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Croatoan
Er hat mir keine Zeit zum Ausruhen gelassen. Wir trainieren schon seit mehr als zwei Stunden und ich habe noch keine einzige Pause gemacht. Aber würde ich mein Volleyballtraining vernachlässigen, könnte ich auch nicht bei ihm sein. Deswegen strenge ich mich auch besonders an, wenn er sich dazu bereit erklärt, mit mir alleine für die Wettkämpfe zu üben. Und auch wenn er manchmal sehr streng ist – ich kann nicht sauer auf ihn sein.
„Du warst nicht schlecht heute. Aber die Angabe von oben sollten wir noch mal üben. Am Besten du kommst morgen noch mal vorbei. Um 17:00 Uhr bin ich mit den Anderen fertig, danach kannst du kommen.“, sagt er und ich frage mich, ob es überhaupt möglich ist, ihn zufrieden zu stellen. Ich nicke und schaue auf den Boden, er soll nicht sehen, dass ich rot werde. Rot vor Scham, weil ich nicht das kann, was ich können sollte.
Er legt den Kopf zur Seite und lächelt mich an und ich blicke wieder hoch und lächle zurück, was für ein Moment.
Aber er hält nicht lange, denn er tut etwas, was er noch nie zuvor getan hat, er klopft mir auf die Schulter und sagt „Du hast Talent, lass den Kopf nicht hängen“, und ich bin der Glücklichste Mensch auf der Welt und selbst die kalte nackte Sporthalle in der wir uns befinden wird zu einem besonderen Platz und ich weiß gar nicht was ich antworten soll, also bedanke und verabschiede ich mich und gehe.
„Und, wie war das Training?“
Ich weiß, dass Jessica nur aus Routine fragt, schließlich muss sie das, sie ist meine große Schwester. Sie steht in der Küche und macht sich ein Sandwich.
„Naja, Alex war dieses Mal hinterher nicht so scheiße zu mir“, antworte ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
„Na, sei doch froh, bei dem Kerl. Nicht nur, dass er ein sehr gesundes Ego hat, er sieht auch noch verdammt gut aus! Oder nicht?“
„Würd ich auf ihn stehen, wenn es nicht so wär’?“
Sie lacht und sagt, ich solle die Finger von ihm lassen, schließlich sei er ja mein Trainer und das würde dem Training oder in einem Spiel nur im Weg stehen. Ausserdem würde ich seine Kritik viel zu persönlich nehmen, wenn er erstmal mein fester Freund sei.
Ich winke ab, gehe ins Wohnzimmer und schalte den Fernseher an, sie soll aufhören mich zu nerven. Als ob ich das nicht wüsste, als ob ich nicht schon zig Male darüber nachgedacht hätte, hält sie mir eine Predigt. Nervensäge.
Im Fernseher läuft nur Schrott, nichts, was mich wirklich interessieren könnte.
Jessica ist inzwischen wahrscheinlich in ihr Zimmer gegangen, so dass ich alleine im Wohnzimmer sitze und nichts mit mir anzufangen weiss. Also beschließe ich, mir ein wenig die Beine zu vertreten, Mingo muss sowieso raus.
Automatisch gehe ich in die Richtung, die zu Alex Haus führt, nicht weil ich etwas von einem Stalker habe, sondern weil sein Haus direkt am Ende des Waldweges steht. Manchmal sehe ich ihn dann in seinem Garten, wo er dann meist ein Buch liest oder sich mit seinen Blumen beschäftigt. Ein Sportler, der mit Blumen redet, so einer ist er.
Beim Gehen muss ich Mingo mehrere Male schimpfen, denn im Sommer jagt er allem hinterher, was sich bewegt, er ist klein und verspielt, denn schließlich ist er erst gut ein Jahr alt und weiss noch nicht viel vom Leben, er hat’s gut.
Wir sind fast bei ihm angekommen, ich zünde mir eine Zigarette an, um meine Nervosität zu zügeln. Was ist los mit mir?
Es mag ja sein, dass er gut aussieht und ein klar denkender Realist ist, trotzdem eine positive Einstellung zum schweren Leben hat und ich ihn dennoch, oder vielleicht sogar gerade deswegen mag. Aber das muss doch nicht heißen, dass mehr dahinter steckt, vielleicht eine kleine Verliebtheit, mehr nicht. So was geht vorbei, zumindest versuche ich mir das einzureden.
