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Botschaft mit Hindernissen
Botschaft mit Hindernissen
Das Drama begann mit dem Anruf meines besten Freundes namens Isa.
Er ist jordanischer Staatsbürger und somit stolzer Besitzer eines jordanischen Passes. Eigentlich hat er bis zum heutigen Tag weder Vorteile noch Nachteile durch seine jordanische Staatsbürgerschaft.
Der Nachteil den er im Moment hat liegt auf der Hand, denn sein Pass ist abgelaufen und er muss dementsprechend einen neuen beantragen.
Diese Tatsache wäre im Prinzip auch kein allzu großes Problem, wenn Isa im Besitz eines Führerscheines wäre und ein Auto sein Eigen nennen könnte.
Wozu man als Jordanier eine Fahrerlaubnis und ein Auto benötigt um seinen Pass verlängern zu lassen fragen sie?
Nun lassen sie es mich ihnen mit einigen wenigen Worten erklären.
Die einzige Möglichkeit für einen Ausländischen Mitbürger in Deutschland seinen Pass verlängern zu lassen besteht darin, in eine Botschaft seines Landes zu fahren.
In Isas Fall handelt es sich eben um die jordanische Botschaft und die nächstgelegene Einrichtung dieser Art befindet sich, gute 90 Kilometer von seinem Wohnort entfernt, in Bonn.
Die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist sehr umständlich und kostet neben viel Zeit auch noch einiges an Geld und dieses ist bei meinem Freund noch sehr kärglich, denn er ist Student der Medizin.
Was macht er also?
Er bittet seinen besten Freund (der im Besitz eines Autos ist) um den Gefallen ihn nach Bonn zum Konsulat zu bringen.
Da man so eine Bitte nur sehr schlecht abschlagen kann verabreden wir uns für den nächsten Tag gegen halb neun bei ihm.
Pünktlich auf die Minute klingle ich an der Wohnungstür, welche mir von seiner Mutter geöffnet wird. Mit dem ihr eigenen milden und zugleich verständnislosem Lächeln, bittet sie mich hinein. Man sollte zur Erklärung kurz anführen, dass ich vielmehr ein Bruder von Isa als ein Freund bin, aus diesem Grund kenne ich es nur zu genau und weiß sofort - Isa schläft noch!!!
Mit einem kleinen Umweg über das Badezimmer schreite ich in sein Zimmer um ihn liebevoll mit einem nassen Waschlappen aus seinen zarten Träumen zu reißen und ihn an seine Verabredung von vor 5 Minuten zu erinnern.
Leicht erschrocken und etwas orientierungslos schreckt er auf und scheint sich zu fragen was los ist und wo zum Henker er überhaupt sei?
Als er erfährt das er wiedereinmal einen Termin vergessen hat, macht er das was jeder normale Mensch machen würde.
Nein, nicht was sie jetzt annehmen. Es kommt keine Entschuldigung oder ein rasches Anziehen um den Wartenden nicht noch länger warten zu lassen.
Nein, es folgt eine Einladung zu einem gemeinsamen Frühstück.
Jeder der einen ausländischen Freund hat weiß wie schwer es einem gemacht wird dieser Einladung nicht folge zuleisten, zumal seine Mutter ihn in diesem Punkt auch noch unterstützt.
Nach einem etwas ausgiebigeren Frühstück und knappe 60 Minuten später steht Isa abreise bereit in der Tür.
Die Situation erkennend nutze ich seine Bereitschaft schamlos aus und stürze mit ihm aus der Wohnung in Richtung Auto.
Nach ungefähr 15 Minuten erreichen wir die Autobahn und nach weiteren 25 Minuten die erste Toilette.
Isas Blase ist durch das Frühstück oder besser dem dazu gereichten Tee über Gebühr gefüllt und verlangt nach Leerung. Da ich kein Interesse daran habe mein Auto einer Reinigung zu unterziehen halte ich an der nächsten Möglichkeit an und nutze die Zeit für eine schnelle Zigarette.
Wieder im Auto setzen wir die Fahrt nach Bonn fort und stehen nach guten 40 Minuten kurz vor dem Ziel.
Sie können es wörtlich nehmen, denn wir standen im wahrsten Sinne des Wortes vor unserem Ziel.
Ein überqueren der Ziellinie wurde uns durch einen Stau unmöglich gemacht und so vergeudeten wir weitere kostbare Zeit auf unserer Odyssey zur Botschaft.
