Was ist neu

Brummkreisel und Kopfgeflüster

Mitglied
Beitritt
22.01.2002
Beiträge
342
Zuletzt bearbeitet:

Brummkreisel und Kopfgeflüster

„Das Land brauch generell eine Überholung“, verkündete Theodor Treuherz lautstark von seiner Kanzel herunter.
„Ja, eine Generalüberholung“, brüllte jemand im Publikum zustimmend.
„Schickt unsere Partei auf die Überholspur“, grölte ein anderer.
Theodor Treuherz lächelte beruhigt in sich hinein. Seine Mitstreiter würden ihm schon helfen ganz nach Oben zu kommen. Obwohl er „Mitläufer“ viel passender fand. Alle, wie sie da saßen, plapperten nach was er ihnen vorlegte. Er musste die Worte nur vorkauen, hübsch verpacken, und ausspucken. Sie stürzten sich darauf wie eine Schar ausgehungerter Wölfe, fraßen ihm regelrecht aus der Hand. Wenn er erst einmal an der Macht war, würde er sich klügere Köpfe suchen, welche dafür sorgten, dass er nicht wieder stürzen konnte.
Aber so weit war es noch nicht. Die Partei stand noch ganz am Anfang. Vielleicht hätte es Treuherz tatsächlich geschafft, wäre irgendjemandem der stillschweigende Mann im grünen Anzug aufgefallen, welcher schelmisch grinste als Treuherz predigte: „Eine neue Sprache muss her. Wir müssen uns endlich wehren gegen die Diskriminierung, dass wir Englisch als Weltsprache akzeptieren sollen.“
„Die Welt braucht eine neue Sprache“, jubelte jemand.
„Wir wollen nicht länger diskriminiert werden, weil wir nicht perfekt Englisch können“, schimpfte es aus der hintersten Reihe.

Am Ende der Versammlung begaben sich alle Parteimitglieder ans kalte Büfett. Kleine Gruppen bildeten sich und diskutierten wild über die Zukunftsplanung.
Der Mann im grünen Anzug stellte sich mal hier dazu, mal dort. Keiner nahm ihn richtig wahr.
Drei korpulentere Herren versuchten gerade über das Thema Demokratie zu diskutieren. In Anbetracht ihrer ständig mit Essen gefüllten Münder, verstand keiner den andern so recht. Dies spielte jedoch keine Rolle, da es ja nur darum ging so zu tun, als wäre man über alle Theorien bestens informiert. „Die Kanapees sind wirklich köstlich, nicht wahr meine Herren?“
„Was meinst du?“ wollte einer der drei verwirrt wissen.
„Ich habe nichts gesagt“, nuschelte der zweite.
„Es ging um Kanapees“, verkündete der dritte, während die Krümel aus seinem Mund die Freiheit suchten.
„Was sind Kanapees?“ fragten die andern beiden verdutzt.
Kurzes Schweigen entstand, ehe der erste irritiert meinte: „Fragen wir Theodor. Der weiß doch alles.“

„Theodor, Genosse, Freund“, stürmten sie auf ihn ein. „Was sind Kanapees?“
Der arme Treuherz verschluckte sich beinahe an einer Krabbe. „Das sind, also Kandings, wie soll ich es sagen?“ stotterte er vor sich hin. Kleine Schweißperlen begannen seine Stirn zu zieren. „Ihr wisst nicht was das ist?“ fuhr er sie mit einem mal erbost an. „Meine Güte, was hab ich doch für Idioten um mich herum. Noch nie was von, von, von, also von Rauschgift gehört?“
Verdutzt sahen sich die drei an. Einem ging ein Licht auf. Freudestrahlend knuffte er den andern beiden die Ellbogen in die Seite und verkündete: „Natürlich wussten wir es. Cannabis kennt ja wohl jeder.“
„Natürlich“, lachte der zweite sofort. „Es wurde in unserer Gegenwart nur falsch ausgesprochen, weshalb wir es nicht sofort kapiert hatten.“
„Und deshalb brauchen wir eindeutige Richtlinien für eine neue Sprache, bei der solche Missverständnisse nicht mehr vorkommen können“, sagte Theodor bestimmend.

Derweilen hatte sich der Unbekannte dezent neben eine andere Gruppe gestellt.
Eine junge Dame im kurzen Schwarzen philosophierte über Nächstenliebe, als sich jemand mit den Worten, „Die Altruisten sind auch nicht mehr das was sie mal waren“, einmischte.
Auch hier herrschte mit einem Male große Verwirrung. Kurz darauf ein spitzer Schrei der jungen Dame. „Ich weiß nicht wer es war, aber diese Unverschämtheit, mich alt zu nennen, lasse ich mir nicht bieten.“

So ging es weiter, bis letztendlich der gesamte Saal mit dummsinnigen Worten um sich schmiss, weil jeder glaubte den anderen belehren zu müssen. Unglaubliche Definitionen über Vokabeln, von denen jeder der Überzeugung war er wüsste was sie bedeuten, wurden durch die Luft gewirbelt.
Bis schließlich Treuherz die Menge endlich zum Schweigen brachte: „Liebe Mitglieder und Mitgliederinen, hört auf euch zu streiten. Ein Narr ist unter uns, der für Unruhe sorgen will. Doch das wird ihm nicht gelingen, solange wir zusammenhalten. Da seht ihr was passiert, wenn man Worte falsch ausspricht, wenn uns Fremdsprachen an den Kopf geworfen werden, wenn jeder glaubt es besser zu wissen. Wir dürfen uns nicht diskriminieren lassen, sondern für unser aller Wohl gemeinsam kämpfen.“
Die Masse schwieg andächtig.
Bis mit einem Mal ein lauter, enthusiastischer Schrei alle aus ihrem Delirium riss. „Freiheit für die Kantonisten.“
Alle drehten sich um. Der Mann im grünen Anzug stand, die geballte Faust in die Höhe gestreckt, ganz allein für sich da und erweckte den Eindruck eines Siegesgottes.
Erst einer, dann zwei, und Sekunden später, tobte die Menge. „Freiheit für die ......“ Der Rest ging unter, da jeder für sich den Kantonisten ein wenig abwandelte.
Nur Treuherz jubelte nicht mit. Sein einziger Gedanke war: „Diesen Kerl muss ich mir warm halten. Er kann die Leute begeistern und somit neue Wähler heranbringen.“ Stürmisch wühlte er sich durch die johlenden Parteimitglieder. Als hätte der Mann im grünen Anzug ihn schon erwartet, streckte er ihm seine Hand entgegen und sagte: „Es freut mich außerordentlich sie endlich persönlich kennen zu lernen, Genosse Treuherz.“
Wieder seiner eigentlichen Natur fiel ihm Theodor um den Hals: „Sie hat der Himmel geschickt. Wir beide zusammen sind unschlagbar.“
„Was haben sie für ein Konzept?“ wollte der Mann wissen, während er sich aus der Umarmung befreite. „In zwei Tagen sind die Wahlen. Wie wollen sie die Menschen von sich überzeugen? Haben sie schon eine Rede verfasst? Wie steht es mit der Werbung? Welche Gegenpartei könnte ihnen gefährlich werden, und was tun sie dagegen?“
So schnell kam Treuherz nicht mit. Entsetzt sah er sein Gegenüber an. „An all das habe ich gar nicht gedacht.“
„Aha, hab ich es mir doch gedacht. Was tun sie zum Beispiel, wenn ein Gigerl von der Presse auf sie zukommt und von ihnen wissen will, ob sie sich eher als Leviratsehe oder Leviathan sehen?“
„Ob ich bitte was?“
„Sehen sie, verehrter Treuherz. Es ist so, dass sie vollkommen unvorbereitet sind, und ich gerne ihr Angebot annehme. Sind wir uns also einig?“
Sofort verschwand der desorientierte Ausdruck aus Theodors Gesicht wieder. „Ich ernenne sie ab sofort zu meinem Pressesprecher, Werbefachmann, und was sonst noch dazu gehört Herr ..... ähm, ich kenn ja noch nicht mal ihren Namen.“
„Gestatten, Brummkreisel. Alfons Brummkreisel. Speziallist für die neue Sprache in unentdeckten Ländern und Opponent aller Nihilisten.“

So kam es letztendlich, dass in aller Eile Walkampagne betrieben wurde. Zwei Tage später stand Treuherz in der Öffentlichkeit, angefeuert von seinen treuen Anhängern, und schmetterte der Öffentlichkeit die Rede hin, welche Alfons für ihn, in aller Eile, noch verfasst hatte. Es waren nur wenige Sätze. Theodor war Anfangs skeptisch, ließ sich jedoch von Alfons überzeugen. „Wenige Worte genügen, damit sich anschließend die Menschen noch sehr lange an dich erinnern werden.“

Gespannt warteten alle auf die Rede des Vorsitzenden der neuen Partei.
Treuherz räusperte sich kurz, drehte das Mikrofon, welches ihm am nächsten war, zurecht, und gab preis was er zu sagen hatte.
„Liebe Wähler und Wählerinnen. Es ist mir eine große Ehre heute vor ihnen stehen zu dürfen. Ich möchte sie nicht mit viel Drumherum langweilen, sondern direkt zum Punkt kommen.
Seit Anbeginn der Welt gab es die Xenokratie. Unsere Partei will dies nun endlich wieder in Erinnerung rücken. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Animositäten der Opponenten mit gezielten Forderungen zu bedrängen, um dem Volk eine Chance auf Apartheid zu gewährleisten.
Aphrodisisch werden wir auf Außenseiter eingehen, und in ihr Innerstes blicken. Ja, wir werden eine gemeinsame Sprache haben, die unsere Kinder und Kindeskinder erlernen werden.
Am Ende wird jeder von euch dastehen, begreifen, jubeln und laut Ja rufen „Ja, wir haben uns richtig entschieden. Ja, wir wollen eine nihilistische Partei. Danke.“

 

Endlich wurde ich auch mal wieder kreativ *freu*. Nun weiß ich nur nicht, wie manch andrer ebenso, ob die Rubrik richtig gewählt ist.

 

Hi Lady of Camster!
Die Geschichte mag evtl. vielleicht gut sein :D ,aber die Fremdwörter sind mir zu viel :D :read: (hi, hi)
Lg
Anaid

 

Hallo Anaid

Ich habe geahnt, daß die Fremdwörter vom lesen abschrecken könnten. Aber vielleicht macht sich ja der ein oder andere Leser die Mühe, selbst dahinter zu kommen was sie bedeuten. Ansonsten stehe ich für Nachfragen jedereit zur Verfügung.

Und was soll das "hi, hi"? Süße, machst du dich etwa lustig über mich?

L.G.
LoC

 

Hallo Lady of Camster,

ich will keine nihilistische Partei, egal, wie gut die Rede auch sein mag. ;)
Das man mit Sprache verwirren kann, ist natürlich schon seit dem Turmbau zu Babel bekannt. Hier verwirrt dei Sprache alle Geister und Kleingeister, wird zu einem Selbstzweck, bei dem niemand mehr die Ziele erahnt.
Eine wirklich amüsante Geschichte auch über die vorformulierten Codes der Politik, die in Phrasen nichts oder gar gefährliches aussagt.

Ein paar Details zur Schmälerung:

wäre irgendjemand der stillschweigende Mann im grünen Anzug aufgefallen
irgendjemandem
Wir müssen uns endlich wehren gegen die Diskriminierung der Weltsprache Englisch
So wäre Englich die diskriminierte Sprache, einem Satz später entnehme ich aber, dass Englich die diskriminrende Sprache ist. Die Menschen müssen sich also wehren gegen die Diskriminierung durch die Weltsprache Englisch
In Anbetracht ihrer ständig mit Essen gefüllten Mündern
als wüsste mal voll Bescheid
Irgendwie passt dieser Gossenslang nicht zum Ambiente
wenn Fremdsprachen uns an den Kopf geworfen werden
würde das uns vor die Fremdsprachen setzen
mit einem Mal
diese Formulierung scheinst du zu lieben

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim

ich will keine nihilistische Partei, egal, wie gut die Rede auch sein mag.
Da bin ich ja beruhigt. Ich nämlich auch nicht.

