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- 24.03.2002
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Converge
Es war ein schöner Tag. Die leuchtende Sonne und der strahlend blaue Himmel schienen jeden vergessen zu lassen, dass der Sommer schon lange vorbei und der Winter stark am kommen war. Die meisten Bäume hatten ihr Grün bereits verloren und dennoch war der Park voll von Menschen. Niemand schien etwas zu tun zu haben, alle genossen die letzten warmen Stunden des Jahres.
Eigentlich war der Tag viel zu schön für das, was ich vorhatte. Es schien, als ob Gott mir sagen wollte: „Tu’s nicht! Schau dir an, wie schön die Welt ist und überleg es dir noch mal!“ Zum Glück war ich Atheist und glaubte nicht an irgendwelche Zeichen, die mir von wem auch immer dargeboten wurden. Ich glaubte an mich, an die Kraft meiner eigenen Entscheidung, und and die Liebe. Ich verließ also die wundervolle Welt des Parks und machte mich auf, meine eigenen Fehler zu machen. Ich wusste, dass es nicht richtig war, und doch wusste ich, dass ich genau diesen Fehler begehen musste.
Während ich die grauen Straßen entlangging, versuchte ich herauszufinden, warum ich dieses große Bedürfnis verspürte Fehler zu machen, warum ich nicht einfach die richtigen Dinge tun konnte. In den meisten Fällen war es nicht so, dass ich etwas machte, um im Nachhinein festzustellen, dass es falsch war und mich daraufhin darüber ärgerte. Ich überlegte mir meistens, was das Richtige wäre, um mein Leben zu einem besseren zu machen, und tat dann das absolute Gegenteil. Oft war es ein Spiel für mich, das Spiel meines eigenen Lebens. Ich fühlte mich wie ein Regisseur, der seinen Protagonisten auf keinen Fall ein Happy End erleben lassen wollte, der alles tat um ein Happy End von Anfang an auszuschließen.
Ich war mir nie ganz sicher, warum ich so handelte. Meine Vermutung war immer, dass sich mein Leben so interessanter gestaltete. Mir war selten langweilig, ich hatte fast immer etwas, gegen das ich kämpfen musste, irgendetwas Anstrengendes, das ich bewältigen musste. Ich hatte oft das Gefühl, dass meine Art zu leben meinen Körper ruinierte und doch brauchte ich meine Art zu leben, damit mein Geist nicht verendete. Der tägliche Kampf, oft waren es nur Kleinigkeiten, zerstörte mich und hielt mich am Leben.
Und so war es auch jetzt. Endlich war ich angekommen und drückte die Klingel. Dieses furchtbare Warten, die Zeiten vor der Tür machten mich fertig. Ich sah mich um, niemand schien mir gefolgt zu sein.
Das Rauschen. „Ja?“, „Hi, ich bin’s.“ Das Summen. Ich öffnete die Tür und ging nach oben. Dieses unwohle Gefühl beim Besteigen der Treppen war genau das, was ich brauchte. Mein Körper produzierte irgendwelche Hormone, die meinen Magen sagen ließen: „Tu’s nicht! Dreh um! Bleib stehen!“, und mit jedem Schritt, den ich weiter ging, wurden diese Rufe lauter, das seltsame Gefühl stärker. Ich ging langsamer, ich genoss es. Ich wollte diesen körpereigenen Rausch möglichst lange genießen. Ich spürte, wie sich das Zentrum meines Unwohlseins vom tiefen Magen langsam höher bewegte und dabei nicht aufhörte stärker zu werden. Ziemlich genau in der Mitte meiner Brust verweilte es und hatte ein schrecklich hohes Intensitätslevel erreicht. Ich meinte fast spüren zu können, wie die Hormone durch meinen Körper flossen. Ich blieb vor der angelehnten Tür im dritten Stock stehen, schloss meine Augen und genoss den Augenblick.
Dies war meine Art Sex zu haben, meine Art der Masturbation. Die einzigen Unterschiede zu einem Orgasmus waren, dass ich keine Erektion hatte und dass ich auch nicht ejakulierte. Das Gefühl, die ganze Welt um mich herum vergessen zu können, das Gefühl, nur noch aus einer sprudelnden Emotion zu bestehen, war das gleiche. Dass diese Emotion nicht Glück sondern eine Mischung aus Angst und Unwohlsein war, störte mich nicht. Es war ebenso befriedigend.
Leider hatte ich meinen Körper nicht so weit unter Kontrolle, dass ich diesen Zustand ewig halten konnte. Die Angst ließ nach, je länger ich sie genoss. Ich öffnete also die Augen und trat ein.
Niemand war zu sehen. Ich wagte ein paar Schritte in den Flur. Der Geruch vieler gerauchter Zigaretten strömte in meine Nase, ich nahm Musik wahr, die mir bekannt vorkam, und ging langsam auf die halb geöffnete Tür weiter hinten im Flur zu. Jemand ging durch den dahinter liegenden Raum, doch ich konnte nicht erkennen, wer es war. Ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen und das mir wohlbekannte Gefühl der Angst behauptete sich wieder stärker in meiner Brust. Ich zögerte, beugte mich vor und versuchte zu erkennen, wer hinter der Tür war. Ein weißes T-Shirt flog in den kleinen Abschnitt, den ich sehen konnte, und landete sanft auf dem Dielenboden. Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Da öffnete sich hinter mir eine andere Tür und wieder verlor ich die Kontrolle über meine Muskeln und drehte mich hektisch um.
Ich erblickte das Mädchen, sie lächelte mich an: „Oh, hab ich dich erschreckt? Das wollte ich nicht.“ „Macht nichts, ich bin nur gerade etwas nervös.“ „Na, da bin ich ja beruhigt, dass ich nicht die Einzige bin. Ich hatte voll Schiss, dass du nicht kommst. Hab sogar gerade angefangen zu malen, um mich zu beruhigen. Da hinten wohnt Vanessa, meine Mitbewohnerin, die stell ich dir später mal vor. Komm rein.“