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Charon

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07.10.2009
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Charon

Es ist eine dieser Situationen. Ich sitze in meinem Sessel und rauche eine Zigarette, die dritte in Folge um genau zu sein. Während ich den giftigen Rauch mal um mal in mich einsauge, schießen mir unterschiedliche Gedanken durch den Kopf. Endlichkeit – dieser Begriff zwängt sich unentwegt durch meinen Geist und penetriert die Mauer des gefühlten Lebens. Es ist eine dieser Situationen – eine der ganz besonderen in denen man nachdenkt. Im Kopf schwindet meine Umgebung. Ich sitze nicht mehr in meinem Wohnzimmer, sondern in einem Zug. Das Jetzt wird zum Damals und ich verliere mich in Erinnerungen die keine sind. Früher gab es in Zügen Raucherabteile, Orte in denen der kalte Rauch ekelig durch die Luft schwebte. Nur die eigene Zigarette vermochte ein wenig Wärme in den kalten und abstoßenden Nebel zu bringen. Die eklatanten Schwaden aus Rauch und Gift – in meinen Gedanken verdichteten sie sich zu grauen und undurchdringlichen Wänden. Ich war mir sicher allein zu sein, allein und gottverlassen. Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke, bin ich mir dessen nicht mehr sicher. Woher soll so viel Rauch ohne weitere, angesteckte Todesstengel kommen? Soviel Qualm und Ekel benötigten eine Symphonie von rauchenden Zigaretten, ein Jahrhundert von angestautem Ekel. Jeglicher Versuch durch den Rauch zu spähen blieb erfolglos. Zu dicht, zu massiv, einfach undurchdringlich. Der Rauch umnebelte alles und jeden und mehr – er fraß die Geräusche um mich herum. Wenn jemand im Abteil gesprochen hätte so wäre dies von mir ungehört geblieben. Kein Flüstern, kein Schreien, kein Laut drang durch. Der Nebel beherrschte und regierte den gesamten Raum.

Es gab nur wenige Geräusche in diesem Szenario: Die Wagons die von unentwegt auf ihren stählenden Rädern den harten, unnachgiebigen und unausweichlichen Gleisen folgen mussten und dabei einen ratternden Ton erzeugten, der sich durch den Schädel direkt in mein Hirn bohrte. Der Pfad ist gestellt, es geht vorwärts – unaufhaltsam. Mit der brutalen Kraft einer geschwungenen Spitzhacke drang das Geräusch tiefer und tiefer in meinen Kopf ein. Immer wieder knatterte und rappelte es. Nur der Blick nach draußen, das Fenster zur Welt, zum Licht und zum Sonnenschein, schien sich all diesen Einflüssen zu widersetzen. Ein Blick hinaus in den Rest der Welt offenbarte lediglich Landschaften an mir vorüberzogen. Ungreifbare Orte und Momente. Stumm entgingen sie mir, Stück für Stück ohne sie wirklich zu begreifen oder zu kennen. Sie waren unfassbar, fast wie die Zeit selbst. Mal schneller, mal langsamer. Manchmal gab es einen Halt der mir für einen kurzen Augenblick die Möglichkeit gab Dinge zu erfassen. Und dennoch blieb dieser kurz; nur ein winziger Bruchteil der eigentlichen Fahrt. Meistens ging es voran – schnell, unbeugsam, unausweichlich - und was an mir vorüberzog war und bleibt unfassbar, unantastbar und unbegreiflich, ein unverständlicher Brei der Vielfältigkeit. Die Fahrt war lang, elendig lang und doch blieb ihr Ende absehbar. Ich würde mein Ziel erreichen, soviel stand fest. Die Natur des Ziels blieb mir jedoch verborgen.

Es verlangte mich nach einer weiteren Zigarette. Ich zündete sie an, zog an ihr und atmete den Rauch tief ein. Irgendwie hatte ich mich auf sie gefreut – ich brauchte sie doch! Ich bin meiner Lust vollends nachgegangen und doch schmeckte der glühende Todesstengel elendig und dreckig. Ich wollte doch mit dem Rauchen aufhören. Kein Rauch mehr, Gesundheit, bessere Lebensperspektiven. Aber in diesem Abteil rauchte jeder. Wer aber war jeder? Ich könnte niemanden sehen und niemanden hören. Ich war mir doch so sicher allein zu sein. Vielleicht waren sie ja alle stillschweigend? Eingehüllt und verborgen – unsichtbar vor meinem Auge, verschlungen von ihren eigenen Gedanken? Ich war einfach nicht willensstark genug. Ich hatte es versucht. Ich hatte versucht die Auswirkung des Giftes zu begreifen – dass ich muss weil das Gift es will und nicht ich selbst. Abenteuerlust schoss mir durch den Kopf, der verlockende Aufbruch in eine neue Zeit. Ich hätte am nächsten Halt einfach aussteigen können. Ab nach draußen! Auf ins Unbekannte! Zeit für ein Abenteuer und einen neuen Lebensabschnitt. Der Mensch kann nicht genug Rauchen um die Welt außerhalb dieses Abteils zu vernebeln. Schmecken, Riechen – das soll besser gehen ohne Rauch und trotzdem stellt sich mir noch immer die Frage ob ich es bewältigen könnte? Vielleicht wäre es auch einfach zu viel? Ungenutzte Chancen zogen Mal um Mal an mir vorbei. Ich stellte mir die Frage wie viele der Chancen ich überhaupt bemerkt hatte und welche einfach vom Rauch verschlungen wurden. Und dennoch, ich stieg nicht aus – nicht vor der Endstation, vor dem großen Ziel. Die stahlharten Gleise führten mich ihm gradewegs entgegen. Es gab und gibt keinen Ausweg, kein Abweichen. Das Szenario bleibt.

