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Da fehlt doch was
Franz kam mit knallrotem Kopf aus dem Büro des Steuerberaters.
Das gibts doch nicht, dass die mir schon wieder sogut wie die Hälfte abzwacken wollen. Ja, bin ich denn ein Groβunternehmer? Spinnen die? Da bleibt einem ja gar nichts mehr. Dazu noch Sozialversicherung, Lohnsteuer, Einkommenssteuer... Die Stunde Autofahrt hätt’ ich mir sparen können. Das hätte dieser Obertrottel in Reutte auch noch fertiggebracht. Vielleich hätt’ ich ihm ja doch nicht die Papiere vom Schreibtisch durch die Luft schleudern sollen, jetzt muss ich jeden Monat bis nach Innsbruck fahren. Na ja, zumindest brauch’ ich nicht mehr mitansehen, wie sich dieser Kasperl die abscheuliche Brille putzt und sich wichtigtuerisch räuspert: “Gesetz ist Gesetz.” Was soll denn das für ein Gesetz sein, wo ein Betrieb nicht mehr überleben kann? Immer auf die Kleinen, immer auf die Kleinen. Was hab’ ich mir von diesem Kunz bloβ erhofft? “Kunz!” Was kann man bei so einem Namen schon erwarten? “Wunder kann ich auch keine vollziehen.” Ja, wozu sitzen Sie denn dann überhaupt da, in Ihrem protzigen Büro mit dem nagelneuen Laptop und der knackigen Sekretärin? Steuerberater müsste man sein. Eine Zimmerei scheint in dieser Welt nichts mehr verloren zu haben.
Beim Meier holte er noch schnell das Ersatzteil für die Hobelmaschine ab.
Zackrament! Die Wahnsinnigen! Das sind ja Unsummen, die sie für so ein lächerliches Teil verlangen. Wer kann sich denn das leisten?
Jetzt aber schnell ein Bier! Warum auch nicht den Ausflug in die Stadt wenigstens ein Bisschen genieβen? Unsere Alpenstadt hat ja schlieβlich auch was zu bieten. Beim Goldenen Dachl war ich schon lang’ nicht mehr..
In der Fussgängerzone wimmelts. Er rempelt einen Japaner an, der gerade ein Foto macht. Ja, kauf dir doch eine Postkarte! Gibt’s nicht schon genug Bilder vom Goldenen Dachl?
Er drängt sich an einer Amerikanerin vorbei, die ein Lebkuchenherz umgehängt hat, und bekommt gerade noch einen Platz auf der Terasse. Very Bjutiful links, Nagamsacki rechts. Da kommt man sich schon richtig fremd vor in seinem eigenen Land. Das aufgetakelte Weibsbild da drüben zeigt tatsächlich mit dem Finger auf meine Lodenjacke. Zum Glück hab’ ich nicht auf Hannelore gehört und meinen Hut zuhause gelassen. Am liebsten würde ich ihr die Zunge rausstrecken. Das Bier schmeckt auch abgestanden. Höchste Zeit zum Heimfahren..
Im Auto überkommt ihn das Gefühl, er habe irgend etwas vergessen.
Ach ja, eine Hose hätt’ ich noch gebraucht. Nein, danke. Ein Kaufhaus, das Gedränge, das künstliche Licht, die grellen Schaufenster, die Plastikmenschen, die wie ferngesteuert herumlaufen… Das hätt’ mir gerade noch gefehlt. Dass Leute sowas zum Spaβ tun! Was hat Hannelore nur an der Hose auszusetzen? Auβerdem hab ich ja noch die braune… Ja, Herrgottsakrament, pass doch auf, wo du hinfährst! Hast du keine Augen im Kopf? Der Verkehr macht einen ja wahnsinnig. Und das muss ich jetzt jeden Monat mitmachen? Prost, Mahlzeit! Bloβ raus hier. Wollt ich nicht noch was erledigen? Was solls - ein anderes Mal. Es gibt mehr Tage als Weiβwürste.
Auf der Landstraβe war zum Glück wenig Verkehr. Im Abendrot schauten die Berge direkt kitschig aus.
Also schön ist’s schon bei uns. Da wundert’s einen nicht, dass sie alle herkommen wollen. Obwohl, neulich kam in einer Reportage, dass es in Japan gar Berge gibt. Daschauher, das hätt’ man gar nicht geglaubt. Wieso kommen die dann überhaupt bis zu uns her, wenn sie selber Berge haben?
Am Holzleitensattel nagt noch einmal dieser Zweifel an ihm:
Da war doch noch was… Steuerberater, Ersatzteil, Hose kaufen. Das wars doch, oder …? Es blitzte. Radar! Diese Rotzlöffel – schon das dritte Mal diesen Monat. Was solls? Das kann mich heute schon gar nicht mehr aufregen.
