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Born Bread
Der Druck seiner berstenden Lunge zerquetschte Ole Eringsons noch schlagendes Herz.
„Atme ein!“, hatte es gesagt, wie konnte er da widersprechen.
Früher am Tage hatte seine Frau es gewagt, sich ihm zu verwehren. Die Konsequenzen kosteten sie einen halben Liter Iod.
Wir verschanzten uns in einer ausgebrannten Subway-Filiale, die verkohlten Überreste der studentischen Hilfskräfte ließen wir in der Mikrowelle verdampfen, zu widerlich war der Anblick. Ein Glas Cornichons hatte den Angriff überstanden und brachte uns unsere erste Mahlzeit seit Tagen.
Jonz der Tankwart, Sick die Punkerin, Dick der fette kleine Junge und ich, der strebsame Jugendliche ohne Mitesser und Zahnspange, dafür mit einem eigenwilligen Hobby, waren scheinbar die einzigen Überlebenden der Massaker.
Es begann vor ein paar Tagen.
Ich hatte gerade meinen Klarinettenunterricht beendet, meine Lehrerin Juliette Ampfer war wie immer sehr zufrieden mit mir. Sie nickte mit ihrem Kopf wie eine Taube und ihr Adamsapfel zuckte scheinbar in Erwartung auf das, was ich mit ihm vorhatte. Eine Amputation mit einer Klarinettenspitze würde bestimmt eine beachtliche Sauerei anrichten, also entschied ich mich für die Gabel, die auf dem bronzenen Dekortablett lag. Das Werkzeug macht seinen Meister.
Schon während wir zuvor Obsens Oboensomfinate spielten, waren mir Ungereimtheiten bei der Anordnung der Gebäckstücke, die das Klavier, auf dem sie mich begleitete, verzierten, aufgefallen. Schokoladenkekse Seite an Seite mit Vanillekipferln und Makronen.
Ich steckte ihren Kehlkopf auf den Zeiger des Metronoms, zog es auf und verließ vergnügt das miefige Einzimmerapartment, in dem die kürzlich Verschiedene gelebt hatte.
Als ich die Haustür öffnete, sah ich Eringson implodieren, umzingelt von Broten aller Art.
Die Explosion seiner Lunge hatte wohl eine Kettenreaktion ausgelöst und schließlich zu einer Selbstverdauung geführt, was hinsichtlich der Tatsache, dass von ihm nur ein Würstchen Kot übrig war, die Gerichtsmedizin im Nachhinein vor einige Schwierigkeiten gestellt haben dürfte.
Ich sah diesen fetten kleinen Jungen ängstlich hinter einer Mülltonne kauern und schnipste mit den Fingern um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er blickte in meine Richtung, drehte sich aber gleich wieder zur Seite, um die Bedrohung nicht aus den Augen zu verlieren.
Ein Räuspern hinter mir ließ mich aufschrecken. Die Kekse! Ich hatte die Kekse vergessen. Ich blickte vorsichtig über meine Schulter zurück ins Treppenhaus.
Da standen sie, Makronen neben Kipferln und Schokoladengebäcken, bereit mich zu zerfleischen.
Ein Cabrio näherte sich samt seiner ahnungslosen Insassen der Einfahrt des Hauses.
Der Anführer der Brote, ein Sovitalbrot mit besonders starker Kruste, machte den Anfang und sprang in das offene Fahrzeug, die anderen Laibe folgten gehorsam.
Der Fahrer verlor die Kontrolle über den Wagen, zu sehr war er damit beschäftigt, den blutigen Stumpf unterhalb seiner Schulter abzutasten. Die schreckgeweiteten Augen der anderen Insassen sahen die Häuserwand näher kommen, bevor ihre Innereien ihnen die Sicht nahmen.
Ich sprang zur Seite im letzten Moment vor dem Aufprall. Der Golf raste in die halboffene Haustür, schleuderte seinen blutigen Inhalt ins Treppenhaus und fiel zurück auf die Hinterräder. Ich rannte zu den Mülltonnen, packte Dick am Kragen und riss ihn aus seiner Panik.
„Komm, wir müssen hier weg!“
Wir verschanzten uns in einer ausgebrannten Subway-Filiale, die entkehlten Überreste von Jonz, Sick und Dick ließ ich in der Mikrowelle verdampfen, zu viele Erinnerungen waren mit ihrem grausigen Anblick verknüpft. Das leere Cornichonglas warf ich gegen die Wand, dann riss ich die zwei Brotschneidemaschinen aus der Steckdose, befestigte sie an meinen Armstümpfen und riss die Barrikaden nieder, die uns in den letzten Tagen schützten.
Die Strahlen der Morgensonne fielen durch das entstandene Loch und nahmen mir die Sicht auf die Außenwelt. Ich hörte, wie sich Kürbiskerne an Mohn rieben, wie Sesam Leinsamen berührte und sich Kümmel an Roggen stieß. Dann kehrte Stille ein.
Meine Augen erholten sich, ich machte einen Schritt hinaus Richtung Gehweg. Das Knirschen setzte wieder ein. Brote, Semmeln, Baguettes, aber auch Kuchen und Bagels aller Art warteten Millimeter an Millimeter auf den letzten feindlichen Überlebenden der Revolte.
Ich blickte zur Seite, wo sich einst die Einkaufszone der Stadt befand, doch außer Gebäck war nichts zu sehen.
Am Fenster gegenüber sah ich Frischhefewürfel und Mehl stehen, die Zukunft der neuen Rasse war gesichert.
Ich betätigte die Anlasser der Schneidemaschinen und trat vor auf die Straße. Erwartungsvoll fingen Millionen von Laiben an zu beben. Das Surren der Klingen durchschnitt das Gekrümel.
„Ich mach euch alle platt, ihr Hurensöhne!“
Allan Schmitzie 2006