Ich bin da, aber ich sehe ihn nicht. Durch sein Fenster kann ich sehen, dass Licht im Haus brennt, er ist wohl zuhause, obwohl das Wetter so schön ist und ich hier stehe, also gehe ich weiter, langsam und Schritt für Schritt darauf hoffend, dass er ganz plötzlich doch in den Garten geht.
Aber ich hoffe vergebens, die Enttäuschung kann ich nicht verdrängen und sie wäre mir mit Sicherheit auch anzusehen, ich nehme einen tiefen Zug von meiner Zigarette und lege den Kopf in den Nacken. Die Sonne scheint mir ins Gesicht und Mingo bellt, er hat sicherlich wieder irgendein Nagetier entdeckt.
„Guck lieber nach vorne, sonst trittst du noch in Hundescheiße!“, höre ich jemanden mit spöttischer Stimme sagen und ich weiss sofort, wer es ist. Hektisch bringe ich meinen Kopf wieder in die richtige Position und Alex kann sich sein Lachen nicht verkneifen.
„Tut mir Leid, die Sonne war grad so… Und da hab ich… Eh… Ach, drauf geschissen, was machst du hier?“, versuche ich mich aus der Situation zu retten und zum Glück funktioniert es sogar. Alex lächelt mich noch immer an und fährt sich mit der Hand durch seine schwarzen Haare, er ist unwiderstehlich und das weiss er.
„Hm… Um ehrlich zu sein, dachte ich mir, dass du hier lang kommst. Ich wollte dich etwas fragen.“
Mein Herz schlägt so laut, dass ich Angst habe, er könnte es hören. Er hat auf mich gewartet, auf mich, um mich etwas zu fragen, er hat eine Frage an mich.
„So? Was denn?“
Kann man Nervosität überspielen? Kann man ein glühendes Gesicht, nervöses Zucken in sämtlichen Gesichtsmuskeln, und das Funkeln in seinen Augen überspielen? Durch ein Lächeln vielleicht?
„Keine Angst. Es hat nichts mit Volleyball zu tun.“
Er versucht mich zu beruhigen, doch die Tatsache, dass er mich privat etwas fragen will, macht mich nur noch nervöser.
„Also Freddie, Jana, Kishan…äh… Maron, Crischi, Pauli, ich und noch ein paar Leute aus dem Team wollen Freitagabend weg gehen, vielleicht tanzen oder so. Und da wollte ich dich fragen, ob du vielleicht auch Lust hast, mitzukommen. Wir wollen dich ja nicht ausschließen.“
Den letzten Satz sagt er lachend und stupst leicht mit seinem Ellenbogen an meinen Arm und kommt einen Schritt näher und ich bin so aufgeregt, ich glaube, ich kotze mein Herz aus.
„Hm? Was sagst du?“, fragt er und jetzt erst merke ich, dass ich noch voll verblödet grinse und keine Antwort gegeben habe, sondern erbarmungslos meinen Tagträumen verfallen bin.
„Äh… Ja, ich denk schon, dass das geht. Ich sag dir morgen aber noch Bescheid.“
„Alles klar! Was zum…?“
Noch während ich erwarte, dass er mich küsst, als sei es das letzte, was er tut, werde ich aus meiner Wahnvorstellung gerissen und muss feststellen, dass Mingo sich vergnügt an Alex` Bein zu schaffen macht. Alex versucht mühevoll, sich loszureißen, aber Mingo lässt sich nicht aufhalten, er vögelt sein Bein weiter, bis ich ihn wegzerre und mit ihm schimpfe.
Mit einem unsicheren Lächeln drehe ich mich wieder zu Alex, habe Angst, dass er jetzt sauer auf mich ist und mich Freitagabend vielleicht doch nicht mehr dabei haben will.
Stattdessen muss ich feststellen, dass er weint, er weint Freudentränen vor Lachen und schnappt krampfhaft nach Luft und es reißt mich mit und wir lachen zusammen und ich liebe diesen Moment.
„Dein Hund ist geil!“, bringt er schließlich mit Mühen hervor und ich nicke zur Bestätigung.
Wie so oft, fährt er sich mit seiner Hand durchs Haar, strahlt mich mit seinen grünen Augen an und fragt mich, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, ob wir nicht ein kleines Stück zusammen gehen wollen und natürlich sage ich „Ja, klar, gerne!“, und ich befürchte, das war zu offensichtlich, aber er sagt nichts, er lächelt nur und deutet mit seinem Kopf in die Richtung, in die wir gehen wollen und ich lächle zurück und gehe langsam neben ihm her.
Ich sollte nachdenken, bevor ich etwas sage, ehrlich.
