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Bruchrechnungen
"Warum machst du es nicht?"
Wütend ist er es inzwischen leid, sich ihre Depri-Masche weiter anhören zu müssen.
Soll sie sich doch etwas antun, Schlaftabletten, Pulsadern, das ganze Arsenal. Nicht wirklich, aber es muß doch mal gut sein. Alles ist besser als dieses nervtötende Geflenne der letzten Tage.
"Unsensibles Schwein", schleudert sie zurück, "du wirst dich noch umschauen." Während sie spricht, durchfährt sie die Erkenntnis wie ein schneidender Blitz: Nichts wird ihm was ausmachen, überhaupt nichts.
So wie er drauf ist, ist er durch nichts zu beeindrucken. Fein ist er raus. Der ganze Konflikt geht ihm am Arsch vorbei. Ihre ganze Wut und Verzweiflung läßt ihn teilnahmslos. Erst gestern hat er die Frechheit besessen und ist nach dem stundenlangen Gerzerre einfach seelenruhig eingeschlafen.
Obwohl natürlich wie immer überhaupt nichts geklärt gewesen ist. Wahrscheinlich gibt es an der ganzen Sache ja nicht einmal mehr etwas, das noch geklärt werden kann.
Wieso liebt sie dieses Schwein eigentlich immer noch?
Seit es ausgesprochen wurde, steht dieses ungeborene Kind unsichtbar zwischen ihnen. Und nicht nur das.
Alles ist dadurch in Frage gestellt. Wie sehr hat sie sich selbst immer ein Kind gewünscht.
Aus Rücksichtnahme auf ihn hat sie verzichtet. Und jetzt trägt diese andere sein Kind im Bauch.
Da kann er noch so beteuern, ihm liege da gar nichts dran.
Er hat mit dieser Frau rumgemacht. Hat ihm das etwa keinen Spaß gemacht? Elendes Dreckschwein.
"Jetzt beruhig dich doch endlich."
Er hat sie verletzt, hat ihr Vertrauen mißbraucht. Das sieht er ja ein. Aber das ist inzwischen drei Monate her.
Bis letzte Woche hat er selbst nicht mal geahnt, dass dieser One Night Stand nicht ohne Folgen geblieben ist.
Selbstverständlich wird er einen Vaterschaftstest machen lassen, aber genauso selbstverständlich steht er dazu. Nicht zu dieser Frau, aber zu dem Kind, wenn es denn seins ist.
Und warum kann ansonsten nicht alles so weiterlaufen wie bisher?
Sieht sie denn nicht, dass sie mit ihrer Hysterie drauf und dran ist, selbst alles kaputt zu machen?
Er will ihr ja Zeit lassen. Er liebt sie doch.
Aber wenn sie sich immer mehr reinsteigert, wirkt das zerstörerisch.
Wären es nur ihre Tränen, wie gern tröstete er sie. Er ist doch zu allem bereit. Aber das, was sie hier veranstaltet, ist eine Kriegserklärung. Nichts kann er ihr recht machen. Jeden noch so gut gemeinten Satz zerpflückt sie augenblicklich in der Luft. Er braucht doch wenigstens ab und zu ein bisschen Ruhe und Erholung.
Boshaft und schnippisch wirft sie ihm Blicke zu. Er machte es sich auf der Couch bequem.
Es fehlt noch, stellt sie sich vor, und er macht den Fernseher an. Ihre ganze Verzweiflung verwandelt sich in eine unbändige Wut.
Vor ihrem geistigen Auge ensteht ein Szenario in dem sie ihn langsam und Stück für Stück mit einem Tranchiermesser zerlegt.
Angewiedert ist sie von ihm. Und gleichzeitig haßt sie sich selbst. Dafür, dass sie ihn aus Gewohnheit noch immer liebt und begehrt. Dabei schwitzt er aus allen Poren den Geruch dieser anderen aus. Das verzeiht sie ihm nie.
Diese Hexe, die sie nicht mal kennt. Sie stellt sie sich vor, wie sie irgendwann mit dem Kind im Arm in der Tür steht. Bevor das passiert muss sie weg sein. Endgültig weg. Doch das schlimmste ist, sie kann sich im Augenblick keinen anderen Platz für sich vorstellen.
So weit weg, dass nichts mehr zählt. Dann hat er freie Bahn. Auch wenn er das, wie er beteuert, überhaupt nicht mehr zu wollen scheint. Aber wie könnte sie ihn denn jemals wieder nah an sich heranlassen?