Irgendwann ist das Ziel erreicht. Ich stehe auf. Der Schaffner fragt nach meiner Fahrkarte. Ich stecke Daumen und Zeigefinger in meinen Mund, unter die Zunge und ziehe eine Münze hervor die ich dem Schaffner in die Hand lege.

 

Dies ist meine erste und sehr kurze Kurzgeschichte. Ich hoffe sie ist in der richtigen Rubrik gelandet. Ich wünsche mir, dass jeder für sich den Sinn in ihr erkennt. Dieser kann durchaus unterschiedlich sein.

 

Hey Presto,

und ein herzliches Willkommen meinerseits auf KG.

Deine Geschichte sehe ich als Metapher fürs Leben. Dessen Endlichkeit, Schnelligkeit, verpasste Gelegenheiten, düstere Nebeltage und irgendwo anders scheint die Sonne.
Die Zigeretten sind bei Dir immer ecklig, kein Genuss. Von daher vielleicht die Sucht nach den Dingen, die uns nicht gut tun. Drogen - Beziehungen die nicht gut tun, aber man trotzdem nicht lassen kann - die Abhängigkeit von einem Job, der einen kaputt macht ... solche Dinge halt.
Deine Geschichte hat einen äußerst deprimierenden Charakter.
Die "Lebensfreude" ist irgendwie dahin oder an einem Ort, wo er nicht ist (hinter dem Fenster). Nur am Ende, mit dem kleinen Zaubertrick, kommt da was ins Spiel - was diesen Grauton aufhebt.

Textkram:

Während ich den giftigen Rauch (mal um mal) in mich einsauge,

mal um mal ist mir persönlich zu viel ;)

Es ist eine dieser Situationen – eine der ganz besonderen in denen man nachdenkt.

Würde ich nicht so explizit ausformulieren. Merkt man ja, dass er da den Gedanken hinterher hängt. Ich würde ihn streichen.

Orte in denen der kalte Rauch ekelig durch die Luft schwebte.

ekelig und schweben beißt sich. Ein anderes-stärkeres Verb. In der Luft stand - Rauch die Luft verpestete - irgendwie so was.

Nur die eigene Zigarette vermochte ein wenig Wärme in den (kalten und) abstoßenden Nebel zu bringen.

Wortwiederholung "kalt" (zum vorherigen Satz) und Häufung von Adjektiven sind immer unschön.

(Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke,) bin ich mir dessen nicht mehr sicher.

Im Nachhinein bin ...

Woher soll so viel Rauch ohne weitere, angesteckte Todesstengel kommen? Soviel Qualm und Ekel benötigten eine Symphonie von rauchenden Zigaretten, ein Jahrhundert von angestautem Ekel.

Wiederholung

Jeglicher Versuch durch den Rauch zu spähen blieb erfolglos. Zu dicht, zu massiv, einfach undurchdringlich. (Der Rauch umnebelte alles und jeden und mehr – er fraß die Geräusche um mich herum.)

Es schien, selbst die Geräusche um mich herum verloren sich darin.

(Wenn jemand im Abteil gesprochen hätte so wäre dies von mir ungehört geblieben.) Kein Flüstern, kein Schreien, kein Laut drang durch. (Der Nebel beherrschte und regierte den gesamten Raum.)

Beide Klammersätze - zu viel - der Leser hat es schon begriffen. Trau ihm ein wenig Denken zu ;).

Es gab nur wenige Geräusche in diesem Szenario: ...

Ah, nun doch! Darauf solltest Du die Vorgängersätze hin aber anpassen.

Immer wieder knatterte und rappelte es.

wieder: inhaltliche Wiederholung. Verzeiht Dir der Leser in dieser Häufung nicht. Er denkt eher: Ich hab es doch kapiert Mann!

Nur der Blick nach draußen, das Fenster zur Welt, zum Licht und zum Sonnenschein, schien sich all diesen Einflüssen zu widersetzen.

Der Satz ist als Kontrastprogramm zu weich in seiner Form. Passt nicht so richtig - Form und Inhalt.

Ein Blick (hinaus in den Rest der Welt) offenbarte (lediglich) Landschaften an mir vorüberzogen.

Der Satz passt irgendwie gar nicht so recht.

Durch das Fenster fiel träge das Sonnenlicht. Hinter der Scheibe gab es das. Farbige Landschaften flogen stumm an mir vorbei.
- So in etwa, wäre mein Empfinden.

Ungreifbare Orte und Momente. Stumm entgingen sie mir, Stück für Stück ohne sie wirklich zu begreifen oder zu kennen.

Damit könnte das auch mit raus.
Dein Text schreit förmlich nach Dichte. Gönne sie ihm ;).

Manchmal gab es einen Halt (Komma) der mir für einen kurzen Augenblick die Möglichkeit gab (Komma) Dinge zu erfassen.

Den hast Du hübsch kompliziert aufgebaut, den Satz. Der fällt aus dem Rahmen ;).

Hielt der Zug, konnte ich die Dinge scharf sehen. Sie bekamen Konturen, Kanten oder Rundungen.

Und so weiter bis zum Ende des Textes.

Es ist ein reiner Gedankentext. Nur manchmal wird Dein Prot. aktiv - wenn er sich die nächste Zigarette anmacht. Seine Gedanken zeichnen ein Stimmungsbild.

Ich denke, eine Straffung durch die Entfernung der inhaltlichen Wiederholungen täten Deinem Text sehr gut. Manche Gedanken verpuffen in schwachen Sätzen/Bildern. Hier kannst Du ein ein wenig feilen und Feinarbeit leisten, ein Gerüst hast Du ja schon ;).

Viel Freude Dir hier. Beim Schreiben, Lesen und Kommentieren.

In diesem Sinne Fliege

 

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