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Brief an dich
Ich merkte nichts von dem Wunder, das mir widerfahren war, von der Güte des Schicksals, die mir dich ins Leben brachte.
Wem oder was wir es wohl zu verdanken haben, dass wir einen kleinen Teil unseres Weges gemeinsam entlang gingen und uns zusammen der Hürde, genannt Leben, entgegenstellten.
Ich erinnere mich noch an dein Lachen, das in meinen Ohren immer einen starken Anklang fand, egal in welcher Gefühlslage ich mich befand. An deine Augen, die gezeichnet von Traurigkeit vergangener Tage, nie enden wollende Lebensenergie ausstrahlten.
Sie waren blau.
Wenn man mich damals gefragt hätte, so wäre es ein leichtes für mich gewesen jede einzelne deiner Hautfasern zu beschreiben.
Heute wäre es nicht anders.
Wir haben manches miteinander geteilt, ob nun Hobbys, Leidenschaften oder Geheimnisse.
Aber auf seine Art war wohl jeder verschlossen und versuchte etwas zu verbergen...
Als ich merkte, wie genau ich dich betrachtete und wie ich dich im Stillen beobachtete, fingen die Schmerzen an. Ich beging den größten Fehler meines Lebens und ließ dich in mein Herz eindringen, um das Wunder zu vernichten, das ich gerade entdeckt hatte.
Wenn der Mensch einmal in seinem ganzen Leben die Möglichkeit hätte, die Zeit zurückzudrehen um etwas in der Vergangenheit rückgängig zu machen, so würde ich zu jenem verhängnisvollen 19.Mai des vergangenen Jahres gehen und all meine Schmerzen für mich behalten, anstatt sie auf dich zu übertragen.
Der Zeitpunkt, der den Anfang vom Ende einläutete war gekommen.
Wie oft hatte ich geglaubt alles würde wieder so wie früher werden wenn nur niemals mehr ein Wort über die Sache verloren würde.
Doch das war wohl nur Wunschdenken.
Ich hasste mich für alles, was ich je für dich empfunden hatte, ich hasste mich dafür wie ich dich ansah, deine Freundlichkeit, wie ich dein Lächeln interpretierte, hasste mich für Schmerzen, die du hattest.
Der Hass wuchs über mich hinaus, weshalb es nicht verwunderlich war, dass ich auf den Schienen lag, zum Messer griff oder mich erfolgreich erkundigte wo und wie ich an Tabletten herankam.
Ich wusste nie, wie deine Reaktion gewesen wäre, aber ich tat es nicht, weil ich Angst hatte du könntest schlecht von mir denken und mich irgendwann vergessen.
Du hast herausgefunden was ich tat und dafür hasste ich mich noch mehr.
Unsere eigene kleine Welt, die ich so fleißig aufgebaut hatte, begann zu bröckeln und ich sah es nicht kommen.
Vielleicht wollte ich es auch gar nicht sehen.
Ja, so dürfte es gewesen sein. Ich wollte nicht mal im Entferntesten daran denken, dass irgendwann alles vorbei sein könnte, höchstens wenn wir in vielen späteren Jahrzehnten unsere Leben gelebt hatten.
Vor allem wollte ich die schönen Momente nicht missen, die wir hatten, auch wenn sie mit der Zeit immer weniger wurden. Die einfachen Gänge durch die Stadt, die Ausflüge oder die Unterhaltungen. Für mich war jede Stunde, die ich mit dir verbringen durfte, durchtränkt vom puren Glück.
Das wären sie heute immer noch.
Ich wusste, ein erneuter Gefühlsausbruch meinerseits würde unsere Freundschaft zerstören. Deshalb versteckte ich mich hinter einer Maske aus eisiger Emotionslosigkeit die sich vor allem in deprimierter Trauer widerspiegelte. Es war klar, dass du nicht lange auf dich warten lassen würdest, um mich zu fragen was mit mir los sei.
So sollte ich dir doch erzählen, wenn ich Probleme hatte, wenn mir etwas auf dem Herzen lastete, so wie ich oder wie wir es immer getan hatten.
Von vorderein wusste ich, dass es falsch war, es dir zu sagen, aufzuschreiben, es zu denken geschweige denn es zu fühlen.
Doch was sollte ich machen?
Gefühle waren, sind und werden immer Gefühle bleiben, zumindest dachte ich das damals.
Deine Zurückweisung wenige Tage später, die nicht nur auf mich bezogen war, sondern auf alles was uns betraf, ließ mich in ein schwarzes Loch ohne Boden fallen.
Selbst als alles wieder seinen geregelten Gang ging und wir unserem Alltag folgten ließ der schwarze Schatten nicht von mir ab.
Das tun sie heute noch nicht.
Die Entfremdung, die Stück für Stück zwischen uns stattfand, wollte ich nicht wahrhaben.
Wollte nicht glauben, dass du wahrscheinlich zu viel durchgemacht hast, um eine menschliche Bindung, die einzig und allein auf Vertrauen basiert, einzugehen. Dass du wahrscheinlich niemals die unsichtbare Mauer, die sich zwischen uns aufgebaut hatte, überwinden würdest oder den tiefen Graben, der die Furcht, das Misstrauen, das Nicht-Vertrauen widerspiegelte, überqueren würdest, um mir zu zeigen, dass es Menschen gibt, die dir etwas bedeuten.
Wie lange habe ich versucht dein Vertrauen zu gewinnen, versucht dir zu zeigen, dass es Menschen gibt denen du etwas bedeutest. Die dir zuhören, dir helfen. Es gab eine Person, die wenn du nur ein Ton gesagt hättest alles für dich getan hätte.
Das würde sie heute noch tun.
Mir wurde mehr und mehr bewusst, dass ich von deinem Leben nichts wusste und nichts mehr von dir und deinem Gefühlen mitbekam. Es machte mich unendlich traurig.
Bis heute ist meine Trauer nicht versiegt.
Nach und nach versteiften wir uns auf Aussagen, die nie ausgesprochen wurden und die eine Lawine einer Freundschaft über uns hereinbrechen ließ, die längst nicht mehr unsere war und das sichere Ende dessen bedeutete, was zwischen uns existierte.
Wir redeten nicht miteinander, hörten nichts, fühlten nichts und sahen nichts voneinander.
Es war ein Ende mit Schrecken, ein Schrecken, der mein kleines Wunder verschluckte und bis heute nicht wieder freigab.
Doch vielleicht wäre mir ein Schrecken ohne Ende lieber gewesen...
Dich nicht endgültig zu verlieren, hätte mich vielleicht vor meinem seelischen Tod bewahrt und vielleicht wäre der Schmerz leichter zu ertragen gewesen.
Vielleicht, aber auch nur vielleicht, wird mir eines Tages wieder ein Wunder zuteil, das mir dich ins Leben zurückbringt.
So lange werde ich auf dich warten und mir die glücklichen Zeiten vorstellen, die bereits vergangen sind und mir die ausmalen, die vielleicht noch gekommen wären.