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Damals

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12.07.2002
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Damals

Schwacher Applaus, von zittrigen Händen geklatscht, quittiert die kurze Ansprache der Leiterin des Heimes. Normalerweise empfinden wir Insassen des Hauses „Rosenberg“ solche Feiern als Pflichtveranstaltungen. Sie zeigen jedem von uns auf, dass wir stets älter werden und unsere Uhr bald ablaufen wird. Egal, ob jeweils der achtzigste, oder der neunzigste Geburtstag eines Heimbewohners bejubelt wird. Ein beklemmendes Gefühl erfasst alle, die im großen Aufenthaltsraum versammelt sind und es dauert immer einige Stunden, bis wir wieder im normalen Tagestrott sind.

Aber heute ist es anders. Heute heißt der Jubilar Giovanni Scorta, oder Gianni, wie wir ihn alle nennen. Seit gut zwölf Jahren ist er schon im „Rosenberg“ und an diesem Donnerstag begeht er sein neunzigstes Wiegenfest.

Warum es heute für mich anders ist? Ganz einfach: Gianni und ich sind, seit wir damals die gleiche Schule besuchten, Freunde. Obwohl er gut fünf Jahre älter ist als ich, mochten wir uns sehr. Dabei war meine Bewunderung für den älteren Freund nicht ganz uneigennützig, denn Gianni ist der Sohn des längst verstorbenen alten Scorta - und diese Familie besaß seit Generationen die große Eisdiele „Venezia“ am Hauptplatz unseres kleinen Dorfes, die heute seine Enkel führen. Ich suchte den Laden immer dann auf, wenn ich sicher war, dass Gianni hinter der Theke stand. Das garantierte mir die größtmögliche Portion Eis für mein karges Taschengeld. Und Gianni musste oft in der Eisdiele aushelfen. Das war damals schon selbstverständlich für ihn. Die Scortas – obwohl schon seit vielen Generationen in Deutschland ansässig - pflegten noch die alten italienischen Familientraditionen, die sie aus ihrem Heimatland mitgebracht hatten. Und dazu gehörte ganz selbstverständlich, dass jeder dem anderen im Clan nach seinen Möglichkeiten half und ihn unterstützte. Kinder machten da keine Ausnahme.

„Warum hieß eigentlich Euer Geschäft ‚Venezia’ und nicht zum Beispiel ‚Apulia’, wo doch Deine Familie aus dem Süden des Landes stammt?“

„Das lässt sich leicht erklären: als Roberto Scorta kurz nach dem zweiten Weltkrieg nach Deutschland kam, kannten die Deutschen von meinem Heimatland nur die großen Städte. Erst viele Jahre später begannen die Urlauber, mit ihren kleinen VW Käfern an die Adria, und somit etwas weiter in den Süden, vorzudringen. Roberto machte damals das einzig Richtige, er benutzte den bekannten Namen der Lagunenstadt als Aushängeschild für seine Eisdiele. Viele Jahre später, schon im neuen Jahrtausend, es muss so um 2010 gewesen sein, hatte mein Urgroßvater die gleiche Idee wie DU. Er wollte den Namen auf ‚Gargano’ ändern; Du weißt, das ist die Region am Sporn von Italien, aus der wir einwanderten. Aber zu jener Zeit war es so, dass für die deutschen Touristen Italien viel zu nahe lag. Damals verbrachte man seine Ferien bevorzugt an den Stränden der Meere im fernen Asien. Deshalb blieb das ‚Venezia’ bis heute das ‚Venezia’.“

Später, als ich das Gymnasium besuchte, ließ ich mich von Gianni dazu überreden in die Fußballmannschaft einzutreten, der er als Jugendleiter vorstand. Das wurde zwar für uns beide eine arge Enttäuschung, denn ich traf den Ball nur selten – und das gegnerische Tor nie. Dafür ab und zu das eigene. Was fast dazu führte, dass unsere Bubenfreundschaft zerbrach.

Mit seinen lebendigen, dunkelbraunen Augen und dem tiefschwarzen Haar war der drahtige Bursche der Frauenheld im Dorf. Die Mädchen schmachteten nach ihm und manche Mutter hätte einen Freund vom Schlage Giannis sicher auch nicht verachtet.

Politisch engagierte er sich schon in jungen Jahren und es wunderte niemanden, dass der eloquente Scorta, der seine Ideen in feurigen Reden, mit immenser Überzeugungskraft, den Bürgern mitteilte, schon mit fünfunddreißig Jahren zum Bürgermeister gewählt wurde.

„Wie viele Stimmen hattest Du eigentlich damals gegen Dich bei Deiner Wahl zum Bürgermeister?“, frage ich ihn, als sich die Gruppe der Heimbewohner zerstreut hat und wir allein am Tisch sitzen. Natürlich kenne ich die Antwort längst. Die Frage ist wie ein Ritual zwischen uns. Ich weiß, dass es Gianni jedes mal mit Stolz erfüllt, wenn er mir wortreich und mit dramatischen, weit ausladenden Gesten erklären kann, dass er damals einstimmig gewählt wurde.

