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Bonus Track
Mit einem ekelhaft feuchten Platschen schlug Engel auf dem mit Unrat übersäten Boden auf. Sie zerplatzte wie eine alte Wurst, aus der die fettig-körnige Füllung in verklebten Bällchen quoll.Das Klappern, das das kleine Geheimnis in ihrer Tasche verursachte, hallte hohl von den ölbeschmierten Wänden wider.
Der alten Frau stand eine Meile weiter oben noch immer der Mund offen. Sie schloss ihn, denn wie hätte sie ihr wortgewaltiges Wissen hinunterwürgen können?
Wieselschritte.
Jetzt war es auf der grottigen Häuserlichtung, auf der Engel lag, still, denn der einzig existente Schrei wurde in geschlossener Kinderhand verborgen.
Das kleine Geheimnis, das für ihn keines war, war aus der Tasche gerutscht, lag neben ihrem Arm. Wiesel musterte es gierig, schnürte in seinem Versteck umher. Er musste sich davon überzeugen, dass sie gestorben war.
Unter ihren Fingernägeln, die beim verzweifelten Festkrallen glasstaubgleissend bis aufs Fleisch abgerissen waren, sickerte ein haarfeines Blutrinnsal hervor. Ein Teil davon trocknete bereits wieder. Eine fette Fliege von Tintenfarbe, die daher klebrig sich vorzustellen war, landete brummend auf einem ihrer offenen Augen.
Geschmeidig duckte Wiesel seinen mageren Körper in die lanzenartigen Schatten, die die Antennen und die schräg geöffneten Fensterläden der untersten, Wohnung genannten Schützengräber ins Dämmerlicht schnitten.
Gerade streckte er einen spinnenartigen Arm aus, als er Schritte hallen hörte.
Rasch verzog er sich wieder in sein Versteck, ohne das Ding erwischt zu haben.
Niemand sollte hier sein...
Um die Ecke bog der erste Nachtläufer, wenn nicht er nur Nachschub brauchte. Aber Engels Leber war schon kalt und ausgefranst; zu alt, um verkauft zu werden.
Aber er ging zu ihr, und ein Schatten löste sich in der Ferne und rief, man sähe sich später. Der Schächter rauchte nur. Dann kam er näher, mit leicht schwankendem Gang. Wiesel konnte ihn riechen, nach kaltem Rauch stank er, der nach Rosen stank.
Der Schächter beugte sich zu Engele, die nicht weichen konnte.
Fluchend suchte er am Boden herum, die erdrückenden Fäulnisgase von Fisch und Andersartigem mussten ihn umwallen wie einen Schleier. Zu einem anderen Ergebnis als Wiesel kam er nicht. Zu alt, beschädigt. Sein langes Gewand wischte den rostroten Staub zu müden Häufchen zusammen.
Wiesel huschte, sobald der Talib aus seinem Blickfeld verschwunden war, zu Engel zurück. Das erste, was ihm auffiel, war, dass Engel ein filigranes Medaillon trug. Der Schächter hatte es nicht an sich genommen, was bedeutete, dass er kein Schächter war; das wurde nur dadurch bestätigt, dass die Diskette verschwunden war.
Wiesels Augenlid zuckte. Dann machte er sich auf den Weg.
Er hörte noch des Schächters Schritte, sie hatten sich beschleunigt. Als wisse er, dass seine Tarnung nichts mehr half. Wiesel folgte ihm so schnell und leise wie möglich, aber nicht mal der Wieselschritt ist unhörbar bei solcher Hast. Der Talib wirbelte im Laufen herum, Wiesel drückte sich an die Wand – nicht schnell genug, noch wilder war die Jagd jetzt. Die Welt um ihn herum zerfaserte in graublaue Linien.
Rattentiere sind schnell, sie winden und quetschen sich durch Spalten und Ritzen – oder an ihren Gegnern vorbei, um diese mit einer schnellen Drehung von vorne anzufallen.
Schächter oder nicht, der Mann war viel stärker als Wiesel. Wiesel hatte kaum die Gelegenheit, mit den zu Klauen gekrümmten Fingern einen Hieb auf die Augen anzusetzen, als der Dieb ihn gegen eine Wand warf. Wiesels Kopf schlug hart gegen Backstein, ein Arm wurde zerschmettert. Wie ein nasser Lappen rutschte er benommen die Mauer hinunter.
Der Dieb war verschwunden, Wiesel sass einen Moment lang nur da und akzeptierte, dass er ein Summen hörte, als wäre in einem Krankenhaus jemand gestorben.
Sein Geist tanzte in den Scherben der Hysterie.
Er wusste, dass er es hassen würde, aber seine Schmerzen spürte er noch.
Seine zersplitterten Fingernägel gruben sich mechanisch in seine Unterlippe, er griff fest zu und-
Bald sass er wieder da, wo er auch sonst immer sass, still, bis er ein Geräusch hörte.
Es liess ihn aufblicken, Bedrohung wallte auf. Er empfand wieder, spürte den Schweiss zwischen seinen vernarbten Schulterblättern. Jetzt kam all das, was sein musste, er schloss die Augen, öffnete sie dann doch wieder.
Niemand war da.
Er wusste, dass es nicht gelungen war. Exakt eine Meile weiter oben hatte er zugesehen. Wiesel stand auf, warf sich wieder zu Boden und duckte sich. Niemand schlug ihn so fest wie Niemand, aber heute wartete er vergeblich.
Niemand sah, was Wiesel angerichtet hatte, sah die zerfetzte Lippe, die feucht glänzte vor Blut. Es war der Strafe genug.
Niemand verschwand genau wie der Schächter, wie der Schatten.
Die Wellen, die seine alles umwallende Aura in der stickigen Luft schlug, schwappten träge um Wiesels Knöchel.
Acht.
So viele fettig glänzende Blutperlen tropften von seinen Lippen .
Acht, dann nichts mehr.