Clara läuft barfuss
Sommer 2004, 35°C im Schatten und mindestens 50°C in der kleinen Dachgeschosswohnung in der Elisenstrasse 12. Clara schnauft mit letzter Kraft die steile Treppe nach oben. „Was um alles in der Welt hat mich in den fünften Stock verschlagen?“ dachte sie bei sich.
Aber nun hat sie´s geschafft und steht mit ihren zwei Tüten vor der Wohnungstüre, sperrt auf und hält erst mal den Atem an. 50°C warme, stehende Luft ist nicht geeignet um durchzuatmen, Clara weiß das jetzt auch.
Aber was hilft´s die Einkäufe müssen schnellstens in den Kühlschrank, der Salat wird schon welk und wer mag schon welken Salat. Das Zeug schnell in den Kühlschrank verfrachtet, aus den Schuhen raus und erst mal kalt duschen...- denkste!
„Verdammt!“ - der Abfalleimer ist immer noch genauso voll wie heute morgen und duftet nicht wirklich verführerisch. Also wieder rein in die Schuhe.. – nein, Blödsinn, „bis zur Mülltonne komme ich auch ohne“ schimpft sie vor sich hin, nimmt den prall gefüllten Müllbeutel und macht sich auf den Weg nach unten.
Dort angekommen schafft sie den geteerten Weg bis zum Mülltonnenhäuschen so schnell wie noch nie. Sonnenbestrahlter Asphalt kann verdammt heiß werden! Um so angenehmer ist der Boden im Schatten der großen Eiche, die hinter den Tonnen steht. Wieder zurück, die Treppen wieder rauf und nun endlich unter die Dusche.
Abends wurde es dann etwas kühler, draußen zumindest. Clara hielt es nicht länger Zuhause aus und beschloss noch eine kleine Runde durch den nahegelegenen Wald zu drehen. An der Wohnungstüre, die Schuhe bereits in der Hand, dachte sie an ihren kleinen Ausflug zu den Mülltonnen zurück und überlegte sich, ob es nicht angenehm wäre die Schuhe zuhause zu lassen. „Wenn´s nicht geht kann ich ja wieder umdrehen“ dachte sie, lies die Turnschuhe wieder fallen und tapste los.
Der Asphalt vor der Türe war immer noch recht warm, aber schon kühler als vorhin. Über den Gehweg, vorbei am Altenheim lief sie leichtfüßig dem Wald entgegen. Zuvor galt es noch den kurzen aber steinigen Schotterweg zu überwinden, was ihr überraschend gut gelang. „Hatte mir das schmerzhafter vorgestellt“ murmelte sie vor sich hin und trat kurz darauf in ein halb ausgetrocknetes Schlammloch. „Igitt!“ ein spitzer Schrei, versank sie doch bis zum Knöchel im Dreck. „Aber angenehm kühl“.
„Nun, was soll´s im Wald wird sich schon keiner an meinen schmutzigen Füßen stören“ dachte sie noch bei sich bevor sie völlig überwältigt feststellen musste, was sie die ganzen Jahre mit Schuhen verpasst hatte....
Dieses wunderbar weiche Gefühl, barfuss über den federnden Waldboden zu spazieren, dazwischen immer wieder das gribbelnde Gefühl der Tannennadeln unter den Fußsohlen. Das Schlammloch hatte sie bald völlig vergessen, sie genoss nur noch das unbeschreibliche Gefühl der Leichtigkeit.
Hinauf über feuchte Waldwege, über helle Lichtungen. Entlang am kleinen Waldweiher bis zum Steg. „Ideal zum Füße waschen“ stellte Clara erfreut fest und beseitigte erst mal den inzwischen trockenen Schlamm von vorhin.
Weiter ging es über eine wunderbar saftige Waldwiese, fast hüpfend vor Freude wurde sie überquert und wieder hinein zwischen die Bäume in den kühlen Wald.
Der Spaziergang wurde ausgedehnter als geplant, so kam es, dass sie erst bei Dunkelheit wieder Zuhause ankam. So entspannt hatte sie die Runde übrigens noch nie geschafft.
„Hallo Frau Meier“, die Vermietern, die ebenfalls im Haus wohnte, grüßte zurück „Hallo Clara“ – „Du läufst ja barfuss!“ Der Blick von Frau Meier, einer älteren Dame war zum schießen! „Ja ist denn das nicht zu kalt?“.
Jetzt war es an Clara etwas dümmlich zu schauen, immerhin hatte es noch locker 25°C und der Asphalt vor dem Haus war immer noch recht warm. Aber die Vermietern lies ihr keine Chance zu antworten „Was machst Du nur, wenn Du in eine Scherbe trittst?“ „Na was wohl, dann blute ich!“ wäre Clara fast herausgerutscht, statt dessen murmelte sie nur etwas von „Augen aufhalten“ und „gut aufpassen“ und huschte schnellstmöglich an Frau Meier vorbei.
So, geschafft, sie hatte ihre Wohnung erreicht und sank nun doch etwas erschöpft auf das Sofa. „Zum Glück ist morgen Samstag, da kann ich mich ausruhen“ schoss ihr noch durch den Kopf, bevor sie an Ort und Stelle einschlief. Fast drei Stunden war sie unterwegs gewesen.
Die Träume führten sie in dieser Nacht barfuss durch den Wald und über Wiesen und Felder und wer weiß, vielleicht wird sie auch bald zu den Menschen gehören, die sich nicht durch fette Schuhe einengen lassen, sondern ihr Leben auf freiem Fuß genießen.