wasser. Die Trommel nahm wieder Fahrt auf. Bum. Bum-Bum. Bum-Bum-Bum.
Noch einige Male öffnete Judith den Mund ohne jeden Laut, nur gekeuchtes Atmen brachte sie hervor. Dann fand sie ihre Stimme wieder und schrie.

***

Nach der Beerdigung saßen sie auf dem Sofa, Lars und Nina, in der Mitte Lotte. Sie waren gerade erst wieder rein und hatten noch ihre schwarzen Sachen an. Lars strich Lotte über den Kopf. „Alles gut?“, fragte er.
Ohne ihn anzusehen, erwiderte Lotte: „Mein Papa ist tot, Lars.“
Der Sarkasmus stach Nina ins Herz, bis sie grinste. Es war, als bräuchten sie einen Exorzisten. Als wäre er in sie gefahren.
Lars räusperte sich. „Tut mir leid.“
Hinter Lottes Rücken legte Nina ihm die Hand auf die Schulter. Als er sie ansah, lächelte sie und schüttele leicht den Kopf.
„Ich hab Hunger“, sagte Lotte.
„Sollen wir was holen?“, fragte Nina.
Lotte schüttelte den Kopf. „Ich will Spaghetti.“

Später lagen Lars und Nina auf dem Bett. Zwischen ihnen schnarchte leise Lotte.
„Glaubst du das wirklich, dass sie das war?“, flüsterte Nina.
„Was?“, fragte Lars.
„Die Studentin. Dass die sowas gemacht hat.“
Lars zuckte die Schultern. „Die Polizei hält’s für möglich.“
„Ich glaub das nicht.“
„In der Zeitung stand, sie hat eine Polizeiakte. Drogen, Gewalt. Wilde Jugend. Da soll mal was mit einem Messer gewesen sein. Mit fünfzehn soll sie sogar im Knast gesessen haben. Also, in so einem Knast für Fünfzehnjährige. Geschlossenes … Erziehungshaus, weiß ich nicht, wie das heißt. Vielleicht hatte sie was genommen.“
„Aber deshalb macht sie doch nicht … um Gottes Willen, Lars, ich weiß nicht, wie ich da jemals mit klarkommen soll. Und kannst du mir sagen, wie sie da jemals mit klarkommen soll?“ Sie strich Lotte so vorsichtig übers Haar, dass sie es kaum berührte. „Das wird bei ihr bleiben. Für immer.“
„Sie hat es ja nicht gesehen.“
„Es ist Stadtgespräch, Lars. Es ist egal, was sie gesehen hat, sie hat das im Kopf, hundertprozentig. Sogar in der BILD war es. Die anderen Kinder in der Schule … Kinder können entsetzlich sein.“
Darum hatte Lars eigentlich nie welche haben wollen. Darum und weil sie ein Schweinegeld kosteten. Aber wenn er in Nina steckte und die Muskeln ihrer Vagina ihn auspressten wie eine Faust eine Tube Mayonnaise, dann dachte er an seine Oma: Vor den Erfolg hat der liebe Gott den Schweiß gestellt. In diesem Fall hieß das, sich um ein Kind kümmern, das ein Typ in die Welt gesetzt hatte, der für alle ersichtlich nicht in der Lage war, sich um sich selbst zu kümmern.
Lars wischte sich durchs Gesicht. Scham prickelte in seinen Wangen. Liebe Güte ja, Lennard war eine verkrachte Existenz gewesen, aber sie hatten ihn heute unter die Erde gebracht, wahrscheinlich mit einer dicken Narbe um den Hals, wo der Bestatter den Kopf wieder angenäht hatte. Er sollte nicht über ihn denken, wie er über ihn dachte.
„Willst du schlafen?“, fragte er.
„Weiß ich nicht“, sagte Nina.
„Ich kann noch nicht, ich mache mir im Wohnzimmer was an.“
Nina schüttelte den Kopf. „Ich bin platt.“
Er beugte sich über das schlafende Kind zwischen ihnen und küsste es auf die Wange.

Lars nahm die Reste der Nudeln aus dem Kühlschrank. Es war eine große Schüssel voll. Sie hatten nur kurz angefangen zu essen und dann gemeinsam beschlossen, dass sie eigentlich keinen Hunger hatten. Lotte hatte darauf bestanden, es so zu machen, wie sie es immer mit ihrem Vater gemacht hatte. Aber sie hatten kein Oregano im Haus gehabt. Da hatte Lotte angefangen zu schluchzen. Ohne Oregano, hatte sie immer wieder gesagt. „Wie soll das denn gehen?“
Lars’ fehlender Appetit war ein Akt der Solidarität mit Frau und Kind gewesen. Um nicht zu sagen, eine Lüge. Er saß jetzt hier mit der Schüssel auf dem Schoß, um nicht mit knurrendem Magen wachzuliegen. Wer hätte etwas davon? Es würde nicht ungeschehen machen, was Lennard passiert war.
Er aß die Spaghetti kalt, damit die Glocke der Mikrowelle nicht oben zu hören war. Kalt hatte es etwas von Nudelsalat. Oregano vermisste er nicht.
Scheiße, Lennard. Die irre Nachbarin hatte seinen Kopf in die Waschmaschine gestopft. Immer wenn sie Lotte brachten, hatte Lars das Gefühl gehabt, das Haus ziehe einen gewissen Menschenschlag an. Leute, die selten vor zehn Uhr aufstanden. Aber doch nicht …
Bis hierher hatte er den Fernseher nur laufen lassen, ohne wirklich hinzusehen. Als er ins Wohnzimmer gekommen war, hatte sich noch jemand eine missglückte Tätowierung von einem Hai auf dem Rücken entfernen lassen. Es musste wohl sein, denn der Raubfisch sah aus wie ein Ei mit Parodontose. Danach ging es um Autos, wie man sie lauter machte, wie man sie schneller machte, wie man sie bunter machte. Drei schwarze Männer in einer Werkstatt erklärten das auf Englisch mit Untertiteln, dazu lief Rap-Musik.
Jetzt plötzlich erklang eine bekannte Melodie, unterlegt von juvenilem Gekicher. Dann wechselten sich Zeichentrickbilder und Szenen aus Heavy-Metal-Musikvideos ab. Ein unsichtbarer Kommentator kündigte den Beavis-und-Butt-Head-Retro-Marathon am kommenden Wochenende an.
Lars lächelte. Auch wenn er die Musik nicht gemocht hatte, die Sendung hatte ihm gefallen in seiner Jugend. Er nahm sein Handy zur Hand und machte sich eine Notiz in den Kalender. Sollte er dazu kommen, würde er mal reinsehen. Natürlich bestand die Gefahr, dass der Humor nicht mehr zündete. Aber das Risiko war es wert. Zuletzt hatte es nicht so viel zu lachen gegeben. Es war ein langer Tag gewesen. Ein harter Tag. Ein langer, harter Beerdigungstag. Lars schlief ein.

Das Summen des Handys in seiner Hand weckte ihn. Wie ein leichter elektrischer Schlag fühlte sich das an. Lars öffnete die Augen und blickte umher. Kurz musste er überlegen. Ach ja. Das Wohnzimmer.
Im Fernsehen waren jetzt Kletterer zu sehen. Ungesichert an der Steilwand empor. Zwei Teufelskerle. Und eine Frau.
„Bescheuert“, flüsterte Lars. Er sah aufs Handy. Das Display war schon wieder dunkel. Vielleicht war es eine Push-Nachricht von Auto, Motor & Sport gewesen. Die machten das manchmal, zu den unmöglichsten Zeiten, was auch immer die werbestrategische Überlegung dahinter sein mochte.
Lars tippte einmal aufs Display. Es war kurz nach drei. Er hatte eine WhatsApp-Nachricht erhalten. Den Anfang des ersten Satzes konnte er lesen: hallo du ich Bin …
Ein Foto war auch dabei. In Verbindung mit der Rechtschreibung musste es sich um eine Nachricht von Jolanda handeln, neunzehn Jahre alt, unheimlich feucht und geil, die dringend Nummer und Pin seiner Kreditkarte wissen musste. Aber vielleicht war ja das Bild ganz brauchbar.
Er tippte auf die Nachricht und gab seinen Code ein. Sein Mund öffnete sich nicht einfach. Es war, als fiele sein Kinn auf die Brust. Ein Laut entfuhr ihm, irgendwo zwischen Erbrechen und Aufheulen. Die Temperatur seines Blutes schien um zehn Grad zu sinken. Er konnte die Nachricht lesen. Das Handy in seiner Hand zitterte.
Das Bild zeigte Lennard. Lennard jetzt. Die Haut wächsern gelb, die Augen blass und leer, der Mund einen Schlitz weit geöffnet und zur Andeutung des leichtesten Lächelns verzogen. Er trug den Anzug, in dem sie ihn beerdigt hatten, aber die Krawatte hing lose und die obersten Knöpfe des Hemdes waren offen wie später am Abend bei einer Hochzeitsfeier. Um seinen Hals verlief die dicke Narbe wie Schmuck. Unter dem Bild stand:

