Mitglied
- Beitritt
- 23.01.2008
- Beiträge
- 6
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Claudia
„Wissen Sie, eigentlich ist es auch egal!“
Mit diesem Satz schossen ihr erstmals Tränen in die Augen.
Wegen 15 Euro drückt sie auf die Tränendrüse? Ich schaute meinen Kollegen süffisant an.
Anschnallen hätte geholfen, dachte ich und schüttelte kaum merklich den Kopf.
Wir gingen zurück zum Auto, Personalien überprüfen, Quittung schreiben und uns über das dann doch etwas theatralische Verhalten der jungen Dame vor uns im Corsa zu amüsieren.
„Was will sie denn jetzt?“, fragte mich Robert, als sie plötzlich neben unserem Auto stand.
Er stieg aus, ich schrieb weiter und wartete auf die Rückmeldung der Personalienüberprüfung.
Durch die geschlossene Beifahrertür hörte ich ihre hohe Stimme, weinerlich, schluchzend.
Meine Güte, wegen 15 Euro.
„....... das kann er doch nicht machen, oder?“, drang noch zu mir, als auch ich ausstieg, um der jungen Frau ihren Führerschein und die Quittung zu geben. Ich blieb zunächst am Türrahmen stehen. Sie weinte, ihre Nasenflügel waren gerötet. Sie sah mitgenommen aus.
Robert wirkte unruhig. Unsicher.
Er schaute mich an, sie schneuzte sich die Nase.
„Ist es schlimm, wenn ich Ihnen das erzähle?“, fragte sie und blickte uns abwechselnd an.
„Wissen Sie. Ich gebe mir Mühe, so viel Mühe. Warum lässt er mich jetzt sitzen? Ich habe mich doch nur um ein paar Minuten verspätet. Jetzt ist er ohne mich losgefahren. Warum macht er das?“
Ich schaute sie an. Was passierte hier gerade?
„Dauernd macht er das mit mir. Dabei habe ich ihn doch so lieb. Ich verstehe das nicht“, wieder liefen ihr die Tränen über ihr gerötetes Gesicht.
Das also war aus einer Gurtkontrolle geworden.
Sie erzählte uns, was für ein Arschloch ihr Freund war. Wie er sie schon am Telefon anherrschte, weil sie sich am Treffpunkt vor seinem Büro verspätete. Das er nun ohne sie in die Stadt gefahren sei, ihr einen schönen Abend gewünscht habe und sie eben sehen solle, wie sie den Abend verbringt. Da war es noch ihr geringstes Problem, dass sie uns nicht nur die Vorfahrt nahm, als sie vom Parkplatz kam, sondern auch nicht angeschnallt war.
Armes Ding.
Robert fand als erster von uns seine Sprache wieder. Anfangs noch nach tröstenden Worten suchend, merkte ich ihm aber an, dass der Zorn in ihm ebenso wuchs, wie in mir.
„Ich gebe mir solche Mühe. Gestern hat er mich schon so behandelt, weil es ihm zu lange dauerte, bis ich vom Einkaufen zurück kam. Ich hab ihn doch so lieb. Ich verspäte mich eben manchmal, aber ich gebe mir solche Mühe.“
Immer wieder betonte sie, wie viel Mühe sie sich gab. Seltsam.
Sie war 32, wirkte aber so, wie sie vor uns stand, wie ein kleines Mädchen. Hilflos und überfordert. An was für eine Sorte Mann war sie da geraten?
Ich fragte sie, wie lange sie ihn schon kennen würde.
„Acht Monate. Ich bin extra für ihn aus Berlin zurückgekommen, habe dort mein Studium abgebrochen und bin zu ihm gezogen. Er wollte es so sehr. Warum macht der dann so was?“
Ich wusste keine Antwort.
„Ich lerne doch so viel. Ich habe vielleicht zu lange bei meinen Eltern gewohnt. Aber ich mache jeden Tag die Betten, gehe einkaufen. Habe ihm bei seiner Diplomarbeit geholfen. Wir hatten kein Weihnachten und kein Silvester. Haben nächtelang zusammengesessen. Wegen ihm. Warum behandelt er dann mich so?“
Robert fragte, ob er schon immer so gewesen sei. Natürlich war er schon immer so. Immer wieder würde er ihr sagen, was sie falsch mache.
Aber sie habe ihn doch so lieb.
Was war das für ein Mensch, ihr Freund?
Was war das für eine Frau?
Ich spürte Mitleid.
Ich wusste nicht, ob Robert in diesen Momenten mein Gefühl und meine Gedanken teilte, dass dieser Frau, diesem Mädchen, dringend geholfen werden musste.
Hilfe, die wir ihr nicht geben konnten. Professionelle Hilfe.
„Ich fahre jetzt zu meinen Eltern. Die wohnen in der Nähe. Was soll ich machen, wenn er mich abholen will? Soll ich mit ihm gehen, was meinen sie?“
Wir verbrachten die nächsten Minuten damit, ihr möglichst verständlich zu erklären, dass sie zunächst nicht mit ihm gehen sollte. Ich riet ihr, ein paar Sachen aus der Wohnung zu holen, eine gute Freundin anzurufen und sich abzulenken. Ihm Zeit zu geben, sich Gedanken darüber zu machen, wie er sie behandele. Nein, er schlug sie nicht, er misshandelte sie nicht. Er war scheinbar einfach nur ein Arschloch.
Ich stand noch immer am Türrahmen. Hielt noch ihre Papiere in der Hand.
„ Ich hab ihn doch so lieb. Meinen sie wirklich, ich sollte das tun? Und wenn er dann Schluss macht? Wenn er mich dann gar nicht mehr wiedersehen will? Wegen so einer Kleinigkeit kann ich doch nicht einfach mal weggehen, oder?“
Ihr musste definitiv geholfen werden. Sie begann mich zu erschüttern.
Fast mit Engelszungen redeten wir mittlerweile auf sie ein. Wir baten sie förmlich darum, nicht wieder klein bei zu geben. Stark zu sein. Das Übliche, was man einer verzweifelten, labilen Frau eben sagt, wenn man sich auf dem schmalen Grat zwischen dienstlicher und privater Meinung bewegt. Unsere Worte, ihre Tränen. Immer wieder.
Sie versprach uns schließlich, unseren Rat zu befolgen. Ein paar Klamotten aus der Wohnung zu holen und zu ihren Eltern zu fahren.
„Aber ich habe ihn doch so lieb.“ Wie oft sie es sagte. Es war schlimm.
Ich gab ihr ihre Papiere zurück. Nestelte meine dienstliche Visitenkarte aus der Jackentasche und drückte sie ihr in die Hand. Sie solle mich oder Robert jederzeit anrufen, wenn sie nicht weiter wisse. Auf die Rückseite der Karte schrieb ich meine Handynummer.
Sie lächelte. Robert lächelte.
Ich traute mich nicht, ihr den Rat zu geben, therapeutische Hilfe zu suchen.
Sie fuhr schließlich los. Fast demonstrativ schnallte sie sich an, setzte überflüssigerweise den Blinker und fuhr aus unserem Blickfeld.
Keine Ahnung, wohin sie fuhr. Ob sie tatsächlich das tat, was wir ihr geraten hatten. Eine seltsame Frau.
Sie hieß Claudia.
Vier Tage später klingelte mein Telefon.
Man hatte meine Visitenkarte bei ihr gefunden.
Sie lag in ihrem Handschuhfach.
Auf dem Beifahrersitz habe ihr Abschiedsbrief gelegen, sagte mir der Kollege.