Döner, Krieg und Currywurst
Meine Pommesbude am Engelbertbrunnen war eine Institution. 24 Jahre frittierte ich Pommes frites und briet die legendären Bochumer Dönninghaus Würstchen, dazu kredenzte ich eine Currysauce, die im Ruhrgebiet ihres gleichen suchte. Ich war ledig, hatte mein Auskommen, führte also ein glückliches Leben.
Das Unheil nahm seinen Lauf, als Gisela Träter, alle nannten sie nur Gila, ihren Obstladen auf der anderen Straßenseite aufgab.
Wochenlang wurde gerätselt, was für ein Geschäft in dem leer stehenden Laden eröffnen würde. Wie immer kursierten die Gerüchte um Sexshops bis hin zu Spielhallen. Willy, ein alleinstehender Rentner, der sich immer mittwochs zwischen 18:00 und 18:30 Uhr ein halbes Hähnchen mit Pommes und Krautsalat bei mir holte, versicherte mir, dass der Kumpel von einem Kumpel, der bei der Stadt arbeitete, gesagt hätte, dass eine Fixerstube in den Laden kommen würde. Drogensüchtige?, ging es mir durch den Kopf. Spritzen mit schmutzigen Nadeln, überall zwischen den Begonien in den Blumenkübeln vor meiner Bude. An diesem Abend reifte der Plan in meinem Kopf eine Bürgerinitiative gegen diese Fixerstube ins Leben zu rufen. Als ich am nächsten Morgen, wie immer aus der U-Bahn-Station kam und meinen Blick auf Gilas ehemaligen Obstladen warf, da wäre ich vor Schreck fast vor eine Laterne gelaufen. Ein leuchtend rotes Banner war quer über das Schaufenster des leerstehenden Ladens geklebt. Ich rieb mir die Augen, schloss sie kurz und machte sie wieder auf. Das Banner war noch immer da. In schwarzen Lettern stand die Werbung für das neue Geschäft darauf.
„Demnächst hier – Döner Grill Pamukale!“
Meine Knie wurden weich, ich begann, zu schwanken. Instinktiv klammerte ich meinen Arm um die Laterne. Die Katastrophe war perfekt! Ein Türke! Döner! Knoblauch!
Eine Woche später drehte sich ein Dönerspieß hinter dem Schaufenster von Gilas Obstladen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich aus meinem Laden das Treiben auf der anderen Straßenseite beäugte, als ein kleiner, dunkelhaariger Mann aus der Tür des Pamukale Grills trat. In seinem Gesicht prangte ein mächtiger Schnäuzer, der mich an den Moustache des Marx Brothers Groucho erinnerte. Als ich bemerkte, dass er direkt auf meine Pommesbude zusteuerte, da griff ich mir eine Zwiebel aus dem Korb unter der Theke und tat so als wäre ich bei der Arbeit. Der Türke trat in meinen Laden.
„Hallo Meister!“, sagte er in akzentfreiem Deutsch. Wen ich etwas hasste, dann war es die Anrede Meister, noch schlimmer war der Sportsfreund. Ich schaute von meiner Zwiebel auf, Tränen in den Augen.
„Was darf es ein?“, fragte ich unmotiviert.
„Mein Name ist Vahap Gökdemir, ich habe den Grill gegenüber. Ich wollte dich heute Abend einladen, eine kleine Eröffnungsfeier.“
Ich traute meinen Ohren nicht. Hatte der Kerl mich wirklich geduzt?
Für ein paar Sekunden beäugte ich meinen Konkurrenten von oben bis unten.
„Hab keine Zeit!“, erwiderte ich und kümmerte mich wieder um die Zwiebel.
Der Mann aus dem Pamekule Grill blieb noch einige Augenblicke vor meiner Theke stehen. Als er endlich merkte, dass ich nicht daran dachte ihn weiter zu beachten, drehte er sich um und ging. In der offenen Tür blieb er stehen und drehte sich noch einmal um.
„Dann eben nicht!“, sagte er beleidigt.
„Schleich dich Kackdemir!“, murmelte ich. Wahrscheinlich sprach ich noch zu laut, den die Miene des Dönerbruzzlers verfinsterte sich. Seine Augen funkelten, und für einen Moment hatte ich den Eindruck, dass er sich jeden Augenblick auf mich stürzen würde. Wortlos verließ er mein Geschäft.
Nach ein paar Tagen fand ich mich mit dem Gedanken ab, dass in Gilas Laden die Knoblauchmafia das Sagen hatte. Konkurrenz wäre dieser Teppichknüpfer sowieso nicht, meine Kundschaft stand auf gute deutsche Currywurst, knusprige germanische Broiler und Pommes frites, die aus dicken Kartoffeln von deutschen Bauern geschnitten wurden.
