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Coolness - ein Leben auf der Ersatzbank?
Der Wind flutete schneidend kalt über den verlassenen Bahnsteig, als ich meine Jacke zuzog um mich wenigstens etwas vor seinen wütenden Klauen zu schützen. Es war wieder einer dieser Tage, ein Tag wie jeder andere, ohne Bedeutung, ohne Sinn. Aufstehen. Schule gehen. Den Zug nach Hause nehmen. Lernen. Schlafen.
So sahen meine Tage jetzt bereits seit Wochen aus und die Situation schien sich kaum zu bessern. Natürlich war mir von Anfang an klar gewesen, dass die Zwischenprüfungen keinen großartigen Raum für Freizeit lassen würden, doch diese stupide Eintönigkeit würde mich noch einmal fertig machen. Genau in diesem Moment schweifte mein Blick in Richtung des Treppenabsatzes, auf dem sich gerade eine andere Person anschickte, meine graue Welt der Einsamkeit zu betreten. Was hieß hier eine andere Person, es war eine, klar der holden Weiblichkeit zuzusprechende, Göttin.
Na ja, vielleicht nicht gerade Göttin, aber ihr Körper hatte genau an den richtigen Stellen Rundungen und ihre langen blonden Haare rahmten ein wunderschön gleichmäßiges Gesicht ein. Selbst der etwas genervte Ausdruck konnte die blauen Augen und sanft geschwungenen roten Lippen nicht entstellen. Als sie an mir vorüber schritt, fiel mir vor allem ihr unglaublicher Hintern auf. Wie zwei in Jeansstoff gepresste Äpfel, genau so wie ich ihn mochte.
Natürlich musste ich reagieren und so setzte ich mich noch schnell neben sie auf die Bank, während sie bereits ihr Handy aus ihrer Handtasche kramte. Mit einem coolen „Der Zug hat Verspätung“ legte ich meine Arme hinter die Lehne und ließ mich lässig zurücksinken, aber sie reagierte nicht. Nein, sie schien mich nicht einmal wahrzunehmen, was sollte ich nur tun. Natürlich, es war wichtig, möglichst cool herüberzukommen. Selbstsicher steckte ich die Stecker meines Mp3 Players in meine – vor Kälte bereits rot angelaufenen – Ohren und drehte die Musik bis zum Anschlag auf. Gorillaz – Dare, wenn das nicht half, wusste ich auch nicht mehr weiter.
Doch sie blickte weiter nur stumm auf ihr piepsendes, blinkendes Handy, während ihre flinken Finger über dessen Tasten huschten. Als meine Ohren schon langsam zu schmerzen begannen und sie noch immer keine Anstalten machte, ein Gespräch anzufangen, warf ich mir noch schnell einen Kaugummi ein und wippte mit meinem Kopf lässig im Takt der Musik hin und her. Nichts! Sie machte keine Anstalten auch nur Notiz von mir zu nehmen, ich war mir sogar sicher, ein hämisches Lächeln auf ihren Lippen zu entdecken, als ich sie unauffällig beäugte. Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubendes Donnern begleitet von einem nervenzerreißendem Quietschen direkt vor mir, dessen Urheber die strapazierten Bremsen des eintreffenden Zuges waren.
Langsam öffnete ich meinen Mund - in den sogleich die dreckige Bahnhofsluft wie kaltes Wasser zu strömen schien - um irgendetwas zu sagen, um sie irgendwie auf mich aufmerksam zu machen. Gedanken schossen wie Blitze durch meinen Kopf. Wie wäre es mit „Hallo, ich heiße Paul“? Nein, nein zu förmlich, lieber „Seas i bin da Paul, wia stehts“. Ja, das war perfekt! Doch gerade als sich die so angestrengt artikulierte Begrüßung ihren Weg in Richtung meiner Stimmbänder bahnte, erhob meine Angebete sich und machte sich sogleich auf den Weg zur nächsten Zugtür.
Unfähig mich zu bewegen blieb ich einfach sitzen, es war mir unmöglich an etwas anderes als an sie zu denken. Warum hatte sie nichts gesagt? Hatte sie vielleicht schon einen Freund, war sie gar bereits verheiratet? Nein, so ein Blödsinn, sie schien höchstens 18, wahrscheinlich sogar jünger, gewesen zu sein. Paralysiert blickte ich ihrem, ein letztes mal an den Abteilfenstern vorbeihuschenden Kopf nach. Dabei streifte mein Blick auch das Nummernschild des Zuges. Linie 77, der kam nur einmal pro Stunde, war das nicht mein Zug gewesen! Ich hätte ihr also nachgehen können, hätte die Möglichkeit gehabt, sie in den Abteilen zu suchen?
Ach nein, meine Coolness verbot es mir, ich würde auf die Nächste warten, sie würde sicher kommen und vielleicht war sie dann diejenige, die mich ansprach.