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Compumanie

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03.10.2001
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Compumanie

Dieses Summen macht mich wahnsinnig. Dieses stetige Summen als ob ein Schwarm Fruchtfliegen durch meine Ohren sausen würde. Ich höre es immer. Jeden Tag, jede Nacht höre ich dieses schreckliche, monotone Summen, das sich tief in meine Gehörmuschel eingenistet hat, um mir das Leben zur Hölle zu machen.
Jetzt tun Sie doch nicht so ungläubig! Sie wissen doch, wovon ich rede, junger Mann.
Wo man auch hingeht, man hört es überall: bei romantischen Abenden im Planetarium, in der Sauna oder wenn man im Supermarkt vierzig Minuten an der Kasse steht, um seine Schachtel Zigaretten zu bezahlen. Aus diesem Grund gehe ich auch nicht mehr aus dem Haus. Meine kleine Wohnung ist stets verdunkelt, damit bloß kein Summen von außen in mich und meine Einsamkeit eindringt.
Geschlafen habe ich schon lange nicht mehr. Zum einen weil das Summen mich fast nicht läßt, zum anderen weil es sich, selbst wenn mich die Erschöpfung zwingt, die Augen zu schließen, in meine Träume drängt und aus jedem dieser ein Horrorerlebnis macht, aus dem ich schweißgebadet erwache.
Sie müssen nicht denken, ich sei ein überdrehter Spinner. Auch ich war – wie Sie – einmal ein ganz normaler Mann. Ich hatte eine bildhübsche Frau, die mir stets all ihre Liebe zuteil werden ließ, und zwei hochintelligente Kinder. Ich arbeitete als Filialleiter eines Vertriebs für Comuterzubehör. Wir waren eine sehr glückliche Familie, als ich zum ersten Mal das Summen wahrnahm. Doch als ich endlich verstand, woher es kam, war es schon zu spät.
Warum bemerkt niemand außer mir, was hier vor sich geht? Bin ich der letzte Ritter in einer computergesteuerten Welt? Begreifen die nicht, daß ihre Gehirne vernetzte Festplatten sind, mit einem Betriebssystem, das Bill Gates –sofern er davon wüßte– sich im Grabe umdrehen ließe? Sie sind zu Maschinen geworden, die von Maschinen gesteuert werden. Der ihnen implantierte Virus frißt sich durch das BIOS, beißt sich fest und vernichtet jede eigenständige, menschliche Funktion ihres Verstandes. Ihre Augen sind nicht mehr als Monitore, denen Billiggrafikkarten vorschreiben, was sie zeigen dürfen. Ihr Arbeitsspeicher ist so gering, daß nur die notwendigsten und minimalsten Prozeduren durchgeführt werden können, so daß denen keine Chance zu Eigenständigkeit bleibt.
Ich weiß weder, wie es zu diesem übermenschlichen Ausnahmezustand kam, noch was ihn ausgelöst hat.
Vor einigen Jahren brach ein regelrechte Computermanie aus. So wie unser Vertrieb für Zubehör blühte auch jeder andere auf. Aufträge konnten nicht mehr ausgeführt werden, weil das Personal und die Lieferanten völlig überfordert waren. Computerläden sprossen wie Pilze aus dem Boden. Bald gab es davon mehr als Lebensmittelgeschäfte und Supermärkte. Neue Technologien schienen sich fast von selbst zu entwickeln. Täglich wurden die gestrigen als überholt dargestellt.
Doch das Absurde war, je mehr aufgerüstet, umgebaut, eingebaut und installiert wurde, desto weniger liefen sie. Ein Börsencrash jagte den nächsten, Rechner stürzten ab wie Raketen im zweiten Weltkrieg, jeder Einkauf wurde zum Desaster, weil die computergesteuerten Kassen ständig Probleme machten, sämtliche Firmen gingen pleite aufgrund dieser Dauercrashs der Börse und ihrer eigenen PCs.
