Was ist neu

Daheim (mal wieder)

ko

Mitglied
Beitritt
29.08.2001
Beiträge
5

Daheim (mal wieder)

Es scheint alles beim alten geblieben zu sein. Ich stehe am offenen Dachfenster und sauge den warmen Rauch der Zigarette ein, vermischt mit der naechtlichen Winterluft. Ich denke an die Kaffeewerbung. Die distinguierte Lebefrau, die Gala oder sonst einen durchschnittlichen Kaffee mit edel klingendem Namen trinkt und auf die Frage, was sie sich wuenscht von ihrem Leben antwortet “Alles soll so bleiben wie es ist.”
In ein paar Tagen werde ich in Paris sein. Rechtzeitig zum Millennium. Wahrscheinlich wird sich wieder nichts aendern. Wie auch, eigentlich geht ja nur ein Tag in den anderen ueber. Nur dass diesmal um die Ecke der Millennium-Bug lauert. Ich spiele in Vorfreude mit der Vorstellung, dass er sich, kleines parasitaeres Monster, das er ist, durch digitale Gehirne in Elektrokabel hineinfrisst und die zu erwartende groesste Party der Welt lahmlegt. Mitternacht und die Erde ist finster wie im Mittelalter. Doch eigentlich rechne ich damit, dass gar nichts passiert, und dass das Leben nach einem verkatertem Tag genauso weitergeht wie bisher, und dass sich nur die ganz Panischen, die sich mitsamt mechanischem Notstromaggregat verbunkert haben, Gedanken machen muessen, ob sie nun wirklich die Dosenfuttervorraete fuer ein halbes Jahr, die sie sich aus weiser Vorraussicht zugelegt haben, ausloeffeln wollen. Vielleicht ist es aber auch nur Zweckoptimismus, weil ich mich nur schwerlich mit der Aussicht anfreunden kann, in Paris bei Dunkelheit einem wilden Mob von Pluenderern in die Haende zu fallen und die Nacht in einem Zimmer ohne funktionierende Heizung zu verbringen.
Die Strassenlaterne wirft ihr fahles Licht auf die herabfallenden Schneeflocken. Ich zuende mir noch eine Zigarrette an. Die Strasse, die in meiner Kindheit ein staubiges und holpriges Wegchen war ist schon laengst asphaltiert. Ich kann mich noch erinnern, wie wir gegenueber aus einem Sandhaufen eine Burg gebaut und auf ihr unsere Matchboxautos hin und her geschoben haben. Wer damals mein Spielkamarad war, weiss ich nicht mehr so genau.
Ich druecke meine Zigarrette im Schnee aus, der auf dem Dach liegt, und forme um sie einen Schneeball, den ich dahin werfe, wo frueher die Sandburg stand.
Unsere Nachbarn haben neue Autos. Aber vielleicht gehoeren sie auch nur dem weihnaechtlichen Besuch. Unsere anderen Nachbarn haben damit begonnen, eine kleine Mauer um ihr Haus zu errichten. Und die ganz anderen Nachbarn funktionieren ihren Garten langsam um zum Abenteuerspielplatz. Ausserdem haben sie das Schild, das vorbeigehende Passanten bittet, keine Fixerutensilien in den Garten zu werfen, weil dort Kinder spielen, entfernt.
Die Leute, die ich wiedertreffe, sind noch genauso, wie ich sie in Erinnerung habe, und die Unterhaltungen mit ihnen laufen so ab, wie ich es gewohnt bin, und ich geniesse es und denke mir, anscheinend bin ich der einzige, der sich veraendert hat. Aber wahrscheinlich bemerke das wieder nur ich.

 

Hallo Heiko,

ich weiss nicht, was es genau ist, aber irgendetwas in mir verrät mir, an dieser Geschichte Gefallen gefunden zu haben. Aber wahrscheinlich bemerke das nicht ich selbst. ;)
Im Prinzip scheint dies eine kurz und bündige Zusammenfassung einer Rückblende zu sein, der man einerseits nachsehnt, andererseits zu entkommen versucht, um an seiner Eigenschaft Veränderungen bemerkbar machen lassen zu wollen.

Du scheinst der Freund von langen Sätzen zu sein, doch dank der (fast) richtigen Zeichensetzung stört das den Lesefluss nicht im geringsten.


