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Bumerang

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16.08.2003
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Bumerang

Steffi war weg, und ich arrangierte mich. Zu Beginn war es genau das: mich irgendwie mit der Situation einrichten. Ich stand auf, jeden Morgen, am Anfang nach schlaflosen Nächten, dann wurde auch das besser. Ich arbeitete viel, wurde im Herbst befördert, die Überstunden wurden mehr, das Geld ebenfalls. Der Winter kam, ich begann wieder Basketball zu spielen, trainierte hart. Wir stiegen auf, hatten Erfolg. Die Mannschaftskollegen waren okay, die Fahrten zu den Auswärtsspielen nett, das gemeinsame Musizieren am Abend cool. Am Anfang betrank ich mich jedes Wochenende, dann nur noch jedes zweite, bis ich irgendwann den Grund dafür vergaß. Daraufhin ließ ich es bleiben. Um Ostern schlief ich nach einem siegreichen Spiel mit der Freundin unseres Trainers, Lara, möglicherweise auch Laura. Zum Glück flog ich nicht aus der Mannschaft, das wäre es nicht wert gewesen. Spätestens im Frühjahr dachte ich gar nicht mehr an Steffi.

Irgendwann im Mai, es ging um nichts Wichtiges, ein Spiel wie jedes andere – sie war im Publikum. Die schwarzen Haare locker hochgesteckt, in ihrem fliederfarbenen Pullover, ein lila Tuch um den Hals geschlungen, das war neu, der Mann an ihrer Seite auch, ihr Strahlen von mir unbekannter Intensität. Ich warf keinen einzigen Korb. Ich war froh, dass ich mich auf den Beinen halten konnte.

An die nächsten beiden Tage kann ich mich nicht erinnern. Ich schien zu funktionieren, später ließen sich weder eine Krankmeldung noch ein unentschuldigtes Fehlen feststellen, nichts Ungewöhnliches eben. Ich kramte ihre Fotos aus dem Schuhkarton und den Whiskey aus der Bar, schrieb Liebeslieder und spielte sie nächtelang auf der Gitarre, war mehrmals kurz davor sie anzurufen. Wenn ich nicht trank und mich in Melancholie erging, arbeitete ich und trieb Sport, beides exzessiv wie nie. Ich träumte von ihr, am Anfang mehr, dann ließ es nach. Als ich im August mit Kumpeln nach Ibiza flog, konnte ich wieder atmen.

Nun ist es Herbst. Es regnet. Ich sitze im Blue Eyes und warte auf Gordon, der wer weiß wo steckt. Ich höre ihre Stimme hinter mir, schon seit Minuten. Hat sie mich noch nicht entdeckt? Sie lacht auf eine Art, von der ich einst dachte, dass sie mir vorbehalten ist. Mein Bier ist leer, aber ich wage nicht, ein neues zu bestellen. Hört sie mein Herz nicht schlagen? Ihre Stimme elektrisiert mich. Das Ziehen in mir kehrt zurück, wie Hunger, nur höher. Hinter mir das Schlaraffenland.
„Hannes, ich bin stolz auf dich.“ Ich wusste nicht, dass ich einen Menschen hassen kann, von dem ich nur den Namen kenne.
„Lass uns raus aus dieser schäbigen Kneipe.“ Hier haben wir uns kennen gelernt, stundenlang eng umschlungen getanzt. Ihre Lieblingskneipe wurde zu unserem Ort.
„Die Musik ist auch so schrecklich.“ Wir beide haben Jazz geliebt, fast so leidenschaftlich wie uns.
Ich kann nicht anders, ich drehe mich um. Sie sieht mich, schaut erschrocken, dann ängstlich. Mein Blick kann meine Freude wohl nicht verhehlen. Ihrer bekommt eine Härte, die zwischen Verachtung und Triumph pendelt.
„Hi“, sagt sie. Hi?
„Hast dich ganz schön verändert.“
Sie mustert mich von oben bis unten, mein verwaschenes Sweatshirt, meine ausgeblichene Jeans.
„Na ja – mach´s gut, man sieht sich.“
Warum nur habe ich das Gefühl, dass das eine Drohung ist, die Ankündigung einer immer wieder kehrenden Karambolage? Ich überlege, ob ich noch Whiskey zu Hause habe, ob meine Gitarre bereits neue Saiten hat und bestelle mir endlich ein neues Bier. Steffi geht aus der Tür, Gordon betritt die Bar, und ich werde mich arrangieren müssen, für den Rest meines Lebens. Vielleicht lässt sie mir ab und an eine längere Atempause, das wäre schön.

 

Hallo Häferl nochmal,

ich hatte auch dein Posting so verstanden, dass es in der Verantwortung des Prots liegt, an dem Problem zu arbeiten - hatte dich also in meinem Kommentar mit einbezogen. ;) Es hätte ja auch Reaktionen so nach dem Motto "ach der Arme, jetzt geht´s ihm so schlecht, wie behandelt sie ihn denn nur?" geben können.