hallo du ich Bin Len-O ich war ganz krank Im kopf da hat meine Freundin ihn abgeschnitten sie ist in der Hölle. ** du hast drei tage schick mich an drei deiner freunde mach es abends bevor, du schlafen gehst Wenn du es nicht machst wachst du bald nachts auf und ich Steher neben dein Bett !!!

 

Hallo @Proof

Wieder mal was aus der Horror-Schmiede, sehr schön. Ich muss sagen, ich stehe dem Text etwas ambivalent gegenüber. Einerseits finde ich es gut geschrieben, also da kam jetzt keine Langeweile auf, andererseits erforderte es trotzdem einiges an Sitzfleisch, weil ich finde, die Geschichte zieht sich zu lang, für das, was sie schlussendlich auf der Strecke bis hin zur Auflösung bietet. Klar, der Horror, der plötzlich im Alltag zuschlägt, ist ja so ein Klassiker, aber die ganzen Situation um Lotte und ihren Vater und Ninas neuem, dem Lars, wird mir doch etwas zu breitgetreten und zu ausgewalzt, da hätte ich eine stärker verdichtete Variante ansprechender gefunden.

Dann die Handlung mit dem Kettenbrief, dieser Fratze, die auf dem Handy erscheint, da dachte ich mir erst, ah ja, altbekannt. Wahrscheinlich taucht dann Bobby wirklich neben Lottes Bett auf und verfolgt sie. Es kommt dann anders, fand ich erfrischend! Aber im Gegensatz dazu gibt es auch Szenen wie die im Waschkeller, wo Lennard von dieser Entität abgeschlachtet wird: Bei dem Bum-Bum-Bum der Wäschetrommel war mir eigentlich schon klar, dass da jetzt keine Schuhe rumgeschleudert werden, sondern Lennard oder zumindest ein Teil von ihm. Als dann noch sein Kopf fehlt, war es eindeutig. Das fand ich zu vorhersehbar und leider auch ein wenig ausgelutscht, das gab es doch schon in einigen Filmen? Aber klaro, man muss ja nicht immer das Rad neu erfinden, hier passiert mir jedoch insgesamt zu wenig überraschendes.

Gut fand ich die Szene, wo Lennard die Burger ausliefert und Martin ihm die Tür öffnet und dieses Beavis und Butthead Shirt trägt, dass ihn direkt wieder an Bobby erinnert. Das ist gut gemacht, weil es mir als Leser suggeriert, dass Lennard immer mehr von diesem Bobby verfolgt wird und das auch bei mir Ängste schürt. Um das noch effektiver zu machen, hätte ich mir noch eine Passage oder zwei mehr gewünscht, wo der Horror etwas verdichtet wird, damit Lennards Angst oder Einbildung stärker spürbar wird und Bobby (noch) bedrohlicher wirkt. Das beisst sich natürlich jetzt mit meiner Aussage, ich fände die Story zu lang, aber eben, ich stehe dem Ganzen recht ambivalent gegenüber ... :D

Was ich nicht ganz verstanden habe, ist, wie diese Entität vorgeht, also nach welchem Muster. Bobby erscheint bei Lotte auf dem Handy, Lennard sieht ihn auch, aber Bobby holt sich dann nicht Lotte, sondern ihn, Lennard. Aus welchem Grund? Weil Lennard stärker an ihn glaubt als seine Tochter? Weil er ihn sozusagen durch seine Angst manifestiert? Aber Lotte hat doch auch Angst, kann nicht mehr schlafen, hat sich verändert? Wieso holt sich Bobby Lennard und nicht die Tochter? Das wurde mir nicht klar. Es wirkt deswegen irgendwie ein bisschen random. Vielleicht habe ich einen entscheidenden Hinweis überlesen, kann auch sein. Wer ist das nächste Opfer? Lars erhält eine Nachricht, diesmal ist es Len-O, also das letzte Opfer, von daher hat Bobby auch schon 'Bekanntschaft mit der Entität gemacht'. Holt sich Len-O jetzt Lars oder Nina oder Lotte? Kann natürlich offen gelassen werden, ich hätte es aber irgendwie stärker gefunden, wenn ich das System oder die Vorgehensweise der Entität als Leser etwas besser hätte durchschauen können.

Die vielen Band-Bezüge fand ich erst gelungen, es wurde mir dann aber auch fast etwas zu viel. Lennard ist Gitarrenlehrer, da passt das wohl schon. Ist natürlich alles nur sehr persönliches Empfinden, was ich jetzt hier geschrieben habe, ist klar. Ein paar Fehler stecken noch drin, da würde ich noch mal schauen, manchmal werden Wörter verschluckt und den ein oder anderen Rechtschreibfehler habe ich entdecken können, aber alles natürlich nichts Weltbewegendes, das ist schon sehr souverän geschrieben. Nur eines möchte ich noch erwähnen. Der Prot heisst manchmal

Lennard
und in der Mitte der Story ändert sich das plötzlich zu
Lennart
Kann ja einfach mit der Suchfunktion korrigiert werden.

So long,
d-m

 

Moin @Proof,

danke für Deine Geschichte.

Mir hat sie gut gefallen, zwischendurch hatte ich leichte Creepypasta-Vibes, wahrscheinlich wg. der Vermutung des Protas, dass es sich bei Bobby um einen Smartphone/WhatsApp-Kettenbrief handelt.
Zwischendurch hatte sie gefühlt wenige Längen, in denen Du zwar dem Prota mehr Fleisch auf die Rippen bringst, bin mir allerdings nicht sicher, ob das zu diesem Zeitpunkt noch notwendig ist. Dazu gleich mehr.

Der Einstieg war ein wenig fordernd, sehr schnell wirfst Du uns in der Szene an der Tür die vier wichtigsten Namen entgegen. Durch die Positionen der jeweiligen Figuren und Mutmaßungen des Protas musste ich die Stelle mehrmals lesen, um klar zu erkennen, wer da jetzt wo steht, wer wer ist und wer gerade wem über den Rücken streichelt. ;)

Dann kam ich gut rein, die Beziehung Vater/Tochter fand ich solide aufgebaut und dann hält ja auch schon des Nachts der Horror Einzug. Vielleicht liegt es daran, dass ich empfänglich für solchen Stoff bin, ich konnte mir die Gestalt des Bobby bildlich gut vorstellen und es gruselte mich.

Durch ein Labyrinth von aufgehängten Laken und Bettwäsche hatte er sich von der Kellertür vor zu den drei Maschinen und dem Trockner kämpfen müssen. Im Haus machten entweder immer alle ihre Betten gleichzeitig oder jemand sammelte ein halbes Jahr, bevor er die Bezüge runterbrachte.
Das fand ich gutes Foreshadowing. Klar, das Bild des vollbehangenen Wäscheleinen-Labyrinths ist nicht originell, aber gerade da es ein bekanntes Horror-Trope ist habe ich vermutet und auch ein wenig gehofft, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt erneut in diesen Keller zurückkehren werden.

Der nächste Part, in dem der Prota seiner Tochter versucht zu erklären, was es mit Bobby/Beavis auf sich hat, ist mir zu lang. Also alles von:

Sie schliefen fast zwei Stunden länger als sonst.
bis
Es geht nicht um sie, das bist du. Immer nur du.