Wir spazieren über eine Stunde und der Gesprächsstoff geht uns nicht aus. Er ist wirklich nett und wie sich rausstellt, haben wir viele Gemeinsamkeiten. Er ist gerade mal 21 und hat schon so viel erreicht, wie zum Beispiel sein eigenes Haus, welches er nur durch das Geld, das er von seinen verstorbenen Eltern geerbt hat, finanzieren kann, oder das er schon Trainer seiner eigenen Mannschaft ist. Ich fühle mich klein neben ihm. Ich habe keine einzige Auszeichnung und trotzdem trainiert er mit mir, er meint ich könne eines Tages etwas wirklich Großes erreichen, aber ich würde nicht genug an mich glauben, sagt er, und ich weiß, dass er Recht hat. Selbstzweifel sind der Weg zur Perfektion.
Es ist Mittwoch und wieder trainieren wir alleine, weil das eigentliche Training ja erst morgen ist.
Heute ist es anders als sonst, Alex hat mir mehr Zeit gelassen und mir immer wieder gezeigt, wie ich die Angabe von oben richtig zu machen habe und ich denke, ich war gut. Denn das hat er auch gesagt, obwohl ich das Gefühl hab, dass er das nur getan hat, damit ich ihn und die anderen Freitag nicht sitzen lasse. Vielleicht mag er mich ja wirklich und will unbedingt dass ich komme, oder vielleicht hab ich auch einfach nur einen an der Klatsche.
So oder so zähle ich die Stunden bis zu dem Abend und kann es kaum erwarten, mit Alex und dem Rest von uns wegzugehen.
Jessica hat versucht, mir beim Styling zu helfen, weil ich selten in Discos gehe, und wenn, dann nur mit irgendwelchen Leuten, die mich gut kennen, und ohne den Hintergedanken, jemand Besonderen für mich gewinnen zu wollen. Aber meine Frisur, mein Outfit, das bin nicht ich und als ich ihr das sage, steht sie den Tränen nahe und sagt, sie wolle nur eine gute Schwester sein. Aber die Nummer zieht bei mir nicht, also gehe ich mich umziehen, versuche natürlich zu wirken, selbst wenn ich das Gefühl habe, vor Aufregung in die Luft gehen zu müssen. Um neun wollten sie mich abholen kommen, das ist zehn Minuten her.
Ich gehe auf und ab, und Jessica bewirft mich mit einer leeren Dose und sagt, ich solle mich endlich mal beruhigen, aber ich kann nicht und als es bereits 20 nach neun ist, will ich die Hoffnung aufgeben und heulen, als es plötzlich an der Tür klopft.
„Das sind sie!“, rufe ich laut und hoffe, dass sie es nicht gehört haben. Ich öffne die Tür und sehe weit und breit niemanden, außer Alex, der freundlich lächelt und extrem gut aussieht.
„Hi.“ mehr bringe ich nicht hervor und auch er sagt Hallo und dann weiß ich nicht weiter.
„Die anderen hatten keine Lust, den Umweg zu fahren und sind deswegen schon im Croatoan. Wenn es dir nichts ausmacht, nehme ich dich mit.“ Noch immer lächelt er und ich bin einerseits enttäuscht, dass Crischi und vor allem Jana, meine beste Freundin, zu faul gewesen sein sollen, mich abzuholen, aber andererseits holt Alex mich trotzdem ab, was bedeutet, dass ihm etwas an meiner Anwesenheit liegt. Ich gehe die Sache optimistisch an und bedanke mich bei ihm, nehme meine Jacke und dann fahren wir los.
Er hat einen komischen Musikgeschmack. Zuerst läuft Reggae aus seinem CD Player, dann Rock, House, Hip Hop und dann Oldies und ich frage mich, wie man so viele Musikrichtungen gleichzeitig toll finden kann.
Ich möchte ein Gespräch anfangen, aber mir fällt nichts ein, doch dann bricht er das Eis indem er mir eine Zigarette anbietet und ich nehme an und sage „Danke“ und er antwortet „Für den Tod bedankt man sich nicht“ und ich lache und dann unterhalten wir uns.
Wir reden über das Croatoan, die Disco, in die wir fahren und über die Bedeutung des Wortes. Es ist eine Legende und unsere beiden Versionen der Geschichte unterscheiden sich ein wenig.
