- Beitritt
- 02.06.2001
- Beiträge
- 3.655
Cheeese!
„Ich möchte eine Erfindung patentieren lassen“, verkündete Gerda freudestrahlend.
Der Beamte lächelte ihr aufmunternd zu. „Wie es der Zufall so will, sind Sie bei uns am Patentamt genau an der richtigen Stelle! Was möchten Sie denn patentieren lassen? Den Hula-Hoop-Reifen in Ihrer Hand?“
„Nein. Eine Zeitmaschine.“
Die Stirn des Mannes warf nun mehr Falten als sein zerknittertes Karohemd. „Eine Uhr? Tut mir leid, aber –“
„Keine Uhr“, unterbrach ihn Gerda und hielt den Hula-Hoop-Reifen ein Stückchen höher. „Eine Apparatur, mittels derer man in die Vergangenheit reisen kann.“
„Hm“, brummte ihr Gegenüber skeptisch. „Bitte halten Sie mich nicht für unhöflich, aber für mich klingt das sehr nach Science Fiction. Etwa so, wie ein Dreiliter-Auto oder ein unbestechlicher Politiker. Bevor Sie einen Antrag auf Patenterteilung stellen können, muss ich Ihre, äh, Apparatur testen.“
„Kein Problem. Aber ich muss Sie warnen: Wir müssen vorsichtig sein! Jede Änderung der Vergangenheit kann verheerende Auswirkungen auf die Gegenwart nach sich ziehen. Kennen Sie das Großvater-Paradoxon?“
Der Beamte schüttelte den Kopf. Eine Körperbewegung, die er im Laufe der Jahre perfektioniert hatte.
„Angenommen“, führte Gerda aus, „Sie reisen siebzig Jahre in der Zeit zurück und töten Ihren Großvater –“
„Wieso sollte ich meinen Großvater töten? Als ich noch ein Kind war, hat er mir immer Lakritze geschenkt.“
„Das spielt doch keine Rolle! Nehmen wir an, Sie töten ihn versehentlich. Sagen wir, Sie essen eine Banane, werfen die Schale weg, Ihr Großvater rutscht darauf aus und stürzt kopfüber in einen Mähdrescher.“
„Ich hasse Bananen“, merkte der Mann an. „Übrigens hasste ich auch die verdammte Lakritze, die ich trotzdem hinunterwürgen musste, um meinen Großvater und meine Eltern zufriedenzustellen. Wissen Sie was? Sie haben mich überredet! Lassen Sie uns meinen Großvater umbringen!“
Gerda atmete tief durch. „Ich möchte Ihnen doch nur begreiflich machen, dass jeder Eingriff in die Vergangenheit Auswirkungen auf die Gegenwart nach sich ziehen kann.“
„Ja, ich hab’s kapiert, junge Frau. Können wir die Apparatur dann testen? In einer halben Stunde beginnt nämlich meine Mittagspause.“
„Natürlich. Stellen Sie sich mir gegenüber, damit ich den Reifen über uns beide halten kann.“
Der Beamte kam ihrer Aufforderung nach.
„Gut. Und nun achten Sie auf diese beiden winzigen Schalter hier unten, die … he! Sie starren ja auf meine Brüste!“
„Verzeihung! Ich dachte, Sie meinten diese beiden Schalter.“
„Ich drücke nun diesen Schalter, der uns in die Vergangenheit wird reisen lassen. Und … schon geschehen!“
„Oh. Diese wunderbare Landschaft.“
„Sie starren schon wieder auf meine Brüste!“
***
„Cheeese!“
Hilde verdrehte die Augen. „Du nimmst doch nicht ernsthaft an, mich mit diesem uralten Kalauer ablenken zu können?“
„Ich wollte dich nur ein wenig aufheitern“, merkte Mike zerknirscht an. „Sieh mal: Ich hatte mir unsere Flitterwochen auch anders vorgestellt. Also lass uns das Beste aus der Situation machen, ja?“
Hilde funkelte ihn zornig an. „Das Beste? Wir wurden eingefangen und werden wie Laborratten in diesem dämlichen Labyrinth unwürdigen Experimenten ausgesetzt.“
„Na ja“, gab Mike zu, „das stimmt schon. Natürlich wäre ich auch lieber wieder in der Kanalisation.“
„Dieser Käse, den sie uns vorsetzen, ist nicht einmal verschimmelt. Ach, ich hätte auf meine Mutter hören und Rat Pitt heiraten sollen. Aber nein, ausgerechnet einen Versager wie dich musste ich ehelichen!“
Mike blickte in die erwartungsvollen, riesigen Gesichter über ihm. „Du, wir sollten wieder so tun, als wüssten wir nicht, wo das Käsestück versteckt liegt.“
Hilde seufzte zwar, fügte sich aber in das Unvermeidliche. „Na schön. Soll ich die dumme oder die kluge Ratte spielen?“
„Darf ich diesmal die kluge Ratte spielen? Ich finde es so putzig, wenn die Menschen sich freuen, weil ich das dämliche Käsestück gefunden habe.“
***
„Wo sind wir hier eigentlich?“
„Ich würde schätzen, etwa achtzig Millionen Jahre vor der Zeitrechnung“, sagte Gerda und ließ ihren Blick über die Landschaft schweifen.
„Heißt das, es gibt hier Dinosaurier?“
„Vermutlich.“
„Phantastisch! Dinosaurier außerhalb des Jurassic Park!“
„Bremsen Sie Ihre Begeisterung. Wir reisen gleich wieder zurück, um das Zeitgefüge nicht zu stören.“
Enttäuscht seufzte der Beamte. „Na schön. Haben Sie eigentlich bemerkt, dass Ihre Brust, äh, Ihr Reifen quiekt?“
„Wie? Das kann doch gar nicht … o nein! Heben Sie mal ganz vorsichtig das rechte Bein.“
An der Schuhsohle des Zeitreisenden klebten die zerquetschten Überreste eines mäuseähnlichen Tiers.
„Hoppla! Ein kleiner Tritt für mich, aber ein großer Tritt für was auch immer dieses Vieh darstellen mochte.“
Gerda schlug entsetzt die Hand vor den Mund. „Um Himmels willen! Möglicherweise haben wir soeben die gesamte Evolutionsgeschichte nachhaltig verändert!“
Derweil kratzte sich der Beamte grüblerisch am Hinterkopf. „Wir könnten ja versuchen, noch ein paar Kakerlaken zu zertreten. Ich hasse diese Biester, und jetzt ist es ohnehin bereits egal.“
Die junge Frau entgegnete nichts, sondern drückte den zweiten Knopf, der die beiden in die Gegenwart beförderte.
„Irgendwie kommt mir mein Büro verändert vor“, stellte der Beamte fest.
Gerda schüttelte den Kopf. „Das ist nicht Ihr Büro. Das ganze Mobilar fehlt.“
„Und trotzdem sieht es viel schicker aus. Mal sehen, was sich hinter der nächsten Ecke befindet.“
Plötzlich vernahmen sie ein dröhnendes Kichern. Sie reckten ihre Hälse und starrten fassungslos in riesige Rattengesichter, die sie unverhohlen neckisch observierten.
„Ich denke“, stellte der Beamte fest, „dass Ihre Zeitmaschine noch nicht ausgereift ist.“
„Na los, Menschlein, sucht das gute Fresschen, sucht, sucht!“, brüllte eine der beiden Ratten, und die andere stimmte meckerndes Gelächter an. „Gutes Fresschen! Ihr liebt doch Lakritze, oder? Cheeese!“