Ich frage mich, ob der Text das braucht. Da bin ich bei @deserted-monkey , lieber hätte ich stattdessen im weiteren Verlauf mehr kleinere Happen gelesen, in denen der Prota an Bobby denkt, bzw. sein Verstand sich im Alltag nicht von dem Creep lösen kann. Das hat nämlich für mich sehr gut funktioniert, wie z.B. in der Szene der Essenslieferung.

Den Showdown im Keller finde ich gelungen, auch wenn ich es besser gefunden hätte, wenn Du es bei Bobbys Beschreibung bei seinem Gesicht zwischen den Bettlaken belassen hättest. Die Füße in Schuhen und so, das hat mich rausgerissen, da hat mein Kopfkino versucht ein Bild der ganzen Figur zu zaubern, was allerdings scheiterte.

Dann die Studentin. Den Absatz fand ich gut und auch die Länge angemessen, da war ich sowieso voll drin und wollte wissen, wie das Ganze endet. Ich fand den Kopf in der Waschmaschine super. Klar, Du erfindest das Horror-Rad nicht neu, aber wer macht das heutzutage schon noch? Mir hat´s gefallen.

Der Schluss und damit der erneute Perspektivwechsel auf Lars könnte ein wenig kürzer ausfallen, aber das Ende fand ich auch gelungen. Vor allem den Wortlaut der WhatApp-Nachrichten fand ich gut gemacht, sowohl bei Bobby, als auch bei Len-O.

Und doch bleibt auch bei mir ein wenig Rätselraten, was genau Bobby, Len-O, etc., jetzt eigentlich ist. Es braucht die Erklärung nicht zwingend, aber da ich die Story sehr gut fand, hätte ich mehr Storytelling zum Hintergrund/Entstehung der Figur/Entität(?) gefeiert.

Die vielen Band-Bezüge fand ich erst gelungen, es wurde mir dann aber auch fast etwas zu viel.
Das sehe ich genauso.

Sehr gerne gelesen,

beste Grüße
Seth

 

Hi Proof,

so spät am Abend noch deine Geschichte zu lesen ... Ob das eine gute Idee war? ;-)

Der Anfang, puh, ich musste das mehrmals lesen, um zu kapieren, wer, was und wo.

Nine Inch Nails, Pretty Hate Machine. Senfflecken darauf.
ich würde generell im Text alle Eigennamen kursiv schreiben.

Lennards Brust war diese dunkle Zwergenmine aus Herr der Ringe.
Die Brust war ...? Sieht seine Brust so aus oder hat er einen Aufdruck auf dem Shirt? ;-)

Für Lennard war es Lars. Er stand hinter Nina und hob die Hand.
„Hi.“ Lars lächelte.
Wer sagt "Hi."? Lennard? Dann keinen Zeilenumbruch.

Nina beugte sich runter zu ihrer Tochter. „Willst du jetzt zu Papa?“
Das hier ...

bevor sie unter einem parkenden Auto abtauchte. „Ihr auch.“
... und das könnte ruhig früher kommen, um die Personen/Beziehunngen und die Location einordnen zu können. Ich hätte nie gedacht, dass es sich draußen abspielt.

in Gruppen mit Namen wie Das waren unsere Jahre!
wie Das waren unsere Jahre!

Im Wohnzimmer saß Lotte auf dem Sofa und tippte auf dem Telefon herum.
„Ach nee.“ Lotte nahm ihr Telefon vom Tisch. Auf dem Weg nach draußen standen sie vor der Haustür. Lennard hatte die Hand an der Klinke, Lotte hielt ihr Handy.
Irritiert hat mich das oben, als sie auf dem Telefon tippt und das Wort andauernd verwendet wird. Ich hatte da zunächst so'n Festnetz-Telefon im Kopf, sonst hättest du ja so wie vorher Handy geschrieben.

Sie war die Beste einfach, vielen Dank.
Ich würde schreiben: Sie war einfach die Beste, vielen Dank.

- Perfekt für Singles!, hatte es in der Anzeige geheißen -
Da kommen die langen Striche hin. Halbgeviertstriche anstatt Minus-Zeichen.

Nur die beiden Zahlen des Jahres fehlten noch. Eins. Zwei.
Also 2012 geboren.
Mit dem Alter des Mädchen war ich ein wenig unsicher.
Sie schafft es, unfallfrei etwas von einem Brettchen in die Pfanne zu schieben, da hatte ich 3 bis 4 Jahre im Kopf, wenn ich das mit meinen Kids vergleiche. Dann wäre sie aber für das Handy (incl. Handyvertrag) definitiv zu jung. Handys haben die meisten Kinder ab der 5. Klasse heutzutage, das wäre dann 10 Jahre.
Du sprichst auch später von zwei großen Schulpausen, also mind. 5. Klasse. Dann passt das.

Lotte zuckte die Schultern. „Aber was hat das denn mit … ihm zu tun?“
Sie flüsterte den zweiten Teil des Satzes, als hätte sie Angst, dass er sie hören könnte.
Gefällt mir sehr gut!

Wenn sie jemanden schminken und der spielt dann den Grüffelo?
Grüffelo ist jetzt eher etwas für Grundschulkinder.

Ich muss sagen, dass ich persönlich mit der Handy-Sache ein Problem habe. Er ist der Vater, er sollte sich drum kümmern, dass sie nicht die ganze Zeit am Gerät abhängt.

Er streichelte ihren Kopf. „Nicht (KOMMA) oder?“

- Karriere natürlich in Anführungszeichen -
Auch hier Halbgeviertstriche
– Karriere ...–

„Klar.“ Lennards Herz schlug schneller. „Sie hing die ganze Zeit an dem scheiß Telefon. Das war auf jeden Fall anders als sonst.“
Da haben wir's. Und was guter dagegen? Nichts.
Dass die Eltern das so einfach durchgehen lassen, für mich unverständlich. Vielleicht bin ich auch zu streng.
Aber gut, für die Story muss es sein.

„Entschuldigung, aber der Unterscheid liegt doch wohl auf der Hand. Ihr habt ihr ja nun mal viel zu früh ein Smartphone gekauft. Das ist eine Tatsache.
Er sieht es selbst ein, aber tut nichts dagegen. Wenn das Kind bei ihm ist, gelten doch seine Regeln. Also bei mir wäre es auf jeden Fall so.
Aber ich möchte nicht weiter darauf rumreiten.

Bis dahin dauerte sehr viel länger als sonst.
dauerte es

Judith erkannte ihn nicht am Gesicht, denn er hatte keinen Kopf.
Ups, sehr makaber.

Sogar in der Bild war es.
Bild oder BILD

Aber wenn er in Nina steckte und die Muskeln ihrer Vagina ihn auspressten wie eine Faust eine Tube Mayonnaise, dann dachte er an seine Oma:
Echt? An Oma denkt er? Oje.

Er aß die Spaghetti kalt, damit die Glocke der Mikrowelle nicht oben zu hören war.
Einfach das Gerät vor Ablauf der Zeit manuell öffnen, dann springt die Glocke nicht an. Sag ihm das mal. :)

Ich fand es spannend, einige Stellen könnten m. E. gekürzt werden, wie das mit seinen (Neben-)Jobs. Dass Bobby ihn holt, damit hatte ich nicht gerechnet.
Dass aus Bobby dann Len-O wird, ein guter Kniff.

Mit den T-Shirt-Motiven: Mir kam es vor, als wenn alle welche aufgedruckt hätten. Warum? Wichtig ist für mich nur die eine Stelle, wo es um das spezielle Motiv geht.

Hat mir gefallen.

Gute Nacht.

