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Brummkreisel und Kopfgeflüster
„Das Land brauch generell eine Überholung“, verkündete Theodor Treuherz lautstark von seiner Kanzel herunter.
„Ja, eine Generalüberholung“, brüllte jemand im Publikum zustimmend.
„Schickt unsere Partei auf die Überholspur“, grölte ein anderer.
Theodor Treuherz lächelte beruhigt in sich hinein. Seine Mitstreiter würden ihm schon helfen ganz nach Oben zu kommen. Obwohl er „Mitläufer“ viel passender fand. Alle, wie sie da saßen, plapperten nach was er ihnen vorlegte. Er musste die Worte nur vorkauen, hübsch verpacken, und ausspucken. Sie stürzten sich darauf wie eine Schar ausgehungerter Wölfe, fraßen ihm regelrecht aus der Hand. Wenn er erst einmal an der Macht war, würde er sich klügere Köpfe suchen, welche dafür sorgten, dass er nicht wieder stürzen konnte.
Aber so weit war es noch nicht. Die Partei stand noch ganz am Anfang. Vielleicht hätte es Treuherz tatsächlich geschafft, wäre irgendjemandem der stillschweigende Mann im grünen Anzug aufgefallen, welcher schelmisch grinste als Treuherz predigte: „Eine neue Sprache muss her. Wir müssen uns endlich wehren gegen die Diskriminierung, dass wir Englisch als Weltsprache akzeptieren sollen.“
„Die Welt braucht eine neue Sprache“, jubelte jemand.
„Wir wollen nicht länger diskriminiert werden, weil wir nicht perfekt Englisch können“, schimpfte es aus der hintersten Reihe.
Am Ende der Versammlung begaben sich alle Parteimitglieder ans kalte Büfett. Kleine Gruppen bildeten sich und diskutierten wild über die Zukunftsplanung.
Der Mann im grünen Anzug stellte sich mal hier dazu, mal dort. Keiner nahm ihn richtig wahr.
Drei korpulentere Herren versuchten gerade über das Thema Demokratie zu diskutieren. In Anbetracht ihrer ständig mit Essen gefüllten Münder, verstand keiner den andern so recht. Dies spielte jedoch keine Rolle, da es ja nur darum ging so zu tun, als wäre man über alle Theorien bestens informiert. „Die Kanapees sind wirklich köstlich, nicht wahr meine Herren?“
„Was meinst du?“ wollte einer der drei verwirrt wissen.
„Ich habe nichts gesagt“, nuschelte der zweite.
„Es ging um Kanapees“, verkündete der dritte, während die Krümel aus seinem Mund die Freiheit suchten.
„Was sind Kanapees?“ fragten die andern beiden verdutzt.
Kurzes Schweigen entstand, ehe der erste irritiert meinte: „Fragen wir Theodor. Der weiß doch alles.“
„Theodor, Genosse, Freund“, stürmten sie auf ihn ein. „Was sind Kanapees?“
Der arme Treuherz verschluckte sich beinahe an einer Krabbe. „Das sind, also Kandings, wie soll ich es sagen?“ stotterte er vor sich hin. Kleine Schweißperlen begannen seine Stirn zu zieren. „Ihr wisst nicht was das ist?“ fuhr er sie mit einem mal erbost an. „Meine Güte, was hab ich doch für Idioten um mich herum. Noch nie was von, von, von, also von Rauschgift gehört?“
Verdutzt sahen sich die drei an. Einem ging ein Licht auf. Freudestrahlend knuffte er den andern beiden die Ellbogen in die Seite und verkündete: „Natürlich wussten wir es. Cannabis kennt ja wohl jeder.“
„Natürlich“, lachte der zweite sofort. „Es wurde in unserer Gegenwart nur falsch ausgesprochen, weshalb wir es nicht sofort kapiert hatten.“
„Und deshalb brauchen wir eindeutige Richtlinien für eine neue Sprache, bei der solche Missverständnisse nicht mehr vorkommen können“, sagte Theodor bestimmend.
Derweilen hatte sich der Unbekannte dezent neben eine andere Gruppe gestellt.
Eine junge Dame im kurzen Schwarzen philosophierte über Nächstenliebe, als sich jemand mit den Worten, „Die Altruisten sind auch nicht mehr das was sie mal waren“, einmischte.
Auch hier herrschte mit einem Male große Verwirrung. Kurz darauf ein spitzer Schrei der jungen Dame. „Ich weiß nicht wer es war, aber diese Unverschämtheit, mich alt zu nennen, lasse ich mir nicht bieten.“
So ging es weiter, bis letztendlich der gesamte Saal mit dummsinnigen Worten um sich schmiss, weil jeder glaubte den anderen belehren zu müssen. Unglaubliche Definitionen über Vokabeln, von denen jeder der Überzeugung war er wüsste was sie bedeuten, wurden durch die Luft gewirbelt.