Natürlich hat jedes Handeln seine psychische Ursache, klar. Aber ist es nicht die Frage, wie man damit umgeht? Ob man tatsächlich wie mein Prot sich betrinkt, totarbeitet, sportlich an seine Grenzen geht oder sich mit dieser Ursache auseinandersetzt? Und somit ist Trauerarbeit dann natürlich eine Sache, die sehr tief gehen muss, klar.

Ich weiß nicht, ob das, was du über die Vergangenheit meines Prots gesagt hast, stimmt, ich weiß es wirklich nicht. Genau wie ihr als Leser erleben ich ihn auch nur in dieser einzigen Situation.

Und a propros Missverstehen - ich weiß jetzt gar nicht, ob dein Kommentar im Widerspruch zu einem der vorherigen von mir steht, oder ob wir nicht vielmehr die selbe Auffassung haben. :)

Liebe Grüße
Juschi

 

Liebe Juschi!

Naja, ein bißchen Widerspruch sehe ich schon, da Du ja von »in die Verantwortung nehmen« und »kein Mitleid« sprichst, was für mich so ein wenig nach »selbst schuld« und »mit dem Problem alleine lassen« klingt, und so hab ich das jedenfalls nicht gemeint. ;)
Dafür, daß es ihm so geht, gebührt ihm schon Mitleid, weil diese übertrieben schlechten Gefühle ja aus einem tiefen Leiden heraus kommen, das er sich nicht selbst ausgesucht hat. Aber ob er dann darüber nachdenkt, warum es ihm eigentlich so geht, und damit die Chance ergreift, aus dem Teufelskreis herauszukommen, liegt in seiner eigenen Verantwortung. Das muß aber aus ihm selbst kommen, deshalb stört mich der Ausdruck »in die Verantwortung nehmen«, das klingt so nach Schuldzuweisung für mich – ist aber vielleicht wirklich nur Wortklauberei. ;)

Alles Liebe,
Susi :)

 

Hello Juschi,

die Gedanken eines Verlierers gut eingefangen! Mir hat die Darstellung der Schicksalsergebenheit gut gefallen, allerdings kommt sie eine Spur zu glatt, zu distanziert bei mir an. Das liegt vielleicht daran, dass der Weg des Protagonisten bis zur Akzeptanz nicht dargestellt und damit auch nicht recht nachvollziehbar wird.

Mir fehlt vielleicht ein wenig der Versuch, der Abhängigkeit zu entgehen, das Arrangieren-Müssen geht so schnell.

Sehr amüsant: 'Möglicherweise hieß sie auch Laura.'

'Mein Bier ist leer' - Bierglas?

@ morti - Rammstein?

Viele Grüße vom gox

 

Liebe Häferl,

okay, dann lass uns doch hier einfach einen Schnitt machen. ;) Ich glaube, ich habe einfach ein Problem mit dem Ausdruck "Mitleid haben". Ist doch schön, dass jeder die Geschichten aus seiner jeweiligen Perspektive liest.


Hallo gox,

danke für deine Rückmeldung.

Die Distanz rührt daher, dass all seine Versuche natürlich in Anbetracht der Situation in der er in diesem Moment steckt nutzlos waren. Das merkt er natürlich. Daher die Akzeptanz nach dem Motto "Ich kann ja eh nichts gegen machen". Versuche, der Abhängigkeit zu entgehen, hat es gegeben - allerdings nur in Form der Betäubung. Und das Arrangieren scheint ihm von Anfang an die einfachste Möglichkeit. Hoffen wir, dass der Tag noch kommt, an dem er sein Problem wirklich angehen wird.

'Mein Bier ist leer' - Bierglas?
Hm. Natürlich hast du Recht. Ich weiß nicht, ob ich es nicht dennoch so lasse, da er es realistischerweise wohl eher in der falschen Fassung gesagt hat. ;) Ich überleg nochmal.

Liebe Grüße an euch beide,
Juschi

 

5 Sympathiepunkte für gox ;)
Wird direkt auf meiner Liste vermerkt...

 

@ morti: Da bin ich ja froh, dass die Symphatiepunkte ein Zuhause gefunden haben und nicht mehr so frei im Raum herumschwirren. ;)

@ Kelle: Ja, ich finde den Ausdruck "Skizze" eigentlich ganz gelungen, weil man nur einige Ansatzpunkte über das, was tatsächlich geschehen ist, erfährt. Danke für deine Rückmeldung und für´s gut finden.

Liebe Grüße
Juschi

 

Ein Mann wird von seiner Freundin verlassen, läßt sich gehen, arrangiert sich und fällt bei jeder zufälligen Begegnung mit ihr wieder in ein Loch. Und der Gedanke, die Treffen könnten weniger zufällig sein, als es den Anschein hat, reift heran.

Für eine Geschichte erscheint es mir beinahe zu wenig. Gut, der Text ist nicht besonders lang, als Aufnahme, als Skizze erscheint er geglückt. Aber ich glaube, Du verschenkst hier Potential. Zum Beispiel könnte eine neubegonnene Beziehung dieser Begegnungen wegen scheitern. Oder Dein Protagonist könnte durch alle Stadien des Sich-Zum-Affen-Machen wandern.

Und einen weiteren Kritikpunkt muß ich äußern: als Leser erfährt man recht wenig darüber, weshalb Steffi fehlt. Sicher, das ist nicht immer mit einer Stichpunktliste zu beantworten, aber ganz darauf zu verzichten? Er könnte sich immerhin fragen, weshalb ihre Person noch immer solche Macht über ihn hat.

Stilistisch habe ich sehr wenig anzumeckern, der Text liest sich sehr gut. Und nach dem ersten Absatz habe ich mich gefragt, ob Du vielleicht Judith Hermann gelesen hast? Hat mich daran erinnert, fand ich klasse.

  • Um Ostern schlief ich nach einem siegreichen Spiel mit Lara, der Freundin unseres Trainers. Möglicherweise hieß sie auch Laura. - Schönes Detail, aber vielleicht kannst Du es noch pointierter formulieren.
  • Irgendwann im Mai, es ging um nichts Wichtiges, ein Spiel wie jedes andere - sie war im Publikum. - Weshalb nicht "war sie im Publikum"?
  • Ich schien zu funktionieren, später ließen sich weder eine Krankmeldung noch ein unentschuldigtes Fehlen feststellen, nichts Ungewöhnliches eben. - Auch ein sehr schönes Detail, auch die Bitte, an der Formulierung zu schleifen.
  • Vielleicht lässt sie mir ab und an eine längere Atempause, das wäre schön. - Den Schluß erscheint mir übereilt, das hat mir das erste Lesen ein wenig verpatzt. Irgendwie ist die Geschichte eben noch nicht zu Ende, finde ich, sie hat noch nicht einmal recht angefangen.
  • In das Gespräch, das der Protagonist in der Kneipe fetzenweise belauscht, packst Du meiner Meinung nach zu viel hinein; ich bin überzeugt, daß Du das eleganter besser einflechten kannst.

 

Lieber Claus,

danke für deinen gewohnt kritischen Blick.

Gut, der Text ist nicht besonders lang, als Aufnahme, als Skizze erscheint er geglückt. Aber ich glaube, Du verschenkst hier Potential.
Mag sein. Dennoch soll es nicht mehr sein als diese Momentaufnahme, eben Skizze. Natürlich kann man sich ausmalen, wie es mit ihm weitergeht. Aber das könnt ihr alle selbst - erzählen wollte ich es nicht. Dasselbe gilt für die Hintergründe über die Beziehung zu Steffi. Steffi fehlt. Ob die Beziehung tatsächlich derart eng war oder er einfach nur alle Sehnsüchte in Steffi als Person bündelt? Wer weiß.

Judith Hermann hab ich gelesen, aber das mein Stil ihrem ähnelt? Ich nehm´s jetzt mal als Kompliment und werd bestimmt nochmal in´s Buch sehen. ;)

In Bezug auf deine Stil-Anmerkungen gebe ich dir größtenteils Recht. Ich seh´s mir direkt nochmal an. Danke!

Liebe Grüße,
Juschi

 

Hi Juschi,

ich frage mich grade, wieso ich so an deinen Geschichten vorbeigesegelt bin, da du doch das, was ich nun gerade am Entdecken bin, sehr gut hinbekommst :).

Sehr schnell bin ich auf die Antwort gekommen, es ist verrückt, aber ich sags dir einfach: Es lag an deinem Nick. Unglaublich, aber ich verbinde irgendwas Unangenehmes mit Juschi, so bist du dann auch von mir überlesen worden.

Zu der Geschichte ist schon viel geschrieben worden. Nur noch kurz: Mir gefiel die Darstellung des leidenden, unfähigen Prots gut. Leid könnten sie einem tun, aber zu helfen ist solchen Menschen ja nicht, sie müssen selber das Ruder in die Hand nehmen.

Nicht ganz kann ich die Argumentation von dir nachvollziehen, dass man sich weiterentwickelt, wenn man einen anderen Musikgeschmack bekommt oder altgeliebte Örtlichkeiten nicht mehr gut findet. Auf mich wirkte das eher wie Anbiederung an den neuen Partner, der das nicht gut findet.

Gerne gelesen.

Lieber Gruß
bernadette

 

Hallo bernadette,

ach ja, mein Nick, ich weiß. :) Die einen denken bei Juschi an "Uschi", = niemand den man ernst nehmen kann, andere denken an irgendwelche Katzen, was soll´s - ich mag ihn. Umso schöner, dass du dich nicht hast abschrecken lassen und nun gleich so viele Geschichten hervorkramst. :)

Hm. Ich würde mal sagen, sowohl der Aspekt der Weiterentwicklung als auch der Anbiederung steckt im Text, ich verstehe, dass du es so aufgefasst hast. Ich wollte in erster Linie verdeutlich, dass sie im Gegensatz zu ihm bereits in einer neuen Lebensphase steckt.

Liebe Grüße
Juschi

 

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