Liebe Grüße, GoMusic

 
Zuletzt bearbeitet:

Als Lotte im Bett lag, spielte er Planets Collide. Er hatte das Lied im Kopf gehabt, seit seine Suchanfrage das Bild von Crowbar zu Tage gefördert hatte.
Da ist so viel richtig in dem Text. Ich war mit Kirk Windstein mal pissen im Underground in Köln, nach einem DOWN Konzert. Wir haben uns die ungewaschenen Hände gegeben (unser Proberaum war direkt um die Ecke)

Morgen mehr. Nur: Das Ende ist too much. Das mit Beavis und Butthead ist eine geile Idee, ich feiere auch das Revival, aber das Ende ist zu angestrengt. Und: ein Gitarrenleher würde niemals was von Nirvana spielen: eher was von Racer X oder den Beatles. Oder Pacio de Lucia! :D


Also: Dialoge sind erste Sahne. Ich lese gerade wieder viel Ring Lardner, und der ist ja mit seinen Rollenprosastücken bekannt geworden, Haircut ist ein gutes Beispiel, und er hat immer gesagt, wenn ein Charakter nicht richtig spricht, also im Sinne von echt und authentisch, dann ist es kein guter, kein glaubwürdiger Charakter. Ich gehe da mit. Es ist nur so, dass dir in der deutschen Literaturszene eine gute Dialogführung oft negativ ausgelegt wird, weil es eben so alltäglich klingt, so nah an einem selbst. Da muss jeder hochgestochen wie ein Professor sprechen, das ist dann die vielgerühmte Literarizität! Ist natürlich Unfug. Ich lese den Text hier und habe sofort diese Trio vor Augen, auch wie er mit seiner Tochter umgeht, das ist einfach gut gemacht, das muss man sagen, Kompliment.

Du hast ja in deinen Texten immer so Bilder und Vergleiche drin, die mich etwas zwiespältig hinterlassen.

Die Augen waren zu groß, die Stirn war zu hoch und das Grinsen zu breit. Es sah aus, als hätte Hieronymus Bosch sich an einem Porträt versucht. Nein, schlimmer. Es sah aus wie der Mann, der dabei Model gestanden hatte.

Nur ein Beispiel. Das ist dein Stil, ich weiß, und ich wollte dir lediglich mitteillen, dass ich denke, die Wirkung wäre NOCH größer, wenn du das reduzieren würdest. Manchmal nimmt es dem Text etwas an Ernsthaftigkeit, wie ich finde.

Das Ende finde ich zu gezwungen. Es muss etwas passieren, das ist klar, aber ich finde die Idee mit diesem tatsächlich realen Monster-Beavis zu konstruiert. Ich denke, wie wäre es, wenn seine Tochter da selbst aktiv wird, selbst zu einer Art Täterin wird, weil sie den Kettenbrief nicht verschickt hat? Dass es dieses Monster gar nicht geben muss? Ich finde, du hast da so eine sehr gute Atmosphäre zwischen den beiden aufgebaut, das würde ich noch eher vertiefen, und davon dann ausgehend die Tragödie inszenieren. Ich weiß nicht, dass nimmt dem Ganzen das Übernatürliche, es wird realistischer, aber ich fände es, denke ich, auch stärker in der Wirkung. Soziale Medien, Internet, Kinder, wie wirkt sich das aus, wie verarbeiten Kinder solche Dinge wie Kettenbriefe etc, das ist schon echt ausreichend für eine krasse Geschichte, oder? Ist natürlich dein Text, klar, es sind ja auch nur meine Ideen! :D

Mike Judge - bald kommt die neue Staffel von King of the Hill, ich bin sehr gespannt. Ja, früher WAR alles besser!

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Proof,

gewohnt gut geschrieben, sehr gute Stellen drin, auch unheimliche, schön dargestellte Beziehung des Slacker-Prots zu seiner Tochter. Insgesamt relativ lang für das, was letztlich erzählt wird, und ein paar Fehlerchen sind noch drin, habe ich jetzt aber nicht mitnotiert, egal, Kleinkram..

Ich möchte eigentlich bloß auf das Ende und die Deutungsebene eingehen: Da bin ich etwas am Struggeln, irgendwie krieg ich das nicht recht zusammen.
Erstmal kam der Twist am Ende für mich überraschend, fand ich gut, aber irgendwie zerschießt es das Ganze in meinen Augen auch etwas.

Es geht nicht um sie, das bist du. Immer nur du.
Diese Stelle klang für mich ziemlich nach Leserhinweis, evtl. einer Schlüsselstelle. Ok, es geht also die ganze Zeit um Lennard – etwas komisch, dass das über seine Tochter läuft und ihr selbst nichts passiert (s. @deserted-monkey).

Man könnte das ja so interpretieren, dass das, was Lennard letztlich umbringt, sein Slackertum ist, die Beavis-Figur, die ja für Unreife steht und die er früher gut fand (immer noch gut findet?), das Mordinstrument die Gitarrensaite, die für sein Rumdaddeln-aber-nix-gebacken-Kriegen stehen könnte. Sein „Fehler“ ist also, nicht richtig erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen (eher schäbige Jobs; vergessen, dass er seine Tochter am Wochenende hat und so), das wird ihm zum Verhängnis. Das ereilt ihn aber wie gesagt nicht direkt, sondern über seine Tochter. Ok, hm. Warum geht es dann aber so viel um seine Tochter (abgesehen davon, sein Leben zu zeigen und so)? (Das könntest du dann etwas zusammenstreichen, finde ich, auch dieses ganze Psychologische, nachdem seine Tochter Bobby auf ihrem Smartphone gesehen hat.)
Und dann trifft es Lars: Das kriege ich nicht recht zusammen. Was ist die Parallele zwischen Beavis und Lennard einerseits und Lennard und Lars andererseits? Lennard mochte/mag Beavis (sein früheres, entspanntes Leben (?)), aber Lars mochte Lennard ja nicht (und hat ja auch nicht wirklich viel mit ihm zu tun). Also inwiefern steht Lennard für Lars‘ Verhängnis?
Len-O ist ja auch der 'echte' Lennard, während Beavis keine reale Figur ist, also was soll das für ein Körper sein?.. Je länger ich über die Geschichte nachdenke, desto mehr Fragen stellen sich mir..

Also irgendwie checke ich die innere Logik des Ganzen nicht recht. Wenn du das erklärst, kann ich evtl. sagen, woran es in meinen Augen hakt.

Gern gelesen.
Viele Grüße
Maeuser

PS: @jimmysalaryman:

ein Gitarrenleher würde niemals was von Nirvana spielen
Quatsch, er spielt, worauf er Bock hat - das richtet sich doch nicht danach, ob er Lehrer ist oder nicht. (Zumal er ja auch nur für sich spielt.)

 
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Moin,

reine Herrenrunde, ich hoffe, das heißt nichts. :)

Einmal vorab: Das Rad und so. In meinen Geschichten vermischen sich Sachen, die mich bewusst oder unbewusst beeindruckt haben, in Büchern, Filmen, Comics, auf Reisen, in Erzählungen von Fremden und Freunden, im Internet, im Alltag, jetzt und vor dreißig Jahren, und dann kommt da immer noch was von moi rein, Proof und wie er die Welt sah, was es zu einer einzigartigen Mischung macht, die es so nur bei mir gibt. Und das ist dann auch neu. Damit will ich nichts über die Qualität der Geschichte sagen, aber selbst wenn sie Müll ist, ist sie immer noch neuer Müll. Mein Müll.

Es ist legitim, als Kritiker auf bekannte Muster hinzuweisen - ich hab mich übrigens insbesondere im letzten Drittel komplett bei Bewusstsein und ganz kackendreist mit vollen Händen bei einem Klassiker des Genres bedient, eher dem Film als der literarischen Vorlage, weil ich den bedeutend öfter gesehen als die Geschichte gelesen habe, wer kommt drauf? - aber dieses diffuse „Irgendwie ist ja alles schon mal dagewesen“ finde ich immer nicht so zielführend. Ich sag mal so: Dieser Momo-Kettenbrief zur Horrorstory verwurstet, und dabei „Momo“ ausgetauscht gegen die ziemlich creepy aussehende Beavis-Büste von Kevin Kirkpatrick (überhaupt dieser Kunsttrend der vergangenen fünf bis zehn Jahre, bekannte Zeichentrickfiguren in die Realität zu holen und dabei zu monsterfizieren, hat ein mexikanischer Fotograf mit angefangen, meine ich), das Ganze in den Mixer gepackt mit besagtem Genreklassiker: Wo genau hat es das so schon mal gegeben? Und das sind nur die phantastischen Elemente, da sind wir noch gar nicht dabei, dass die Figuren sowieso meins sind.

