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Crime Prevention
2034 – München:
Es war bereits halb zwei, als Erik sich auf den Heimweg machte. „Kommst du nächstes Wochenende wieder mit zum Fischen?“, fragte Til, der sich mit einem Bier in der Hand gegen den Türrahmen lehnte. Eigentlich war Fischen illegal, aber wenn man weit genug in die Alpen fuhr, fand man immer den einen oder anderen abgelegenen See, der nicht Videoüberwacht war. Heute hatte sie zumindest niemand erwischt. „Klar“, antwortete Erik, noch immer den Geschmack des frischen Lachses auf der Zunge, „warum nicht?“
Die Treppe nach unten kam ihm steiler vor als sonst. Sie hatten nicht nur vorzüglich gegessen, sondern auch nicht wenig getrunken. Er drückte die Glastür auf und ging die Straße runter. In der anderen Richtung wäre es nicht weit zu seiner Freundin Jessica gewesen, aber die beiden hatten sich in letzter Zeit nicht gut verstanden und sie hatten sich diesen Morgen erst wieder gestritten. Jessica fand es überhaupt nicht gut, dass sich Erik mit illegalem Fischen die Zeit vertrieb, erst recht nicht mit Til. Den konnte sie überhaupt nicht leiden. Vielleicht würde Erik sich morgen mit ihr treffen, aber heute wollte er nur noch nach Hause.
Crime Prevention Center, München:
Mark hasste seinen neuen Job. Er dachte, ein Crime Preventor würde in seiner schicken Uniform herumlaufen und mit Hilfe von Drohnen und einer Pistole Gesetzesbrecher zur Strecke bringen. Die Wahrheit sah da anders aus:
Während der Nachtschichten, die Mark viel lieber in der Disco verbracht hätte, saß er vor einem großen Monitor, beurteilte Profile wildfremder Menschen, die in Zukunft vielleicht straffällig werden und sprach mit einer nervtötenden Künstlichen Intelligenz namens Claire. Sogar die Uniform sah aus der Nähe eher langweilig aus und sie war unfassbar kratzig.
Normalerweise teilte Claire ihm von Zeit zu Zeit mit, dass irgendjemand eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit hatte, straffällig zu werden. Mark musste dann Drohnen ausschicken, überprüfen, ob derjenige wirklich etwas vorhatte, was nicht oft der Fall war und ihn dann eventuell befragen. Aber nachdem sich über drei Stunden nichts Außergewöhnliches zutrug, döste er ein.
Westpark, München
Erik hatte schon die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sein Handy vibrierte. Es war ein einrollbares Samsung Galaxy S17. Das Modell war zwar sehr cool und Erik war ein bisschen stolz darauf. Es hatte allerdings den Nachteil, dass es im eingerollten Zustand sehr klein war. Als er also in seine vollgestopften Jackentaschen danach suchte, bemerkte er, dass er seinen Rucksack mit dem Angelzeug bei Til vergessen hatte. Er hatte zwar ein paar Sachen, wie den Geldbeutel und sein Jagdmesser in der Jacke, merkte jedoch, dass sein Wohnungsschlüssel nicht dabei war. „Verdammt!“, rief er leise in die Nacht hinaus. So blieb ihm nichts anderes übrig, als den Weg zurückzugehen. Während er sich umdrehte, sah er auf das Handy. Er hatte eine neue Nachricht von Jessica: „Ich packe das nicht mehr mit uns beiden. Es ist aus! Häng doch mit deinem blöden Til ab!“
Crime Prevention Center, München:
Ein lautes Piepen weckte Mark.
„Claire!“, rief der verschlafene Crime Preventor.
„Ja, Mark“, säuselte die Künstliche Intelligenz.
„Warum piepst der Computer?“
„Eine verdächtige Person hat eine fünf Komma acht prozentige Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft straffällig zu werden.“
„Du weckst mich wegen fünf Komma acht Prozent?“
„Alle Personen mit einer errechneten Wahrscheinlichkeit über fünf Prozent müssen von einem Menschen mit bearbeitet werden. So sind die Vorschriften.“
Natürlich kannte Mark die Vorschriften. Gefallen konnte er an ihnen deshalb noch lange nicht finden. Er setzte sich auf und sah das Profil eines jungen Mannes auf dem Bildschirm.
„Der sieht doch ganz nett aus. Warum sollten wir für den unsere Drohnen einsetzen?“
„Erik Hölzer vor zwei Minuten eine Nachricht von seiner Freundin Jessica bekommen. Sie hat die Beziehung beendet.“
Mark zuckte die Achseln. „Na und? Die meisten Menschen überstehen eine Trennung, ohne das Gesetz zu brechen.“
„Kameras haben aufgezeichnet, wie Hölzer seine Route änderte, als er die Nachricht erhielt. Sein neuer Weg könnte in Richtung seiner Exfreundin führen. An seinem Gang konnten die Kameras erkennen, dass Erik leicht alkoholisiert ist. Die Analyse der Münchner Überwachungsbänder ergab, dass die beiden sich in letzter Zeit oft stritten. Außerdem ist er für rechtswidriges Angeln vorbestraft.“
Mark wusste, dass Claire keine Ruhe geben würde bis er etwas tat. „Schick eine Drohne rüber! Schauen wir uns den Kerl mal an.“
Westpark, München
Erik wählte den Weg durch den Park zurück zu Til. Hier hatte er immer seine Ruhe. Ihm fiel auf, dass dies auch der Weg war, den er immer nahm, wenn er Jessica besuchte. Er war wütend auf sie. Zwar kam die Nachricht nicht unerwartet – schließlich haben sie in letzter Zeit oft gestritten aber dennoch: Sie hätte wenigstens persönlich Schluss machen können. Aber was solls? Er wollte sich den Tag nicht von Jessica verderben lassen. Als er schon fast wieder die Straßen erreicht hatte, vernahm er ein Summen. Am Rande einer Baumgruppe erspähte er eine Drohne in der typischen blauen Farbe der Crime Prevention.