Die Legende besagt, dass die ersten Englischen Kolonien um 1580 rum die Insel Roanoke Island besiedelt haben und nach einem Streit mit den Einheimischen zogen sich die Kolonisten vorerst zurück. Doch dann starteten sie einen zweiten Versuch und der Gouverneur John White ist dieses Mal dabei. Einige Zeit später fährt dieser los, um Versorgungsnachschub aus England zu holen. Aber als er zurückkommt, muss er feststellen, dass die gesamte Kolonie von 117 Menschen spurlos verschwunden ist. Der einzige Hinweis, den er vorfindet, ist das in einen Baum geritzte Wort „CROATOAN“, welches keine Bedeutung hat.
Es gab weder Anzeichen darauf, dass sie ermordet oder ertränkt wurden, noch dass sie entführt worden sind. So blieb der Fall ungeklärt. Das, zumindest, ist meine Version. Er glaubt, dass die Kolonisten alle geflohen sind, weil sie Angst vor den wütenden Geistern auf der Insel hatten, die da angeblich ihr Unwesen getrieben haben. Ich weiß nicht, ob er wirklich daran glaubt, aber er wirkt schon ziemlich überzeugt, als er mir erzählt, wie er das sieht.
Ich, für meinen Teil, glaube nicht an Geister.
Als wir ankommen, können wir die anderen nicht finden, also bestellen wir uns etwas zu trinken.
„Musst du nicht noch fahren?“, frage ich, als er gerade einen Schluck von seinem Whisky-Cola nimmt. Aber er winkt ab und gibt einen zufriedenen Seufzer von sich.
„Wir haben einen Fahrer und Kishan. Ich lass ihn fahren.“
„Kishan? Trinkt er denn gar nichts?“
„Nee, der’s doch Moslem!“
„Ach, ja, hatte ich vergessen. Hm… dann kannst du ja heute die Sau rauslassen!“
Ich lächle ihn an und er lächelt zurück und dann trinkt er aus und fragt, ob wir die anderen suchen wollen, ich nicke und wir suchen fast 20 Minuten, als wir sie genau dort finden, wo wir angefangen hatten, sie zu suchen, nämlich an der Bar.
„Ach, da seid ihr ja!“, ruft Freddie. Ich glaube, er ist ein bisschen verliebt in mich.
„Ja, wir haben euch ja auch ganz schön lange gesucht.“, antwortet Alex.
„Tanzen wir?“, fragt er uns und ohne eine Antwort zu bekommen stürzt er sich in die Menge und wir stürzen nach.
Es ist ungeheuer witzig mit ihm, denn er macht ständig Leute nach, die seiner Meinung nach komisch tanzen oder scheiße aussehen und wenn er sie dann so nachahmt, kann sich keiner von uns halten.
Wir trinken und feiern und tanzen und trinken wieder, bis Freddie irgendwann auf der Toilette kotzt und mir seine Liebe gesteht. „Du bist hacke“, antworte ich darauf und lasse ihn alleine dort und gehe wieder zu Alex.
„U-und? Wie geht’s ihm soo?“, leiert Alex und ich zucke nur mit den Schultern und sage „Passt schon“ und langsam merke auch ich den Alkohol.
Einige Zeit später können wir kaum noch stehen, tanzen aber immer noch weiter und ich und Alex haben uns etwas vom Rest der Gruppe gelöst und wir kommen uns immer näher, so dass wir tanzen, er und ich, zusammen.
Irgendwann schleppt er mich mit sich zur Bar und wir trinken noch etwas, das wird verdammt teuer, denke ich, als Alex genau das sagt. Deswegen fange ich an zu lachen und er schaut mich erst mit einem fragenden Blick an, lacht dann aber auch mit, und wir kriegen uns nicht mehr ein, was womöglich am Alkohol liegt.
Um uns herum ist es laut, es stinkt, es ist spät, wir sind betrunken und müde und gleichzeitig wollen wir feiern, bis die Disco schließt, als Alex mich ansieht und nichts sagt, er zieht mich einfach nur zu sich und küsst mich, als gäbe es kein Morgen.
Ich bin zunächst überrascht, gebe mich danach aber voll und ganz dem Kuss hin und erst Freddies Stimme unterbricht den scheinbar nicht enden wollenden Kuss.
„Alex, was zur Hölle tust du da?“, schreit er so laut, dass selbst das Dröhnen der Musik dagegen leise klingt.
„Wonach sieht’s denn aus?“, fragt Alex spöttisch und zwinkert mir zu, ohne zu wissen, was für eine beschissene Situation das für mich ist.
Freddie sieht mich geschockt an und weiß erst nicht was er sagen soll, meint dann, ich sei hinterfotzig und rennt weg, wohin auch immer.
Es sollte mich berühren, ich sollte mich schuldig fühlen oder zumindest ein schlechtes Gewissen haben, aber es lässt mich eiskalt. Viel zu glücklich bin ich darüber, dass Alex mich geküsst hat.
Jetzt sieht er mich an und fährt sich wieder durch sein Haar und ich grinse ihn an und trinke aus, was genau das ist, weiß ich nicht mehr, aber es sollte mein letztes Getränk für diesen Abend sein.
Wir haben es an diesem Abend nicht nur bei einem Kuss belassen, es passiert wieder und wieder und es wird von mal zu mal besser, so dass wir auch auf der Rückfahrt im Auto nicht die Finger voneinander lassen können, was Jana, die neben uns beiden sitzt, nicht mitbekommt, da sie viel zu betrunken und bekifft ist.
Von Drogen halte ich wirklich nichts.
Ich hab es Jessica nicht erzählt, ich weiß, sie hätte mir nur wieder einen Vortrag gehalten und meinen Eltern konnte ich es auch nicht erzählen, weil ich nicht viel mir ihnen zu tun hab.
Aber Jana weiß inzwischen alles.
Wir sind beim Training und sie ist wahrscheinlich die einzige Person, die nicht irgendwie sauer auf mich ist. Die anderen sehen mich nur komisch an, Freddie hat mich noch nicht einmal begrüßt.
Als Alex in die Sporthalle kommt, vermeidet er den Blickkontakt mit mir, das merke ich sofort und ich fühle mich komisch. Es ist ein flaues Gefühl im Magen, Fragen kommen auf.
Noch nie zuvor hat mich ein Kerl nach so etwas ignoriert, nicht einmal im Zusammenhang mit Alkohol und Alex hat die vollen 120 Minuten lang kein Wort zu mir gesagt, obwohl er mir normalerweise immer irgendeine fiese Kritik an den Kopf wirft.
Mir war klar, dass es etwas komplizierter beim Training sein würde, wenn etwas zwischen mir und Alex läuft, aber dass alle sauer auf mich sind und selbst Alex von den anderen nicht so behandelt wird wie sonst, lässt mich nachdenken.
Am Ende sind alle aus der Halle gegangen, ich wollte auch gerade gehen, als er mich zu sich ruft. Jana steht vor mir, ich schaue sie an und sie deutet mit dem Kopf in seine Richtung und sagt „Geh schon“.
Diese ganze Situation hat mich wütend gemacht, so dass ich ihn keines Blickes würdige sondern an die Wand gelehnt auf das warte, was er mir zu sagen hat. Aber er sagt nichts.
Ich weiß, er wartet darauf, dass ich ihn angucke, aber diesen Gefallen will ich ihm nicht tun. Scheinbar hat er das begriffen und seufzt und schlägt mit der Faust gegen die Wand und ruft „Scheiße!“
„War’s das?“, frage ich und er sieht mich mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck an und sagt, dass ich zuhören solle.
„Dir ist klar, dass das nichts werden kann? Ich bin verdammt noch mal dein Trainer und es war verdammt noch mal ein Fehler“
„Ich fine nicht, dass es verdammt noch mal ein Fehler war, denn ich fand’s geil. Ich verstehe auch nicht, warum du es so bereust, schließlich hast du mich geküsst und nicht umgekehrt!“
„Ich war betrunken!“
Ich winke ab und schüttle den Kopf.
„Ist 'ne echt kreative Ausrede. Man, lass dir was Besseres einfallen!“
Er will noch etwas sagen, aber ich gehe und ignoriere, dass er mir noch ein paar Mal meinen Namen hinterher ruft.
Ich bin eine Woche lang nicht mehr zum Training gegangen. Es ist feige, aber besser, als das Schamgefühl dass ich nun in Alex` Nähe empfinde.
Ich sitze in meinem Zimmer und lese die Legende von Babylon, als es an meiner Tür klopft. Jessica steckt ihren Kopf durch den Türspalt und sagt „Post für dich.“
Ich bitte sie, zu gehen und als sie weg ist, öffne ich den Briefumschlag.
Es ist ein zusammengefaltetes DIN-A5 Blatt, auf dem handgeschrieben nur wenige Worte stehen.
„CROATOAN – Lass es eine Erinnerung sein.“
Ich lächle und schüttle den Kopf. So ein Idiot.
Bevor ich den Brief wegschmeiße, schaue ich auf den Umschlag.
„An Marco“ steht drauf.
Ich stehe auf, gehe runter und rufe Mingo. Zeit für einen Spaziergang.