- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Da war sie wieder
Da war sie wieder, wie jeden Tag glitt sie, wie ein Engel der alle Blicke auf sich zieht, an ihm vorbei und setzte sich vier Sitzreihen hinter ihn. Augen wie Edelsteine, fast perfekt schwarz mit einem leichten Touch ins Haselnussbraune, warfen einen flüchtigen Blick auf ihn und ließen ihn von seinem Stuhl, direkt in einen tiefen Traum von Haselnüssen und Engeln gleiten. Seit vier Monaten ging das nun so und er war noch keinen Schritt weiter gekommen.
Es war ein verdammt heißer Tag und ein Blick auf die Straße, welcher von staubigen Scheiben getrübt wurde, offenbarte eine verdammt heiße Frau. Ein schwarzer glänzender Minirock, der eher ein Gürtel zu sein schien, ein rotes Top, das mehr Haut zeigte, als verbarg. Doch trotz der knappen Bekleidung war sie von Schweiß, der ihr überall hinunterlief, geradezu getränkt. Er konzentrierte sich auf einen der vielen Schweißtropfen und verfolgte mit messerscharfen Blicken dessen Bahn. Wie er zuerst über eine zarte kleine Stupsnase lief, sich langsam auf volle Lippen zubewegte, scheinbar kurz darüber nachdachte, dort zu verweilen, um dann doch, an Tempo gewinnend, über ihren Hals bis hin zu ihrem Ausschnitt zu gelangen. Er stellte sich vor, wie einer dieser Tropfen langsam die ziemlich starke Wölbung ihrer Brüste passierte, um schließlich ganz zart und sanft ihre Brustwarze zu befeuchten. Die Tür schloss sich und es gab einen Ruck, die Fahrt hatte begonnen.
Nein, er war wirklich kein Menschenfreund, schon seit seiner Kindheit fand er einfach keinen Zugang zur Psyche anderer Personen, vor allem Frauen waren ihm fremd und unerreichbar. Jodie war anders. Sie war die einzige, die ihn wirklich verstand ihn respektierte und zu der er einen Zugang hatte, gehabt hatte um genau zu sein. Wieder schossen ihm die grausamen Bilder umherfliegender, blutverschmierter Gliedmaßen in den Kopf und ließen ihn laut aufschreien. Er registrierte einzelne entsetzte Blicke, ein leises Tuscheln schien von überall her zu kommen und machte ihm wieder einmal unabdingbar klar, dass sein großer, muskulöser Körper abschreckend wirken musste. Ja er war wirklich von der Natur bevorteilt worden. Zu Zeiten Jodies ging er oft in die Kirche um zu beten, doch der schreckliche Vorfall vor vier Jahren hatte ihm den Glauben an Gott oder Ähnliches schlagartig und unwiederruflich geraubt.
„Nächster Halt…“, ertönte völlig verrauscht, an ein altes Funkgerät aus dem Zweiten Weltkrieg erinnernd, die Stimme des Busfahrers. Wie so oft konnte man den Namen der Haltestelle nicht verstehen, doch er wusste genau, welchen Halt der Bus nun als Nächstes ansteuern würde. Vor seinem gedanklichen Auge malte er sich aus, wie sie sich behutsam und zugleich unglaublich feminin erhob, um den Haltewunschknopf zu betätigen. Allein diese Vorstellung ließ ihn erschaudern und ein von seinen Lenden ausgehendes alles übermannendes Kribbeln stieg in ihm auf. Er spürte wie sein Glied seinen Wunsch nach Befriedigung kundtat und langsam, aber immer fester gegen seine verwaschene Jeans zu drücken begann. Er konnte nicht anders, voller Elan stieß er sich von seinem Stuhl und stieg direkt hinter ihr aus dem Bus. Die Tatsache, dass er noch mehrere Stationen weiterfahren hätte müssen, ließ ihn trotz der erdrückenden Hitze eiskalt. Der Duft ihres Parfüms vermischt mit dem ihres vollkommen weiblich duftenden Schweißes strömte unaufhaltsam durch seine Nasenflügel und setzte eine unglaubliche Dosis Endorphine, ähnlich eines Orgasmus, in ihm frei. Er musste sich beherrschen nicht wieder laut aufzuschreien, diesmal vor Glück.