Kurz danach musste ich aus beruflichen Gründen für einige Jahre ins Ausland und wir haben uns etwas aus den Augen verloren. Aus Briefen und Telefonaten mit meiner Familie erfuhr ich, dass Gianni wenige Monate danach zum ersten Bürgermeister ernannt wurde. Denn sowohl seine Parteigenossen, als auch die Mitglieder der Opposition erkannten und respektierten sein innovatives Potential. Mit viel Geschick deutete er damals die Zeichen der Zeit und baute unser Gemeinwesen so aus, dass die meisten Bürger daraus Nutzen ziehen konnten.
Als ich wieder ins Dorf zurückkehrte, traute ich meinen Augen kaum. Von allen Veränderungen war mir zwar mündlich und schriftlich berichtet worden, aber was ich damals antraf überstieg alle meine Erwartungen. Dass sich das Klima in Europa drastisch verändern würde, stand für weitsichtige und feinfühlende Menschen schon 2009 fest. Aber Gianni ging einige Schritte weiter. Er überlegte sich, welche Vorteile er für sich und für seine Gemeinde aus der ständigen Erwärmung unserer Zone ziehen konnte.

„Es ist schon jammerschade, dass der See heute ausgetrocknet ist, den Du damals hast anlegen lassen, um Touristen in unser Gebiet zu bringen, das sonst praktisch nichts zu bieten hatte. Er war für uns alle wie eine Goldgrube. Viele Existenzen wurden in jener Zeit gegründet und die Gemeinde konnte mit dem reichen Steuersegen nicht nur den „Rosenberg“ bauen, ein zur damaligen Zeit absolut fortschrittliches Seniorenheim, das nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltet wurde.“

„Ja", meint Gianni, und Stolz schwingt in seiner Stimme, „und meine ganzen Landsleute, die ich damals über eine breit angelegte Werbekampagne zu uns holte! Weißt Du noch, wie sie alle mit ihren kleinen FLIAT-Flugzeugen kamen, so, dass wir in den fünfziger Jahren gezwungen waren, den kleinen Flughafen am Dorfrand zu errichten? Das waren schon tolle Jahre, als die frühere italienische Luftfahrtgesellschaft ALITALIA und der FIAT-Konzern pleite gingen, und dann dieser amerikanische Investor begann, in den ehemaligen Auto-Werkshallen in Turin die Familien-Flugzeuge zu bauen.“

Er schenkt uns beiden aus seinem Flachmann, den er immer bei sich trägt einen Grappa ein, und wir stoßen gemeinsam auf vergangene Zeiten an.

„Und die Idee, die einer aus der Opposition hatte, Palmen nach Italien zu exportieren, war doch auch große Klasse“, schwelge ich weiter in Gedanken an alte Zeiten.

„Erinnerst Du dich noch an meinen Vorschlag, den ich als kleiner Bürgermeister bis nach Berlin durchgepeitscht hatte?“

„Du meinst das mit dem Rauchen? Oh ja, die Entscheidung, die die Bundesregierung darauf hin fällte, das Rauchen staatlich zu fördern, trug erheblich dazu bei den Sozialhaushalt in unserem Land ausgeglichen zu halten. Ohne Dich wäre wahrscheinlich das ganze Rentensystem wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen, wo uns doch unsere heutige Medizin ein Lebensalter von weit über hundert Jahren beschert.“

„Komm, schenk uns noch ein Gläschen ein! Trinken wir auf die guten alten Zeiten und darauf, dass Du Deinen nächsten runden Geburtstag in alter Frische feiern kannst! Das wird 2106 sein.“

 

Hallo Ernst,

Die Scortas – obwohl schon seit vielen Generationen in Deutschland ansässig - pflegten noch die alten italienischen Familientraditionen, die sie aus ihrem Heimatland mitbrachten.
Korrekter wäre hier "mitgebracht hatten".

er benutzte den bekannten Namen der Lagunestadt
Lagunenstadt

Von allen Veränderungen wurde mir zwar mündlich und schriftlich berichtet
Hier würde ich's mit der Zeit auf jeden Fall genauer nehmen: "war mir berichtet worden".

„Es ist schon jammerschade, dass der See heute ausgetrocknet ist, den Du damals hast anlegen lassen, um Touristen in unser Gebiet zu bringen, das sonst praktisch nichts zu bieten hatte. Er war für uns alle wie eine Goldgrube. Viele Existenzen wurden in jener Zeit gegründet und die Gemeinde konnte mit dem reichen Steuersegen nicht nur den „Rosenberg“ bauen, ein zur damaligen Zeit absolut fortschrittliches Seniorenheim, das nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltet wurde.“
:sick: Der Absatz geht gar nicht - er erzählt da Dinge, die seinem Gegenüber völlig klar sind nur für den Leser.

„Ja, meint Gianni“, und Stolz schwingt
Da hat die wörtliche Rede sich ein bisschen viel einverleibt. ;)

! Weißt Du noch, wie sie alle mit ihren kleinen FLIAT-Flugzeugen kamen
FIAT; Klingt für eine mündliche Erzählung aber arg umständlich, man würde wohl einfach "FIATs" sagen.

Das wird 2106 sein.
Hier wieder: Das ist nur für den Leser.


Najaaa... Ist ganz nett geschrieben, die Geschichte, lässt mich aber leider unbefriedigt zurück. Die Ideen, die du da bringst, sind weder großartig neu, noch schräg, noch sonst irgendwas. Die Geschichte ist nicht "seltsam", sondern rubrikenmäßig so ein unglückliches Zwischending aus (seichter) "Science Fiction" und "Alltag".
Nichts für ungut.


Gruß,
Abdul

 

hallo abdulalhazred,

ja, sicher nicht eine meiner besten geschichten - außerdem entstand sie schon vor einigen jahren und ruhte seither auf der festplatte.

danke für deine hinweise - die meisten habe ich schon übernommen. Insbesondere die fehler in der zeitenfolge habe ich korrigiert.

die sache mit FIAT und FLIAT hat schon einen sinn. FIAT war damals eine automarke - FLIAT die marke für kleinstflugzeuge.

herzliche grüße
ernst

 

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