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Busfahrt
Gähnend steige ich in den Bus. Es ist spät, er ist fast leer. Lediglich der Fahrer und ein kleiner blonder Mann sitzen im Bus. Der Blonde erweckt sofort meine Aufmerksamkeit. Er hat eine komische Ausstrahlung. Ich hasse es Bus zu fahren, weil man dort immer auf Menschen trifft, die sehr verbissen versuchen, einander nicht weiter aufzufallen. Jedes Mal, wenn ich mit meinen unfreiwilligen Reisegefährten im städtischen Bus reise, fühle ich mich wie ein Streichholz in einer Streichholzschachtel. Ich versuche nicht aufzufallen und sitze mit rotem Kopf in einer Umgebung die ich hasse. Ich hasse sie, weil sich jeder hier drin gleich verhält. Und ich sitze mittendrin und mache mit. Der Bus: ein Spiegel, in den ich sehr ungern blicke.
„Willst du mir einen blasen?“
Ich schrecke auf. Was ist da eben passiert? Der blonde Mann schaut mich an und sein Gesichtsausdruck ist unlesbar. Mir wird klar, dass ich ihn mit offenem Mund anstarre. Er scheint mein Unbehagen zu spüren und legt nach.
„Du starrst mich seit einer halben Minute an, darum dachte ich nur, du wärst vielleicht schwul. Darum die Frage: Willst du mir einen blasen?“
Mir wird plötzlich bewusst, dass ich ihn tatsächlich seit dem Einsteigen anstarre. Nun wird mir auch wieder klar, weshalb er meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Er saß in dem Bus, als würde er ihm gehören. Er wirkte entspannt, als könnte ihm nichts auf der Welt etwas anhaben. So behaglich sitzen Leute sonst nur in ihrem Wohnzimmer.
„Äh... ich...“
„Schon okay, wenn du schwul bist. Ich bin es nicht, aber ist doch trotzdem ein Kompliment, wenn dir einer einen abkauen will.“
„Was? Nein... Ich... Ich bin nicht schwul.“ Ich klinge seltsam hochfrequent. Wer zur Hölle bin ich?
„Hey, bleib locker, ist kein Problem für mich, aber warum starrst du mich dann an?“
„Ähm ich...“ hektisch überlege ich mir einen Grund. „...ich habe einen Kurs zur Charakterbeschreibung in der Uni belegt und suche mir jetzt immer Leute, die ich... ähm... die ich im Kopf beschreibe.“
„Aha, lass mal hören.“
Autsch. Das hat gesessen.
„Ähm... ein... ein blonder Mann mit kurzen blonden...“
„Haha. Scheiße, Mann.“ Er lacht lauthals los und klopft mir auf die Schulter. Ich zucke zusammen und erleide fast einen Herzinfakt. „Das war doch nicht ernst gemeint. Is mir doch völlig egal, warum du mich anstarrst. Du gehst zur Uni, hm? Bist ein kleines Genie, was? Bist doch erst 16 oder 17 oder wie alt bist du?“
„21.“
„21. Wow, siehst jünger aus, Kleiner.“
Ich versuche sein Alter zu schätzen und lande bei wahrscheinlich Mitte 20 bis Anfang 30.
„Also bist du ein Genie?“
„Ich... was?... ich ähm... Nein.“
„Sag mal, was stimmt nicht mit dir? Du bist ja völlig verkrampft, man. Hat dir einen nen Stock in den Arsch gesteckt?“
Hat mir einer nen Stock in den Arsch gesteckt? „Nein, ich mag nur Busfahrten nicht.“
„Ah, ne Phobie oder was?“
„Nein. Ich mag nur die... ähm... die Atmosphäre nicht.“ meine Stimme klingt zwar nicht mehr so panisch wie am Anfang, doch nun ist sie seltsam leise. „Die Leute sind immer so portioniert.“
„Portioniert? Das kenne ich doch. Hast du den Scheiß aus Fight Club geklaut?“
Verdammt, ich wusste, dass ich die Umschreibung irgendwoher kannte. Portionierte Freunde... Jetzt wirke ich ja erst recht ziemlich miserabel.
„Hey, Budi!“ Der Busfahrer dreht sich um und macht einen fragenden, hohen Laut. „Was halte ich von Leuten, die Zitate klauen und sie als ihre eigenen Ergüsse ausgeben?“
„Du hasst sie.“ Budis Stimme ist sehr hell.
„Ich hasse sie.“ wiederholt der Blonde.
Er hasst mich.
„Ich hasse sowas eigentlich auch...“ fange ich an.
„Laber keinen Scheiß, du hast es doch gerade selbst gemacht. Hasst du dich etwa selbst?“
Irgendwie hatte er Recht. Ich habs getan. Hasse ich mich selbst?
„Haha. Du bist ein Unikat, man.“ Er lachte erneut lauthals los und ich zuckte dabei zusammen, schaute ihn verdutzt an. „Denkst du wirklich über den Scheiß nach? Ich mache doch nur Witze, man. Bist du ein Psycho, oder was?“
„Ein... ein Psycho? Nein, ich...“
„Hast nen Bombengürtel umgeschnallt, oder was?“
„Was? Was... was hat das denn damit zu tun?“ Erregung mischt sich in meine Stimme.
„Hey Budi, wir haben nen Knallfrosch im Bus. Der geht gleich hoch. Haha!“ Und wieder lachte er lauthals los, diesmal von Budi begleitet. Budi hat ein schrilles, hohes Lachen.
„Haha!“
„Hihi!“
„Haha!“
„Hihi!“
Oh, man. Sag was, verdammt nochmal.
„Also, wo kommste her?“ fängt der Blonde sich wieder.
„Von... von zuhause.“
„Und wo geht’s hin?“
„Ähm... nach... nach hause.“
Er blickt mich an, als hätte ich neun Köpfe. Habe ich neun Köpfe? Ich habe das Gefühl, ich brauche neun Aspirin. Vor Lachen stehen ihm Tränen in den Augen und sein Gesicht ist angespannt, damit er nicht vor Lachen explodiert.
„Von zuhause... nach hause...“ er schaut mich an, als müsste bei mir jeden Moment der Groschen fallen. Er tut es, und zwar pfennigweise.
„Ich studiere hier nur. Meine Heimat ist woanders und da war ich übers Wochenende.“ Endlich! Verdammt noch mal, gut so. Zwei Sätze, ohne Stotterer.
„Hey Budi, er studiert hier nur.“
„Er studiert hier nur.“ wiederholt Budi.
„Ja... Ja, ich studiere hier nur.“
Ja, das tue ich wirklich.
„Schon klar.“
„Ich muss hier raus.“ sage ich und stehe auf. Du bist jämmerlich.
„Budi, er muss hier raus.“
„Er muss hier raus.“
„Ja, bei der nächsten Haltestelle.“
Der Bus fährt langsam an den Rand.
„Es war mir eine Freude, dich kennen gelernt zu haben, mein portionierter Freund. Haha!“
„Hihi!“
„Haha!“
„Hihi!“
„Ja... ja, machen Sie es gut. Einen schönen Abend noch.“
Mit Puddingbeinen setze ich meine Füße schrittweise aus dem Bus. Ich schaue mich um. Hm, bis zu meiner Wohnung ist es noch ein ganz schöner Marsch. Egal, sooo kalt ist es auch nicht und ein Spaziergang am Abend ist doch ganz schön.