Trotz allem verloren wir unsere gute Laune nicht oder besser ausgedrückt, Isa verlor seine gute Laune nicht, denn je südlicher das Herkunftsland desto gelassener sieht man den Faktor Zeit!
Den Stau hinter uns lassend und nach mehrmaligem verfahren stehen wir im Botschaftsviertel von Bonn.
Rechts und links von uns tauchen die größten und zugleich schönsten Prachtbauten, die wir jemals gesehen hatten, auf und verschwanden sogleich wieder hinter noch prunkvolleren Gebäuden.
Insgeheim freute ich mich wie ein kleines Kind darauf gleich auch in einem solchen Palast sein zu dürfen und die Gastfreundschaft der Jordanier zu genießen.
Dieser Gedanke ließ alle Leiden des noch jungen Tages mit einem mal verblassen und machte Appetit auf mehr.
Isa meinte wir sollten so langsam mal einen Parkplatz suchen, denn die Botschaft sei direkt hinter der nächsten Kurve.
Gesagt getan.
Ich suchte also einen Parkplatz für meinen Wagen, glauben sie jetzt nicht das Isa dabei eine große Hilfe gewesen wäre.
Sein Hauptaugenmerk lag vielmehr darin, möglichst vielen Frauen hinterher zugucken und womöglich noch eben schnell deren Telefonnummern zu bekommen als nach einer Lücke für seinen Chauffeur und dessen Vehikel Ausschau zu halten.
Nach längerer Suche und der Feststellung das es am heutigen Tag scheinbar eine ganze Menge Leute in dieses Botschaftsviertel verschlagen hatte, verlassen wir das Auto und setzen den Weg zu Fuß weiter.
Der Spaziergang führte uns an unzähligen „Palästen“ vorbei bei denen wir immer versuchten zu erraten, welches Land sich dahinter eine Repräsentanz leistete.
Ich stellte die Überlegung an meinen Beruf an den Nagel zu hängen und meine Karriere als Botschafter fortzusetzen, denn in so einer Umgebung würde das Arbeiten mit Sicherheit mindestens doppelt so viel Spaß machen.
Denken sie alleine nur an die diplomatische Immunität sowie allen anderen Vergünstigungen die jemandem anhaften, der ein Land vertritt.
Kaum hatte ich diesen Gedanken beendet, holte mich mein Freund wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, indem er mir mitteilte das wir endlich am Ziel unserer Reise angekommen sind.
Mit dieser Aussage hat mir Isa den Waschlappen von heute morgen gleich zigfach wieder gegeben!
Wir standen mitten im Botschaftsviertel vor einem Gebäude das höchstwahrscheinlich nur noch dort stehen durfte, weil seine Besitzer diplomatische Immunität besaßen und somit ebenso unantastbar waren, wie deren Eigentum.
Es handelte sich bei dem Gemäuer um eine alt Herrschaftliche Villa bei der aus irgendwelchen und vor allem von mir nicht verstandenen Gründen niemals auch nur eine Hand angelegt wurde.
Am leichtesten kann man sich das Ganze anhand einer Gleichung vorstellen.
Schließen sie ihre Augen und stellen sie sich ihren Traummann oder ihre Traumfrau einmal vor. Betrachten sie in Gedanken jeden Quadratzentimeter seines oder ihres Körpers. Es gibt nur ein Wort was ihnen zu diesem Anblick einfällt - makellos!
Doch halt - was müssen sie erblicken? Eine kleine Narbe ziert den Körper, bei näherer Betrachtung wissen sie Instinktiv das sich dort vorher eine Warze befunden haben muss!
Sehen sie und genau dort liegt das Problem, die Warze wurde durch einen kleinen aber sehr effizienten Eingriff entfernt – die Botschaft steht noch!!!
Verstehen sie mich bitte nicht falsch aber passender kann ich meinen Eindruck nicht wiedergeben. Es ist auch nicht böse gemeint, wenn ich das behaupte aber das Gebäude passte nicht in das Bild der anderen Botschaften.
Im Eingangsbereich stand ein Metalldetektor, welcher verhindern sollte das die Besucher eventuell mit Waffen ins Gebäude gelangten. Generell habe ich vollstes Verständnis für solche Sicherheitsmaßnahmen, doch was bewirkt ein Metalldetektor an dem in großen, gut lesbaren Buchstaben zu lesen ist: „Defekt – bitte außen vorbei gehen“?
Es wäre aufgrund der baulichen Substanz eher die Ausgabe von Sicherheitshelmen angeraten gewesen.