Nur das Computergeschäft florierte. Während wegen der kollabierenden Wirtschaft alles immer teuer wurde, bekam man alles, was mit PCs zu tun hatte, regelrecht hinterher geworfen.
Aber es nütze nichts. Die Computer schienen beinahe eine abnormale Art von Eigenleben zu führen. Sie waren längst nicht mehr kleine, nützliche Helfer, um den Menschen das Leben zu vereinfachen, sondern zickige, gefräßige, kleine Monster, die ihren Besitzer dafür benutzten, ihnen das zu besorgen, was sie brauchten. Und die Besitzer taten das so rigoros, daß man meinen könnte, sie befänden sich in einem hypnotischem Zustand.
Man fütterte sie unentwegt mit immer teuer werdenden Strom, den sie gierig verschlangen und von dem sie immer mehr wollten. Man bot ihnen schon fast an Luxus grenzende, exklusive Hard- und Software, um ihnen das Computerleben einfacher zu gestalten. Man sorgte dafür, daß sie ein helles Plätzchen hatten, damit sie sich auch wirklich wohl fühlten.
Doch je mehr man begann, sie wie Menschen oder Haustiere zu behandeln, je mehr man für sie tat, desto so zickiger und unberechenbarer wurden sie. Ihr Durst nach Strom und Hunger nach Soft- und Hardware steigerte sich schier ins Unermeßliche. Sie machten sich uns Menschen Untertan, damit wir auch nie vergaßen, sie zu füttern und die kleinen, weißen Tasten zu streicheln. Jeder Computer war zu einer Domina geworden und ab und an brach einer ihrer Sklaven unter den Torturen zusammen und landete in einer kleinen Holzkiste, um sich die Radieschen von unten anzusehen.
Sie denken jetzt bestimmt: ‚Wie gut, daß es wenigstens da keine Computer gibt!‘.
Das, mein Lieber, ist ein fataler Irrtum. Die Liebe der Menschen zu ihren unkontrollierbar gewordenen, kleinen technischen Erfindungen ging soweit, daß man sich sogar mit ihnen begraben ließ.
Das war ihr größter Fehler. Sind die Idioten nie auf den Gedanken gekommen, daß sie sich ihr erworbenes Eigenleben nicht so schnell wieder wegnehmen lassen? Meinen die, dass sich die kleinen Biester so einfach wieder abschalten lassen?
Was, ich bin doch ein überdrehter Spinner? Wie Sie meinen, mein naiver Freund. Sie werden schon sehen. Aber ich sage Ihnen und dem Rest der hypnotisierten, verkorksten Menschheit, sie können ohne Strom leben. Ich weiß das. Meine Festplatte ist noch nicht verkalkt. Ich hab es mit eigenen Augen gesehen.
Sie haben im Laufe der Zeit eine Möglichkeit gefunden, ihre Energie aus Maden und Würmern zu gewinnen. Die haben ihnen zu viel beigebracht. Und jetzt tuten sie so, als wäre alles in Ordnung, während die Computer ihre Pläne zur Übernahme der Weltherrschaft schmieden und spezifizieren.
Jaja, lachen Sie nur. Ihnen wird das Lachen schon noch vergehen. Aber sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt. Ich kann warten. Was soll ich auch sonst tun in diesem kleinen Raum mit einem Bett, einem Tisch mit zwei Stühlen und dem kleinen vergitterten Fenster?
Tja, und nun stehe ich hier und schau mir die karierten Hochhäuser an, während das Summen der Milliarden Rechner in dieser Stadt nach und nach jede einzelne meiner Gehirnzellen betäubt.