@deserted-monkey:

aber die ganzen Situation um Lotte und ihren Vater und Ninas neuem, dem Lars, wird mir doch etwas zu breitgetreten und zu ausgewalzt, da hätte ich eine stärker verdichtete Variante ansprechender gefunden.
Ich finde die „echten“ Geschichten mindestens so interessant wie Horrorstorys. Vielleicht kippt das Gemisch manchmal zu sehr in eine Richtung und ich berücksichtige die Erwartungen nicht ausreichend, die jemand hat, der wegen des Etiketts „Horror“ klickt. Ein Teil, den ich schon zum Löschen bereit markiert hatte, war zum Beispiel der „Mario Kart“-Absatz. Irgendwie tut der ja insgesamt gesehen gar nichts. Außer vielleicht nochmal so eine kurze Atempause, bevor es rundgeht.

„Bei dem Bum-Bum-Bum der Wäschetrommel war mir eigentlich schon klar, dass da jetzt keine Schuhe rumgeschleudert werden, sondern Lennard oder zumindest ein Teil von ihm.“
Jo, das ist das Geräusch des Rings, der über das Autodach kratzt. Als regelmäßiger Horrorkonsument lässt man sich da wohl nicht foppen.

Das fand ich zu vorhersehbar und leider auch ein wenig ausgelutscht, das gab es doch schon in einigen Filmen?
Abgeschnittener Kopf in der Waschmaschine? Kenne ich nicht. Wobei ich mal Kings Jerusalem’s Lot ge-revisited und dabei festgestellt habe, dass ich zwischenzeitlich eine Geschichte geschrieben hatte, die sich da vom groben Handlungsverlauf sehr klar dran orientiert. Hatte ich im Unterbewusstsein. Hättest du mich zu der Zeit, als meine Geschichte entstanden ist, gefragt, worum geht’s in JL, hätte ich gesagt: Boa, keine Ahnung, zu lange her.

Um das noch effektiver zu machen, hätte ich mir noch eine Passage oder zwei mehr gewünscht, wo der Horror etwas verdichtet wird, damit Lennards Angst oder Einbildung stärker spürbar wird und Bobby (noch) bedrohlicher wirkt. Das beisst sich natürlich jetzt mit meiner Aussage, ich fände die Story zu lang, aber eben, ich stehe dem Ganzen recht ambivalent gegenüber ...
Man könnte natürlich mehr „Bobby kündigt sich an“ zulasten von Alltagsszenen zwischen Lennard und den anderen Figuren machen.

Aus welchem Grund?
Ich hatte Bobby ursprünglich einen eindeutigen Satz dazu in den Mund gelegt, aber das war mir zu auserklärt. „Ohne das bin ich nichts. Ohne das bin ich nicht.“ Bezogen darauf, dass Kinder Angst davor haben, dass er sie holen kommt. Und Lennard schwört Lotte ein auf: „Es gibt keinen Bobby.“

Holt sich Len-O jetzt Lars oder Nina oder Lotte? Kann natürlich offen gelassen werden, ich hätte es aber irgendwie stärker gefunden, wenn ich das System oder die Vorgehensweise der Entität als Leser etwas besser hätte durchschauen können.
Zu viel erklärt oder zu wenig? Dein Empfinden ist vollkommen ok, für meines war es beim Bearbeiten der Geschichte das richtige Gleichgewicht. Mag sich mit der Zeit ändern.

Die vielen Band-Bezüge fand ich erst gelungen, es wurde mir dann aber auch fast etwas zu viel.
Den letzten, den ich reingepackt habe, war Judiths Alice-in-Chains-Shirt. Und jo, ich hab auch gedacht, muss das jetzt wirklich sein, dass da auch noch was draufsteht? Fühlte mich ein bisschen an Stallone erinnert, der in einem Interview zu The Expendables 2 über die ganzen Zitate aus den alten 80er-Gassenhauern sinngemäß gesagt hat: „Wir haben hier und da überlegt, ist das nicht langsam ein bisschen viel, wird das nicht albern irgendwann? Dann haben wir’s trotzdem gemacht, irgendwie geht’s ja darum.“ Dieser Overload an Bands, irgendwie ist das Teil der Geschichte. Aber auch das mag ich selbst mit Abstand anders sehen.

Ein paar Fehler stecken noch drin, da würde ich noch mal schauen, manchmal werden Wörter verschluckt und den ein oder anderen Rechtschreibfehler habe ich entdecken können,
Da wäre ich echt dankbar für Quotes, ich bin die Geschichte so oft durchgegangen, die ist Satz für Satz in meinem Kopf, bis ich da Fehler nicht mehr überlese, ist Weihnachten mindestens.

Vielen Dank für deine Kritik!


@Seth Gecko:

Der Einstieg war ein wenig fordernd, sehr schnell wirfst Du uns in der Szene an der Tür die vier wichtigsten Namen entgegen.
Das schien mir in dem Moment sinnvoller als nach und nach „Ach, da steht noch einer. ACH, da steht NOCH einer.“ Aber das schreibt ja noch jemand, ich schaue mir das nochmal an.

Vielleicht liegt es daran, dass ich empfänglich für solchen Stoff bin, ich konnte mir die Gestalt des Bobby bildlich gut vorstellen und es gruselte mich.
Das ist cool, da hatte ich so Bedenken. Was ist mit Leuten, die Beavis und Butt-Head nicht kennen? Geschweige denn diese fiese Büste (Wer die nachts allein zu Hause auf dem Telefon ansehen kann und dann ohne jegliche Nachwirkungen in den Schlaf findet, ist meines Erachtens tot)? Also habe ich viel beschrieben, mich nicht verlassen auf „Beavis in echt als voll das Monster“.

Klar, das Bild des vollbehangenen Wäscheleinen-Labyrinths ist nicht originell,
Ich kenne das eigentlich nur aus dem TCM-Remake. Da läuft ja jemand durch so ein Bettbezugs-Labyrinth und zack, ist der Unterschenkel weg. Hab den damals schwer beeindruckt im Kino gesehen und im Waschkeller meines Studentenwohnheims musste man sich durch genau solche Reihen von Wäsche vor zu den Maschinen kämpfen. Das war intensiv die Tage nach dem Film.

Ich frage mich, ob der Text das braucht.
Genau das mit dem „Immer nur du“ kann natürlich nicht raus, da schließt sich ja am Ende ein Kreis.

lieber hätte ich stattdessen im weiteren Verlauf mehr kleinere Happen gelesen, in denen der Prota an Bobby denkt, bzw. sein Verstand sich im Alltag nicht von dem Creep lösen kann
Das wiederum könnte was sein, hatte ich ja oben auch schon angedeutet.

Die Füße in Schuhen und so, das hat mich rausgerissen, da hat mein Kopfkino versucht ein Bild der ganzen Figur zu zaubern, was allerdings scheiterte.
Okay, an dieser Stelle klappt es vielleicht wirklich nur, wenn man die Zeichentrickfigur kennt.

Vor allem den Wortlaut der WhatApp-Nachrichten fand ich gut gemacht, sowohl bei Bobby, als auch bei Len-O.
Danke, die sind so mein heimlicher Stolz bei dem Teil.

Es braucht die Erklärung nicht zwingend, aber da ich die Story sehr gut fand, hätte ich mehr Storytelling zum Hintergrund/Entstehung der Figur/Entität(?) gefeiert.
Wäre ich Hollywood, würde ich wohl sagen: Prequel, ick hör dir tapsen.

Vielen Dank auch dir!


@GoMusic:
Das Wichtigste zuerst: Ich schreib in Notes mittlerweile und … oh. Hab mal ein paar Tastenkombinationen ausprobiert und schwups da ist der Gedankenstrich (Änderungen im Text mache ich später).

ich würde generell im Text alle Eigennamen kursiv schreiben.
So bekannte Namen ja eigentlich nicht. Madonna, das hat was von mit den Fingern beim Sprechen die Anführungszeichen machen. Außerdem Verwechslungsgefahr mit den Songs, die werden ja definitiv kursiv geschrieben.

Wer sagt "Hi."? Lennard?
Lars.