Erik wurde nervös. Haben sie uns doch beim Fischen erwischt? Er wurde schon einmal erwischt und das war damals nicht billig. Beim zweiten Mal wäre es noch teurer. Er beschleunigte seinen Schritt während die Drohne langsam auf ihn zuglitt.
Crime Prevention Center, München:
„Hölzer hat seine Geschwindigkeit erhöht“, ließ die Künstliche Intelligenz verlauten.
„Hmm...“, erwiderte Mark, dem dieser Mann langsam auf die Nerven ging, „vielleicht hat er doch was zu verbergen. Flieg näher ran! Und schicke eine Intervenierungsdrohne!“
„Ihnen ist bewusst, dass eine bewaffnete Drohne die Situation verschärfen könnte?“
„Ich habe diesen Job noch nicht lange genug. Ich will sicher gehen, dass ich Notfall eingreifen kann.“
Der Crime Preventor beobachtete die Bilder der Drohne und die GPS-Position der Zielperson, die ihm über dessen Handy gesendet wurden. Hölzer bewegte sich auf eine Baumgruppe zu.
„Kann die Intervenierungsdrohne ihm den Weg abschneiden?“, fragte Mark.
„Nach den momentanen Daten wird das Einsatzgerät dafür ein paar Sekunden zu spät kommen.“
Unter den Bäumen könnte sich die Situation schwieriger gestalten. Die Sicht war um diese Uhrzeit auch ohne Blätter schlecht genug.
„Wir haben einen Bodyscan durchgeführt. Hölzer ist mit einem Jagdmesser bewaffnet. Die errechnete Wahrscheinlichkeit für ein Strafdelikt ist auf 31,2 Prozent gestiegen.“
Das war zu viel für Mark. „Schreite sofort ein! Gib ihm zu verstehen, dass er sich stellen muss.“
Westpark, München
„Erik Hölzer“, tönte eine blecherne Stimme durch den Park, „bleiben Sie augenblicklich stehen!“
Bei diesen Worten zuckte Erik zusammen. Er wusste natürlich, dass er mit dem Fischen nicht davon kommen würde. Nur leider wollte der Alkohol in seinem Blut nichts davon wissen. Also lief er panisch in Richtung der Bäume, ohne darüber nachzudenken, dass das eine furchtbar dumme Idee war. Drohnen konnten fast jeden aufspüren – egal wie weit man lief. Er hatte schon ein paar Bäume hinter sich gelassen, als er ein zweites Summen vernahm. Es war fast schon ein Brummen.
„Erik Hölzer, bleiben Sie stehen! Wir sind bewaffnet.“
Erik erwachte aus seiner Trance. Er hielt inne, drehte sich mit erhobenen Händen um und blickte in die Scheinwerfer einer bewaffneten Intervenierungsdrohne. Geblendet torkelte er ein paar Schritte zurück und stolperte über eine Wurzel. Benommen stützte er sich auf einem großen Stein ab und versuchte aufzustehen, doch ihm war vom Sturz und vom Alkohol so schwindelig, dass er kurz wartete, um sich zu sammeln.
Crime Prevention Center, München:
„Er hat nach einem Stein gegriffen und ist in Deckung gegangen“, erläuterte die Drohne, „Er könnte die Drohne aus dieser Entfernung treffen.“
Angst überkam Mark. Würde er diese Drohne verlieren, würde die nächste etwas länger brauchen, um in dieses Gebiet zu kommen. Vielleicht zu lange.
„Gib einen Schuss auf sein Bein ab.“
„Die Sichtverhältnisse sind unter den Bäumen nicht optimal.“
„Tu es!“, kreischte Mark panisch.
Crime Prevention Center, sieben Stunden später
„War es unvermeidlich, Erik H. zu neutralisieren?“, fragte die hübsche Reporterin. Mark war etwas mulmig zu Mute. Letzte Nacht wurde auf sein Kommando hin ein Mann erschossen. Er war in Panik geraten und hatte eigentlich bloß das Bein treffen wollen.
Er hätte wahrscheinlich gar nicht geantwortet, aber glücklicherweise tat das die Dienstaufsicht neben ihm
„Erik H. hat sich höchst unkooperativ gezeigt. Er ist in einer Baumgruppe in Deckung gegangen und war im Begriff, eine unserer Drohnen anzugreifen. Wir konnten ihn nicht mit einem Jagdmesser entkommen lassen. Das wäre ein zu hohes Risiko gewesen.“
Mark stand schweigend daneben. Er dachte an die Befragung eines Freundes von Hölzer. „Das Jagdmesser hatte er nur dabei, weil wir fischen waren“, hatte er gesagt. „Er wollte damit doch nicht auf Jessica losgehen!“
Was wenn Hölzer wirklich niemandem etwas tun wollte? Was wenn Claire alles falsch verstanden hat? Aber das kann nicht sein! Die Crime Prevention täuscht sich nicht! Das haben sie uns immer gesagt.
Die Crime Prevention täuscht sich nicht!