"Bill" ... "BILL, SCHALTEN SIE ENDLICH DAS VERDAMMTE HÖRGERÄT EIN. ES IST ZEIT FÜR IHRE PILLEN!!"

© Pandora (K.B.), 2001

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Kris,

danke dass du meine Geschichte aus der Versenkung geholt hast und ihr mit deinen Verbesserungsvorschlägen noch ein wenig mehr Leben eingehaucht hast.
Abgesehen von 2 Punken (Doppelpunkt nach "das Absurde" und die Sache mit der Wohnung) hab ich alle Kritikpunkte umgesetzt und editiert. Auf deinen Rat hin, hab ich die komplette "euer" - Anrede in die dritte Person Plural umgewandelt und finde es nun alles in allem stimmiger. Die "Sie"-Anrede (mit der ich eigentl eine zuhörende Person darstellen wollte)hab ich deutlicher dargestellt. Ich hoffe, es kommt jetzt besser rüber.
Also danke nochmal, Kleines. Deine Kritik hat mir echt geholfen.

Schön, dass die die beiden zitierten Sätze besonders gut gefallen haben. Der Dominasatz ist auch mein Lieblingssatz :whip:

liebe Grüße, Pandora

 

Hi Pandora,

mir gefällt die Geschichte gut. :thumbsup: Sie hat es wirklich nicht verdient, ungelesen vor sich hin zu dümpeln.

Nachdem ihr euch über eure Lieblingssätze ausgetauscht habt, wurde mein Augenmerk auf einen krassen Fehler in der Formulierung gerichtet:

Jeder Computer war zu einer Domina geworden

Hier muss es eindeutig heissen: ... zu einem Domino geworden.(Der Computer ist männlich!) :D

Gruß vom querkopp

 

Ahem, wenn schon, dann wohl eher Dominus - Domino ischa nu ganz watt anderes.

Als Reaktion auf Rainers "Handymania" hatte ich eigentlich auch vor, mal eine Geschichte über Computermanie zu schreiben. Hat sich wohl hiermit erledigt... :D Besser könnte ich's nicht mehr machen!

[Beitrag editiert von: Pipilasovskaya am 04.04.2002 um 09:13]

 

Hm... ich weiß nicht... Ich hab jetzt meinen Rechner schon 30 Mal aufgeschraubt und nach geschlechtsspezifischen Merkmalen gesucht.
CD Rom-Laufwerk und Floppy Disk sind laut meinen biologischen Untersuchungen weiblich. Die Geschlechtlichkeit des restlichen Rechners entzieht sich meiner Kenntnis.
Im Zweifelsfalle plädiere ich für die Zwitterhaftigkeit der in der Geschichte erwähnten Computer, denn wer aus Würmern seine Energie saugt, hat sich bestimmt auch das Zwitterdasein verinnerlicht.

liebe Grüße,
Prof. Dr. Compu, Institut für Elekrobiologie

 

Looool, das mit den Würmern und Maden ist klasse :D

*mal liebevoll ihren Compi streichelt...gell Du strebst nicht die Weltherrschaft an??*

:D

jaddi

 

Hallo Pandora,

„sie machten uns Menschen untertan“ (zu Untertanen) - ich befürchte, wir unterwerfen uns freiwillig den „Biestern“. Wenn man bedenkt, daß in Japan alte Leute elektronische Haustiere bekommen, damit sie nicht vereinsamen... , daß nichts mehr funktioniert, wenn sich die Biester gegen uns durch Absturz verschwören... ob der Mann zu Recht in der Anstalt ist?
Hat mir gut gefallen.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

danke Jadzia, danke Woltochion,

freue mich, dass euch meine Story gefallen hat.

Woltochion, ich glaube, du hast erkannt, was ich kritisieren wollte ;)

 

Hehe, nette Geschichte. Ich kann mich nur meinen Vorschreibern anschließen.

Zum Thema Geschlecht: Mein PC ist weiblich. So zickig wie der ist :D

 

Ich muss sagen, ich fand die Geschichte super... ein Eremit der Neuzeit...aber...dann...das Ende...
Es ist einfach...mh...es reißt einem auf eine unangenehme Weise aus der Faszinationd er Geschichte heraus und zerstört für mich damit die Satire...

bis dann dann
cured

 

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