Ich hätte nie gedacht, dass es sich draußen abspielt.
Vllt Haustür statt nur Tür?

wie Das waren unsere Jahre!
Besonders nervig bei Notes: Beim Copypasten sind erstens die Absätze zerschossen (jeder Zeilenumbruch ist eine Leerzeile) und alle Formatierung wie kursive Schrift ist weg. Das ist inzwischen für mich der finale Überarbeitungsschritt beim Posten hier. Kann bei entsprechender Länge des Textes schon mal eine Stunde dauern. Den hier habe ich wohl übersehen.

Irritiert hat mich das oben, als sie auf dem Telefon tippt und das Wort andauernd verwendet wird. Ich hatte da zunächst so'n Festnetz-Telefon im Kopf, sonst hättest du ja so wie vorher Handy geschrieben.
Oh, habe ich da gewechselt? Bei Telefon meine ich eigentlich immer Handy bzw. Smartphone, mittlerweile ist ja das Festnetz der Ausnahmefall, auf den man extra hinweisen muss.

Grüffelo ist jetzt eher etwas für Grundschulkinder.
Das wäre ja nun bei ihr echt noch nicht lange her. Für sie ist das dann inzwischen Kinderkram, aber für Eltern vergeht die Zeit ja anders. Ich war so um die dreißig, als mein Vater sich das letzte Mal nach dem Verbleib meines Kumpels X erkundigt hat, mit dem ich viel im Kindergarten und danach nie wieder zu tun gehabt habe.

Ich muss sagen, dass ich persönlich mit der Handy-Sache ein Problem habe. Er ist der Vater, er sollte sich drum kümmern, dass sie nicht die ganze Zeit am Gerät abhängt.
Das ist okay, man kann ja als Leser die Handlung oder Entscheidung einer Figur falsch finden.

Aber gut, für die Story muss es sein.
Nicht nur für die. Telefon ist glaube ich für manche Eltern der neue Fernseher, dann hast du zwei Stunden Ruhe. Gibt natürlich auch das Gegenteil, ein Arbeitskollege hat seine Tochter in einen Vortrag über die Gefahren von Social Media gezerrt, weil sie seines Erachtens mittlerweile bei Instagram wohnt. Dann ist da noch das Glaubwürdigkeitsproblem. Setz dich egal wo hin und zähl die Leute, die nicht aufs Handy glotzen. Das wiederum ist das neue Rauch ins Gesicht pusten und darüber schwadronieren, wie schlimm Zigaretten sind.

Wenn das Kind bei ihm ist, gelten doch seine Regeln. Also bei mir wäre es auf jeden Fall so.
Bei Lennard wird ja angedeutet, dass er idealistisch an die Sache herangeht, nicht „Leg das Telefon weg weil ich bin dein Vater“, stattdessen Überzeugungsarbeit. Also versucht.

Echt? An Oma denkt er? Oje.
Jo, die Stelle ist grenzwertig.

Einfach das Gerät vor Ablauf der Zeit manuell öffnen, dann springt die Glocke nicht an.
Probiere ich aus.

Hat mir gefallen.
Danke!


@jimmysalaryman:

Ich war mit Kirk Windstein mal pissen im Underground in Köln, nach einem DOWN Konzert. Wir haben uns die ungewaschenen Hände gegeben (unser Proberaum war direkt um die Ecke)
Ich muss zugeben, dass ich einige Bands aus dem Text eigentlich nur kenne, weil man die halt kennt. Meine eigene Hardcore-Phase hält nämlich im Gegensatz zu der von Lennard bis heute an und endet glaube ich erst mit mir. Down war quasi Crowbar mit Sänger gegen Panteras Phil ausgetauscht, ist das richtig? Crowbar habe ich 2018 in Leipzig gesehen, eigentlich war ich wegen Converge da. Dicke alte Männer mit langen weißen Bärten und dann dieses Zeitlumpentempo, da hatte ich Schwierigkeiten wach zu bleiben. Inzwischen habe ich reingefunden, die Sonic Excess … höre ich echt gern. Muss man glaube ich gewisses Alter für erreicht haben. Wobei die ja auch in ihren Zwanzigern angefangen und da nicht so anders geklungen haben.

Also: Dialoge sind erste Sahne. Ich lese gerade wieder viel Ring Lardner, und der ist ja mit seinen Rollenprosastücken bekannt geworden, Haircut ist ein gutes Beispiel, und er hat immer gesagt, wenn ein Charakter nicht richtig spricht, also im Sinne von echt und authentisch, dann ist es kein guter, kein glaubwürdiger Charakter.
Ich danke dir!

Es ist nur so, dass dir in der deutschen Literaturszene eine gute Dialogführung oft negativ ausgelegt wird, weil es eben so alltäglich klingt, so nah an einem selbst. Da muss jeder hochgestochen wie ein Professor sprechen, das ist dann die vielgerühmte Literarizität!
Ich mache mir nicht so viele Gedanken um die Literaturszene. Wusste ich zum Beispiel gar nicht mir der hochgestochenen Sprache, dass die angesagt ist. War das nicht mal umgekehrt? Jedenfalls schließe ich derzeit eine Bildungslücke und lese die Buddenbrooks, und ich kann nur sagen, so würde ich auch gern reden, einfach weil’s echt witzig ist.

Du hast ja in deinen Texten immer so Bilder und Vergleiche drin, die mich etwas zwiespältig hinterlassen.
Geht glaube ich mehreren Leuten so, immer mit etwas Abstand zur Geschichte oft auch mir selbst. Das ist ja ein sehr populärliterarisches Ding, bei den Schwergewichten liest man dieses „wie“ gefühlt wenig bis gar nicht. Dadurch geht das dann auch tiefer, weil es ernsthafter ist. Wenn ich das Gefühl habe, das ist doch ein guter Gag, muss ich mich zwingen, das rauszulassen, gerade deshalb: Weil’s halt die Stimmung versaut. Man kennt das selbst zuhauf aus Filmen (eher als aus der Literatur), dass man denkt, warum haben sie denn da jetzt diesen Faxenmacher mit reingeschrieben, und dann macht man’s aber trotzdem selbst. Schon komisch.

Zu der Bosch-Nummer muss ich allerdings sagen: Die scheint mir doch jetzt auch immer noch im Kontext der Geschichte sehr passend, um die alptraumhafte, verstörende Fratze Bobbys zu beschreiben. Ich hätte jetzt eher so an die Tube Mayonnaise als Kandidat gedacht zum nochmal drüber nachdenken.

Ich denke, wie wäre es, wenn seine Tochter da selbst aktiv wird, selbst zu einer Art Täterin wird, weil sie den Kettenbrief nicht verschickt hat? Dass es dieses Monster gar nicht geben muss?
Das wäre schon wirklich eine sehr grundlegend andere Herangehensweise. Ich mag Monster. Also … du weißt, was sich meine.

Ich weiß nicht, dass nimmt dem Ganzen das Übernatürliche, es wird realistischer, aber ich fände es, denke ich, auch stärker in der Wirkung.
So wie die Terrorfilme der Siebziger. Ich denke an Tom Savini, der über Maniac gesagt hat, Freitag, der 13. sei im Vergleich ein dunkles Märchen fürs Lagerfeuer, Maniac gehe stärker an die Substanz, weil man weiß, diese Art von kaputten Typen gibt es wirklich da draußen. Oder Jack Ketchum. Der selbst meine ich mal von seinen Sachen behauptet hat, darin gebe es keine übernatürlichen Elemente, weil ihm sowas halt wirklich nicht einfällt. Ich mag beides, und ich behaupte mal ganz frech, ich kann auch beides, auf meine bescheidene Art dann eben. Das hier ist mehr Freitag, der 13.

Soziale Medien, Internet, Kinder, wie wirkt sich das aus, wie verarbeiten Kinder solche Dinge wie Kettenbriefe etc, das ist schon echt ausreichend für eine krasse Geschichte, oder?
Auf jeden Fall. Es spricht ja nichts gegen mehrere Geschichten zum Thema. Wobei ich sagen muss, die andere Internet/Smartphone/Social-Media-Geschichte, die mir schon seit Längerem im Kopf rumgeistern, kommt fürchte ich auch nicht ohne Übernatürliches aus. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

bald kommt die neue Staffel von King of the Hill, ich bin sehr gespannt.
Hast du mal „Alles Routine“ (Office Space) von Judge gesehen? Den habe ich geliebt früher. Muss ich unbedingt mal weder gucken.