...wird zu einem Selbstzweck, bei dem niemand mehr die Ziele erahnt.
Ich hoffe, du hast das wirklich nur auf die Geschichte bezogen und nicht auf mich also Autor. Aber davon gehe ich mal 100% aus.

Wir müssen uns endlich wehren gegen die Diskriminierung der Weltsprache Englisch
Danke für den Hinweis. Natürlich hast du vollkommen Recht, dass es so absolut unlogisch klingt. Werde es ändern.
Wie klingt das z.B.?:Wir müssen uns endlich wehren gegen die Diskriminierung, dass wir Englisch als Weltsprache akzeptieren sollen.“

als wüsste mal voll Bescheid
Hoppla, da ist mir ein Tippfehler unterlaufen. Es soll heißen „als wüsste man voll Bescheid“.
Oder hast du den Tippfehler übersehen und demnach deine Kritik tatsächlich so gemeint? :hmm:

würde das uns vor die Fremdsprachen setzen
Hab mir den Satz mehrmals durchgelesen. Muss dir recht geben. Es liest sich wirklich besser.

mit einem mal
Lieben tu ich sie ja nicht gerade, diese Formulierung. Ich verabscheue nur das Wort „plötzlich“, da es überall auftaucht. Aber meine Variante scheint wohl auch nicht die Bessere zu sein. Es ist mir wirklich noch nie aufgefallen, dass ich das in diesem Text so auffällig oft wiederhole. Werde mir das auf jeden Fall noch mal genauer betrachten.

Danke für deine konstruktive Kritik.
Den Turmbau zu Babel wollte ich übrigens nicht wiederholen. Die Geschichte entstand eigentlich, als ich zu irgendeinem Thema hier einen anderen Text verfasst habe. Die ursprüngliche Version erschien mir aber zu „abgedroschen und kompliziert“. Also entstand letztendlich das hier draus.

Gruß
LoC

 

Sorry, aufgrund meines vorherigen Krankenaufhaltes, und der schmerzhafen Nachbehandlungen, möchte ich mich an dieser Stelle entschuldigen, daß ich erst mal nicht weiter auf Rückmeldungen eingehen kann.
So bald als möglich melde ich mich aber wieder.

 

Hallo Lady of Camster,

...wird zu einem Selbstzweck, bei dem niemand mehr die Ziele erahnt.
Ich hoffe, du hast das wirklich nur auf die Geschichte bezogen und nicht auf mich also Autor
nein, zwischen Autor und Geschichte untrescheide ich normalerweise. ;)
Hoppla, da ist mir ein Tippfehler unterlaufen. Es soll heißen „als wüsste man voll Bescheid“.
Oder hast du den Tippfehler übersehen und demnach deine Kritik tatsächlich so gemeint?
Ich habe den Tippfehler tatsächlich übersehen und meinte etwas anderes. Dein Text ist überwiegend in Schriftdeutsch verfasst, an dieser Stelle erschien mir diese Redewendung deshalb als zu umgangssprachlich. "als wäre man über alle Theorien bestens informiert (oder auf dem Laufenden)" erschiene mir viel passender.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim, nun kann ich endlich auf deine letzte Kritik eingehen.
Habe den Satzt "als wäre man über alle Theorien bestens informiert" mehrmals überdacht, und erst mal 1:1 so übernommen. Vielleicht fällt mir noch eine eigene passende Formulierung ein.
Hoffe, nun kann man die Geschichte so stehen lassen.
Gruß
LoC

 

Hallo LoC,

meinetwegen kannst du das. :)

Lieben Gruß, sim

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom