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Calabria
Es ist heiß.
Und laut.
In einem unglaublichen Tempo zucken grelle Lichtblitze in allen denkbaren und undenkbaren Farben durch den eigentlich dunklen Raum. Der Bass lässt meinen Bauch vibrieren, mein Herz schneller klopfen und mich träumen. Die Drums peitschen in meinen Ohren, die Melodie bringt mich zum schweben. Vor mir sehe ich zappelnde Körper, hinter mir spüre ich sie. Der Alkohol tut sein Übriges. Andere Drogen sind wohl auch im Spiel.
Dort kommt Jan angetanzt. Mit weit aufgerissenen Augen schaut er mich an. Er ist in Ekstase. Seine Arme und Beine schleudert er weit von sich. Irgendwie sieht er krank aus, aber auch unglaublich cool. Es ist ein Wunder, dass er bei seinem Tanzstil nicht schon längst jemanden geschlagen oder getreten hat. Ich nicke nur mit meinem Kopf.
Jan kommt zu mir. Was hat er gesagt?
„Lass uns was zu trinken holen!“
Er schreit es mir ins Ohr. Beim zweiten Mal verstehe ich es und schlage den Weg Richtung Theke ein. Es ist ein Weg, den mir allerlei Leute versperren. Sie alle erinnern mich an Jan. Die Augen weit geöffnet, schwitzend, tanzend. Bei einem Mädchen bleibt Jan stehen, tanzt kurz um sie herum. Zwei zuckende Gestalten, die ihren Balztanz vollbringen.
Dann geht es weiter. Irgendjemand gibt mir die Hand. Ich murmle ein kurzes „Hallo“ in den Lärm und schreite voran.
Die Hitze bringt mich noch um, langsam läuft der Schweiß meinen Rücken runter, von meiner Stirn in meine Augen. Mein T-Shirt dürfte komplett durchnässt sein. Das Atmen fällt mir schwer. Ich glaube nicht, dass ich noch lange durchhalten werde.
Stop the beat. Die Musik setzt aus.
Drop the bass. Ich sehe es kommen.
Die Ruhe vor dem Sturm.
Gleich wird es losgehen, schlimmer als je zuvor werde ich mich inmitten zuckender, springender, zappelnder und wild um sich schlagender Menschen stehen. Nur mit dem Ziel, heil aus dieser Hölle herauszukommen, bewege ich mich schneller vorwärts.
Und nicht unerwartet, aber doch plötzlich, setzt die Musik wieder ein.
Lauter.
Schneller.
Brutaler.
Ich kann nicht anders, ich muss mit der Menge tanzen, werde umhergeschubst. Jan hat seine Freude, er springt am höchsten von allen, reißt seine Arme in die Luft, bewegt seine Beine so schnell wie eine Comicfigur, schüttelt seinen Kopf, so dass Schweißperlen in alle Richtungen abspringen.
Ich muss hier raus, lasse Jan alleine. Aus der Menschenmenge kann ich mich ohne Probleme befreien, jetzt torkele ich durch den Vorraum. Ich blicke zurück. Es ist ein unglaubliches Schauspiel der Natur. Hände, Füße und Köpfe fliegen quer durch den Raum, die Lichtblitze kreieren eine atemberaubende Atmosphäre, man kann die Energie, die von diesem Wahnsinn ausgeht, förmlich spüren.
Auf einmal steht Jan wieder vor mir. Seine Augen werden immer größer. Er grinst unheimlich. Mir wird schwindelig, ich kann kaum noch Luft holen, meine Beine werden mich nicht mehr lange tragen können. Ich muss mich festhalten. Das Bild vor meinen Augen wird unscharf, ich schwitze jetzt reißende Flüsse, Farben und Lichter schlagen von allen Seiten auf mich ein, die Musik will meinen Kopf zum Platzen bringen. Einzelne, geschrieene Wortfetzen dringen an mein Ohr. Sie stammen von Jan, aber ich verstehe sie nicht.
Die nächste Welle überrollt mich.
Jetzt ist mir wirklich schlecht, ich muss mich setzen. Wohin? Egal, erst einmal auf den Boden, Hände über den Kopf und entspannen. Morgen ist alles wieder vorbei. Keine Übelkeit mehr, kein Schwindel, morgen komme ich wieder klar. Jan greift mir unter die Arme und zerrt mich . . . irgendwohin.
Meine Augen sind geschlossen, dafür mein Mund weit geöffnet. Die Musik wird leiser, mein Körper schaukelt hin und her, ich bewege mich.
„Schnell, ich brauche einen Notarzt!“
Das war Jan! Was ihm wohl passiert ist? Ich zwinge meine Augen, sich zu öffnen, aber sie weigern sich. Ich bin müde und erschöpft. Keine Kraft, um mir noch Gedanken über Jan zu machen. Wenige Sekunden später schlafe ich ein.
Als ich wieder wach werde, befinde ich mich in einem weißen Zimmer und bin an irgendwelche Apparaturen angeschlossen. Jan sitzt neben meinem Bett. Ich versuche mich zu ihm zu drehen, aber es geht nicht, ich bin zu schwach.
„Guten Morgen, mein Freund.“, sagt Jan.
Ich verstehe nicht, was los ist.
„Was machst du nur? Die ganze Sache hätte sehr böse für dich enden können. Die Ärzte haben dich gerade so noch am Leben halten können.“
Er macht eine kleine Pause und atmet tief durch. Er scheint wütend zu sein. Dann fast er sich wieder.
„Was zum Teufel hast du gestern geschluckt?“
Zack. Mit einem Mal sind alle meine Erinnerungen wieder da, wo sie hingehören. Ich setze zum Sprechen an und bekomme wirklich ein paar Worte heraus.
„Was . . . ist passiert?“
„Überdosis.“, sagt Jan und guckt mich vorwurfsvoll an.
„Die Ärzte sagen, es sei ein Wunder, dass du überhaupt noch lebst.“
Wieder macht er eine Pause. Jan schaut auf seine Uhr.
„Ich muss jetzt gehen. Du wirst noch ein paar Tage hier bleiben müssen, zur Beobachtung. Ich komme dich morgen wieder besuchen.“
Dann geht er. Ich richte meinen Blick auf die weiße Wand vor mir, gehe den vorherigen Abend noch mal im Kopf durch und danke Gott für mein Überleben. Ich schwöre mir, nie wieder Drogen zu nehmen.