Nach den zwei Jahren in psychiatrischer Behandlung, aus denen er mit dem Zertifikat „geheilt“ entlassen wurde, hatte er es anfangs nicht zustande gebracht, mit einer Frau zu schlafen, ja sogar die unbändigende Lust am Masturbieren, die ihn bis vor seiner Einlieferung fast täglich ereilt hatte, war ihm abhanden gekommen. Nach ca. vier Monaten hatte er es mit Prostituierten versucht. Doch der Gedanke, nur durch Prostitution an weibliche Körper Anschluss zu finden beschämte ihn zutiefst und ließ seine bis dahin allemal geringe Selbstachtung noch weiter schmälern. Auch mit seiner Hand konnte er sich bis vor vier Monaten nicht wirklich aussöhnen und so verbrachte er bis zu diesem Zeitpunkt das Sexualleben eines Priesters.
Sie änderte alles. Bereits als er sie zum ersten mal sah, war er fasziniert von ihrer vollkommenen Erscheinung, ihrem perfekt sitzenden Haar, ihren unglaublichen, fast pechschwarzen Augen. Einfach alles schien perfekt an ihr. Sie schien geschaffen um ihn zu befriedigen. Und so begann er wieder zu masturbieren und mit dem Gedanken an ihre prallen Brüste kam er stets mit einem lauten, heftigen Schrei.
Sie hatte einen schnellen und bestimmten Schritt, doch für seinen durchtrainierten Körper war es ein Kinderspiel mit ihr mitzuhalten. Was tat er eigentlich, erst jetzt wurde ihm die Absurdität seiner Handlung bewusst, zumindest wenn er sie nicht ansprechen sollte.
Es war genau 18:04 Uhr, doch die Sonne brannte als wäre es zwischen 12 und 14 Uhr. Das Thermometer, welches an einer Neonreklame eines Versicherungsunternehmens angebracht war, zeigte 34°C im Schatten, der Wetterdienst hatte den heißesten Tag des Jahres vorausgesagt. Der Verkehr war, wie üblich zu dieser Tageszeit, sehr dicht. Sie lief an mehreren parkenden Autos vorbei und ihr wunderschöner Hintern spiegelte sich, leicht hin- und herbewegend, auf dem Lack derer und es schien, als würden selbst diese leblosen Gebilde einen Blick auf sie riskieren.
Er wusste zwar nicht genau wohin sie ihr Weg führen würde, doch spürte er, dass er sie bald ansprechen müsste, um seine Chance, dieser Aktion einen Sinn zu verleihen, nicht tatenlos verfliegen zu lassen. Er hasste sinnlose Aktionen und so war sein Tag auch komplett durchorganisiert: 6 Uhr aufstehen, duschen, zähneputzen, frühstücken. 7 Uhr Bus, 8-17Uhr arbeiten, danach nach Hause fahren, masturbieren, lesen und letztenendes schlafen. Wochenends lieh er sich gerne mal einen Film aus, den er dann an seinem 4000 Euro teuren Heimkino-System genoss. Ja er verdiente wirklich gut, warum er kein Auto besaß, wusste er selbst nicht so genau.
Er fasste allen Mut zusammen und beschleunigte seinen Schritt, mit dem Ziel sie einzuholen und sie anzusprechen. Doch soweit sollte es nicht kommen. Mit offenen Armen kam ihr in diesem Augenblick ein gutaussehender Mann, Ende 30 mit langen Haaren und Vollbart entgegen, nahm sie in den Arm und küsste sie. Fassungslos blieb er wie angewurzelt stehen, die Zeit schien stillzustehen. Dies konnte nicht wahr sein, sie war doch für ihn bestimmt, ja für ihn geschaffen. Mit einem Male sah er sich wieder in der Szene vor vier Jahren. Jodie stand ein paar Meter von ihm entfernt und unterhielt sich angeregt mit einem Mann, sie hatte ihn bis dahin nicht bemerkt. Die Sonne brannte wie heute und es war ebenfalls 18:44 Uhr. Argwöhnisch beobachtete er die Beiden, doch als sie sich küssten, gab es für ihn kein Halten mehr. Wie von einer unsichtbaren Macht gesteuert raste er auf die beiden zu. Was dann geschah, entzog sich bis heute seinem Gedächtnis. Das einzige an das er sich erinnert ist der Schrei und die umherfliegenden Gliedmaßen Jodies, die von einem vorbeifahrenden LKW erfasst worden war.
Er fand sich zusammengekauert am Straßenrand wieder, ein Blick auf die Straße, das Weinen eines Kindes und die entsetzt verstörten Blicke der Passanten verrieten es ihm: Er hatte es wieder getan.