Gruß, Hendek

 

Hallo Heiko,

schon oft selber erlebt, ähnliche Situationen. Meistens schreib ich dann Gedichte. Kann ich gut nachvollziehen. Hat mir gefallen.

Heiko, äh, Heiko, ähm, Heiggo

 

Na ja, ich konnte weniger damit anfangen, aber macht nix... ;)

Griasle
stephy

 

Im Prinzip scheint dies eine kurz und bündige Zusammenfassung einer Rückblende zu sein, der man einerseits nachsehnt, andererseits zu entkommen versucht, um an seiner Eigenschaft Veränderungen bemerkbar machen lassen zu wollen.

Sorry, Hendek...zumindest den letzten Teil des Satzes versteh ich nicht. :confused: Und... es ist eigentlich auch keine Zusammenfassung einer Rueckblende, zumindest nicht fuer mich. Das Ganze basiert eher auf ein paar Saetzen, die ich vor knapp zwei Jahren in mein Buechlein geschrieben habe, und die ziemlich genau das Gefuehl umreissen, das ich im Moment auch wieder habe, wenn auch unter komplett anderen Voraussetzungen.

@Morphin: ich denke, das Gefuehl kann fast jeder nachvollziehen. Leider kann nicht jeder Gedichte schreiben. Ich zumindest nicht. ;)


schoene gruesse

ko!

 

Hallo ko,

anscheinend ging ich irrig der Annahme, ein Wörtchen wegzulassen ändere nichts an der Aussage meiner Kritik. Nun ja, war halt ein Fehlgedanke. :rolleyes:

So, was ich eigentlich ausdrücken wollte, war eine Rückblende und gleichzeitig eine Vorschau auf das Verhalten, das von einem selbst ausgeht.
Man meint anders zu sein oder sich verändert zu haben und vergleicht seine eigene Verhaltensstruktur deshlab gerne mit der von Bekannten; anbei man gerne jene Veränderungen an sich selbst preisgeben möchte.

Auf jeden Fall hat der Text sich so auf mich eingewirkt. Was natürlich tatsächlich dahintersteckt - das kannst nur du allein wissen. ;)


Gruß, Hendek

 

o. k. Hendek, jetzt wirds mir klarer...und Du hast natuerlich gar nicht so unrecht. Allerdings geht es eher darum, dass sich persoenliche Veraenderungen eben nicht so sehr in Verhaltensstrukturen niederschlagen, sondern in der eigenen Wahrnehmung...und wohl deshalb nicht so augenfaellig sind.

 

Also, ich kann mich Morphin nur anschließen, mir gefällt die Geschichte auch, wobei ich mir nicht erklären kann, woran genau es liegt. Ich finde, du erklärst mit den (verhältnismäßig) wenigen Worten, was in dir vorgeht, ohne zu übertreiben. Besonders das mit Silvester, Millenium &Co. spiegelt alles wieder, was ich mit diesem Zeug verbinde. Danke, dass du mir damit zeigst, dass ich nicht die einzige bin, die das alles hasst.
Außerdem ... ich weiß auch nicht, ich finde diese Geschichte einfach gelungen! Jeder interpretiert eh das, was er mit diesem Bild assoziiert.

 

Hallo!!

Die Gedanken am Ende gefallen mir wirklich! Das ist so alltäglich und gleichzeitig erscheint es wie DIE Erleuchtung. Dieses beobachtende Bild hättest du ausbauen sollen(wenigstens für mcih...*g*). Das ganze erscheint mir eher wie eine Notiz für eine Geschichte, kann mir nicht helfen.

Sie ist sinnvoll, ihre Dichtung...

Gruß,
kc

 

Wahrlich wahrlich credosupernova! Sag mal, gibt es überhaupt eine Geschichte, die dich zu hundert Prozent überzeugt?

 

Das ganze erscheint mir eher wie eine Notiz für eine Geschichte, kann mir nicht helfen.

Liegt wohl daran, dass es ne Geschichte ist, die aus ner Notiz entstanden ist. ;)

@lyrik: Danke, du traeufelst wirklich Balsam auf meine Seele.

gruesse vom ko!

 

Tja, mich erinnert die Geschichte an Weltschmerz, den man des oefteren fuehlt, wenn man alles nur noch von ganz weit weg betrachtet....

bis bald
Liya

_____________________________
Erzaehl uns, werden sie kommen und sagen. Damit wir verstehen und abschliessen koennen. Doch sie irren sich.
Nur was man nicht versteht, kann man abschliessen.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom