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Café Charbon
Die Kellnerin versteht mein gebrochenes Französisch nur mit Mühe. Nach zwei Sekunden des Überlegens, hat sie verstanden, sie geht ab und lässt mich wieder allein an meinem Tisch zurück. Ich blicke mich neugierig im Lokal um, bevor ich mein eigenes Spiegelbild an der Wand entdecke. Gleich neben einer schönen Frau, deutlich älter als ich, vielleicht dreißig. Sie scheint in ihre Arbeit versunken zu sein. Ich schau ihr aus den Augenwinkeln zu, sie streicht sich ihre Haarsträhnen von der Stirn, legt das Gesicht in Falten, als sie in ihrem Notizblock schreibt. Ihren Mantel hat sie sich über die Schultern gelegt, doch streift sie ihn jetzt ab, sie hat den erwarteten Gedanken gefunden. Sie beugt sich über den Tisch… Ich lasse sie wieder alleine weiterarbeiten.
Ich ziehe mein Buch aus der Jackentasche, schlage es an einer beliebigen Seite auf, ich habe keine Lust zu lesen, ich will mich nur auf die Lauer legen, Menschen beobachten, ohne aufdringlich zu wirken, in niemandes Privatsphäre eindringen. Kein Wunder, dass Frankreich das Land der großen Romanautoren darstellt. Der Autor kann für den Preis eines Kaffees den ganzen Tag in einem Lokal sitzen, lesen, sich Notizen machen, keiner stört ihn, niemand redet ihn an. Er beobachtet, denkt und analysiert, seziert, durchdringt mit seinen Gedanken. Oder langweilt sich.
Ich würde sie gerne kennen lernen. Sie liest in einem Buch, hat zwei vor sich aufgeschlagene Hefte vor sich liegen, ist fast nicht geschminkt, aber doch sehr gepflegt. Ihre schwarzen Haare legen sich immer wieder auf ihr weißes Sweatshirt. Ich weiß nicht warum, aber ihr Anblick gefällt mir.
Ich könnte zu ihr gehen, sie bei ihrer Arbeit stören. Aber ich habe nicht den Mut. Bin feige. Ich spreche niemanden an, stottere sogar, wenn mich unerwartet eine gleichaltrige Frau auf der Straße anspricht. Ich wende mich wieder meinem Buch zu.
Es kommen zwei Deutsche, ein älterer Mann und seine Tochter (?), setzen sich an den Tisch neben ihr. Louise Armstrongs krächzige Stimme beflügelt meine Fantasie: Ich will aufstehen, ich habe neue Kraft bekommen, will sie anreden. Doch mein Kaffee wird gebracht. Schwache Ausrede, sage ich mir. Sehr schwach. Du bist nicht zum Leben geboren, eher zum Träumen. Denn das ist doch, woraus die Fantasie sich ernährt: unser Scheitern im Leben.