Vier Wochen später war mein Umsatz um zwanzig Prozent zurückgegangen! Die Stammkundschaft blieb mir zwar treu, aber immer öfter beobachtete ich hungrige Menschen, die auf der Straße stehen blieben, nach rechts und nach links schauten und sich dann für den Türken entschieden. Ein Döner kostete 1, 50 Euro, meine Currywurst 1,80 Euro, mit Pommes sogar 2,70 Euro. Da hatte ich bei den Hartz IV geplagten Völkern keine Chance. In mir reifte die Überzeugung, dass ich etwas unternehmen musste.
In meiner ersten Wut wollte ich dem Türken in einer Nacht und Nebelaktion die Scheiben einschlagen. Doch als ich wieder zur Raison kam, entschied ich mich dagegen. So eine Kurzschlusstat wäre einfach zu billig gewesen. Die zündende Idee kam mir eines Abends vor dem Fernseher. Die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland stand an diesem Sommer an und die letzten freien Plätze für die Endrunde wurden ausgespielt. In einem entscheidenden Relegationsspiel standen sich die Türkei und die Schweiz gegenüber. Das Spiel endete in einer Art Schlacht, Spieler und Betreuer schlugen sich windelweich, die Türkei schaffte es nicht, sich für die WM-Endrunde zu qualifizieren. Feixend rieb ich mir die Hände. Gleich am nächsten Morgen rief ich einen alten Bekannten an, der in Gelsenkirchen eine kleine Druckerei besaß. Ich musste mich beeilen, denn mein Vorhaben würde um so erfolgreicher sein, je tiefer der Stachel der Niederlage bei den Türken noch steckte.
In einer Nacht, zwei Tage nach dem Relegationsspiel, füllte ich meinen Flachmann mit Malteserkreuz und setzte meinen Plan in die Tat um.
Am nächsten Morgen war ich bereits um neun Uhr in meiner Pommesbude. Ich wollte mir das Schauspiel vor dem Pamukalegrill nicht entgehen lassen. Es dauerte nicht lange, bis sich eine Menschentraube vor Gökdemirs Laden versammelt hatte. Die komplette Fensterfront des Ladenlokals war von mir mit Schweizer Fahnen tapeziert worden. Wo man nur hinschaute, prangte das weiße Malteserkreuz auf rotem Grund. Auf das Gesicht des Türken freute ich mich wie ein kleines Kind, dann kam er, um kurz vor zehn. Gökdemir blieb einige Meter vor seinem Ladenlokal stehen, musterte die Menschentraube. Über den Köpfen der Leute sah er die ersten Schweizer Kreuze. Ganz langsam drehte er sich um, schaute zu mir herüber. Unsere Blicke trafen sich. In diesem Augenblick wusste ich, dass ich einen Krieg entfacht hatte.
In den nächsten Wochen folgte ein Vergeltungsschlag nach dem anderen. Drei Tage nach der Schweizer Nacht öffnete ein Maskierter die Tür zu meiner Pommesbude und schmiss einen Beutel mit Buttersäure in meinen Laden. Der Beutel zerplatzte und die Säure verwandelte mein Geschäft in eine Kloake. Der Geruch nach Erbrochenem verschwand nie wieder ganz aus meiner Bude. Über eine Woche musste ich sogar schließen. In der Folgezeit sanken meine Einnahmen ins Bodenlose. Als ich eines Tages meinen Stammgast Willy mit einem Döner in der Hand aus dem Pamukale Grill schleichen sah, da wäre ich fast in Tränen ausgebrochen. Doch ich gab nicht auf! Immer wieder hetzte ich Gökdemir das Gesundheitsamt auf den Hals. Er begann Bratwurst für achtzig Cent zu verkaufen. Ich schaffte mir einen Drehspieß an und verkaufte Döner für 99 Cent. So zog sich das über Wochen. In der Zwischenzeit schloss Eddie Hauser sein Buchgeschäft an der Ecke, Deutschland wurde Vizeweltmeister und zu meiner Freude beherrschte der Skandal um vergammelte Dönerspieße die Tagespresse.
