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Charlotte
„Entschuldigen Sie, sind Sie nicht Charlotte Roche?“ Ich war mir ziemlich sicher, dass sie es war. „Nein“, sagte sie und warf mir einen genervten Blick zu. „Sind Sie sicher?“, vergewisserte ich mich. Sie tat so, als müsse sie überlegen. Ja, sie würde zwar so aussehen wie Chatlotte Roche, aber selbst wenn sie es tatsächlich wäre, würde sie es jetzt auf jeden Fall abstreiten. Überhaupt würde sie Charlotte Roche auch gar nicht mögen und nun solle ich sie nicht weiter nerven. Ich bat sie trotzdem um ein Autogramm und hängte es später in die WG-Küche.
„Was ist denn das da?“, fragte mein Mitbewohner abends beim Essen und deutete mit seiner Gabel auf den kleinen Zettel, den ich mit einem Klebestreifen an der Wand befestigt hatte. Ich tat erst so, als wüsste ich nicht, worum es ging und schaute umher. „Das? Ach, ja, ich habe vorhin Charlotte Roche in der Stadt getroffen“, sagte ich schließlich. „Echt?“ Ich nickte und aß weiter. Er besah sich neugierig den Zettel. „Warum steht denn da nur 'Wichser' drauf?“ fragte er schließlich. „Na, die hatte heute nicht so gute Laune“, antwortete ich. „Ach so“, sagte er und widmete sich wieder den Nudeln auf seinem Teller, „gib mir mal Ketchup.“
Am nächsten Tag traf ich sie zufällig wieder. Bei Karstadt. Dieses Mal schrieb sie einfach „Arsch“ auf den Zettel. „Man, die ist ja immer noch so scheiße drauf“, stellte mein Mitbewohner abends fest, fiel gierig über sein Fertigpüree her und verlangte nach Röstzwiebeln.
Charlotte blieb die nächsten 72 Stunden verschwunden. Dann trafen wir uns wieder. Ich war gerade bei 'Nordsee', als sie mit einem leeren Tablett an mir vorbeimarschierte. Ich rief „Hallo“ und sie drehte sich tatsächlich um. Als sie mich erkannte, verzog sie das Gesicht und ging weiter. Später, ich wollte gerade gehen, stand sie aber plötzlich vor mir. Sie steckte mir einen Zettel zu, grinste abschätzig und ließ mich wortlos stehen.
„Wenn das mal nichts ernstes wird“, ulkte meine Mitbewohner, als er den dritten Zettel 'gelesen' hatte. „Ach, komm, 'Sack' ist doch schon ganz okay“, antwortete ich. Aber er hörte mir schon mehr zu. „Haben wir noch was zu essen?“
Genau eine Woche später traf ich sie in der Stadt. Charlotte hatte ein Eis in der Hand und telefonierte. „Warte mal“ rief sie als sie mich sah. Ich blieb ungläubig stehen und sie drückte mir die Eistüte in die Hand. „Halt' mal eben, ja?“ Sie wühlte in ihrer Tasche herum und zog ein giftgrünes Notizbuch mit rosa Herzchenpapier hervor, in das sie hastig ein paar Termine eintrug. Sie beendete das Gespräch, nahm ihr Eis und ging wortlos davon. Dann blieb sie unvermittelt stehen, drehte sich um kam wieder auf mich zu.
Dann drückte sie mir mit einem undefinierbaren Lächeln das Eis in die Hand und eilte davon.
Am nächsten Tag kam ich von der Uni nach Hause. Mein Mitbewohner schlurfte über den Flur und leckte an einem Eis. Mein Herz setzte einen kurzen Moment lang aus.
„Ist das die Eistüte aus dem Gefrierfach?“
Er schüttelte zu meiner großen Erleichterung den Kopf. „Nee, das hab' ich mir gerade unten geholt“. Er überlegte einen Moment. „Die aus dem Gefrierfach habe ich vorhin gegessen!“
24 Stunden später betrat ich die Küche. Unter jedem von Charlottes Zetteln klebte ein buntes Post-It mit der Aufschrift „Stimmt!!!“ Ich hatte keine Ahnung, warum er ausgezogen war. So fest hatte ich eigentlich gar nicht zugeschlagen.
Ein paar Tage später hatte ich ihn dann endlich ausfindig gemacht. Ich besorgte chinesisches Essen, ein paar Flaschen Bier und noch ein paar Flaschen Bier mehr später war die Welt dann wieder in Ordnung. Ich versprach hoch und heilig alles mögliche und er wollte sogar künftig das Bad putzen. Ich half ihm auch am nächsten Abend seine Sachen wieder zurück in unsere Wohnung zu tragen.
„Guck mal“, sagte er als er ein paar Tage später nach Hause kam, „das lag im Briefkasten“. Ein Zettel, rosa mit vielen Herzchen darauf. Eine Handynummer. Darüber stand „Würde mich freuen, Blödmann!“, darunter "CR“
Wir hängten den Zettel an die Wand und stießen an.
Ich habe nie angerufen.