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Bonsai
Nachdem endlich der Wohnbereich fertig gestellt ist, geht’s darum, die leeren Winkel zu füllen...das ist der Startschuss für den Hausherrn, sich ins Pflanzengewühl von Gärtnereien und Baumärkten zu stürzen ... fündig geworden, werden verschiedene Palmen und Orchideen im Haus und in den Zimmern verteilt und in Kenntnis meines unglücklichen Händchens was Pflanzenpflege anbelangt, wird mir der fürsorgliche Hinweis ans Herz gelegt, dass ich unseren inzwischen zu einem stattlichen Privaturwald angewachsenen Bestand ja nicht zu gießen vergesse. Da Palmen bekannt dafür sind, der Natur auch in besonders trockenen Gebieten zu trotzen , haben sie also eine echte Chance, auch unter meiner Pflege zu gedeihen. Wenn man weiß, dass mir sogar Kakteen aufgrund geringer Wasserversorgung eingegangen sind, weiß jeder, der mich kennt, was es für mich bedeutet, die an mich gestellten Erwartungen in Sachen Blumenpflege zu erfüllen.
Aber mir gefällt, was ich sehe und so bemühe ich mich, das Grünzeug am Leben zu erhalten.
Und in dem Wissen, dass diese teilweise schon sehr großen Pflanzen auch unsere finanziellen Reserven erheblich geschmälert haben, nehme ich meine Aufgabe ernst, ich gieße und dünge, und das anscheinend perfekt, die Pflanzen danken es mit ungebremstem Wachstum und wunderschönen Blüten.
Offensichtlich überrascht von meinem Einsatz in der häuslichen Botanik teilt mir der Hausherr eines Abends mit, dass er einen wunderschönen Bonsai gesehen habe und dass dieser gut auf den noch freien Fensterplatz passen würde. Bei dem Wort Bonsai stellen sich mir die Haare auf .... das kenn ich schon ....dem Sohn meiner Freundin vertrocknen sie regelmäßig und wenn er sie zuviel gießt, verfaulen die Wurzeln .... komplizierte und arbeitsintensive Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass man mit Geräten wie Nagelscheren die Wurzeln schneiden muss .... also irgendwie erfreut mich der Gedanke an einen Bonsai nicht ....aber ich will auch die Begeisterung des Hausherrn dafür nicht bremsen .... also gut, sag ich, kannst ihn herstellen, aber eins muss klar sein, ich gieße ihn, aber die konsequente Pflege übernehme ich nicht, dafür hab ich einfach keine Geduld ....Der Hausherr ist einverstanden und am nächsten Abend behindert ein wunderschöner mittelgroßer Bonsai den Ausblick in die freie Natur. Ich bekomme noch ein paar Instruktionen, unter anderem die, dass er keinen Durchzug verträgt, was wiederum bedeutet, dass er vor jedem Lüftvorgang ins Bad getragen werden muss. Dem Bonsai scheint sein Plätzchen aber zu gefallen, er treibt aus, was das Zeug hält. Nach einigen Monaten bedeckt er bereits zwei Drittel des Wohnzimmerfensters. Mein Hinweis an den Hausherrn, dass dieses Pflanzengebilde mit einem Bonsai nicht mehr viel gemein hat, irritiert ihn nicht, er meint nur, dass sein Bonsai wachsen könne, wie er wolle. Zum Geburtstag bekommt der Hausherr Werkzeug für die Bonsai-Pflege. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, den er verstanden hat und an einem schönen warmen Sonntag schleppt er seinen geliebten Bonsai ins Freie und fängt an, ihn zu stutzen. Auch die Wurzeln werden geschnitten.... es ist eine mühevolle Kleinarbeit und ich werde das Gefühl nicht los, dass ihm jeder Schnitt in die pflanzlichen Eingeweide persönlich weh tut .... der versuchte Einwand „könntest du nicht ein bisschen weitermachen“ wird von mir rigoros abgelehnt .... den ganzen Nachmittag ist er mit der Pflege beschäftigt... am Abend steht der Ficus-Bonsai frisch gestutzt auf seinem Platz und ist wieder eine wahre Augenweide. Inzwischen sind zwei Sommer vergangen, die mühevolle Sonntagnachmittagbeschäftigung scheint sich als traumatisches Erlebnis ins Gedächtnis des Hausherrn eingegraben zu haben, woraufhin dieser beschloss, seinem Bonsai die Pflanzenfreiheit zurück zu geben. Die Größe seiner Blätter hat inzwischen überdimensionale Bonsai-Normen angenommen, erinnern eher an Tabak- als an Ficus-Blätter, das Wohnzimmerfenster ist zur Gänze bedeckt. Wir haben ihm einen Namen gegeben: Goliath!