Nun sei es wie es ist, wir müssen darein um den Pass zu verlängern.
Die Stelle an der wir unser Vorhaben in die Tat umsetzen können liegt in der zweiten Etage und verfügt unter anderem über einen kleinen Raum von ungefähr 25 qm. Dieses Zimmer ist, scheinbar, mit den ausrangierten Möbeln der hier beschäftigten Angestellten bestückt und stellt das Wartezimmer da.
Ich suche verzweifelt den kleinen Kasten den ich aus den Deutschen Ämtern kenne und von dem ich die Nummer bekomme die mir zeigt wann ich dran bin. Trotz intensivster Bemühungen kann ich ihn nicht finden. Isa bemerkt meine leichte Hilflosigkeit und versichert mir, mit einem recht blöden Grinsen, dass ich so etwas hier nicht finden werde.
Etwas irritiert stellt sich mir die Frage, wie man denn um kleinere Rangeleien auszuschließen die Reihenfolge der Besucher festlegen will.
Mir wird schnell klar gemacht, dass hier strickt nach dem biometrischen „Nasenmaß“ eine Reihenfolge erstellt wird.
Das bedeutet auf gut deutsch, wenn dem Bediensteten die ein oder andere Nase nicht passt kommt man halt zuletzt dran. Bei dieser doch recht ungewöhnlichen Methode haben Frauen leichte Vorteile und wir Männer dürfen nur auf etwas Mitleid hoffen.
Nach circa drei Stunden ist für uns immer noch kein Ende in Sicht und mein Magen macht durch immer lauter werdendes knurren unangenehm auf sich aufmerksam.
In solchen Momenten ist die Zunge meist schneller als das Gehirn, leider, denn der folgende Satz verlängerte, wie sich herausstellen sollte unsere Wartezeit erfolgreich um weitere 2 Stunden: “Ach Isa, ich habe so einen Hunger ich glaube ich könnte ein ganzes Schwein essen!“.
Ich habe mir wirklich nichts böses dabei gedacht und wollte auch niemandem zu nahe treten als ich das so sagte. Was ich völlig außer acht gelassen hatte war die Tatsache, dass die Jordanier zu einem großen Teil Muslime sind und somit kein Schweinefleisch essen, da es sich um ein unsauberes Tier handelt.
Nach dieser Aussage fühlte ich mich reichlich deplaziert in diesem, für mich, immer kleiner werdenden Raum. Alle Augenpaare musterten mich von oben nach unten und innen nach außen. Ich lief Gefahr als Ungläubiger abgetan zu werden und meinem Freund so die Chance auf seine Passverlängerung zu nehmen. Also versuchte ich durch stures auf den Boden starren mich in gewisser Weise unsichtbar zu machen was mir auch gut gelang, denn nach insgesamt bereits sechs Stunden war Isa fertig und wir konnten uns auf den Heimweg machen.
Als wir das Gebäude verließen kamen wir gerade noch rechtzeitig um das Abschleppen meines Autos zu verhindern, denn bei der Parkplatzsuche hatte ich wohl das Verbotsschild übersehen.
Vor dem Abschleppen konnte ich mein Auto zwar bewahren, vor dem fälligen Bußgeld konnte mich jedoch niemand schützen.
Ein bisschen verärgert über die gesamte Situation machte ich mich mit Isa auf den Weg nach Hause.
Wir erreichten nach nur knapp 40 Minuten unsere Heimatstadt und ich wollte am liebsten den heutigen Tag aus meinem Gedächtnis streichen.
Nach rund 14 Tagen hatte ich erfolgreich das Kapitel Botschaft zu den Akten gelegt und eigentlich nicht mehr daran gedacht oder besser nicht mehr daran denken wollen.
Als ich jetzt am Wochenende, nach dem Brötchen holen, an meinen Briefkasten kam und mir zwei Briefe entgegenfielen, wurde dieses Thema wieder akut.
Ich hielt sowohl den angekündigten Bußgeldbescheid für falsches parken in der Hand als auch ein Foto von meinem Wagen, Isa und mir. Man konnte deutlich erkennen, dass ich nicht angeschnallt war und die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 50 km/h überschritten hatte.
Insgesamt hatten sich meine Vergehen im Straßenverkehr auf 250 DM und 2 Punkte in Flensburg addiert.
Seit diesem Tag lasse ich mich am Telefon verleugnen, wenn ich weiß das Isa irgendetwas mit mir vorhat was sich auch nur im entferntesten in Bonn abspielen könnte.