Bis schließlich Treuherz die Menge endlich zum Schweigen brachte: „Liebe Mitglieder und Mitgliederinen, hört auf euch zu streiten. Ein Narr ist unter uns, der für Unruhe sorgen will. Doch das wird ihm nicht gelingen, solange wir zusammenhalten. Da seht ihr was passiert, wenn man Worte falsch ausspricht, wenn uns Fremdsprachen an den Kopf geworfen werden, wenn jeder glaubt es besser zu wissen. Wir dürfen uns nicht diskriminieren lassen, sondern für unser aller Wohl gemeinsam kämpfen.“
Die Masse schwieg andächtig.
Bis mit einem Mal ein lauter, enthusiastischer Schrei alle aus ihrem Delirium riss. „Freiheit für die Kantonisten.“
Alle drehten sich um. Der Mann im grünen Anzug stand, die geballte Faust in die Höhe gestreckt, ganz allein für sich da und erweckte den Eindruck eines Siegesgottes.
Erst einer, dann zwei, und Sekunden später, tobte die Menge. „Freiheit für die ......“ Der Rest ging unter, da jeder für sich den Kantonisten ein wenig abwandelte.
Nur Treuherz jubelte nicht mit. Sein einziger Gedanke war: „Diesen Kerl muss ich mir warm halten. Er kann die Leute begeistern und somit neue Wähler heranbringen.“ Stürmisch wühlte er sich durch die johlenden Parteimitglieder. Als hätte der Mann im grünen Anzug ihn schon erwartet, streckte er ihm seine Hand entgegen und sagte: „Es freut mich außerordentlich sie endlich persönlich kennen zu lernen, Genosse Treuherz.“
Wieder seiner eigentlichen Natur fiel ihm Theodor um den Hals: „Sie hat der Himmel geschickt. Wir beide zusammen sind unschlagbar.“
„Was haben sie für ein Konzept?“ wollte der Mann wissen, während er sich aus der Umarmung befreite. „In zwei Tagen sind die Wahlen. Wie wollen sie die Menschen von sich überzeugen? Haben sie schon eine Rede verfasst? Wie steht es mit der Werbung? Welche Gegenpartei könnte ihnen gefährlich werden, und was tun sie dagegen?“
So schnell kam Treuherz nicht mit. Entsetzt sah er sein Gegenüber an. „An all das habe ich gar nicht gedacht.“
„Aha, hab ich es mir doch gedacht. Was tun sie zum Beispiel, wenn ein Gigerl von der Presse auf sie zukommt und von ihnen wissen will, ob sie sich eher als Leviratsehe oder Leviathan sehen?“
„Ob ich bitte was?“
„Sehen sie, verehrter Treuherz. Es ist so, dass sie vollkommen unvorbereitet sind, und ich gerne ihr Angebot annehme. Sind wir uns also einig?“
Sofort verschwand der desorientierte Ausdruck aus Theodors Gesicht wieder. „Ich ernenne sie ab sofort zu meinem Pressesprecher, Werbefachmann, und was sonst noch dazu gehört Herr ..... ähm, ich kenn ja noch nicht mal ihren Namen.“
„Gestatten, Brummkreisel. Alfons Brummkreisel. Speziallist für die neue Sprache in unentdeckten Ländern und Opponent aller Nihilisten.“
So kam es letztendlich, dass in aller Eile Walkampagne betrieben wurde. Zwei Tage später stand Treuherz in der Öffentlichkeit, angefeuert von seinen treuen Anhängern, und schmetterte der Öffentlichkeit die Rede hin, welche Alfons für ihn, in aller Eile, noch verfasst hatte. Es waren nur wenige Sätze. Theodor war Anfangs skeptisch, ließ sich jedoch von Alfons überzeugen. „Wenige Worte genügen, damit sich anschließend die Menschen noch sehr lange an dich erinnern werden.“
Gespannt warteten alle auf die Rede des Vorsitzenden der neuen Partei.
Treuherz räusperte sich kurz, drehte das Mikrofon, welches ihm am nächsten war, zurecht, und gab preis was er zu sagen hatte.
„Liebe Wähler und Wählerinnen. Es ist mir eine große Ehre heute vor ihnen stehen zu dürfen. Ich möchte sie nicht mit viel Drumherum langweilen, sondern direkt zum Punkt kommen.
Seit Anbeginn der Welt gab es die Xenokratie. Unsere Partei will dies nun endlich wieder in Erinnerung rücken. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Animositäten der Opponenten mit gezielten Forderungen zu bedrängen, um dem Volk eine Chance auf Apartheid zu gewährleisten.
Aphrodisisch werden wir auf Außenseiter eingehen, und in ihr Innerstes blicken. Ja, wir werden eine gemeinsame Sprache haben, die unsere Kinder und Kindeskinder erlernen werden.
Am Ende wird jeder von euch dastehen, begreifen, jubeln und laut Ja rufen „Ja, wir haben uns richtig entschieden. Ja, wir wollen eine nihilistische Partei. Danke.“