Er fährt in die Garage und schaut noch einen Sprung in die Werkstatt. Die Gesellen sind schon beim Aufräumen.
Die Fensterläden fürs Hotel Post sind schön geworden. Ja, das ist halt noch Facharbeit! Marianne, ein fleiβiges Mädel, hat die Bestellungen schon ausgedruckt. Fehlt nur noch meine Unterschrift. Alles paletti. Bloβ der Berger hat angerufen und hat schon wieder was an dem Dachstuhl auszusetzen. So ein lästiger Kerl - kann auch bis morgen warten.
In der Wohnung ist es kalt. Er lässt die Jacke an, stellt die Schuhe in die Kommode und dreht die Heizung rauf. Dann holt er ein Bier aus dem Kühlschank und setzt sich vor den Fernseher. Das Spiel hat schon angefangen. Spanien gegen Deutschland. 0:0 – zum Glück nicht viel versäumt. Er legt die Füβe auf den Tisch und trinkt einen Schluck Bier.
Ah, das ist halt doch was anderes als das Gesöff, das sie den Japanern vorsetzen. Endlich daheim. Mensch, hab’ ich einen Hunger. Ein Wurstsalat, das wär’ jetzt was.
Hannelore! Hannelore? Um Gottes Willen – Hannelore! Wie gibt’s denn das? Das kann doch gar nicht sein. Wir sind doch zusammen weggefahren, und im Auto hat sie ununterbrochen geredet, sodass ich fast die Ampel übersehen hätte. Was hat sie da noch mal erzählt? Ich erinnere mich noch deutlich, dass ich sie vor dem Kaufhaus abgesetzt habe und ist zum Steuerberater gefahren bin. Das gibt’s doch nicht!
Das Telefon klingelte - es jodelte. Hat sie sich ausgerechnet den allerblödesten Klingelton aussuchen müssen? Er lief zum Telefon. Das ist bestimmt Hannelore. Was sagen? Es jodelte. Um wieviel Uhr hätte ich sie abholen sollen? Verflucht! Wie kann einem denn sowas nur passieren? Hollera diriiii dirii dirii, holeri holerei tulio, guggu… Es war das “guggu”, bei dem ihm jedes Mal das Fleisch zusammenzuckte. Wann stellt sie denn das endlich um? Das zermalmt einem ja den letzten Nerv. Hannelore! Du liebe Zeit – was sagen?
“Hasi, tut mir leid, ich hab vergessen, dass du dawarst???”
Das ist das Ende – das wird sie mir nie verzeihen. Himmlherrgott! Warum muss das auch ausgerechnet mir passieren? Hollera diriiii dirii...
Sie kann’s ja gar nicht sein. Das wäre ihr ja gar nie eingefallen, dass ich zuhause auf dem Sofa sitzte, während sie... Mein Gott, wo ist sie denn? Sie kennt sich ja in Innsbruck gar nicht aus. Da steht sie jetzt im Dunkeln mit ihren Einkaufstaschen. Was denkt sie sich bloβ? …holleri holerei tulio…Das hält ja keiner aus.
“Hinterholzer”.
“Franz, ich hab’ mir doch gedacht, ich hab’ dein Auto gesehen.”
Sein Bruder.
“Toni. Was gibts?”
“Die Hannelore hat angerufen, sie sucht dich in ganz Innsbruck.”
“Hannelore! Gott sei Dank. Wie geht es ihr? Ist alles in Ordnung? Wo ist sie denn bloβ?”
“Nichts passiert, sie macht sich Sorgen um dich. Sag mal, was machst du denn schon hier?”
“Was hast du denn gesagt?”
Ich fühl’ mich fast, als hätt’ ich sie betrogen. Herrgott, vielleicht kommt sie gar noch auf solche Gedanken.
“Ich konnte schwören, ich hab’ dein Auto hier gesehen, aber sie wollte mir nicht glauben. Sie sagt, ihr wart vor vier Stunden verabredet. Mensch, kauf dir doch endlich mal ein Handy! Was ist los? Ist im Betrieb was passiert?”
Im Betrieb – genau. Im Betrieb!
“Danke Toni, Gott sei Dank! Kein Grund zur Sorge. Du weiβt ja, wie ich Handys hasse. Sag, wie ist nochmal Hannelores Nummer? Die sind bei den Handys so lang, die kann sich ja kein Mensch merken.”
Nur die Ruhe bewahren. Es läutete nur einmal. Sie hob sofort ab.
“Franz? Um Gottes Willen, wo steckst du denn? Ich hab mir ja solche Sorgen gemacht.”
Du liebe Zeit, sie brach in Tränen aus. Das auch noch. Ihm steckte ein dicker Knödel im Hals, aber er durfte sich nicht räuspern. Die Worte kamen trotzdem überzeugend raus. Er war selbst ganz überrascht.
“Hannelore, du kannst dir gar nicht vorstellen, was im Betrieb passiert ist…”