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Da bist du ja
Da bist du ja.
Du bist ein wenig zu spät heute, mein Schatz. Wenn du nicht aufpasst, versäumst du noch den Bus und kommst wiedermal zu spät zur Arbeit. Aber das macht dir ja nichts aus - du becirct sie mit deinem Charme und alles ist wieder gut. Wie immer, wenn du mal verschlafen hast und du dein Frühstück - bestehend aus 2 Eiern, einem Brötchen mit Nutella und einer Tasse Kaffee mit viel zu viel Zucker - ausfallen lassen musst und stattdessen die Fast-Food-Variante zu dir nimmst. Nur Eier und Kaffee. Mit viel Zucker.
Was war es denn diesmal, hm? Lag dir der Männerabend gestern zu schwer im Blut oder hast du dein morgendliches Wichsen unter der Dusche mal wieder zu ausführlich gestaltet?
Ich schaue zum Fenster hoch und suche nach verräterischem Kondenswasser an der Scheibe, doch ich kann keines entdecken. Dabei fällt mir auf, dass ich den Part im Badezimmer heute mal wieder verschlafen haben muss. Mist. Ich liebe es, dein Profil zu sehen, wenn du dich minutenlang selbstgefällig im Spiegel betrachtest, dich rasierst und dein akribisch genau geschnittenes Haar sorgfältigst in Form bringst und dabei sicherlich mehr Gel verwendest als die Mitglieder einer Boygroup zusammen. Aber du siehst perfekt damit aus, mein Schatz. Auch wenn es nur das billige Haargel von Lidl ist.
Ich grinse, während ich den Motor meines Wagens anlasse. Du solltest mal wieder einkaufen gehen. Dein Vorrat dürfte allmählich zur Neige gehen, wie auch der an Kaffee und Spaghetti. Ich kenne niemanden, der so oft Spaghetti isst wie du. Ach, und gelbe Säcke brauchst du auch wieder. Die türmen sich schon vor deiner Tür.
Hey, cool, du hast ein neues Buch dabei. Dan Brown? Na ja, an deinem Geschmack müssen wir noch arbeiten, aber immerhin besser als das letzte, was du gelesen hast. Ach nein, du hast es ja nicht zu Ende gelesen. Du musstest es ja 'Claudia' geben.
Claudia. Hab' ich dir schon gesagt, dass ich sie nicht leiden konnte? Nein? Sollte ich mal tun. Sie war nicht gut für dich. Sie wusste deine Vorzüge nicht zu schätzen, und damit meine ich nicht die optischen. Die weiß wohl jeder zu schätzen. Ich meine deinen Verstand, deinen Humor, deine Ansichten und die Art, wie du vor dir auf den Boden siehst, wenn dir etwas peinlich ist. Was nicht oft vorkommt, zugegeben, aber wenn, ist dein Blick einfach umwerfend.
Da. Jetzt schaust du wieder so. Die alte Frau hat sich sicherlich bedankt, weil du aufgestanden bist. Was bist du doch für ein Gentleman. Nur schade, dass du nicht zu allen so bist.
Wir sind da, mein Schatz. Du musst aussteigen. Jetzt fängt es an zu regnen, aber du bist ja gleich im Büro. Dann noch deine Jacke aufhängen, allen einen guten Morgen wünschen und hinter deinem peinlich aufgeräumten Schreibtisch verschwinden.
Bis zur ersten Kaffeepause.
"Na, haben Sie heute auch verschlafen?"
Ich zucke zusammen. "Ja, tut mir Leid", sage ich schnell und bevor ich noch rot werde, wende ich mich schnell zum Kaffee-Automaten.
"Ach, lassen Sie mir doch auch einen aus bitte."
"Natürlich. Mit Milch, richtig?"
"Nein", lächelst du. "Mit viel Zucker."
"Ja, richtig", murmle ich und warte, bis die Tasse gefüllt ist; deine Augen immer in meinem Rücken spürend.
"Sie sehen müde aus. Haben Sie schlecht geschlafen?"
Oh, wenn du wüsstest.
"Ach Ingo", unterbricht uns dein Kollege auf einmal, "hab ich das richtig gehört? Claudia hat Schluss gemacht?"
Ich höre dich leise zischen, dann ein paar Schritte, aber zu wenige, um nicht verstehen zu können, was du ihm antwortest.
Mein armer Schatz. Fremde Damenunterwäsche in deinem Bett. Ja, was sollte Claudia da auch denken? Hat dein Lächeln sie nicht vom Gegenteil überzeugen können? Nein? Oh, das tut mir Leid für dich. Natürlich konntest du ihr das nicht erklären. Wie auch?
"Hier bitte", sage ich mit Unschuldsmiene und stelle den Kaffee auf den Tisch, an dem du bis eben noch gesessen hast. "Ihr Kaffee. Mit viel Milch."
Du betrachtest die Tasse und lächelst gequält. "Danke."
"Gern geschehen", antworte ich übertrieben freundlich und wende mich ab.
Sehr gern geschehen, mein Schatz. Du weißt doch, Zucker ist nicht gut für dich. So wie Claudia. Aber du hast ja mich. Ich werde schon für dich sorgen. Und nach der Arbeit sind wir auch wieder alleine und können den Nachmittag gemeinsam genießen.
Und den nächsten.
Und den nächsten.