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Bumerang
Steffi war weg, und ich arrangierte mich. Zu Beginn war es genau das: mich irgendwie mit der Situation einrichten. Ich stand auf, jeden Morgen, am Anfang nach schlaflosen Nächten, dann wurde auch das besser. Ich arbeitete viel, wurde im Herbst befördert, die Überstunden wurden mehr, das Geld ebenfalls. Der Winter kam, ich begann wieder Basketball zu spielen, trainierte hart. Wir stiegen auf, hatten Erfolg. Die Mannschaftskollegen waren okay, die Fahrten zu den Auswärtsspielen nett, das gemeinsame Musizieren am Abend cool. Am Anfang betrank ich mich jedes Wochenende, dann nur noch jedes zweite, bis ich irgendwann den Grund dafür vergaß. Daraufhin ließ ich es bleiben. Um Ostern schlief ich nach einem siegreichen Spiel mit der Freundin unseres Trainers, Lara, möglicherweise auch Laura. Zum Glück flog ich nicht aus der Mannschaft, das wäre es nicht wert gewesen. Spätestens im Frühjahr dachte ich gar nicht mehr an Steffi.
Irgendwann im Mai, es ging um nichts Wichtiges, ein Spiel wie jedes andere – sie war im Publikum. Die schwarzen Haare locker hochgesteckt, in ihrem fliederfarbenen Pullover, ein lila Tuch um den Hals geschlungen, das war neu, der Mann an ihrer Seite auch, ihr Strahlen von mir unbekannter Intensität. Ich warf keinen einzigen Korb. Ich war froh, dass ich mich auf den Beinen halten konnte.
An die nächsten beiden Tage kann ich mich nicht erinnern. Ich schien zu funktionieren, später ließen sich weder eine Krankmeldung noch ein unentschuldigtes Fehlen feststellen, nichts Ungewöhnliches eben. Ich kramte ihre Fotos aus dem Schuhkarton und den Whiskey aus der Bar, schrieb Liebeslieder und spielte sie nächtelang auf der Gitarre, war mehrmals kurz davor sie anzurufen. Wenn ich nicht trank und mich in Melancholie erging, arbeitete ich und trieb Sport, beides exzessiv wie nie. Ich träumte von ihr, am Anfang mehr, dann ließ es nach. Als ich im August mit Kumpeln nach Ibiza flog, konnte ich wieder atmen.
Nun ist es Herbst. Es regnet. Ich sitze im Blue Eyes und warte auf Gordon, der wer weiß wo steckt. Ich höre ihre Stimme hinter mir, schon seit Minuten. Hat sie mich noch nicht entdeckt? Sie lacht auf eine Art, von der ich einst dachte, dass sie mir vorbehalten ist. Mein Bier ist leer, aber ich wage nicht, ein neues zu bestellen. Hört sie mein Herz nicht schlagen? Ihre Stimme elektrisiert mich. Das Ziehen in mir kehrt zurück, wie Hunger, nur höher. Hinter mir das Schlaraffenland.
„Hannes, ich bin stolz auf dich.“ Ich wusste nicht, dass ich einen Menschen hassen kann, von dem ich nur den Namen kenne.
„Lass uns raus aus dieser schäbigen Kneipe.“ Hier haben wir uns kennen gelernt, stundenlang eng umschlungen getanzt. Ihre Lieblingskneipe wurde zu unserem Ort.
„Die Musik ist auch so schrecklich.“ Wir beide haben Jazz geliebt, fast so leidenschaftlich wie uns.
Ich kann nicht anders, ich drehe mich um. Sie sieht mich, schaut erschrocken, dann ängstlich. Mein Blick kann meine Freude wohl nicht verhehlen. Ihrer bekommt eine Härte, die zwischen Verachtung und Triumph pendelt.
„Hi“, sagt sie. Hi?
„Hast dich ganz schön verändert.“
Sie mustert mich von oben bis unten, mein verwaschenes Sweatshirt, meine ausgeblichene Jeans.
„Na ja – mach´s gut, man sieht sich.“
Warum nur habe ich das Gefühl, dass das eine Drohung ist, die Ankündigung einer immer wieder kehrenden Karambolage? Ich überlege, ob ich noch Whiskey zu Hause habe, ob meine Gitarre bereits neue Saiten hat und bestelle mir endlich ein neues Bier. Steffi geht aus der Tür, Gordon betritt die Bar, und ich werde mich arrangieren müssen, für den Rest meines Lebens. Vielleicht lässt sie mir ab und an eine längere Atempause, das wäre schön.