An einem Freitag Nachmittag im August, ich hatte Gökdemir am Vormittag zwanzig weiße Mäuse liefern lassen, stürmte der Türke mit erhobenem Dönermesser aus seinem Laden. Ich schnappte mir meine WMF-Geflügelschere und rannte meinerseits nach draußen. In der Mitte der Straße, direkt neben dem Blumenkübel mit den Begonien, trafen wir uns. Gökdemir rammte sein Messer wie einen symbolischen Fehdebrief mit voller Wucht in die Erde des Blumenkübels. Mit meiner Schere tat ich es ihm gleich. Auge in Auge musterten wir uns.
„Das muss ein Ende haben!“, sagte er mit ausdrucksloser Stimme.
Ich nickte.
„Morgen früh um sechs Uhr! Nur wir beide, keine Waffen! Ein ehrlicher Kampf! Wer verliert verzieht sich mit seinem Laden auf Nimmerwiedersehen!“, schlug ich vor.
Jetzt nickte Gökdemir.
„In Ordnung! Morgen früh um sechs!“
Wir zogen unsere Küchenutensilien wieder aus der Blumenerde und traten den Rückzug in unsere Läden an.
In der folgenden Nacht machte ich kein Auge zu. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Ich war noch nie ein großer Kämpfer gewesen, um es kurz zu machen, ich hatte die Hosen voll. Trotzdem wollte ich mich nicht drücken. Fünf Minuten vor sechs stand ich am nächsten Morgen vor meinem Laden und wartete auf Vahap Gökdemir. Wenige Minuten später kam mein Widersacher, allein, wie abgemacht. Als die Glocke der Pauluskirche die sechste Stunde läutete, da sollte der Bochumer Imbissbudenkrieg seinen Höhepunkt erreichen. Sofort verpasste ich Gökdemir eine krachende Linke. Ich weiß nicht, wer lauter schrie, er oder ich? Meine Hand schmerzte als wäre sie unter die Räder eines Lastwagens gekommen. Gökdemir machte ein paar Schritte zurück und wurde von einer Laterne gestoppt. Seine Nase blutete und wirkte ungewöhnlich schief. Urplötzlich kam er auf mich zu und trat mir mit voller Wucht zwischen die Beine. Ich schrie wie am Spieß. Schmerzen durchfluteten meinen Körper wie ein glühender Lavastrom. Wieder kam der Türke auf mich zu. Er holte erneut zu einem Tritt aus. Reflexartig ließ ich mich auf die Seite fallen. Gökdemirs Fuß verfehlte mich und prallte gegen den Blumenkübel mit den Begonien. Sein Schrei war spitz und markdurchdringend, mein hämisches Lachen ging darin unter. Ich raffte mich auf und wollte dem Dönermann den Rest geben. Doch ich hatte ihn unterschätzt. Gerade als ich ihm in die Seite boxen wollte, schnellte er zurück. Mein Schlag ging ins Leere. Ich taumelte, gewann aber mein Gleichgewicht zurück. In diesem Augenblick traf mich Gökdemirs Faust genau am Kinn. Sterne breiteten sich vor meinen Augen aus. Ich wankte, stieß mit dem Knie vor den Blumenkübel, dann bekam ich den Türken an der Jacke zu fassen und riss ihn zu Boden. Offensichtlich schlug mein Widersacher mit dem Kopf auf der Straße auf, denn als ich irgendwann wieder zu Bewusstsein kam, schlummerte er unter mir. Ich ließ mich von ihm herunterrollen. Mühsam kam ich wieder auf die Beine. Benommen setzte ich mich auf den Rand des Blumenkübels. Ich rieb mir mein Kinn und streckte meine Beine, dann fiel mein Blick auf den Laden, wo bis vor kurzem die Bücherei Hauser ihr zu Hause hatte. Ein Mann stand vor dem Schaufenster und klebte ein Plakat an die Scheibe. Als er zur Seite trat, da sah ich, was darauf stand.
„Das glaube ich nicht!“, murmelte ich.
„Was glaubst du nicht?“, fragte Vahap Gökdemir, der wieder zur Besinnung gekommen war.
„Schau dir das an! Komm, steh auf!“
Der Türke raffte sich auf, setzte sich stöhnend zu mir auf den Blumenkübel und folgte meinen Blick.
„Bei Allah, das kann doch nicht wahr sein!“, sagte er mit großen Augen, nachdem er gelesen hatte, was auf dem Plakat stand.
„Doch, ist wahr! Am 02. November eröffnet hier MC Donalds!“
Pünktlich zur Eröffnung der Burgerfiliale gaben Vahap und ich unsere Imbissstuben auf. Einen Monat später eröffneten wir gemeinsam einen deutsch-türkischen Grill in Bochum-Werne. Eindeutig eine Marktlücke, unsere Spezialität ist Döner mit Currysauce.