- Beitritt
- 01.07.2006
- Beiträge
- 1.007
Charlotte Roche: Feuchtgebiete
Charlotte Roche: Feuchtgebiete. Roman. Köln: Dumont 2008 (Siebte Auflage). 220 Seiten.
Dieses Buch ist zur Zeit eines der meistverkauften und -diskutierten im deutschsprachigen Sprachraum. Es ist der erste Roman der Autorin, die vor allem als Fernsehmoderatorin bekannt ist.
Die 18jährige Helen muss aufgrund einer Schnittverletzung (durch zu heftiges Rasieren) am Anus ins Krankenhaus. Nach der Operation hat sie viel Zeit zum Nachdenken und lässt wichtige Stationen ihres Lebens Revue passieren, stellt grundlegende aufrührerische Überlegungen zur weiblichen Hygiene an und berichtet äußerst detailreich über ihren Körper und dessen Flüssigkeiten; die Geschlechts- und Ausscheidungsorgane und deren Sekrete stehen dabei im Zentrum. Sie erzählt auch explizit über Masturbation und Sex mit Männern und Frauen (sie geht zu Prostituierten). Sie hat all das in ihrem Leben getan, was man von kleinen Mädchen NICHT erwartet, sie betont all die ekligen Dinge, die sie gerne macht und ist stolz darauf (um nur ein Beispiel zu nennen: der Tausch von gebrauchten Tampons mit einer Schulfreundin, oja, die werden auch wieder verwendet ... ). Als Kontrapunkt zu diesem Körperschwerpunkt wird die Scheidung ihrer Eltern gestellt, die sie sehr belastet und die sie mit allen Mitteln rückgängig machen will. Die Mutter scheint psychisch nicht gesund zu sein, Helen erzählt von einem Selbstmordversuch der Mutter, den sie in letzter Sekunde vereiteln konnte. Der Wunsch, die Eltern wieder zusammenzuführen, führt auch zur Klimax der Geschichte: Sie verletzt ihren Anus absichtlich nochmals, damit sie länger im Spital bleiben kann, in der Hoffnung, dass ihre Eltern sie zufällig einmal gleichzeitig besuchen und dann wieder zusammenfinden. Im Zuge der nachfolgenden Notoperation wird klar, dass der Pfleger Robin Helen liebt. Am Ende, als Helen erkennen muss, dass sie ihren Eltern nicht wichtig ist und ihr Plan nicht aufgeht, bittet sie Robin, bei ihm wohnen zu dürfen und tatsächlich gibt es ein happy end: Er nimmt sie mit nach Hause.
Die Zuspitzung des Konflikts mit darauffolgender glücklicher Lösung am Ende macht das Buch zu einem Trivialroman. Und auch, dass im Grunde die Sehnsucht nach Liebe der Antrieb der Ich-Erzählerin zu sein scheint. Wenn diese gefunden ist, statt bei den Eltern letztlich in Robin, dann ist alles gut. So gesehen bleibt die Ich-Erzählerin, obwohl sie scheinbar jedes Tabu brechen will, ein naives Mädchen. Dazu passt auch diese rotzige Kleinmädchensprache, die sowohl amüsant, aber zeitweise auch ziemlich nervig ist. In diesem Ton kann man gestehen, dass man eklige oder perverse Dinge macht und trotzdem bleibt man "süß" dabei.
In Verbindung mit dem Familienkonflikt bekommt der von der Autorin beanspruchte Angriff auf den Hygienewahn doch eine ziemliche psychologische Schlagseite und funktioniert daher nicht wirklich. Zu naheliegend ist, dass Helen nur deshalb so ein böses Mädchen und von ihrem Körper besessen ist, weil sie unter der Trennung ihrer Eltern leidet. Ihr Körper steht im Mittelpunkt des Buches und gar nicht ihr Körper als Ganzes, sondern nur einzelne Teile. Nur Fragen, die den Körper und den Sex betreffen, sind für Helen wichtig. Anscheinend ist der Körper das Letzte, worauf sie sich verlassen kann, so versucht sie auch in atavistischer Weise, die Personen, die sie mag, durch heimliche Gabe verschiedener Körpersäfte an sich zu binden (Speichel, Tränen). Auch alle übrigen Personen des Buches bleiben eigentümlich unprofiliert. Von Robin z.B. erfährt man grad mal, was für eine Frisur er hat und dass er nett ist. Ansonsten tut er einfach alles, was die Protagonistin will und findet anscheinend alles an ihr in Ordnung.
Das Buch lässt sich locker in ein paar Stunden lesen, die Sprache ist einfach und flüssig zu lesen. Es ist stellenweise sehr amüsant geschrieben, schockierend habe ich es nicht gefunden, aber langweilig auch nicht.