Daheim (mal wieder)
Es scheint alles beim alten geblieben zu sein. Ich stehe am offenen Dachfenster und sauge den warmen Rauch der Zigarette ein, vermischt mit der naechtlichen Winterluft. Ich denke an die Kaffeewerbung. Die distinguierte Lebefrau, die Gala oder sonst einen durchschnittlichen Kaffee mit edel klingendem Namen trinkt und auf die Frage, was sie sich wuenscht von ihrem Leben antwortet “Alles soll so bleiben wie es ist.”
In ein paar Tagen werde ich in Paris sein. Rechtzeitig zum Millennium. Wahrscheinlich wird sich wieder nichts aendern. Wie auch, eigentlich geht ja nur ein Tag in den anderen ueber. Nur dass diesmal um die Ecke der Millennium-Bug lauert. Ich spiele in Vorfreude mit der Vorstellung, dass er sich, kleines parasitaeres Monster, das er ist, durch digitale Gehirne in Elektrokabel hineinfrisst und die zu erwartende groesste Party der Welt lahmlegt. Mitternacht und die Erde ist finster wie im Mittelalter. Doch eigentlich rechne ich damit, dass gar nichts passiert, und dass das Leben nach einem verkatertem Tag genauso weitergeht wie bisher, und dass sich nur die ganz Panischen, die sich mitsamt mechanischem Notstromaggregat verbunkert haben, Gedanken machen muessen, ob sie nun wirklich die Dosenfuttervorraete fuer ein halbes Jahr, die sie sich aus weiser Vorraussicht zugelegt haben, ausloeffeln wollen. Vielleicht ist es aber auch nur Zweckoptimismus, weil ich mich nur schwerlich mit der Aussicht anfreunden kann, in Paris bei Dunkelheit einem wilden Mob von Pluenderern in die Haende zu fallen und die Nacht in einem Zimmer ohne funktionierende Heizung zu verbringen.
Die Strassenlaterne wirft ihr fahles Licht auf die herabfallenden Schneeflocken. Ich zuende mir noch eine Zigarrette an. Die Strasse, die in meiner Kindheit ein staubiges und holpriges Wegchen war ist schon laengst asphaltiert. Ich kann mich noch erinnern, wie wir gegenueber aus einem Sandhaufen eine Burg gebaut und auf ihr unsere Matchboxautos hin und her geschoben haben. Wer damals mein Spielkamarad war, weiss ich nicht mehr so genau.
Ich druecke meine Zigarrette im Schnee aus, der auf dem Dach liegt, und forme um sie einen Schneeball, den ich dahin werfe, wo frueher die Sandburg stand.
Unsere Nachbarn haben neue Autos. Aber vielleicht gehoeren sie auch nur dem weihnaechtlichen Besuch. Unsere anderen Nachbarn haben damit begonnen, eine kleine Mauer um ihr Haus zu errichten. Und die ganz anderen Nachbarn funktionieren ihren Garten langsam um zum Abenteuerspielplatz. Ausserdem haben sie das Schild, das vorbeigehende Passanten bittet, keine Fixerutensilien in den Garten zu werfen, weil dort Kinder spielen, entfernt.
Die Leute, die ich wiedertreffe, sind noch genauso, wie ich sie in Erinnerung habe, und die Unterhaltungen mit ihnen laufen so ab, wie ich es gewohnt bin, und ich geniesse es und denke mir, anscheinend bin ich der einzige, der sich veraendert hat. Aber wahrscheinlich bemerke das wieder nur ich.