Vielen Dank für deinen Kommentar!


@Maeuser:
Manchmal passieren Dinge in Geschichten einfach, weil sie nun mal passieren. Insbesondere beim Ende habe ich mehr auf einen Effekt gesetzt, der so reinhaut, dass er mögliche Fragen nach Schlüssigkeit niederbrüllt (und die Hommage an eingangs erwähnten Klassiker noch ein wenig über Bobbys „erklärende“ Worte hinaustreibt). Das mag nicht für jeden funktionieren.

Diese Stelle klang für mich ziemlich nach Leserhinweis, evtl. einer Schlüsselstelle. Ok, es geht also die ganze Zeit um Lennard – etwas komisch, dass das über seine Tochter läuft und ihr selbst nichts passiert
Ja, vielleicht ist das ein wenig dick, dieses Echo von Ninas Worten an Lennard. Und kann offenbar auch zu falschen Schlussfolgerungen führen. Eigentlich sagt Bobby nur: „Ich bin deinetwegen gekommen.“ Der Rest soll cool klingen und eine Brücke schlagen zu Lennard und was wir bisher über ihn erfahren haben.

Man könnte das ja so interpretieren, dass das, was Lennard letztlich umbringt, sein Slackertum ist, die Beavis-Figur, die ja für Unreife steht und die er früher gut fand (immer noch gut findet?), das Mordinstrument die Gitarrensaite, die für sein Rumdaddeln-aber-nix-gebacken-Kriegen stehen könnte.
Das klingt spannend und der Text gibt diese Interpretation wahrscheinlich auch her, aber beim Schreiben hatte ich zumindest bewusst nichts davon so im Kopf. Die Gitarrensaite zum Beispiel habe ich erst auf den letzten hundert Metern hineingeschrieben. Einziger Gedanke war: Ein Messer ist so beliebig, die „Tatwaffe“ sollte irgendwas mit der Geschichte zu tun haben.

Sein „Fehler“ ist also, nicht richtig erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen (eher schäbige Jobs; vergessen, dass er seine Tochter am Wochenende hat und so), das wird ihm zum Verhängnis. Das ereilt ihn aber wie gesagt nicht direkt, sondern über seine Tochter.
Kann man alles so sehen, aber ich wollte, wie weiter oben bereits angedeutet, auf etwas Simpleres hinaus („Ohne das bin ich nicht“). Nein, nicht simpel, aber eine eher phantastische Motivation, kein Schuld und Sühne. Bobby hat quasi Existenzangst.

Was ist die Parallele zwischen Beavis und Lennard einerseits und Lennard und Lars andererseits? Lennard mochte/mag Beavis (sein früheres, entspanntes Leben (?)), aber Lars mochte Lennard ja nicht (und hat ja auch nicht wirklich viel mit ihm zu tun). Also inwiefern steht Lennard für Lars‘ Verhängnis?
Len-O ist ja auch der 'echte' Lennard, während Beavis keine reale Figur ist, also was soll das für ein Körper sein?.. Je länger ich über die Geschichte nachdenke, desto mehr Fragen stellen sich mir..
Ich glaube, „nicht mögen“ ist zu viel Lars gegenüber Lennard. Er beschaut den so ein bisschen skeptisch. Vielleicht auch ein bisschen mehr. Man könnte davon weggehen, zu fragen, welche Symbolik und Bedeutung hinter allem steckt und einfach sagen: Der Tod durch Bobby wirkt wie der Biss eines Vampirs und das Opfer wird selbst zur Urban Legend. Ist mir tatsächlich selbst gerade erst eingefallen, finde ich aber ganz cool.

Vielen Dank für deine Kritik und deine Fragen!

 

Quatsch, er spielt, worauf er Bock hat - das richtet sich doch nicht danach, ob er Lehrer ist oder nicht. (Zumal er ja auch nur für sich spielt.)
Vielleicht sollte ich hinter solche Sätze ein smiley ballern, damit es auch wirklich jeder versteht. Nein, Moment, das HABE ich sogar gemacht. Dann weiß ich nicht mehr, was ich noch machen soll.

 

Hallo @Proof

Proof und wie er die Welt sah, was es zu einer einzigartigen Mischung macht, die es so nur bei mir gibt. Und das ist dann auch neu. Damit will ich nichts über die Qualität der Geschichte sagen, aber selbst wenn sie Müll ist, ist sie immer noch neuer Müll. Mein Müll.
das Ganze in den Mixer gepackt mit besagtem Genreklassiker: Wo genau hat es das so schon mal gegeben? Und das sind nur die phantastischen Elemente, da sind wir noch gar nicht dabei, dass die Figuren sowieso meins sind.
aber dieses diffuse „Irgendwie ist ja alles schon mal dagewesen“ finde ich immer nicht so zielführend.
Ich verstehe, was Du meinst und denke, dass will Dir auch niemand absprechen. Natürlich ist das deine Geschichte. Vielleicht habe ich einfach schon zu viel in die Richtung gelesen oder gesehen, kann gut sein, und deshalb sind mit die verwendeten Elemente – die selbstverständlich so kombiniert sind, wie ich es zuvor noch nicht gesehen habe – einfach grossteils bekannt vorgekommen. Das dämpfte die Leseerfahrung etwas. Für mich fehlte wie gesagt ein überraschendes Element, das bisschen frischen Wind reinbringt und die Story etwas mehr aus dem Einheitsbrei hervorhebt. So im Nachhinein finde ich das z.B. doch einen ganz guten Ansatz:
Dieser Overload an Bands, irgendwie ist das Teil der Geschichte.
Macht durchaus Sinn. Gibt der Geschichte eine Art Identität, denke ich, gerade weil das Element so exzessiv gebraucht wird. Ist mir jedenfalls in Erinnerung geblieben, auch, weil ich eigentlich alle der genannten Bands mag oder die zumindest zu einem gewissen Zeitpunkt gehört hab.

Abgeschnittener Kopf in der Waschmaschine? Kenne ich nicht.
Spontan fällt mir da 'Identity' ein. Wenn Du den noch nicht gesehen hast: Kann ich Dir empfehlen. Ist eher Psycho-Thriller als Horror (und ja, der Kopf ist im Trockner, nicht in der Waschmaschine ;)) und natürlich ein ganz anderer Plot, als deine Story hier. Mir ist das einfach direkt bekannt vorgekommen, nicht unbedingt wegen dem Film jetzt, vielleicht habe ich das auch woanders aufgeschnappt.

Mit Gruss,
d-m

 

Vielleicht sollte ich hinter solche Sätze ein smiley ballern, damit es auch wirklich jeder versteht. Nein, Moment, das HABE ich sogar gemacht. Dann weiß ich nicht mehr, was ich noch machen soll.
War der Smiley von Anfang an da? Erinnere ich gerade nicht. Jedenfalls steht der erst hinter "Oder Pacio de Lucia!". Kann man also durchaus anders verstehen. Aber egal.

 

Kann man also durchaus anders verstehen.
Ich weiß nicht, was man da anders verstehen könnte. Auch ohne smiley sollte jeder halbwegs vernunftbegabte Mensch erfassen können, dass das einfach ein kleiner Scherz ist.

 

Ich weiß nicht, was man da anders verstehen könnte.
Aber vom hohen Ross 'jeder halbwegs vernunftbegabte Mensch sollte erfassen können..' tönen? Halt mal den Ball flach.
Ist doch auch gut jetzt, es soll hier um Proofs Geschichte gehen, nicht um deine Befindlichkeiten, wenn jemand auf eine nicht eindeutig formulierte Stelle von dir reagiert. Die hast du ja inzwischen klargestellt.

 

Ich glaube nicht, dass du mir sagen solltest, was ich zu tun habe oder nicht. Außer du sagst es mir direkt ins Gesicht. Und ich merke an: Du hast zuerst reagiert und einfach meinen Kommentar zu einem Text mit einer klugscheissenden Bemerkung kommentiert. Du hättest mir auch einfach eine PN schicken können. Hast du nicht. Jetzt reg dich nicht auf, nur weil du gerne das letzte Wort behalten möchtest.

 

Junge, junge, ich schieb das mal auf die 30 Grad draußen, aber ihr heult euch jetzt nicht ernsthaft gegenseitig wegen dem Nirvarna-Satz voll, oder? Damit ist jetzt Schluss, ihr kümmert euch um den Text oder haltet die Schnauze. Danke. Ich weiß sowieso nicht, wieso der Satz unbedingt ein Scherz sein muss, jeder mit Ohren spielt eh nix von Nirvana. SO, ICH HABS GESAGT!

 

@deserted-monkey:

Für mich fehlte wie gesagt ein überraschendes Element, das bisschen frischen Wind reinbringt
Welche Story hat denn jetzt genau den Momo-Kettenbrief in so abgewandelter Form schon benutzt?

 

Welche Story hat denn jetzt genau den Momo-Kettenbrief in so abgewandelter Form schon benutzt?
Wahrscheinlich keine :D Ich habe ja dem Text nicht unterstellt, er sei ein reines Generika, sonst hätte ich das direkt so hingeschrieben. Falls Du das so wahrgenommen hast: Nein, finde ich nicht. Die Story hat mich einfach an vieles erinnert und während dem Lesen hatte ich deshalb das Gefühl, die Hauptbausteine kommen mir bekannt vor. Als könnte ich erahnen, was ungefähr als nächstes passiert. Der 'Grundkurs' war sozusagen schnell klar, trotz dieser Abwandlungen. Und das denke ich immer noch.

Wahrscheinlich liegt das an einem ziemlich ähnlichen Lese-/Film-Geschmack, an sich überschneidenden Inspirationsquellen sozusagen? Verstehe natürlich, wenn Du sagst, die Abwandlungen reichen Dir und der Text ist gut so, basta.

 

@deserted-monkey

Es mag sogar sehr gut sein, dass es das irgendwo da draußen gibt, all over the Internet werden ja nun Horrorgeschichten rausgehauen. Es geht mir auch wie gesagt nicht um den einzelnen Hinweis „Das Monster (Kopf in der Waschmaschine) am Ende hat mich an Buch/Film XY erinnert“, aber mir ist schon in früheren Kritiken von dir aufgefallen, dass du dieses „Ja, ja, war alles schon da“ und eben das Rad – beides ja selbst Floskeln, und dann noch „über den Einheitsbrei heben“ – immer sehr lapidar raushaust, nämlich meist ohne konkret zu werden. Damit wertest für mein Empfinden die kreative Leistung ab, ohne tatsächlich inhaltlich oder formal zu kritisieren.

 

Damit wertest für mein Empfinden die kreative Leistung ab, ohne tatsächlich inhaltlich oder formal zu kritisieren.
Sehe deinen Punkt und wie das ankommt. Ok, entweder begründe ich das ausführlicher oder spare mir das in Zukunft.

 

Moin @Proof,

nochmal ganz kurz ein paar meiner Gedanken zu durch Kommentare und deren Antworten aufgeworfenen Punkten:

Was ist mit Leuten, die Beavis und Butt-Head nicht kennen?
MMn muss man B&B nicht kennen, um Dein Monster furchteinflößend zu finden. Denn:

Das Gesicht, das ihn vom Display ansah, war menschlich, aber alles daran war falsch. Die Augen waren zu groß, die Stirn war zu hoch und das Grinsen zu breit. Es sah aus, als hätte Hieronymus Bosch sich an einem Porträt versucht. Nein, schlimmer. Es sah aus wie der Mann, der dabei Model gestanden hatte.
Das breite Grinsen in diesem langen Gesicht und die Nase, die ebenso wie das Kinn spitz zusammenlief wie der Schnabel eines Vogels; die Stirn, die sich oben fast bis zur Mitte des Schädels zog und die hochtoupierten blonden Haare: Das alles hatte er schon einmal gesehen. Bobbys Antlitz füllte fast das gesamte Foto aus, aber unten konnte man den dürren Hals sehen und den Ansatz eines T-Shirts. Ein himmelblaues T-Shirt.
Deine Beschreibungen stehen für sich.
Klar, wer die Cartoonfiguren damals auf MTV gesehen, oder sich wenigstens in den (späten) Neunzigern für Popkultur interessiert hat, sollte ein Bild vor Augen haben. Notwendig finde ich es aber nicht. Ich kenne B&B, tatsächlich hat mein Gehirn beim Lesen von "Bobby" aber ein eigenes Bild des Monsters kreiert. Und das sah weder im ersten Moment, noch als der Prota in seiner Erinnerung getriggert wurde, aus, wie ein monsterfizierter Beavis.
Die Geschichte funktioniert für mich trotzdem.

Abgeschnittener Kopf in der Waschmaschine? Kenne ich nicht.
Bei mir erweckte das sofort die Assoziation zu einer bestimmten Filmszene. Ich glaube, das war so ein schlechter Teenie-Slasher (Vielleicht: Ich weiß noch immer, was du letzten Sommmer getan hast? :confused: ), in dem das Final Girl denkt, in der Waschmaschine rotieren die Nike Airs ihrer Mitbewohnerin, und dann ist es aber die verstümmelte Leiche.

Anders als einige andere Wortkrieger mag ich aber das respektvolle Abkupfern, Ausleihen oder sich verbeugen (nenn es wie Du willst), von oder vor bereits bekannten Genrevertretern. Solange das nicht faul und/oder beliebig daherkommt, kann ich solchen Wiedererkennungen viel abgewinnen.

Ich kenne das eigentlich nur aus dem TCM-Remake. Da läuft ja jemand durch so ein Bettbezugs-Labyrinth und zack, ist der Unterschenkel weg. Hab den damals schwer beeindruckt im Kino gesehen und im Waschkeller meines Studentenwohnheims musste man sich durch genau solche Reihen von Wäsche vor zu den Maschinen kämpfen. Das war intensiv die Tage nach dem Film.
Das kann ich mir vorstellen. Michael Bay’s TCM habe ich damals auch im Kino gesehen, allerdings mussten wir die Vorstellung frühzeitig verlassen, da eine Freundin den Film so verstörend fand, dass sie einen Weinkrampf erlitt und wir sie nach Hause bringen durften. Daran muss ich bis heute denken, wenn das Thema TCM aufs Tableau kommt.

Der Tod durch Bobby wirkt wie der Biss eines Vampirs und das Opfer wird selbst zur Urban Legend. Ist mir tatsächlich selbst gerade erst eingefallen, finde ich aber ganz cool.
Das finde ich auch ziemlich cool. Chapeau! :)

Beste Grüße
Seth

 

@Seth Gecko:

Anders als einige andere Wortkrieger mag ich aber das respektvolle Abkupfern, Ausleihen oder sich verbeugen (nenn es wie Du willst), von oder vor bereits bekannten Genrevertretern.
Mich nervt das auch, wenn Leute irgendeinen Film oder Roman einfach nacherzählen. Hier im Forum ist die Red Flag nicht selten, wenn es in den USA spielt. Aber es gibt so einen Punkt, da läuft es hinaus auf: Ist ein Krimi und da liegt ein Toter. Lass mich raten, jetzt kommt der Kommissar und löst den Fall. Ja, ich vereinfache stark. Aber so von der Tendenz.

da eine Freundin den Film so verstörend fand, dass sie einen Weinkrampf erlitt und wir sie nach Hause bringen durften.
Der haut aber auch rein wie im Original Leatherface mit dem Vorschlaghammer auf den Kopf. Das heftigste Horrorfilm-im-Kino-Erlebnis, an das ich mich erinnere. Ich konnte nie nachvollziehen, dass Leute den chassen, hatte bei vielen auch das Gefühl, ist wie bei einer kommerziell erfolgreichen Punkband: Darf man nicht gut finden, sonst fliegt man aus dem Club. Das Original ist halt heilige Kuh und Michael Bay der Transformers-Typ. Zum Zeitpunkt der The Rock-Typ. Hoopers Film gucke ich so ein mal im Jahr. Geht meine Hand im Heimkino-Regal Richtung des Remakes, frage ich mich: Bin ich da gerade wirklich bereit für? Und meist bin ich’s nicht.

Das finde ich auch ziemlich cool. Chapeau!
Danke!

 

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